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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Eine große Entdeckung: Die Tagebücher des Justizinspektors Friedrich Kellner 1939 bis 1945 geben Aufschluss darüber, was die Deutschen vom Krieg wissen konnten
Niemand würde von dem unbedeutenden Justizinspektor Friedrich Kellner aus der abgelegenen oberhessischen Kleinstadt Laubach heute Notiz nehmen, wenn es nicht eine beachtliche Hinterlassenschaft aus seiner Feder gäbe: Stimmungsbilder aus der deutschen Provinz vom ersten bis zum letzten Tag des Zweiten Weltkriegs.
Dass dieses jahrelang in einem Geheimfach seines Wohnzimmerschranks versteckte Tagebuch erhalten blieb und nun gedruckt vorliegt, ist so außergewöhnlich wie der gesamte Inhalt. Kellners Aufzeichnungen beweisen, was manche immer noch bestreiten: Jeder zwischen 1939 und 1945 in Deutschland lebende Mensch konnte einigermaßen gut informiert sein, wie der Krieg wirklich verlief, wenn er nur genau hingeschaut hätte. Und niemand kann von den Verbrechen des Nazisystems einschließlich der Judenvernichtung „nichts gewusst“ haben.
Kellners Tagebuch ist als zeithistorisches Dokument so bedeutsam, dass man es ohne weiteres mit Victor Klemperers „Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten“ vergleichen kann. Gleich auf der ersten Seite unterstellt Kellner der Mehrheit seiner Landsleute „primitives Denken“ und klagt Joseph Goebbels an: „Das ist dein Werk, Propagandaminister! Vernebelt, verdunkelt sind alle Hirne.“
Über die Nazizeit, „die Zeit meiner tiefsten Erniedrigung als Mensch“, hatte Kellner ein Buch geplant, das er „Aus einem Narrenhause“ nennen wollte. Doch irgendwann verbrannte er alle Manuskripte und Unterlagen. Welch ein Glück, dass er sein Tagebuch nicht auch ins Feuer warf. Sonst wäre uns dieses großartige Zeugnis für unbeugsame Klarsichtigkeit und nonkonformistische Aufrichtigkeit eines einfachen Mannes entgangen.
Der 1885 geborene Friedrich Kellner wuchs in Mainz auf, ließ sich als Gerichtsschreiber ausbilden, war im Ersten Weltkrieg Soldat und wurde 1920 Justizinspektor. Er trat in die SPD ein und warnte öffentlich vor Adolf Hitler und den Nazis. Anfang 1933 zog er mit Frau Pauline und Sohn Fritz nach Laubach. Dort war er Leiter der Geschäftsstelle des Amtsgerichts und umgeben von bekennenden Nationalsozialisten. Mehr als 60 Prozent hatten in dem 1800-Einwohner-Städtchen 1932 für die NSDAP gestimmt, 18 Prozent für die SPD.
Kellner konnte nicht begreifen, warum die Deutschen sich hinter Hitler scharten („der schrecklichste Mensch in der Geschichte Deutschlands“ und „gewalttätigste Despot aller Zeiten“). Er verstand nicht, warum sich so viele Menschen und Regierungen außerhalb Deutschlands von Hitler vereinnahmen und einlullen ließen. „Ran an den Feind des Menschentums!“ wünschte er nach Beginn des Russland-Feldzugs 1941 von den Westmächten, deren Zögern er verwirrend fand.
Früh hatte Kellner sich „zu der Erkenntnis durchgerungen, daß dieses Regierungssystem von innen heraus überhaupt nicht zu beseitigen ist. … Hitler kann nur fallen durch einen verlorenen Krieg.“ Obwohl er ein isolierter Einzelkämpfer blieb, geriet er mehrmals in Gefahr. Als vorgesetzte Justizbeamte ihn und seine Frau bedrängten, weil sie sich weigerten, in NS-Organisationen einzutreten, beschloss Friedrich Kellner, alle Ereignisse seines Umfelds zu dokumentieren. Mit manischer Akribie sezierte er die amtlichen Mitteilungen, die veröffentlichten Reden und die Wehrmachtsberichte in der Presse, analysierte er die Agitations- und Hetzkampagnen.
Mit Füllfederhalter schrieb er in Sütterlinschrift zehn Rechnungsbücher voll: 669 datierte Einträge auf 861 Seiten, dazu klebte er 760 Zeitungsausschnitte ein. Den „Sinn meiner Niederschrift“ erläuterte er gleich zu Beginn: „damit eine spätere Zeit nicht in die Versuchung kommt, ein ‚großes Geschehen’ daraus zu konstruieren (eine ‚heroische Zeit’ od. dergl.).“
Sein Eintrag vom 8. Mai 1945, dem Tag der Befreiung, endet nüchtern: „Die vernünftigen und einsichtsvollen Deutschen, die 12 Jahre lang dem nationalsozialistischen Terror aktiven und passiven Widerstand entgegensetzten, dürften Stolz und Genugtuung darüber empfinden, daß ihr Kampf kein vergeblicher gewesen ist.“
Die Entdeckung und die späte Publikation dieser Chronik sind einer Kette kaum glaublicher Zufälle zu verdanken. 1960 suchte Robert Scott Kellner, Soldat der US-Army, erstmals seine Großeltern auf, zu denen der Kontakt wegen chaotischer Familienschicksale abgerissen war. 1968 gab der 83-jährige Friedrich Kellner dem damals 27-jährigen Enkel neun der zehn Tagebuchbände mit. Der erste war zu dieser Zeit verschwunden. Erst 1981 kam Robert Scott Kellner dazu, die Veröffentlichung zu betreiben, die er sich zur Lebensaufgabe machte. Mehrere deutsche Verlage lehnten ab. 2005 gelang endlich ein Durchbruch: Zum 60. Jahrestag des Kriegsendes wurde das Kellner-Tagebuch in der George Bush Presidential Library in College Station (Texas) ausgestellt. Der Spiegel berichtete kurz darüber, es folgten Artikel im Gießener Anzeiger und in der Jerusalem Post. Aufmerksam geworden, nahm die Arbeitsstelle für Holocaustliteratur der Justus-Liebig-Universität Gießen Kontakt zu Kellner jr. auf und regte eine Edition an.
In dieser Phase tauchte das verloren geglaubte erste Heft wieder auf, was die Gießener Forscher als „seltenen Glücksmoment für Editionsphilologen“ empfanden. Mittlerweile drehte ein kanadisches Filmteam eine Dokumentation, die Friedrich-Ebert-Stiftung zeigte in Berlin und Bonn die so lange schlummernden Tagebücher Kellners, der nach 1945 wieder aktives SPD-Mitglied war.
Kellner war nicht Historiker, ein Schriftsteller war er auch nicht. Er erfasste die Gegenwart mit einer Methode, die er verfeinernd von Anfang bis Ende durchhielt. Er fing auf Bahnhöfen, in Geschäften, in Wartezimmern, im Gericht, in Nachbardörfern und anderswo Stimmen ein, die er sogleich festhielt. Quellen waren auch Soldaten auf Urlaub. Einer berichtete am 28. Oktober 1941, er habe in Polen gesehen, wie jüdische Männer und Frauen nackt vor eine Grube getrieben und auf Befehl der SS von hinten erschossen wurden. „Der Graben wurde dann zugeschaufelt. Aus den Gräben drangen oft noch Schreie!“ Dieser Eintrag belegt, dass auch im Hinterland bekannt war, wie das Programm der Ausrottung der Juden ablief und wie bestialisch Deutsche in den besetzten Gebieten wüteten. Schon früh ahnte er: „Die Schandtaten werden niemals wieder ausgelöscht werden können.“
Penibel wertete Friedrich Kellner das NSDAP-Hauptblatt Völkischer Beobachter, die Hessische Landeszeitung, die damals bedeutende Abendzeitung Hamburger Fremdenblatt sowie die Deutsche Justiz und die SS-Zeitschrift Schwarzes Korps aus. Die ihm unglaubhaften Propagandameldungen, verschwiegene Tatsachen und Vergleiche verschiedener Aussagen setzte er an seinem Schreibtisch zu einem Gesamtbild über das Alltagsgeschehen in Deutschland wie über das weltweite Kriegsgeschehen zusammen, das der Realität erstaunlich nahe kam. Das Hauptmotiv Friedrich Kellners war seine demokratische Grundüberzeugung: „Die Zivilisation hängt von der Achtung des Rechtes ab.“ Aus ihr bezog er die innere Stärke für seine Art des verzweifelten individuellen Widerstands. Er wusste: „Ein Volk, das seine Grundrechte aufgibt, ist ein Scheißhaufen.“ Er hatte das unstillbare Bedürfnis, das Geschehen aus seiner eingeengten Sicht für die Nachwelt zu archivieren, und die Absicht, heimlich Material für die Bestrafung von Tätern und ihren Gehilfen zu sammeln.
Die Herausgeber haben das Tagebuch mit textkritischen, literaturhistorischen, historiographischen und sprachwissenschaftlichen Anmerkungen angereichert. Einen mitreißenden Text hat Robert Kellner beigesteuert, der seinen Großvater als „einen der wahrhaftigsten deutschen Patrioten“ verehrt.
Elf Tage vor dem Ende des Kriegs formulierte Friedrich Kellner sein Bekenntnis: „Unter Gerechtigkeit verstehe ich: Vergeltung und Bestrafung der Sünder. Der Nationalsozialismus muß mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden.“ Am 8. Mai 1945 mahnte er: „Wer gar dem nationalsozialistischen System stille Tränen nachweint oder den Versuch macht, in irgend einer Form den Nationalsozialismus wiederauferstehen zu lassen, der ist als irrsinniger Lump zu behandeln.“ Diese Erwartungen Kellners haben sich nicht so erfüllt, wie er hoffte. Mehr als 40 Jahre nach seinem Tod ist die NPD, die unsere Verfassung abschaffen will, nicht verboten. HELMUT LÖLHÖFFEL
FRIEDRICH KELLNER: „Vernebelt, verdunkelt sind alle Hirne.“ Tagebücher 1939-1945. Herausgegeben von S. Feuchert, R. Kellner, E. Leibfried, J. Riecke, M. Roth. Wallstein Verlag, Göttingen 2011. 2 Bände, 1200 Seiten, 59,90 Euro.
Der Autor ist Koordinator von Stolpersteine-Projekten in Berlin.
Kellners Notizen sind so wichtig
wie die von Victor Klemperer.
Recherche auf Bahnhöfen, in
Geschäften und Wartezimmern
„Ein Volk, das seine Grundrechte
aufgibt, ist ein Scheißhaufen.“
Man kann die „Vergangenheitsbewältigung“ auch so sehen: Erst wurde eifrig alles zugeschüttet. Dann kamen die Nachgeborenen und staunten. Kellner verstand unter Gerechtigkeit „Bestrafung der Sünder“. Zeichnungen: Ernst Kahl
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Friedrich Kellner sammelte Beweismittel für den Unrechtscharakter des NS-Staates
Friedrich Kellner wirkte während der Zeit des Nationalsozialismus als Justizinspektor am Amtsgericht Laubach/Kreis Gießen. Die auf Wunsch des Vaters eingeschlagene Verwaltungslaufbahn bot dem Absolventen einer Oberrealschule mit wachem Intellekt keine hinreichende Lebenserfüllung. Als Stabsfeldwebel und Offizier-Stellvertreter an vorderster Front war Kellner als Kriegsgegner, wenngleich nicht als Pazifist aus dem Ersten Weltkrieg in seine Heimatstadt Mainz zurückgekehrt. Hier widmete er sich neben dem Justizdienst dem Aufbau und der Festigung eines neuen parlamentarischen Vaterlandes. Als engagierter Sozialdemokrat, der keine parteipolitische Karriere anstrebte, vertrat er dennoch auf öffentlichem Podest und im eigenen Umfeld offensiv die Belange der SPD.
Der Ende der zwanziger Jahre sich etablierenden NSDAP erwuchs in Kellner ein vehementer regionaler Kritiker. Das Studium von Hitlers Buch "Mein Kampf" ließ ihn zu der Überzeugung gelangen, dass die Nazis, einmal an der Macht, die dort formulierten programmatischen Postulate auch konsequent umsetzen würden. Das konnte nur das rücksichtslose Vorgehen gegen alle Gegner im Innern und die hegemonial wie ökonomisch motivierte Unterwerfung Europas einschließlich der Ausdehnung des Lebensraumes im Osten bedeuten.
Mit sicherem Instinkt für politische Entwicklungen ließ sich Kellner wenige Wochen vor Hitlers Berufung zum Reichskanzler in die hessische Provinz versetzen in der Hoffnung, dort von seiner sozialdemokratischen Vergangenheit so rasch nicht eingeholt zu werden. Doch seine Weigerung, der NSDAP beizutreten, und regimekritische Äußerungen veranlassten die Hoheitsträger von Staat und Partei zu Drohungen, den politisch Unbelehrbaren in einem Konzentrationslager mundtot zu machen. Dieser ihm in Verhören vergegenwärtigten Gefahr begegnete Kellner mit tadelloser Pflichterfüllung und verbaler Enthaltsamkeit. Im Bewusstsein seiner temporären oppositionellen Ohnmacht legte er ein Tagebuch an, dessen Auffinden sein Todesurteil bedeutet hätte. Die Aufzeichnungen sollten nach dem Zusammenbruch des "Dritten Reiches" Beweismittel für den Unrechtscharakter des NS-Staates liefern und waren zur Ermittlung der dafür Verantwortlichen gedacht. Diese wollte Kellner vor Gericht stellen und die der propagandistischen Gehirnwäsche erlegene Masse der Deutschen durch Einsicht und Erziehung zu demokratischer Vernunft bringen.
Als roter Faden zieht sich durch die Notizen der gegenüber Frankreich und England erhobene Vorwurf, Hitlers Absichten verkannt, seine Rüstungsanstrengungen unterschätzt, Polen leichtfertig Unterstützung zugesagt, dann aber im Stich gelassen und dergestalt den Krieg geradezu provoziert zu haben. Und der angloamerikanischen Luftwaffe hält er vor, in Überschätzung des erhofften psychoterroristischen Effekts die Zivilbevölkerung statt Verkehrsverbindungen und kriegswichtige Industrieanlagen zu bombardieren. Doch mit der Ausdehnung des Krieges auf die Sowjetunion und nach Afrika hinein ist sich Kellner sicher, dass die Achsenmächte die Fronten nicht würden halten können. Fortan knüpft er alle seine Hoffnungen auf den militärischen Zusammenbruch des NS-Regimes.
Der Chronist prangert nicht nur hohe NSDAP-Funktionäre, sondern auch die national-konservativen Eliten der Komplizenschaft und des Opportunismus an. Die "arroganten, ruhmseligen" Generale müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, in unterwürfiger Vasallentreue die Wehrmacht der stümperhaften Führung eines Gefreiten überlassen zu haben. Ihre Nachkriegsreaktion sagt Kellner vorher: "Sie werden sich hinter den dem Führer geleisteten Eid verschanzen."
Das Tagebuch ist Ausdruck der Verzweiflung des Autors über das weitgehend verlustig gegangene Rechtsbewusstsein in Staat und Gesellschaft. Das traf insbesondere für die Justiz zu, die nach politischen Vorgaben Recht sprach, was allein schon die unzähligen über "Defaitisten" und "Volksverräter" verhängten Todesurteile manifestierten. Detailliert wird auf die Verletzung der Menschenrechte verwiesen, von denen gewusst zu haben die deutsche Nachkriegsgesellschaft hartnäckig bestritt. Nun straft sie der Chronist Lügen. Die Vernichtung "unwerten" Lebens in der "Heilanstalt" Hadamar wurde als öffentliches Geheimnis bewahrt. Die Besatzungsorgane verkörperten in Gestalt von Einsatzgruppen, Ordnungspolizei und Wehrmacht insbesondere im Osten den Unrechtsstaat durch Zwangsarbeit und Verschleppung, Ermordung von Juden und Slawen sowie numerisch unverhältnismäßige Geiselnahmen und Geiselerschießungen. Wie Kellner erfuhr davon die Bevölkerung unter anderem durch Soldaten, die auch von der Ermordung polnischer Juden berichteten. Ihm war bekannt, dass die abtransportierten Laubacher Juden dieses Schicksal teilten. Die ungeheuerliche Menschenverachtung und Missachtung des Völkerrechts ließen sich in der Wochenzeitung der SS nachlesen. So wies das "Schwarze Korps" die Kritik eines schwedischen Wissenschaftlers an der NS-Rassenpolitik mit entwaffnender Offenheit zurück: "Denn wir sind durch unsere eigene Wiedergeburt, durch unsere Politik und durch unseren Vernichtungskrieg gegen Judentum, Bolschewismus und Plutokratie nun einmal die Träger des Kampfes gegen jede Organisationsform des Untermenschentums."
Vor der großdeutschen Kulisse erscheint immer wieder das Szenenbild der Stadt und des Amtsgerichtsbezirks Laubach. Der Leser erhält einen Eindruck von der Intensität nationalsozialistischer Gesittung der "Volksgenossen" als bestimmendem Faktor kollektiven Zusammenhalts in glorreichen Tagen, aber auch in der verbissenen Verdrängung des sich abzeichnenden militärischen und politischen Kollapses. Kellner erstellt ein Soziogramm der regionalen "Bonzokratie", in der beispielhaft ein der Steuerhinterziehung bezichtigter Ortsgruppenleiter, ein in illegale Grundstücksgeschäfte verwickelter Ortsbauernführer mit dem "Rechtswahrer" in Person des Oberamtsrichters in ideologischer Eintracht zusammenwirkten. Das Tagebuch bestätigt die insgeheim im Reich kursierende Charakteristik der Nazi-Clique: "Nicht alle Nationalsozialisten sind Lumpen, aber alle Lumpen sind Nationalsozialisten." Beobachtet wird der Normalbürger in seiner überwiegend nationalsozialistischen Gesinnung, in seinem ganz persönlichen Antisemitismus jüdischen Mitbürgern gegenüber. Die Region ist das Abbild der Nation.
Das Faszinierende an den Notizen ist die systematische Auswertung von Zeitungen, juristischer Zeitschriften sowie parteiamtlichen Materials. Die Texte sind oft als Dokumente dem Tagebuch beigefügt. Hier werden sie ihrer propagandistischen Hülle entledigt, um so zur Faktizität der Nachricht vorzudringen. An einem Artikel des "Völkischen Beobachters" über das Mutterkreuz lässt sich dies exemplifizieren: "Das Ehrenkreuz soll ein Zeichen des Dankes des deutschen Volkes an kinderreiche Mütter sein." Dies ist die Propagandaformel. In Wahrheit will man Mütter dafür ködern, "Kinder als Kanonenfutter" zu gebären. Denn "Kinder sind eine Voraussetzung für eine imperialistische Politik. Das Motto heißt dann: ,Volk ohne Raum'." Insgesamt eine ebenso spannende wie informative Lektüre, die einen ungewöhnlichen Blick in das Innenleben der NS-Diktatur erlaubt.
HANS-ERICH VOLKMANN
Friedrich Kellner: "Vernebelt, verdunkelt sind alle Hirne". Tagebücher 1939-1945. Zwei Bände. Wallstein Verlag, Göttingen 2011, 1134 S., 59,90 [Euro].
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