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John Maynard Keynes als "Retter des Kapitalismus" hat die westlichen Demokratien grundlegend verändert und die Grundlagen für eine neue und erneut aktuelle Wirtschaftspolitik geschaffen. Im Fall der "Rassenhygiene" haben Wissenschaftler als Vordenker der Vernichtung kulturelle und politische Ressourcen genutzt, um ihre Wissensansprüche durchzusetzen - mit fatalen Folgen. Der Klimawandel schließlich ist ein von Wissenschaftlern, Politikern und Experten intensiv diskutiertes Thema, gleichwohl haben die diesbezüglichen Erkenntnisse einen überraschend geringen Einfluß auf die praktische Politik.…mehr

Produktbeschreibung
John Maynard Keynes als "Retter des Kapitalismus" hat die westlichen Demokratien grundlegend verändert und die Grundlagen für eine neue und erneut aktuelle Wirtschaftspolitik geschaffen. Im Fall der "Rassenhygiene" haben Wissenschaftler als Vordenker der Vernichtung kulturelle und politische Ressourcen genutzt, um ihre Wissensansprüche durchzusetzen - mit fatalen Folgen. Der Klimawandel schließlich ist ein von Wissenschaftlern, Politikern und Experten intensiv diskutiertes Thema, gleichwohl haben die diesbezüglichen Erkenntnisse einen überraschend geringen Einfluß auf die praktische Politik. Anhand dieser drei Beispiele untersucht das Buch das prekäre Verhältnis von Wissen und politischer Macht.
Autorenporträt
Grundmann, ReinerReiner Grundmann lehrt Soziologie an der Aston University in Birmingham (England).

Stehr, NicoNico Stehr ist Inhaber des Karl Mannheim Lehrstuhls für Kulturwissenschaften an der Zeppelin University, sowie Fellow des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen. Im akademischen Jahr 2002/2003 war er Paul-Lazarsfeld-Professor der Human- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.01.2012

Experten und
Ignoranten
Eine Studie über das prekäre
Verhältnis von Wissen und Macht
„Wissen ist Macht“ – der Ausspruch des englischen Aufklärungsphilosophen Francis Bacon ist längst zum geflügelten Wort geworden. In ihm rücken die vermeintlich getrennten Sphären von Wissenschaft und Politik in beinahe bedrückende rhetorische Nähe. Er suggeriert, dass, wer über Wissen verfügt, das anderen verborgen bleibt, Einfluss nehmen kann auf Menschen, Geschicke lenken, Politiker steuern. In ihrer kulturwissenschaftlichen Studie „Die Macht der Erkenntnis“ widmen sich Nico Stehr, Professor für Kulturwissenschaften, und Reiner Grundmann, der an der Aston University in Birmingham lehrt, dem Verhältnis von Wissen und Macht auf grundsätzliche und erhellende Art und Weise.
Die drei Felder, die sie für ihre Untersuchungen gewählt haben, könnten auf den ersten Blick verschiedener nicht sein: Das erste Drittel des Buches dreht sich um den britischen Ökonomen John Maynard Keynes, der seine Theorie eines staatlich regulierten Kapitalismus in den frühen dreißiger Jahren veröffentlichte. Keynes’ Ansichten wurden zunächst weitgehend abgelehnt, haben die Wirtschaftssysteme westlicher Demokratien jedoch nach 1945 maßgeblich beeinflusst. Wir haben es im Falle des Keynesianimus also gewissermaßen mit in Buchform vorliegendem „Wissen“ zu tun, das jedoch erst wesentlich später unter bestimmten politischen und ökonomischen Voraussetzungen wirksam wurde.
Auf grauenhafte Weise „wirksam“ wurde auch ein anderes „Wissen“, das die Autoren im zweiten Abschnitt untersuchen: Die aus dem 19. Jahrhundert erwachsene „Rassenlehre“, deren finale „Umsetzung“ Stehr und Grundmann in der Vernichtungspolitik des Holocaust sehen. Es erscheint zunächst absurd und gefährlich, Rassenlehre als Wissenschaft zu begreifen. Ihr kritischstes Argument gewinnen Stehr und Grundmann aber gerade dadurch, dass sie die Kategorisierung der Rassenlehre als „Pseudo-Wissenschaft“ angreifen. Man könne der politischen Macht, die sie in den dreißiger Jahren gewann, nicht gerecht werden, in dem man sie einfach als unwissenschaftlich diskreditiere. Daher sei es notwendig anzuerkennen, dass sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts fest als Wissenschaft etabliert war und auch durchaus nach anerkannten wissenschaftlichen Methoden vorging.
Die viel drängendere Frage wäre dann: Warum mündete diese Form der „Wissenschaft“ in das bisher größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte, den Holocaust?
Schließlich wenden sich Stehr und Grundmann dem Klimawandel zu. Ihre Quellenexegese wissenschaftlicher und politischer Dokumente ist für den Leser mitunter ermüdend – aber aus ihren Überlegungen zum epistemischen Konstrukt „Klimawandel“ erwächst auch der größte Verdienst ihres Buches: die Einsicht, dass Wissen nicht zwangsläufig zu politischer Handlung, dass wissenschaftlicher Konsens über ein politisch relevantes Thema nicht zu entsprechenden politischen Maßnahmen führen muss.
Die Entdeckung des sogenannten Ozonlochs in den achtziger Jahren beispielsweise hat relativ zügig zum „Montrealer Protokoll“ geführt, das den Handel mit die Ozonschicht schädigenden Stoffen reguliert. Dies lag nicht daran, dass sich Wissenschaftler einig gewesen wären über die Notwendigkeit zu handeln, sondern daran, dass das Thema „Ozonloch“ sich auf griffige Art und Weise der Politik und der Öffentlichkeit präsentieren ließ. Die Widerstände, die weltweit gegen eine einheitliche Klimapolitik herrschen, erklären sich neben ökonomischen Erwägungen Grundmann und Stehr zufolge größtenteils aus einem Mangel an Griffigkeit.
Die mittlerweile beinahe Konsens gewordene Machtanalyse Michel Foucaults geht davon aus, dass Wissen zur Legitimation von Macht dient, dass Macht über Wissen konstituiert wird in Aufklärungstechniken wie Sexualwissenschaft und Beichte. Grundmann und Stehr gelangen zu einer anderen interessanten Begriffsanalyse, ohne penetrant darauf hinweisen zu müssen: Wenn es ein Wissen gibt, das erst einmal existiert und dann unter bestimmten politischen und gesellschaftlichen Umständen aktualisiert und somit wirksam werden kann, bedeutet das eine teilweise Entkoppelung der Begriffe „Wissen“ und „Macht“.
So wird Wissen dann tatsächlich zur „Potentia“, im Sinne eines Potentials, einer Möglichkeit. So werden Reiner Grundmann und Nico Stehr dem alten Bonmot „Wissen ist Macht“ auf wunderbare Art gerecht. Wissen ist Möglichkeit. Das bedeutet, dass es Konstellationen gibt, in denen das Wechselspiel von Macht und Wissen zu politischem Handeln führen kann. Die Übersetzung wissenschaftlicher Erkenntnis in politisches Handeln ist der Moment, in dem sich diese Möglichkeit realisiert.
Was dem Buch leider fehlt, ist eine historische Untersuchung dessen, welche Umstände es denn nun genau sind, die darüber entscheiden, ob Wissen handlungsrelevant wird oder nicht. Eine solche Analyse wünscht man sich für die nächste Veröffentlichung.
HANNAH LÜHMANN
REINER GRUNDMANN, NICO STEHR: Die Macht der Erkenntnis. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 261 Seiten, 14 Euro.
Ein wissenschaftlicher Konsens
führt nicht zwangsläufig
zu politischen Maßnahmen
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Hannah Lühmann ist richtig überrascht, wie sich Macht aus Wissen entwickelt. Wenn die beiden Autoren Nico Stehr und Reiner Grundmann dem Komplex Wissen und Macht eine kulturwissenschaftliche Studie in drei Abschnitten widmen und sich grundsätzlich und, wie die Rezensentin versichert, erhellend mit John Maynard Keynes, mit der Rassenlehre und mit dem Klimawandel befassen, kann sie etwas lernen: dass man bei der Rassenlehre als von einer anerkannten wissenschaftlichen Methode ausgehen muss etwa, oder dass der Kampf gegen das Ozonloch sich zur Hauptsache der Griffigkeit des Themas verdankt (nicht so sehr der Einsicht in das Problem). Wissen als Möglichkeit zur Macht zu definieren, wie die Autoren es machen, hält die Rezensenten schließlich für eine interessante Perspektive. Eine historische Untersuchung der entsprechenden zur Macht führenden Umstände findet sie in diesem Buch allerdings nicht, dessen Quellenstudium sie indes mehr als erschöpfend findet.

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