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Mit seinem neuesten Buch und angesichts der Ereignisse unserer Tage - der Realität terroristischer Attentate, dem unnachgiebigen Fortschreiten der Oikotechniken (Ökonomie, Finanztechnologie) - reflektiert Jean-Luc Nancy auf die Frage nach einem richtigen Sprechen und dem erforderlichen Tun. Dabei gilt es Begriff und Realität von Politik neu zu hinterfragen, ihre Tragweite und ihre Begrenzungen auf die Frage daraufhin zu fokussieren, was jenseits einer Ethik, fernab von den Fragen der Machbarkeit, der Verwirklichungen und der Auswirkungen zu tun geboten ist. Ein solches Nachdenken, was ein…mehr

Produktbeschreibung
Mit seinem neuesten Buch und angesichts der Ereignisse unserer Tage - der Realität terroristischer Attentate, dem unnachgiebigen Fortschreiten der Oikotechniken (Ökonomie, Finanztechnologie) - reflektiert Jean-Luc Nancy auf die Frage nach einem richtigen Sprechen und dem erforderlichen Tun. Dabei gilt es Begriff und Realität von Politik neu zu hinterfragen, ihre Tragweite und ihre Begrenzungen auf die Frage daraufhin zu fokussieren, was jenseits einer Ethik, fernab von den Fragen der Machbarkeit, der Verwirklichungen und der Auswirkungen zu tun geboten ist. Ein solches Nachdenken, was ein Sagen und Tun heute bestimmen kann, durchquert Kants »Was soll ich tun?« ebenso wie Lenins »Was tun?«, stellt sich mit Godard der von Anna Karina in Pierrot le Fou gesungenen Frage »Was kann ich nur tun? Ich weiß nicht, was tun...«, um schließlich zu einem Modus zurückzufinden, der das Tun aufs intimste mit der Existenz selbst in Verbindung setzt.
Autorenporträt
Nancy, Jean-LucJean-Luc Nancy (1940-2021) war einer der bedeutendsten Philosophen der Gegenwart. Er lehrte bis zu seiner Emeritierung Philosophie an der Université Marc Bloch in Straßburg und hatte Gastprofessuren in Berkeley, Irvine, San Diego und Berlin inne. Sein vielfältiges Werk umfasst Arbeiten zur Ontologie der Gemeinschaft, Studien zur Metamorphose des Sinns und zu den Künsten, Abhandlungen zur Bildtheorie, aber auch zu politischen und religiösen Aspekten im Kontext aktueller Entwicklungen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.07.2017

Gegen die große
Maschinerie
Was tun? Jean-Luc Nancy
aktiviert den Geist
Im Epochenjahr 1800 stellte Immanuel Kant legendäre Fragen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Metaphysik, Moral, Religion und Anthropologie stehen im Raum. Jean-Luc Nancy erleichtert die zweite Frage Kants um das „soll ich“. So stimmt der Titel des neuen Bändchens, das aus drei Essays besteht, nun mit Lenins gleichlautender Frage aus dem Jahr 1902 überein. Die Gattung des Ganzen ist am ehesten als Manifest zu beschreiben, das sich aber in der Präsentation von Absichten und Zielen sprunghaft und assoziativ gibt.
Eindeutig ist jedoch die Botschaft: Wer Massenarbeitslosigkeit, Naturkatastrophen, Krieg, Terrorismus, „mörderischen Religionen“ und „korrumpierter Politik“ begegnet, sollte etwas tun. Und eben das unternimmt auch derjenige, der schreibt. Im grundlegenden Wandel, der die Gegenwart bestimmt, werden Erwartungen durchkreuzt, Gewohnheiten verstört. Handlungsfähigkeit gibt es nur, wenn Ohnmacht und Ratlosigkeit angegangen werden. Zum großen Gegner erklärt Nancy den Kapitalismus, der eine zweite Welt erschafft, die ihren eigenen Zwecken folgt und dabei National- und Rechtsstaaten hinter sich lässt, zumindest domestiziert. Trotzdem bleibt, diagnostiziert Nancy, der Konsumgesellschaft die Luft weg. Durch ihre bloße Existenz, die schon ein Tun und Handeln an sich bedeutet, stören die Menschen die Funktionsabläufe.
In Reaktion auf die Pariser Anschläge vom 13. November 2015 äußerte sich Nancy in der Tageszeitung L’Humanité zum „Gewicht unserer Geschichte“. Eine erweiterte Fassung bildet das Finale der Reflexionen zum Tun. „Angesichts des Schreckens und der Emotion“ liege es eigentlich näher zu schweigen. Auch ein überscharfes Bewusstsein unterstreiche eher dieses Bedürfnis, denn die Einsicht in vielfach verwobene Zusammenhänge von Ursachen und Entwicklungen globalen Zuschnitts provoziert Zurückhaltung.
Doch dabei könne es nicht bleiben, wenn die Frage dränge, was hinter den Anschlägen stecke. Bis in das Algerien der 1990er Jahre führt der Weg zurück, zur Gründung der GIA (Groupe Islamique Armé). Überzeugt ist Nancy davon, dass religiöse Fundamentalismen auf den „ökonomischen Fundamentalismus“ antworten. Eine Rolle spielt für ihn auch die „Eilfertigkeit“, mit der Totalitarismuserfahrungen beseitigt wurden – mit dem Versprechen, dass die repräsentative Demokratie sowie technischer und sozialer Fortschritt eine bessere Zukunft verheißen. Kritik übt Nancy an einem „liberalen Fundamentalismus“, der „unbegrenzte konkurrenzförmige Produktion“ zu einem „vermeintlichen Naturgesetz“ erklärt, ungebremste technische Expansion propagiert und Rechtsansprüche anderer negiert, so sie dieser Dynamik entgegenstehen.
In einer deutlichen Distanzierungsgeste versteigt sich Nancy zur These: „Der sogenannte ,Rechts’-Staat repräsentiert auf paradoxe Weise die zugleich notwendige und tendenziell blutleere Form einer Politik, der es an Perspektive und Beständigkeit fehlt.“ Der massive Zweifel an der Legitimation des Rechts ist kennzeichnend für die fundamentalkritische Haltung des französischen Philosophen, der immer wieder Anläufe unternimmt, die Gültigkeit der Prämissen zu prüfen, die demokratischen Systemen zugrunde liegen.
Wie ist es möglich, die Geschichte aus der Sackgasse zu befreien, in die sie Nihilismus, Kapitalismus und Islamismus geführt haben? Nancy aktiviert den Geist. Dieser bezeichnet Sinnproduktion, die bestimmt ist durch Bewegung, mit der sich eine Existenz zur Welt, zu sich selbst und zu den anderen verhält. Er ist immer anwesend, und sei es als Gefühl eines Mangels. Der Geist ist mehr als Humanismus, Recht oder Werte, repräsentiert ein Jenseits von Moral und Ethik. Anwesenheit des Geistes zeigt sich in der Existenz, im Erfinden ihrer Kraft, ihres Sinns und ihrer Form.
Er lässt sich nicht auf Eigentum reduzieren. Darin ist eine elementare Kraft zur Emanzipation lebendig, die sich der Herrschaft globaler Wirtschaft, der „großen Maschinerie“ entgegen stellt. Herrschaftsgebaren hat sein Geheimnis darin, dass es sich nicht als schiere Gewalt ausdrückt, sondern auch als Recht, das sich aufzwingt und Sinn dokumentiert.
„Jeder, der fällt, hat Flügel“ – zitiert Nancy aus Ingeborg Bachmanns „Das Spiel ist aus“. Es scheint also Hoffnung zu bestehen,auch im Scheitern getragen zu werden. Doch Bachmann verfolgt eine eigene Dialektik und fügt umgehend an: „Roter Fingerhut ist’s, der den Armen das Leichentuch säumt“. Diesen Gedanken lässt Nancy aus. Aber das mag niemanden daran hindern, sich eigenständig auf die sinnstiftende Spur poetischer Kraft zu begeben. Auch dafür hätte Jean-Luc Nancy sicher Verständnis, wenn er eine seiner eigenen ideologiekritischen Einsichten ernst nimmt: „Das Leben entspringt keiner Selbstgewissheit: Gerade darin ist das Denken das Leben selbst.“
ALF CHRISTOPHERSEN
Jean-Luc Nancy: Was tun? Übersetzt von Martine Hénissart und Thomas Laugstien. Diaphanes Verlag, Zürich 2017. 108 Seiten, 16,95 Euro.
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»Mit 'Was tun?' ist Jean-Luc Nancy ein wichtiges Buch gelungen über ein Problem, das nicht nur Europa bis ins Mark erschüttert.« Gert Scobel, Philosophie Magazin