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Politik und Unternehmen setzen immer noch auf finanzielle Anreize, um gesellschaftliche Missstände zu korrigieren oder Mitarbeiter zu motivieren. Dabei entscheiden die Menschen nach ganz anderen Kriterien. Wirtschaftliche Entscheidungen laufen nicht so ab, wie es die Lehrbücher gerne hätten. Wenn wir wirklich verstehen wollen, was Menschen kaufen, welchen Bildungsweg sie einschlagen, ob sie mehr Gehalt wollen oder lieber mehr Freizeit - dann müssen wir etwas berücksichtigen, was die Wirtschaftswissenschaften bisher übersehen haben: ihre Identität. Unsere Identität bestimmt, was wir für richtig…mehr

Produktbeschreibung
Politik und Unternehmen setzen immer noch auf finanzielle Anreize, um gesellschaftliche Missstände zu korrigieren oder Mitarbeiter zu motivieren. Dabei entscheiden die Menschen nach ganz anderen Kriterien. Wirtschaftliche Entscheidungen laufen nicht so ab, wie es die Lehrbücher gerne hätten. Wenn wir wirklich verstehen wollen, was Menschen kaufen, welchen Bildungsweg sie einschlagen, ob sie mehr Gehalt wollen oder lieber mehr Freizeit - dann müssen wir etwas berücksichtigen, was die Wirtschaftswissenschaften bisher übersehen haben: ihre Identität. Unsere Identität bestimmt, was wir für richtig halten oder für falsch, welchen Gruppen wir uns zugehörig fühlen, ob wir Vorbilder haben und wenn ja, welche. Das hat ganz praktische Konsequenzen: Warum strengen sich die einen im Beruf an, während die anderen eine ruhige Kugel schieben? Soll man Investitionen in Bildung befürworten oder sind sie reine Verschwendung? Ist es in Ordnung, wenn Banker üppige Boni kassieren, oder nicht? Wie setzt man sich als Frau im Topmanagement gegen lauter Alpha-Tiere durch?
Autorenporträt
Akerlof, George A.
George A. Akerlof ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der University of California in Berkeley. 2001 wurde ihm der Wirtschaftsnobelpreis verliehen. Zusammen mit Robert Shiller schrieb er Animal Spirits: Wie Wirtschaft wirklich funktioniert.

Kranton, Rachel E.
Rachel E. Kranton ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Duke University.

Dierlamm, Helmut
Helmut Dierlamm, Jahrgang 1955, übersetzte u.a. Timothy Garton Ash, Henry Kissinger, Naomi Klein, Walter Laqueur, Barack Obama und Tom Segev.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.09.2011

Das Hirn spielt Streiche
Der "Homo oeconomicus" hat endgültig ausgedient

Gesundes Selbstvertrauen kann man George Akerlof (Universität Berkeley) und Rachel Kranton (Duke-Universität) nicht absprechen. Der Nobelpreisträger und seine Schülerin legen ein kleines Büchlein vor, dessen Inhalt, ihrer Ansicht nach, die Grundlage ihrer Zunft verändern wird. Ein paar Seiten These, einige Anwendungsbeispiele, dann Auswirkungen auf die Praxis. "Wir folgen der Flugbahn der letzten 50 Jahre und bringen die Wirtschaftswissenschaft der Realität näher. Wir verändern die Wirtschaftswissenschaft, indem wir das wirtschaftliche und soziale Leben genau beobachten und die bestehende Theorie entsprechend transformieren", heißt es im Kapitel "Unser Platz in der heutigen Wirtschaftswissenschaft". Die Einordnung ihrer eigenen Theorie in das Große und Ganze beginnt schon auf Seite 33.

Und vermutlich haben sie recht. Schauen wir zurück: Vor 90 Jahren befassten sich die meisten wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungen mit nur zwei Marktstrukturen: dem absoluten Wettbewerb oder dem Monopol. Außerdem ging man davon aus, dass alle Marktteilnehmer über die gleichen Informationen verfügen. Im Laufe der Zeit erkannte man, dass diese Voraussetzungen realitätsfern sind. So entwickelten sich Spieltheorie und Verhaltensökonomie. Schließlich trugen die Arbeiten von Gary Becker (Universität Chicago) dazu bei, dass Ökonomen auch soziale Probleme beobachten.

Dazu gehören Phänomene wie Diskriminierung. Erstaunlicherweise gibt es Menschen, die ihren Nutzen oder den Nutzen ihres Unternehmens nicht maximieren - beispielsweise ein Gesellschafter, der die geeignetste Kandidatin für den Vorstandssessel ablehnt, weil sie eine Frau ist und dadurch den wirtschaftlichen Abstieg seiner Firma in Kauf nimmt. Handelt dieser Gesellschafter wie ein "Homo Oeconomicus"?

Die Präferenzen von Menschen liegen ersichtlich nicht immer bei einer "objektiven" Nutzenmaximierung. Der Zürcher Volkswirt Ernst Fehr hat erst jüngst auf der Tagung des Vereins für Socialpolitik einen Großangriff auf den "Homo oeconomicus" gestartet (F.A.Z. vom 12. September 2011). Fehr ist überzeugt, dass menschliches Verhalten oft mehr von Zufällen und Stimmungsschwankungen als von rationalem Abwägen abhängt. Weil ihnen das Hirn einen Streich spielt, tun Menschen manchmal Dinge, die ihnen gar nicht nutzen.

Akerlof und Kranton gehen noch weiter: Präferenzen können je nach sozialem Kontext unterschiedlich ausgeprägt sein. So hängt es vom sozialen Kontext ab, was jemand als fair empfindet: "In Indien behandeln die hohen Kasten die niederen nicht als gleichgestellt. In Ruanda behandelten Tutsi und Hutu einander nicht als ebenbürtig. In vielen Ländern sind selbst heute noch Frauen und Mädchen körperlicher Gewalt ausgesetzt; sie dürfen nicht zur Schule gehen oder das Haus verlassen. All diese Beispiele haben eins gemeinsam: Sie haben etwas mit der Identität der Beteiligten zu tun. Die Normen, die unser Verhalten bestimmen, hängen von unserer Position in einem bestimmten sozialen Kontext ab." Der soziale Kontext stiftet die Identität. Und die Identität leitet den Menschen, der sich so immer deutlicher vom klassischen "Homo oeconomicus" entfernt. Das ist keine Überraschung. Je weiter man sich einem Akteursmodell entfernt und sich tatsächlichen Menschen annähert, desto deutlicher tritt Individualität zutage.

Akerlof und Kranton werden praktisch: Bonuszahlungen in Unternehmen sind kontraproduktiv. Sie verhindern, dass Beschäftigte zu "Insidern" werden, die die gleichen Ziele wie die Organisation entwickeln. "Wenn ein Mitarbeiter nur finanziell entlohnt wird und nur wirtschaftliche Ziele hat, wird er das System melken, weil er ungestraft davonkommt." Wer eine Zusatzvergütung erwarten kann, identifiziert sich mehr mit dieser und weniger mit der langfristigen Gesundung des Unternehmens. Das ist allerdings auch keine ganz neue Erkenntnis. Verschiedene Studien der letzten Jahre zeigen, dass Bonuszahlungen nach Umsatzzielen destruktiv sein können. Die Identitätsökonomie ist nicht revolutionär. Sie ist ein weiterer Pfeil gegen die klassische Lehre vom "Homo Oeconomicus" - freilich ein Pfeil, der Beachtung findet, wegen der Identität ihrer Verfasser.

JOCHEN ZENTHÖFER.

George Akerlof/ Rachel Kranton: Identity Economics.

Carl Hanser Verlag. München 2011. 208 Seiten. 19,90 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.11.2011

Ein Sprengsatz für
die Ökonomie
Was motiviert Menschen, etwas zu tun? Warum beispielsweise raucht jemand? Ein Ökonom würde sagen: Weil in seinem individuellen Nutzenkalkül die Präferenz Rauchen mögliche Nachteile überwiegt. Mancher raucht einfach gern. Warum aber rauchen heute viel mehr Frauen als vor Jahrzehnten noch, als der Tabakkonsum weitgehend eine Männerdomäne war? Mit traditionellen wirtschaftswissenschaftlichen Theorien lässt sich die wachsende Zahl von Raucherinnen nicht erklären, sagen die US-Ökonomen George A. Akerlof, Träger des Wirtschaftsnobelpreises 2001, und seine Co-Autorin Rachel E. Kranton: „Das Rauchen ist ein klares Beispiel dafür, dass soziale Normen eine Rolle spielen.“
Dieser eher unscheinbare Satz ist in Wirklichkeit ein Sprengsatz an den Fundamenten der traditionellen ökonomischen Lehre. Für die Ökonomie kommt es einer Revolution gleich, was Akerlof und Kranton in ihrem Buch „Identity Economics“ in nüchtern-sachlichem Tonfall darlegen: Was der Mensch ist und wie er entscheidet, ist ganz wesentlich eine Frage seiner Identität, die er in Interaktion mit seinem sozialen Umfeld herausbildet. Nicht ein rationales Nutzenkalkül, sondern die Vorstellung, wie sie selbst und andere handeln sollen, bestimmt darüber, was Menschen tun. Und: Sie halten sich an Normen, weil sie es wollen – nicht wegen der Angst vor Strafe oder finanzieller Anreize.
Doch rennen Akerlof/Kranton da nicht gegen Windmühlenflügel an? Ist der Homo oeconomicus nicht längst sicher in den Archiven verstaut und die ökonomische Disziplin mit Spieltheorie und Verhaltensökonomie unterwegs zu neuen Ufern? Nein. Die Identitätsökonomie, die die beiden Autoren seit zehn Jahren entfalten und nun mit ihrem Buch in die Disziplin einführen, versteht sich selbst als Teil der ökonomischen Reformbewegung. Sie wendet sich aber entschieden gegen das „Standardmodell“ der Ökonomie, das Studierende vermittelt bekommen und das von dort den Weg in die wirtschaftliche Praxis nimmt – gänzlich unbeeinflusst von all dem, was die neue experimentelle Ökonomie über Fairness, Kooperation und irrationale Entscheidungen zutage fördern mag.
Hier, in der ökonomischen Praxis, ist die Herrschaft des nutzenmaximierenden Rationalisten ungebrochen. Sie reicht tief hinein in die Verästelungen unseres Wirtschaftssystems. Vergütungssysteme, Boni, Prämien und Gratifikationen sind durchdrungen von dem Gedanken, dass der finanzielle Anreiz es ist, der den Menschen zu Arbeit motiviert: Indem man ihm einen Anreiz bietet, der im individuellen Nutzenkalkül die Mühsal und Pein der Arbeit überwiegt.
Akerlof und Kranton hingegen rücken die Identität der Beschäftigten in den Mittelpunkt: Ihre Identifikation mit dem Betrieb und ihrer Arbeit sei ein wichtiger, „vielleicht sogar der wichtigste Faktor für den Erfolg oder Misserfolg von Organisationen“. Auf diesem wie auf anderen Feldern demonstrieren sie, wie man zu besseren Erklärungen kommt, wenn man die soziale Identität der Menschen systematisch mit einbezieht. Sie argumentieren dabei streng ökonomisch, verstehen Identität als „eine neue, erweiterte Nutzenfunktion“, die soziale Kategorien, Normen und Ideale mit einbezieht.
So ökonomisch die Autoren auch argumentieren, es sind doch soziologische Kategorien, mit denen sie operieren. Die Konsequenz dessen ist weitreichend: Als Identitätsökonomie kehrte die Ökonomie in den Kreis der Sozialwissenschaften zurück – also dahin, wo sie (eigentlich) hingehört. Nicht nur dieser Konsequenz wegen ist „Identity Economics“ ein in seiner Klarheit bestechendes Buch.
Winfried Kretschmer
George A. Akerlof, Rachel E. Kranton: Identity Economics. Warum wir ganz anders ticken, als die meisten Ökonomen denken. Aus dem Amerikanischen von Helmut Dierlamm.
Hanser Verlag, München 2011. 200 Seiten. 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Interessant scheint Johannes Gernert das Konzept der Identitätsökonomie, das der Wirtschaftswissenschaftler George A. Akerlof und seine Kollegin Rachel E. Kranton in ihrem Buch "Identity Economics" entwerfen. Wie er erläutert, spielen Fragen nach der Identität von Menschen, nach ihren Normen, nach dem sozialen Kontext, in dem sie sich bewegen - Aspekte, die von Wirtschaftswissenschaften bislang zu wenig berücksichtigt wurden - dabei eine wichtige Rolle. Er hebt hervor, dass Akerlof und Kranton darin zentrale ökonomische Faktoren erkennen. Mit deren Hilfe sie erklärten sie zum Beispiel, warum Frauen früher seltener arbeiten gingen als Männer: die gesellschaftlichen Normen sahen dies nicht vor. Gernerts Fazit: ein Werk, das die Bedeutung von Identität und gesellschaftlichem Kontext ins Zentrum wirtschaftswissenschaftlicher Wahrnehmung rückt.

© Perlentaucher Medien GmbH