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Russen und Ukrainer bezeichnen sich seit Jahrhunderten als Brudervölker, wobei sich die Russen in der Rolle des großen Bruders sehen. Dieses Buch erzählt die Geschichte dieser ungleichen Brüder als Wechselspiel von Verflechtungen und Entflechtungen. Nicht zuletzt trägt es zum Verständnis des aktuellen russisch-ukrainischen Konflikts bei. Die russische Annexion der Krim und die darauf folgende Besetzung der Industrieregion im Südosten der Ukraine durch von Russland gesteuerte Milizen im Frühjahr 2014 haben einen militärische n Konflikt zwischen diesen Staaten ausgelöst, der bis heute andauert.…mehr

Produktbeschreibung
Russen und Ukrainer bezeichnen sich seit Jahrhunderten als Brudervölker, wobei sich die Russen in der Rolle des großen Bruders sehen. Dieses Buch erzählt die Geschichte dieser ungleichen Brüder als Wechselspiel von Verflechtungen und Entflechtungen. Nicht zuletzt trägt es zum Verständnis des aktuellen russisch-ukrainischen Konflikts bei.
Die russische Annexion der Krim und die darauf folgende Besetzung der Industrieregion im Südosten der Ukraine durch von Russland gesteuerte Milizen im Frühjahr 2014 haben einen militärische n Konflikt zwischen diesen Staaten ausgelöst, der bis heute andauert. Seit dem 18. Jahrhundert zeigte sich im Verhältnis dieser eng miteinander verbundenen Völker zunehmend eine Asymmetrie. Sie gipfelte darin, dass Russland im 19. Jahrhundert die "Kleinrussen", wie die Ukrainer damals offiziell hießen, nicht als eigenständige Nation mit einer von Russland getrennten Geschichte anerkannte. Diese Sicht hat sich in Russland bis heute erhalten und ist auch im Westen verbreitet.
Autorenporträt
Andreas Kappeler ist em. Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien und Mitglied der Österreichischen und der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.12.2022

Jürgen Osterhammel
Historiker
Seit dem 24. Februar 2022 ist eine Fülle von Literatur über das unheilvolle Geschehen erschienen: Selbstzeugnisse aus der Ukraine, Reportagen, Analysen, Prognosen. Einige der Bücher, die nach wie vor besonders hilfreich für das Verstehen historischer Hintergründe sind, wurden bereits kurz vor der Verschärfung der russischen Aggression geschrieben. Sie haben einen großen Angriffskrieg nicht vorausgesehen, zeigen aber die Bedingungen, unter denen es dazu kam. Die verbreitete Fixierung auf die Psyche Putins erweist sich dabei als zu eng; die Ursachen liegen tiefer. Alles Nötige zur gemeinsamen Geschichte Russlands und der Ukraine erfährt man in Andreas Kappelers gehaltvollem Büchlein „Ungleiche Brüder: Russen und Ukrainer. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart“ (C.H. Beck, München 2022, 267 Seiten, 17 Euro), dem Ergebnis jahrzehntelanger Studien eines der besten Kenner der Imperien im osteuropäischen Raum. Ein völlig anderes, aber ebenso wichtiges Buch, auf die internationale Diplomatie in den Neunzigerjahren konzentriert, ist Mary E. Sarottes „Not One Inch: America, Russia and the Making of Post-Cold War Stalemate“ (Yale University Press, 2021, 568 Seiten, 32 Euro). Als Putin 2000 ins Präsidentenamt kam, so Sarotte, war eine neue Art der Entfremdung zwischen Russland und dem Westen bereits angebahnt. Die Jahre unter Clinton und Jelzin waren auf beiden Seiten eine Zeit verpasster Gelegenheiten. Statt einer neuen Friedensordnung entstand ein konfliktträchtiges Patt.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.2018

Der kleine Bruder ist frech geworden
Eine herausragende Geschichte der russisch-ukrainischen Beziehungen

In seiner Rede zum Anschluss der Krim an Russland hat Wladimir Putin im März 2014 einen Satz über die Ukraine gesagt, der von ihm so ähnlich auch zuvor und danach viele Male zu hören war: "Wir sind nicht nur Nachbarn, wir sind faktisch ein Volk." In den Ohren vieler Ukrainer klang das in diesem Moment wie eine Drohung - dabei hat der russische Präsident nur die in Russland vorherrschende Sicht auf den kleineren Nachbarn im Westen zum Ausdruck gebracht. Auch sein Vorgänger Boris Jelzin hat sich ähnlich geäußert: "Es ist unmöglich, aus unseren Herzen zu reißen, dass die Ukrainer unser eigenes Volk sind", sagte er nur wenige Jahre nachdem er 1991 der Sowjetunion den Todesstoß versetzt und damit wesentlich zur Unabhängigkeit der Ukraine beigetragen hatte.

Russland und die Ukraine sind über Jahrhunderte politisch, wirtschaftlich, kulturell und menschlich sehr eng verbunden gewesen. Aber die Sicht auf diese Beziehung war auf beiden Seiten seit jeher unterschiedlich - was über weite Strecken der Geschichte nicht mit feindlich gleichzusetzen ist. In seinem Buch "Ungleiche Brüder. Russen und Ukrainer vom Mittelalter bis zur Gegenwart" zeichnet der Osteuropa-Historiker Andreas Kappeler die Geschichte dieser Beziehung als ein langes "Wechselspiel von Verflechtungen und Entflechtungen" nach. Als wäre dieses Mit- und Gegeneinander allein nicht schon verworren genug, wird die Lage dadurch noch komplizierter, dass die Bedeutung der Begriffe "russisch" und "ukrainisch" sich im Laufe der Zeit immer wieder gewandelt hat, so dass nicht immer klar ist, "wer oder was sich mit wem verschränkt".

Kappeler gelingt in dem schmalen Band das Kunststück, diese Geschichte zugleich nüchtern und lebendig so zu erzählen, dass sie sowohl für den in osteuropäischer Geschichte nicht vorbelasteten Leser gut verständlich ist als auch Osteuropa-Fachleuten neue Einblicke gibt. Dabei wahrt er gegenüber den nationalen Mythen und Narrativen der Ukrainer wie der Russen Distanz. Dieses herausragende Buch hilft, beide Seiten des Streits der ungleichen Brüder zu verstehen - eines Streits, in dem, wie in vielen Familienzwistigkeiten, aus großer Nähe große Erbitterung erwachsen ist. In der deutschen Öffentlichkeit ist bisher die russische Version dieser Geschichte gängiger, was den Debatten über den Konflikt in der Ukraine vor allem in dessen Anfangszeit eine eigenartige Schlagseite gab. Kappeler, der sich über Jahrzehnte mit der Geschichte der Ukraine befasst hat und einer ihrer besten Kenner im deutschen Sprachraum ist, bringt beide Stimmen zu Gehör.

Von der Schilderung historischer Ereignisse zieht er immer wieder eine Linie zu ihrer späteren Interpretation durch russische und ukrainische Historiker. Deren Meinungsverschiedenheiten waren seit Ende des 19. Jahrhunderts nie rein akademische Debatten, sondern immer politische Auseinandersetzungen um die Definitionshoheit über historische Schlüsselbegriffe. Besonders deutlich wird das am Beispiel der Kiewer Rus, jenes ostslawischen Staates des 10. und 11. Jahrhunderts, in dem die Ukrainer den Ursprung ihrer eigenen Staatlichkeit und die Russen den Anfang des Russischen Reiches sehen. In Russland wird die ukrainische Hauptstadt Kiew deshalb bis heute als "Mutter der russischen Städte" bezeichnet.

Ähnlich umstritten sind die Entwicklungen von Mitte des 17. bis Anfang des 18. Jahrhunderts, die zur Eingliederung des ukrainischen Gebiets in das Moskauer Zarenreich führten. So ist für nationalbewusste Ukrainer der Kosakenhetman Iwan Masepa, der Anfang des 18. Jahrhunderts im Nordischen Krieg die Seiten wechselte und sich an der Seite Schwedens gegen Zar Peter den Großen stellte, ein Unabhängigkeitskämpfer - in der russischen Kultur hingegen hat Masepa tiefe Spuren als Prototyp des heimtückischen Verräters hinterlassen.

Aber Kappeler vermeidet es, die ukrainisch-russische Beziehungsgeschichte auf dieses Gegeneinander zu reduzieren. Der Konflikt zwischen beiden Ländern bringe "die Gefahr mit sich, die aktuelle Auseinandersetzung in die Vergangenheit zurückzuprojizieren", schreibt er. Tatsächlich aber haben ukrainische Adlige und orthodoxe Geistliche im Konflikt mit den katholischen Polen immer wieder Nähe und Unterstützung Russlands gesucht. Die erste Erwähnung der im russischen Sprachgebrauch seit dem 19. Jahrhundert gängig gewordene Bezeichnung für die Ukrainer als "jüngere Brüder" der Russen (die von den Ukrainern heute als Herablassung empfunden wird) findet sich in einem Hilferuf des Metropoliten von Kiew an den russischen Zaren aus dem Jahr 1624.

Russland hingegen profitierte nicht nur wegen der Gebietsgewinne von der danach folgenden Annäherung. In der Ukraine, so schreibt Kappeler, bestand aufgrund ihrer vielfältigen Verbindungen in das übrige Europa bis Mitte des 18. Jahrhunderts ein deutlich höheres Bildungsniveau als in dem abgeschotteten Moskauer Reich. Über die Ukraine gelangten geistige und kulturelle Strömungen nach Russland; ein großer Teil der kirchlichen und administrativen Elite des Reiches wurde damals von Ukrainern gestellt. Kappeler spricht für die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert von einer "Ukrainisierung der russischen Kultur". Die Ukraine sei damals "zum ersten Kanal der Verwestlichung Russlands" geworden.

In dem Maße freilich, in dem Russland im Laufe des 18. Jahrhunderts den direkten Zugang zur Außenwelt suchte, nahm die Bedeutung der Ukraine ab. Doch auch als Provinz in einem großen Reich hatte sie im 19. Jahrhundert eine besondere Stellung: Das äußerte sich zum einen in Form einer freundlich herablassenden Begeisterung der russischen Oberschicht für die Folklore des nun als "Kleinrussland" bezeichneten Gebiets und zum anderen in der schroffen Ablehnung, mit der alle politischen Strömungen in Russland auf die entstehende Bewegung der "Ukrainophilen" reagierten. Denn ohne die Ukraine, so das damals aufkommende Axiom, sei Russlands Existenz gefährdet. "Der größere Bruder liebt seinen kleineren Bruder, der schön singt und tanzt, doch bevormundet er ihn und zwingt ihm seinen Willen und seine Sprache auf. Will der Kleinere sich aus der Obhut des Größeren befreien, reagiert dieser heftig und versucht, das mit allen Mitteln zu verhindern", schreibt Kappeler im Schlusskapitel.

REINHARD VESER

Andreas Kappeler: Ungleiche Brüder.

Russen und Ukrainer

vom Mittelalter bis zur Gegenwart.

C.H. Beck Verlag, München 2017. 267 S., 16,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Das Buch ist sehr fundiert, doch in einem leicht zugänglichen Stil verfasst."
Religion & Gesellschaft in Ost und West, Natalija Zenger

"Dieses herausragende Buch hilft, beide Seiten des Streits der ungleichen Brüder zu verstehen."
Reinhard Veser, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. April 2018

"Kappeler hat ein erhellendes Buch geschrieben, um das keiner herumkommt, der den Konflikt besser verstehen will."
Cyrill Steiger, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 28. Januar 2018

"Für alle an Osteuropa Interessierten ist Kappelers Studie eine der wichtigsten Neuerscheinungen des Herbstes."
Die Presse, 9. Oktober 2017

"Dem Buch, das auf nur 270 Seiten eine sehr komplizierte Beziehungsgeschichte eindrücklich und klar darzustellen vermag, ist die größte Verbreitung zu wünschen."
Karl Schlögel, Tagesspiegel, 4. Oktober 2017

"Wer künftig rund um die aktuellen Auseinandersetzungen zwischen Moskau und Kiew ideologiefrei und faktenbasiert mitreden möchte, der wird auf diese Arbeit von Andreas Kappeler nicht mehr verzichten können."
Deutschlandfunk, 2. Oktober 2017

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Im Rahmen seiner "kleinen Ukraine-Bibliothek" stellt Kritiker Christian Thomas das zuerst bereits 2017 erschienene Sachbuch des Osteuropahistorikers Andreas Kappeler über die schwierigen Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine vor. Aufgrund des andauernden Krieges hat es eine erweiterte Neuauflage erfahren, informiert er und beginnt sodann, Kappelers roten Faden nachzuerzählen. Die Geschichte verläuft von dem Gründungsmythos der Kiewer Rus über das Zarenreich bis zu Stalins Hungerterror in der Ukraine, lernt Thomas, dabei klärt der Historiker auch über die von Russland verbreiteten Narrative auf, die eine Allmacht über die Ukraine legitimieren wollen. Denen stellt er die miteinander verschränkte, für den Rezensenten absolut lesenswerte Geschichte zweier "Ungleicher Brüder" gegenüber, die für den Rezensenten schon  zum Standardwerk dieser Beziehung avanciert ist.

© Perlentaucher Medien GmbH