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Eine Betrachtung über Leben und Tod, ausgelöst durch das langsame Sterben eines Nachtfalters an der Fensterscheibe, steht am Anfang dieser Sammlung von 26 Essays ganz unterschiedlicher Art. Es folgen Skizzen wie 'Abend über Sussex', literaturkritische und biographische Essays über Henry James oder E. M. Forster, Gedanken über 'Die Kunst der Biographie', vor allem Lytton Strachey gewidmet, ein 'Brief an einen jungen Dichter', der Vortrag 'Berufe für Frauen', eine Auseinandersetzung Virginia Woolfs mit ihrer eigenen persönlichen und künstlerischen Entwicklung. Den Schluß bilden 'Gedanken über…mehr

Produktbeschreibung
Eine Betrachtung über Leben und Tod, ausgelöst durch das langsame Sterben eines Nachtfalters an der Fensterscheibe, steht am Anfang dieser Sammlung von 26 Essays ganz unterschiedlicher Art. Es folgen Skizzen wie 'Abend über Sussex', literaturkritische und biographische Essays über Henry James oder E. M. Forster, Gedanken über 'Die Kunst der Biographie', vor allem Lytton Strachey gewidmet, ein 'Brief an einen jungen Dichter', der Vortrag 'Berufe für Frauen', eine Auseinandersetzung Virginia Woolfs mit ihrer eigenen persönlichen und künstlerischen Entwicklung. Den Schluß bilden 'Gedanken über den Frieden während eines Luftangriffs', geschrieben im August 1940. Diese Arbeiten aus allen Schaffensperioden Virginia Woolfs offenbaren den ganzen Reichtum ihres Wissens und Denkens und die Vielfalt ihrer gestalterischen Möglichkeiten.
Autorenporträt
Virginia Woolf wurde am 25. Januar 1882 als Tochter des Biographen und Literaten Sir Leslie Stephen in London geboren. Zusammen mit ihrem Mann, dem Kritiker Leonard Woolf, gründete sie 1917 den Verlag The Hogarth Press. Ihre Romane stellen sie als Schriftstellerin neben James Joyce und Marcel Proust. Zugleich war sie eine der lebendigsten Essayistinnen ihrer Zeit und hinterließ ein umfangreiches Tagebuch- und Briefwerk. Virginia Woolf nahm sich am 28. März 1941 in dem Fluß Ouse bei Lewes (Sussex) das Leben. Klaus Reichert, 1938 geboren, ist Literaturwissenschaftler, Autor, Übersetzer und Herausgeber. Von 1964 bis 1968 war er Lektor in den Verlagen Insel und Suhrkamp, von 1975 bis 2003 war er Professor für Anglistik und Amerikanistik an der Frankfurter Goethe-Universität, 1993 gründete er dort das 'Zentrum zur Erforschung der Frühen Neuzeit'. Von 2002 bis 2011 war er Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Bei S. Fischer erschien zuletzt 'Türkische Tagebücher. Reisen in ein unentdecktes Land' (2011) und 'Wolkendienst. Figuren des Flüchtigen' (2016).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.1997

Strohhalm des Klatsches
Aus dem Nachlaß Virginia Woolfs · Von Christoph Bartmann

"The Death of the Moth and Other Essays" nannte Leonard Woolf die Sammlung von literarischen Skizzen, Rezensionen und kleineren essayistischen Arbeiten Virginia Woolfs, die er 1942, ein Jahr nach dem Tod seiner Frau, in der Hogarth Press herausgab. Nun liegt sie unter dem Titel "Der Tod des Falters" in Klaus Reicherts Edition der "Gesammelten Werke" erstmals vollständig auf deutsch vor, präzise und elegant übersetzt von Hannelore Faden und Joachim A. Frank. Zum größeren Teil sind die Arbeiten zwischen 1917 und 1940 in führenden anglo-amerikanischen Journalen wie dem "Times Literary Supplement", der "Yale Review" und der "New Republic" erschienen. Druckreif für ein Erscheinen in Buchform waren sie damit nach Virginia Woolfs Maßstäben noch lange nicht. Deshalb gibt Leonard Woolf in seiner editorischen Vorbemerkung Skrupel zu erkennen: "Wäre sie am Leben geblieben", schreibt er, "so würde sie zweifellos große Änderungen und Überarbeitungen an beinahe allen diesen Essays vorgenommen haben, bevor sie ihr Erscheinen in Buchform erlaubt hätte." Kaum je habe Virginia Woolf einer Zeitung einen Artikel überlassen, ohne ihn mehrmals - in Einzelfällen kam sie auf "acht oder neun vollständige Überarbeitungen" - umzuschreiben.

Man weiß nicht, was man hier mehr zu bewundern hat: die Sorgfalt und Mühe, die Virginia Woolf daran wandte, ihre Stücke zu polieren, oder aber die Meisterschaft, die gerade jene Texte ausstrahlen, an denen solche Korrekturen unterbleiben mußten. Etwa die kleine, zuvor ungedruckte Skizze "Abend über Sussex: Betrachtungen in einem Automobil" aus dem Jahre 1927, als die Woolfs mit dem gerade angeschafften Auto die Umgebung erkunden. Der bodenlosen Leichtigkeit des Textes, der auf wenig Raum die Woolfsche Spannweite zwischen pastoralen und katastrophischen Stimmungsmomenten entfaltet, wäre, denkt man, auch durch Überarbeitungen nichts hinzuzufügen.

Man mag die Gegenstände von Virginia Woolfs Betrachtungen insofern, wie Reichert es tut, "antiquarisch" nennen, als sie, und das gilt vor allem für die Essays der letzten Lebens-(und ersten Kriegs-)Jahre, Orientierung bei englischen Autoren und Lebenswelten des achtzehnten Jahrhunderts suchen und dabei die Vätergeneration, das neunzehnte Jahrhundert, zu überspringen scheinen. Zur Verklärung, soviel ist ihr bewußt, eignet sich das achtzehnte so wenig wie irgendein Jahrhundert. Und doch möchte sie von der poetischen Vorstellung nicht lassen, daß, wie sie in einer als Brief an den Reverend William Cole angelegten Besprechung seiner Tagebücher schreibt, "England im achtzehnten Jahrhundert ein vermögendes, schönes Land war; aristokratisch und gewöhnlich; handgemacht und von Pferden gepflügt; ein essendes, trinkendes, bastardzeugendes, lachendes, fluchendes, humorvolles, exzentrisches, liebenswertes Land." Vor allem faszinieren sie an diesem Land begnadete Exzentriker wie Horace Walpole und Edward Gibbon, der eine nach Woolfs Urteil "der größte englische Briefschreiber", der andere "der größte englische Historiker" des Jahrhunderts. Den letzteren zeichnet sie als eine Doppelexistenz, in dessen Person nach einem Bonmot seines Freundes, des Earl of Sheffield, der erhabene "Historiker" und der nur menschenähnliche "Gibbon" Hand in Hand gingen.

Mit ihnen wie mit anderen Protagonisten ihrer literarischen Essays pflegt Virginia Woolf einen Umgang, der keineswegs antiquarisch ist, auch nicht kritisch, sondern freundschaftlich und kongenial. Schon deshalb ist sie, die das Rezensieren und Honoriertwerden anfangs als Bestätigung ihrer schreibenden Existenz ansah, keine Rezensentin im landläufigen Sinn. In späteren Jahren bespricht sie fast nur noch Bücher von und über Autoren, mit denen sie sich ihr Leben lang eingehend beschäftigt hat. Es scheint ihr überdies selbstverständlich, daß etwa zwischen Gibbon und ihr ein kulturelles Kontinuum existiert. Diese Rezensionen sind in Wahrheit biographische Phantasiestücke, ja Briefe in ein Jenseits, das ihr unter den Umständen ihrer letzten Lebensjahre bisweilen als ein Diesseits erschienen sein mag. Doch mit dem Briefeschreiben, dieser "menschlichen Kunst", geht es, wie sie mit einem wundervollen Bild erklärt, zu Ende: "Neuigkeiten und Klatsch, die Zweige und Strohhalme, aus denen der alte Briefschreiber sein Nest baute, sind weggenommen worden. Das Radio und das Telefon sind dazwischengekommen. Der Briefschreiber hat nun nichts, womit er bauen könnte." Dafür sieht sie eine andere menschliche Kunst "erst am Beginn ihrer Laufbahn": die Kunst der Biographie, als deren wichtigster zeitgenössischer Exponent ihr der Freund Lytton Strachey erschien.

Die heterogenen Stücke dieser Sammlung hat Leonard Woolf geschickt angeordnet und so dafür gesorgt, daß neben Virginia Woolfs Passion für das achtzehnte Jahrhundert auch ihre politische Zeitgenossenschaft, vor allem ihr Engagement in der Frauenfrage, sichtbar werden. Den Anfang machen jedoch Prosaskizzen wie "Der Tod eines Falters", ein kurzer Bericht über das Sterben eines Insekts am Fenster von Virginia Woolfs Schreibzimmer und das Erlebnis der eigenen Ohnmacht vor diesem Sterben. Den breiten Mittelteil bilden die Buchbesprechungen, die sich regelmäßig zu eigenständigen biographischen Entwürfen - zu Madame de Sévigné, Horace Walpole, Reverend Cole, Gibbon, Coleridge und seiner Tochter Sara, Shelley - weiten. Es folgen, unter anderem, ein freundlicher Essay über Henry James und ein freundlicher, wenn auch nicht unkritischer zu E. M. Forster, beides Autoren, mit denen Woolf persönlich bekannt war. Daran schließen sich Vortragstexte und Briefe vermischten Inhalts an, etwa der luzide Vortrag "Berufe für Frauen", den Virginia Woolf 1931 vor der "National Society for Women's Service" hielt, oder ein Radiobeitrag namens "Handwerkskunst" für eine Serie mit dem Titel "Mir fehlen die Worte". Am Ende stehen pazifistisch und feministisch inspirierte "Gedanken über den Frieden bei einem Luftangriff" aus einer Londoner Bombennacht des Jahres 1940, mit denen Virginia Woolf, um den Preis verschärfter Isolation, sich dem patriotischen Kriegselan gleich welcher Seite verweigert. Sie bilden das politische Gegenstück zur, mit Reichert gesprochen, "allegorischen Rêverie" über den Tod des Falters.

Darüber hinaus liefern diese Texte Beispiele für die spezielle Verfassung einer erzählerischen Einbildungskraft, die Virginia Woolf auch den Mitgliedern der "National Society for Women's Service" nahezubringen versuchte. Man müsse sich, so Woolf in ihrem Vortrag "Berufe für Frauen", den Gemütszustand des Romanautors wie folgt vorstellen: "Er möchte, daß das Leben in äußerster Ruhe und Regelmäßigkeit verläuft. Er möchte die gleichen Gesichter sehen, die gleichen Bücher lesen, die gleichen Dinge tun, Tag für Tag, Monat für Monat, während er schreibt, so daß nichts die Illusion bricht, in der er lebt - so daß nichts das geheimnisvolle Herumschnopern, Umhertasten, Zustoßen, Nachspüren und plötzliche Fündigwerden jenes sehr scheuen und scheinhaften Geistes, der Einbildungskraft, störe oder beunruhige." Wenn dieser Geist dann fündig wird, entstehen Arbeiten wie "Stadtbummel: Ein Londoner Abenteuer" aus dem Jahre 1927, eines der reizvollsten Stücke in diesem Buch, in dem an einem frühen Londoner Winterabend jemand aus dem Haus geht, um einen Bleistift zu kaufen, und mit der ganzen Stadt beschenkt wird. Woolf sagt hier über Shelley, er gehe "hinaus in einen Raum von reiner Ruhe, von heller und windstiller Heiterkeit". In manchen Texten hält Virginia Woolf die Tür zu diesem Raum selbst weit geöffnet.

Virginia Woolf: "Der Tod des Falters". Essays. Nach der englischen Ausgabe von Leonard Woolf herausgegeben von Klaus Reichert. Aus dem Englischen übersetzt von Hannelore Faden und Joachim A. Frank. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1997. 240 S., br., 36,- DM.

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