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Belgrad, um die Jahrtausendwende: Der Krieg in Jugoslawien liegt gerade so lange zurück, dass er noch auf alles seinen Schatten wirft. Alle treibt die gleiche Frage um: Bleibt man, oder ist es besser zu gehen? Marko, verhinderter Literat, besucht seinen Vater Miljan in Wien, der ihn vor Jahren in Serbien zurückgelassen hat. Marija, seine Frau, die Lebenskünstlerin, lässt sich treiben. Ihre Freundin Kristina unterhält sich mit ihrer verstorbenen Jugendliebe. Zufällig kommen die drei zum gleichen Zeitpunkt nach Wien, und diese Reise wird für alle zum schicksalhaften Wendepunkt. Velikic erzählt…mehr

Produktbeschreibung
Belgrad, um die Jahrtausendwende: Der Krieg in Jugoslawien liegt gerade so lange zurück, dass er noch auf alles seinen Schatten wirft. Alle treibt die gleiche Frage um: Bleibt man, oder ist es besser zu gehen? Marko, verhinderter Literat, besucht seinen Vater Miljan in Wien, der ihn vor Jahren in Serbien zurückgelassen hat. Marija, seine Frau, die Lebenskünstlerin, lässt sich treiben. Ihre Freundin Kristina unterhält sich mit ihrer verstorbenen Jugendliebe. Zufällig kommen die drei zum gleichen Zeitpunkt nach Wien, und diese Reise wird für alle zum schicksalhaften Wendepunkt. Velikic erzählt von einer Generation, die den Zerfall ihres Landes miterlebt hat und sich neu orientieren muss - und von der unentrinnbaren Macht der Familie ...
Autorenporträt
Dragan Velikic, 1953 geboren, lebt als freier Schriftsteller in Belgrad. Seine Bücher wurden in sechzehn Sprachen übersetzt. Zuletzt erschien sein Roman Bonavia (2014). Für Jeder muss doch irgendwo sein erhielt er zum zweiten Mal den NIN Preis, die höchste literarische Auszeichnung Serbiens.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Dragan Velikics Roman hat laut Jörg Plath einen entscheidenden Fehler: Er erzählt aus heutiger Sicht von der Kindheit und Jugend in Jugoslawien. Das führt dazu, dass die Gegenwart (Serbiens) schal, farblos und politisch unproblematisch bleibt, weil die Protagonisten des Buches beständig Vergangenheit wälzen. Da der Autor, wie Plath erwähnt, zu den bedeutendsten Kritikern des Milosevic-Regimes gehörte, fällt das durchaus ins Gewicht. Dramaturgisch wirkt sich das laut Plath insofern aus, als die Erfahrungen der Figuren als isolierte Teile erscheinen und die Handlung "wolkig" bleibt. Schiefe Metaphern, etwa die "Kosmogonie von Sinnmomenten", Wiederholungen und banale Alltagsbeobachtungen machen Plath auch nicht eben zum Fan des Buches.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.03.2014

Nachdenken auf unsicherem Grund
In seinem Roman „Bonavia“ schildert Dragan Velikić mit genauem Blick und sirrender Kühnheit die serbische Unfähigkeit zu trauern
Marko Kapetanović will eine Erzählung in den Literarischen Heften unterbringen. Aber die Redaktion lehnt sie ab. Kein Mittelpunkt, keine Handlung. Wo bitte liegt der Erzählfaden? Beleidigt, wie es sich gehört, entgegnet Marko: „Ich erschaffe den, der in den Abgrund zwischen zwei Ereignissen schauen darf.“ Später schreibt er Reisebücher, detailverliebte, sperrige Führer durch Osteuropa. Er registriert alles, fast wie ein Autist. Zwar würde er das nie von sich behaupten, aber seine Freundin Marija behauptet es. Seine Wahrnehmung ist offen, auch für die unsinnigste Einzelheit. Marko lässt alles gelten, und er behält es im Gedächtnis. Er weiß, dass er sich entscheiden müsste, aber er tut es nicht, weil jede Entscheidung mit einem Verlust an Erfahrung einherginge. Am liebsten würde er alles, was er bemerkt, aufzählen, zum Beispiel „jeden Einzelnen der dreihunderttausend Menschen, die mit ihrer ganzen Kraft und ihrem Verstand fortgehen mussten.“
Die Besten, so scheint es, hat Serbien an die Welt da draußen verloren. In „Bonavia“, dem neuen Roman von Dragan Velikić, wird immer wieder von fern auf die Heimat geschaut, mit Ernüchterung und Entsetzen. In der serbischen Literatur ist diese Perspektive, auch weil die Autoren teils ausgerissen sind, nicht ungewöhnlich. In ihrem frühen Stück „Belgrader Trilogie“ lässt Biljana Srbljanović Figuren das verdammte Vaterland beklagen, das ihnen die Zukunft verbaut; in „Millennium in Belgrad“, einem Roman von Vladimir Pištalo, wird, während die Nato Belgrad bombardiert, per E-Mail korrespondiert. Bei Velikić nun läuft, trotz der Schlenker nach Ungarn und Kalifornien, alles auf Österreich hinaus. Anders gesagt, alle Wege führen nach Wien.
Velikić, 1953 in Belgrad geboren, war früher Journalist. Früher, das heißt Milošević, Kritik unerwünscht, aber er ließ sich nicht einschüchtern. 2003 bis 2009 vertrat er Serbien als Botschafter in Österreich. Man muss lange suchen, um für dieses verblüffend souverän erzählte Buch ein verwandtes zu finden. Eines, das einen vergleichbar sirrenden Ton anschlägt. Nachdenken auf unsicherem Grund. Wo ist der Mittelpunkt, wo der Erzählfaden? Wo all das, was ein Buch angeblich erst verkäuflich macht? „Bonavia“ hat fast keine Handlung, ein paar Drehpunkte und gut. Erzählt wird, schweifend von einer zur anderen, über Figuren, die allerdings alle ihre Geschichten haben. Wenn, dann lässt sich in André Pieyre de Mandiargues etwas Verwandtes erkennen, in seinem Roman „Der Rand“, 1967 erschienen im französischen Original, erst 2012 auch auf Deutsch. Hier streunt ein Mann, die Augen weit geöffnet wie Marko, zwei Tage durchs Nuttenviertel von Barcelona. Die Wahrnehmung löst Gedanken aus, die seine Geschichte preisgeben. In „Bonavia“ streunen die Figuren durch Wien. Nutten gibt es auch, aber nicht so viele.
Nichts wie weg aus Belgrad wollte vor allem Kristina, Mikrobiologin und Freundin von Marija, die sich auf den seltsamen Marko eingelassen hat. Erst geht sie nach Boston, dann nach San Francisco. Im Netz verfolgt sie, wie die Dinge zu Hause stehen: „In Kristina loderte blanke Wut. Immer wieder fragte sie sich: Warum musste ich gehen? Wer ist dafür verantwortlich, was ist daran schuld? Geldgier, getarnt als Patriotismus. Das kam heraus, als die Verhaftungen, Denunziationen, geschmacklosen Gerichtsverfahren, Zeugenschutzprogramme begannen, das Schachern um die Kriegsverbrechen. (. . .) Hinter den Parolen und Schwüren, historischen Missionen und epischen Ereignissen steckten letztlich Verbrecher.“ Nach Wien reist sie wegen eines Kongresses. Im Hotel bricht sie zusammen, Hirnschlag, sie stirbt.
Hotels spielen in diesem Buch, genauso wie bei Mandiargues, eine besondere Rolle, nicht nur das altmodische Urania in Wien. Hotels sind Orte der Zuflucht und so eben auch: der Flucht. Geflohen sind sie alle, überwiegend aus privaten Gründen. Die Männer vor den Frauen und der drohenden Umzingelung durch eine Familie. Der Vater ließ Marko bei der Tante aufwachsen, während er selbst in Wien ein Restaurant eröffnete. Schon der Großvater machte sich Hals über Kopf davon. Und Marko flieht vor Marija, weg aus Belgrad und natürlich nach Wien, zu seinem Vater. Sie fliehen vor der Verantwortung, und wenn das Private tatsächlich politisch ist, dann erzählt Velikić im Stillen von einem Defekt, unter dem die ganze Gesellschaft leidet: Verantwortung zu übernehmen für das, was geschah und geschieht, scheint in Serbien nicht allzu verbreitet zu sein.
Erst im letzten Kapitel erfährt man, warum der Roman „Bonavia“ heißt. Es ist der Name eines Hotels in Rijeka. Dieses Kapitel ist eigentlich überflüssig, doch es passt gut in die Methode der Erzählung, dass sie unvermutet ins Autobiografische ausschert. Denn auch der Vater von Velikić wollte die Flucht ergreifen, als ihm eine Frau auf den Leib rückte. Aber in Rijeka, da stellte sie ihn. Und es klingt plausibel, dass Velikić dann in einem Hotelbett gezeugt worden ist – im Bonavia.
Vielleicht bedient sich der Autor ein bisschen zu viel im abgestandenen Haushalt der Theatermetaphern. Aber das ist auch alles, was man ihm vorwerfen kann. Dieses kühne, sprachlich genaue Buch lenkt den Blick auf die zurzeit sehr lebendige Literatur auf dem Balkan. Dort haben sie viel zu erzählen, von Umbrüchen und Verwerfungen, von alltäglicher Not, vom Krieg. Eine existentielle Literatur, die, wenn sie nicht am Inhaltlichen festhängt, auch formale Risiken eingeht. Lange Zeit ist sie auf Deutsch nur von kleinen, ambitionierten Verlagen gepflegt worden, von Schöffling & Co., von Zsolnay, Voland & Quist oder Dittrich in Berlin mit eigener Edition. Das könnte sich, wenn nicht alles täuscht, langsam ändern. In Zukunft werden wir öfter über Balkan-Literatur reden wollen.
RALPH HAMMERTHALER
Von Krieg, Not und politischen
Umbrüchen hat der Balkan
eine Menge zu erzählen
Dragan Velikić: Bonavia.
Roman. Aus dem Serbischen von Brigitte Döbert. Hanser Berlin 2014. 336 Seiten, 19,90 Euro, E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2014

Im Kreißsaal der kopfgebärenden Männer
"Bonaviva": Der serbische Autor Dragan Velikic jagt seine Figuren durch ein Schattentheater der Vergeblichkeit

Erinnerungen an Serbien, das sind für Kristina Erinnerungen an nächtliches Hundegebell, an "schlafende Katzen auf dem Dach eines einstöckigen Hauses", an "Schleppverbände und Frachtschiffe" auf der Donau, an menschenleere Biergärten und Fischerboote. Für Marko sind es "Lagerhäuser, Slums, Zigeunermädchen. Streunende Hunde im pannonischen Staub. Skelette aufgegebener Häuser. Der ausgewaschene Beton des Bahnsteigs in Novi Sad."

Kristina hat das Land verlassen, als es möglich war, und lebt in Amerika. Marko ist geblieben, aber er zieht umher, schlägt sich als Verfasser von Reiseführern durch, ist glücklich mit einem absoluten Gedächtnis und einer sanften, allumfassenden Unfähigkeit, sich auf die Dinge, die Welt, die Frauen einzulassen. Er hat einen elfjährigen Sohn, den er in Wien zurückgelassen hat, er fährt ihn besuchen, weil er ihn treffen will, solange dessen "Vorsicht noch kein System aufgestellt" hat. Es sind Metaphern einer Spitzelgesellschaft, die das Privateste durchziehen.

Die meisten Figuren, die im neuen Buch des serbischen Schriftstellers und Journalisten Dragan Velikic auftreten, sind etwa Mitte vierzig, sie leben in Belgrad oder haben dort gelebt, sie leben mit den Erinnerungen an späte, sinnlose Kriege, an vergebliche Proteste, an nächtliche Fluchten, mit dem Wissen um Korruption und Stillstand in ihrer Heimat. Velikic war während der Milosevic-Zeit einer der wichtigsten kritischen Stimmen, seine Romane wie zuletzt "Das russische Fenster" hatte auch in Deutschland großen Erfolg.

In "Bonavia", was so viel wie "Gute Reise" bedeutet und der Name eines Hotels ist, in dem sich am Ende alle treffen, flicht er die Geschichten einer Handvoll Figuren ineinander. Sie kannten sich einmal und sind dann getrennte Wege gegangen oder gehen sie im Verlauf der Handlung.

Die Alten in diesem Buch werden vorzeitig dement. Über eine Frau heißt es, als sie vergisst, dass ihr Mann tot ist: "Die Demenz schuf ein neues Universum. Das Tote zum Leben erweckte und Lebende tötete." Es sind vor allem diejenigen, die sich politisch verstrickt haben, denen Velikic in seinem Roman das Vergessen schenkt. Einmal heißt es über einen Demenzkranken: "Nun hatte der Apparatschik das Stummsein perfektioniert." Marko aber, der nie im Leben angekommen ist und dessen einzige Schuld darin besteht, die Fluchtbewegungen nachzuvollziehen, die ihm sein Vater vorgelebt hat, läuft als wandelndes Archiv fataler Nebensächlichkeiten durchs südöstliche Europa.

Das Buch ist voller solcher plakativer Antagonismen, es leidet unter Veranschaulichungszwang. Es ist ein Buch, in dem die Frauen ihre Geliebten dafür anraunzen, dass sie ihr schriftstellerisches Talent in Kneipengesprächen vergeuden, sie sagen: "Du bist nur faul", damit die Männer dann, wie zum Beispiel der kettenrauchende Dichter Rasa, aus der gesammelten Tiefe ihrer Weltlosigkeit antworten können: "Überschätze den Fleiß nicht." Die Männer sind allesamt Dichter oder Bonvivants, die Frauen Pragmatikerinnen, Stichwortgeberinnen, philosophische Hebammen im Kreißsaal der kopfgebärenden Männer.

Auch die Sprache entgleitet hin und wieder ins Klischee: Da wird "unwillkürlich" gegrinst, ständig lehnt jemand etwas "dankend ab", wird irgendwo "zärtlich geschubst". Brigitte Döbert, die den Roman aus dem Serbischen übertragen hat, dürfte hier wohl keine Schuld treffen. Die Figuren wirken allesamt wie Kopfgeburten, die Dialoge wie Theoriestücke. Wenn ein Paar sich streitet, dann sagt er zum Beispiel: "Das ist das Leben. Eine Anhäufung von Banalitäten, die sich wiederholen", und sie entgegnet: "Leben ist Schöpfung. Und Liebe. Ohne die hat es keinen Sinn."

Vielleicht ist das so, vielleicht schlagen Krieg und Diktatur solche Löcher ins Denken. Manchmal hat man das Gefühl, dass alle Figuren in diesem Buch über die Erinnerung eins sind, Facetten eines inneren Monologs des Autors, eines Lehrstücks über die gedanklichen und emotionalen Verheerungen des Krieges, das er sich selbst vorführt, ein Schattentheater der Vergeblichkeit. Man hat das Gefühl, dass Velikic seinen Figuren die Gedanken unterschiebt, wie es für die Fortentwicklung der behaupteten Problematik gerade nötig ist. Nichts darf einfach stehenbleiben, sofort wird eine Deutung hinterher geschossen. Es gibt immer wieder schöne, wahre Sätze, aber es entsteht kein Fluss, keine Sinnlichkeit.

Einmal, im Streit mit seiner Partnerin, sagt der gescheiterte Schriftsteller Marko, am liebsten wolle er einfach alles aufzählen, was er dann in poststrukturalistischen Perspektivexkursen - das Word-Dokument, das er im Zug nach Wien öffnet, heißt allen Ernstes ich.doc - auch tut: "Ich wollte, ich könnte die Schlangen für Mehl aufzählen. Wer wann für Brot anstand. Für Kaffee. Haarfärbemittel. Waschmittel." So geht es manchmal über Seiten, in parataktischen Reihungen, in Sprachflächen, die fast lyrisch wirken. In diesen Momenten ist das Buch groß. Würde es nur nicht ständig seine eigene Deutung mitliefern.

HANNAH LÜHMANN

Dragan Velikic: "Bonavia". Roman.

Aus dem Serbischen von Brigitte Döbert. Verlag Hanser Berlin, Berlin 2014. 333 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Dragan Velikic ist ein großer europäischer Roman gelungen, dessen Szenen die Untiefen des Privaten ebenso überzeugend sichtbar werden lassen wie die Signaturen der jüngsten Geschichte und Gegenwart. Und der einen Sog entfaltet, der noch lange nicht nachlässt, wenn man die letzte Seite gelesen hat." Cornelius Hell, Die Presse, 21.02.14

"In seinem Roman 'Bonavia' schildert Dragan Velikic mit genauem Blick und sirrender Kühnheit die serbische Unfähigkeit zu trauern." Ralph Hammerthaler, Süddeutsche Zeitung, 14.03.14