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"Die niederländische Literatur ist ohne Hermans undenkbar." Cees Nooteboom In diesem Meisterwerk erzählt Willem Frederik Hermans, herausragender Vertreter der modernen niederländischen Literatur, die furiose Geschichte eines Mannes, der sich als Held wähnt und dabei in Schuld verstrickt: Henri Osewoudt, dessen Mutter in einem Anflug von Wahnsinn den eigenen Mann erstochen hat, führt den Tabakwarenladen seines Vaters weiter. Eines Tages betritt der Offizier Dorbeck das Geschäft und gewinnt ihn für den niederländischen Widerstand gegen die deutsche Besatzung - bis der geheimnisumwitterte…mehr

Produktbeschreibung
"Die niederländische Literatur ist ohne Hermans undenkbar." Cees Nooteboom
In diesem Meisterwerk erzählt Willem Frederik Hermans, herausragender Vertreter der modernen niederländischen Literatur, die furiose Geschichte eines Mannes, der sich als Held wähnt und dabei in Schuld verstrickt: Henri Osewoudt, dessen Mutter in einem Anflug von Wahnsinn den eigenen Mann erstochen hat, führt den Tabakwarenladen seines Vaters weiter. Eines Tages betritt der Offizier Dorbeck das Geschäft und gewinnt ihn für den niederländischen Widerstand gegen die deutsche Besatzung - bis der geheimnisumwitterte Auftraggeber plötzlich verschwindet und sich Osewoudt nach der Befreiung vor Gericht für seine Taten verantworten soll.
"'Die Dunkelkammer des Damokles' beschreibt, was vom Menschen übrig bleibt, wenn der Firnis der Zivilisation wegfällt." Süddeutsche Zeitung
Autorenporträt
Hermans, Willem Frederik
Willem Frederik Hermans (1921-1995) studierte Physische Geographie, promovierte und lehrte bis 1973 als ordentlicher Professor an der Universität Groningen. Während des Zweiten Weltkriegs begann er zu schreiben und veröffentlichte neben mehreren Romanen Gedichte, Dramen, Erzählungen und Essays. Die zahlreichen Literaturpreise, mit denen er bedacht wurde, lehnte er zumeist ab. Im Aufbau Verlag lieferbar sind seine Romane "Nie mehr schlafen", "Die Dunkelkammer des Damokles" und "Unter Professoren".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2001

Die große Verfinsterung des Lebens und der Bücher
Geschichte als Fotonegativ: Willem Frederik Hermans ist endlich auf deutsch zu entdecken / Von Volker Weidermann

Ein Buch, das dreiundvierzig Jahre lang nicht aus dem Niederländischen ins Deutsche übersetzt wurde, das kein Buchmessenschwerpunkt aus der Versenkung hervorholen konnte, keine noch so große Renaissance der niederländischen Literatur in Deutschland und das jetzt also in diesem Herbst erscheint, was kann man von einem solchen Buch erwarten? Eigentlich nicht viel. Denn so verschlafen ist die deutsche Verlagslandschaft doch nicht, daß sie sich über vierzig Jahre lang ein Meisterwerk aus dem Nachbarland entgehen ließe. Und doch ist genau das geschehen: "Die Dunkelkammer des Damokles" ist ein meisterhafter Roman des 1995 verstorbenen Willem Frederik Hermans, und er ist jetzt erstmals auf deutsch zu lesen.

Aber die deutsche Verlagswelt ist gar nicht schuld daran, daß uns dieser Roman so lange vorenthalten wurde, Hermans selbst hat es seinen ausländischen Verlegern alles andere als leichtgemacht. Als Anfang der sechziger Jahre eine erste komplette Übersetzung des 1958 erschienenen Romans vorlag, verwarf Hermans, nach kurzer Prüfung, nicht nur diese eine, sondern er war so empört über das schlechte Übersetzerhandwerk, daß er einen Bannfluch verhängte: Von diesem Roman soll nie eine deutsche Übersetzung erscheinen. Jetzt ist eine solche endlich, wenn auch unter strengen Auflagen der Erben, auf den Markt gekommen.

Holland 1940. Henri Osewoudt ist Tabakwarenhändler in einem kleinen niederländischen Dorf. Er ist Tabakwarenhändler, weil sein Vater, den seine Mutter in einem Anfall geistiger Umnachtung ermordet hat, auch schon Tabakwarenhändler war. Mit achtzehn Jahren hat er seine außerordentlich häßliche Cousine Ria geheiratet, oder besser: Sie heiratete ihn. Denn Henri Osewoudt ist ein Mann ohne eigenen Willen, ein Mann ganz ohne Eigenschaften, ohne Antrieb, ohne Bartwuchs, mit einer Mädchenstimme, weißblonden Haaren, einem Kindergesicht, ein Mann, der vom Leben nichts erwartet. "Osewoudt wurde nun neunzehn und hatte das Gefühl, alles, was getan werden mußte, sei bereits getan." Und auch der Krieg scheint ihn zu verschonen. Fürs Militär ist er genau einen halben Zentimeter zu klein. Ihm ist es recht. Sein Heimatland sollen andere verteidigen. Kein Grund, sich bloß wegen eines Krieges aus der Lebensruhe bringen zu lassen. Osewoudt ist ein gleichgültiger Schatten, ein Nichts, ein Niemand mitten in einem inzwischen besetzten Land.

Bis Dorbeck erscheint. Leutnant Dorbeck gleicht dem Tabakhändler Osewoudt wie ein Foto-Negativ seinem Positiv, denn Dorbeck ist schwarzhaarig, bärtig, männlich, stark. Ein Kämpfer in Zeiten des geschlagenen Widerstandes: "Auch wenn die ganzen Niederlande kapituliert haben - ich kapituliere erst dann, wenn es mir paßt." Er ist, trotz gleicher Körpergröße wie Osewoudt, bei der Armee, weiß, was er will, taucht kurz auf, zunächst nur, um einen Film entwickeln zu lassen. Doch schon nach kurzer Zeit hinterläßt er Mordaufträge im Dienste des Widerstandes. Und Osewoudt mordet. Kaltblütig, zielstrebig, schnell.

Die unwiderstehliche Rasanz, der Schrecken und die Kraft, die der Roman von diesem Augenblick an entfaltet, hat ihre Ursache einerseits in der außerordentlich klaren, präzisen, lakonischen Sprache und andererseits in der Perspektive des Erzählers, der dem verwandelten Helden immer dicht auf den Fersen bleibt und ihn in seiner ganzen Unauffälligkeit und Kleinheit auf dem Weg zu seinen Morden begleitet. So schlendert Osewoudt mit dem Leser durch den Wald, seinen Auftrag scheinbar schon vergessend, bis er plötzlich mordet, wie aus dem Nichts: "Er hielt ihren Hinterkopf an den Haaren fest und brach ihr an der Spülsteinkante das Genick." Das ist schon alles. Dann geht er mit dem kleinen Sohn jener ermordeten Nazi-Kollaborateurin durch den Wald und pfeift: "Mit dir war es immer so schön". Es gibt keinen Moment des Mitleidens bei Willem Frederik Hermans. Was geschieht, muß geschehen. Genau so. Das Leben als einzige Konsequenz eines winzigen Moments, in dem Henri Osewoudt seinen wahren Lebensmöglichkeiten ins Auge blickte, Konsequenz jenes Moments, in dem er Leutnant Dorbeck traf.

Jetzt muß er ein neuer Mensch werden: "Ich habe nie gewußt, daß ich das mißlungene Exemplar bin, bis ich Dorbeck begegnet bin. Von da an wußte ich, daß er das gelungene Exemplar ist, daß ich im Vergleich mit diesem Mann keine Existenzberechtigung hatte, daß ich mich nur zu einem annehmbaren Mann entwickeln konnte, indem ich genau das tat, was er wollte." Von einem widerstandslosen Individuum wird er, als Marionette Dorbecks, zum Helden des Widerstandes. Was beim Wiedererzählen wie ein schlechter Witz klingt, wird von Hermans auf glaubwürdigste Weise geschildert.

Und Osewoudt erwartet, zwischen Hoffen und Bangen, das Ende des Krieges. Wird er nun wieder nutzlos sein, wie der alte Osewoudt? Oder bleibt ihm ein Rest des Glanzes erhalten, und alle Menschen strömen zu seinem Tabakladen, den er den "Untergrund-Tabakladen" nennen wird, und kaufen ihre Zigaretten "bei dem heldenhaften Widerstandskämpfer mit dem Orden"? Er jedenfalls hat seinen Teil zur Befreiung der Niederlande getan.

Doch der Krieg endet, und Osewoudt gilt nicht als Held. Er gilt als Verräter, als Kollaborateur. Die Beweise gegen ihn sind erdrückend. Jeder Widerstandskämpfer, den er kennengelernt hatte, wurde kurz darauf ermordet, alle geheimen Unterschlüpfe des Widerstandes kurz nach seinem Aufenthalt ausgehoben. Alle Menschen, die er zur Zeit seines befohlenen Kampfes traf und mit denen er sich anfreundete, sind tot. Es gibt niemanden mehr, der ihn entlasten könnte - außer Dorbeck, dem er inzwischen gleicht wie ein Negativ dem anderen Negativ, denn Osewoudt ließ sich sogar die Haare färben. Doch Dorbeck ist verschwunden. Nirgendwo läßt sich ein Hinweis auf seine Existenz finden. Niemand glaubt dem Tabak-Helden, der dem Wahnsinn nahe ist: "Alles, was ich gemacht habe, gleitet mir aus den Händen! Alle Leute, mit denen ich im Krieg zusammengearbeitet habe, sind tot oder verschwunden, und sogar die Straßen, durch die ich gelaufen bin, existieren nicht mehr. Wie ist das nur möglich? Es kommt mir so vor, als ob ich in einer anderen Welt leben würde, in der mir niemand glauben kann."

In der neuen, wohlgeordneten Nachkriegswelt ist nur scheinbar alles für jedermann erkennbar in gut und schlecht, schwarz und weiß aufgeteilt. Doch in Wirklichkeit ist in Hermans' Welt nichts geordnet und nichts eindeutig: Moral ist Zufall, die Welt ein moralisches Trümmerfeld ohne Gewißheiten. Es genügt ein Federstrich, eine Kleinigkeit, und der Weg in den Abgrund ist unaufhaltsam. Osewoudt, der Held des Widerstandes, stürzt, und die glücklich befreite Gesellschaft läßt ihn fallen.

Daß dieser Roman in den Niederlanden der Nachkriegsjahre umstritten war, verwundert nicht, ebensowenig, daß ein so brillanter Roman eines Mannes, der sein Weltbild einmal mit den Worten: "schöpferischer Nihilismus, aggressives Mitleid, völlige Misanthropie" beschrieb, zunächst auf wenig Gegenliebe stieß. Doch Hermans liebte sein Leben lang den Widerspruch, liebte es, sein Leben lang in grollender Opposition zu einem Großteil seiner Landsleute zu stehen. So schrieb er selbstherrliche Bücher mit Titeln wie "Ich habe immer recht" und verließ nach zahlreichen Fehden 1975 das Land Richtung Paris. Hier konnte er genüßlich seine Landsleute beschimpfen, phantasierte seine Gegner in großen Beleidigungsschriften in Schwefelsäurebäder hinein, ließ sich Literaturpreise anbieten, die er regelmäßig ablehnte, und wurde wegen einer Lesung im Südafrika der Apartheidzeit mit einem Auftrittsverbot in Amsterdam belegt. Übersetzungen zweier seiner Bücher ins Französische ließ er verbieten, weil sie nicht termingerecht fertig geworden waren. Wir stellen uns Willem Frederik Hermans als großen, einsamen Kämpfer vor.

Cees Nooteboom schildert in seinem Nachwort zur deutschen Ausgabe eine Reise, die er einmal, zusammen mit Hermans, nach Turin unternahm. Er war überrascht über die Liebenswürdigkeit des gefürchtetsten Mannes im öffentlichen Leben der Niederlande. Nur einmal, in der Nacht, wachte Nooteboom auf, "von einem seiner herzzerreißenden, orkanartigen Hustenanfälle", mit denen Hermans das Hotel erzittern ließ. "Es waren Geräusche aus einer finsteren Welt, die der Welt seiner Bücher eher zu entsprechen schienen als der charmante, weltgewandte Herr, mit dem ich einige Stunden zuvor zu Abend gegessen hatte."

"Die Dunkelkammer des Damokles" ist nur das erste einer ganzen Reihe von Büchern aus jener "finsteren Welt" Willem Frederik Hermans', die der Gustav Kiepenheuer Verlag jetzt auf deutsch vorlegen will. Wir begrüßen diese kommende große Verfinsterung der deutschen Bücherwelt auf das nachdrücklichste.

Willem Frederik Hermans: "Die Dunkelkammer des Damokles". Roman. Aus dem Niederländischen übersetzt von Waltraud Hüsmert. Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 2001. 415 S., geb., 39,90 DM.

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