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Nicht weit von der Grenze zu Weißrussland liegt Bransk, eine ostpolnische Kleinstadt wie viele und doch etwas Besonderes: Von keinem polnischen Ort wissen wir mehr über das ehemalige jüdische Schtetl. Zu verdanken ist dies einem jungen polnischen Historiker und der Autorin Eva Hoffman, die seine Erkenntnisse durch eigene Recherchen ergänzte. Sie erzählt die Geschichte der Juden in Polen, schildert den Alltag im Schtetl, die Feste und das religiöse Leben, die Konflikte zwischen der christlichen und der jüdischen Bevölkerung und den Untergang dieser Welt nach der deutschen Invasion. Sie forscht…mehr

Produktbeschreibung
Nicht weit von der Grenze zu Weißrussland liegt Bransk, eine ostpolnische Kleinstadt wie viele und doch etwas Besonderes: Von keinem polnischen Ort wissen wir mehr über das ehemalige jüdische Schtetl. Zu verdanken ist dies einem jungen polnischen Historiker und der Autorin Eva Hoffman, die seine Erkenntnisse durch eigene Recherchen ergänzte.
Sie erzählt die Geschichte der Juden in Polen, schildert den Alltag im Schtetl, die Feste und das religiöse Leben, die Konflikte zwischen der christlichen und der jüdischen Bevölkerung und den Untergang dieser Welt nach der deutschen Invasion. Sie forscht nach den Gründen, warum das über viele Generationen zwar spannungsvolle, aber doch mehr oder weniger erfolgreich praktizierte Zusammenleben der unterschiedlichen Kulturen dem äußeren Druck nicht standhielt und letztlich scheiterte.
Autorenporträt
Hoffman, Eva
Eva Hoffman wurde in Krakau, Polen, geboren und wanderte 1959 mit ihren Eltern nach Kanada aus. Nach ihrem Studium in Harvard arbeitete sie bei der New York Times Book Review. Bücher: Lost in Translation und bei Zsolnay Im Schtetl - Die Welt der polnischen Juden (2000) und Die kopierte Frau (2004).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.04.2000

Nur nebenher
Juden im polnischen „Schtetl”
Keine Angst. Hier hat man es nicht erneut mit einem larmoyanten Abgesang auf eine versunkene resp. vernichtete Welt zu tun, wie er gerade im Land der Vernichter so gern und tränenreich angestimmt wird. Da fliegen keine Chagallschen Rabbiner durch die Lüfte, weint keine Klezmer-Klarinette in den Himmel. Und doch geht es eben darum, um die Lebenswelten polnischer Juden. Genauer: um deren Bilder – und Gegenbilder –, wie sie sich in der Erinnerung als Klischees festgesetzt haben und weiter wirken, gerade weil diese Welt nicht mehr existiert.
Bransk zum Beispiel, eine kleine Stadt im östlichen Polen, im Grenzgebiet zu Weißrussland gelegen. Von den 800 Juden, die vor dem Zweiten Weltkrieg hier wohnten – und 40 Prozent der Einwohnerschaft ausmachten –, haben neun überlebt; drei Jahre nach Kriegsende waren auch die emigriert. Bransk ist, wie ganz Polen, judenfrei. Dennoch werden immer noch die alten Bilder tradiert – und zwar auf beiden Seiten, sowohl in den von Juden wie von Polen erinnerten Geschichten, als Leidensgeschichte, in der der jeweils Andere als der Verräter auftritt, blind gegenüber dessen Leid.
Der dumme, vom Juden betrogene Bauer, der von seinen polnischen Nachbarn stets bedrohte Jude, der nationalstolze liberale Pole . . . Die in Krakau geborene, mit ihren Eltern nach der zweiten oder dritten antisemitischen Welle nach Kanada ausgewanderte Eva Hoffman konfrontiert die verschiedenen Traditionen miteinander, die Sentiments und Ressentiments. Sie will klären, warum die nun fast neunhundertjährige Geschichte von Polen und Juden allenfalls die eines Nebeneinanders, nie aber eine gemeinsame war. Absicht ist es nicht, Polen das Eingeständnis einer Mitschuld an der Vernichtung des europäischen Judentums abzufordern oder sich an der Aufrechnung des gegenseitig nicht anerkannten Leids zu beteiligen, wie sie zuletzt beim unseligen Streit darüber aufflackerte, wem Auschwitz gehört. Hoffman will mit ihrer Analyse eines gescheiterten Experiments der Ko-Existenz die Bedingungen formulieren, die unerlässlich sind für die multikulturelle Gesellschaft der Zukunft, in der es, soll sie gelingen, möglich sein muss, sowohl verschiedene Identitäten als auch Solidarität zu (er)leben.
Polen, beziehungsweise das armselige, rückständige Nest Bransk, liefert das Modell für das exemplarische Scheitern. Gescheitert ist der Versuch, so Hoffman, nicht nur, weil die Deutschen ihn brutal abbrachen, sondern auch, weil weder Polen noch Juden befriedigende Lebensmuster entwickelten, in denen sich die Achtung von Verschiedenheit mit Zusammengehörigkeitsgefühl verband. Selbst in den langen Perioden der Toleranz, wie sie von Polen und Juden golden ausgemalt wurden, gab es kein Miteinander, aus dem sich gemeinsame Strukuren hätten entwickeln können. Und wie dünn die Gemeinsamkeit war, zeigte sich immer dann, wenn wirtschaftliche Schwierigkeiten und politische Pressionen von außen zunahmen. Zwar waren beide, Polen wie Juden, Opfer – der Russen und der Schweden zunächst, dann der Allianz von Russland, Österreich und Preußen, schließlich des von den Deutschen geführten Rassenkriegs. Aber das gleichzeitig erfahrene Leid war kein gemeinsames, machte nicht solidarisch.
So entwickelten sich typische Paradoxa: Man war benachbart, aber einander nicht nah; vertraut mit den Sitten der anderen, aber doch fremd. Bei den Bransker Juden kauften die Bauern am Markttag ihr Vieh, bei den jüdischen Schneidern ließen sie sich den neuen Rock schneidern, bei Hochzeiten spielten jüdische Musikanten. Aber nur in Ausnahmefällen sollte diese Verbindung so eng sein, dass sie dem Terror der Deutschen standhielt.
ELISABETH BAUSCHMID
EVA HOFFMAN: Im Schtetl. Die Welt der polnischen Juden. Aus dem Englischen von Sylvia List. Zsolnay Verlag, Wien 2000. 318 Seiten, Abb. , 49,80 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Elisabeth Bauschmid hebt anerkennend hervor, dass es sich bei diesem Buch nicht um einen weiteren "larmoyanten Abgesang" auf eine verschwundene Welt handelt. Vielmehr untersuche die Autorin mit ihrer Studie, warum das Zusammenleben von Polen und Juden bis zum Ende des zweiten Weltkriegs weitgehend gescheitert war. Indem sie das Scheitern der friedlichen Ko-Existenz beleuchte, analysiere sie nach eigenem Bekunden auch die Bedingungen, die für eine "multikulturelle Gesellschaft" nötig wäre, wenn sie funktionieren soll. Hoffmanns Buch zeige, dass es auch in längeren Zeitabschnitten der "Toleranz" immer nur ein Nebeneinander und nie ein Zusammenleben gab.

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"Ein Buch von hohem Rang, vor allem aber ein gerechtes Buch." (DIE ZEIT)