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Er ist der Keyboarder der »größten deutschen Band der Gegenwart« (Die Welt) und tourt seit 20 Jahren nahezu ununterbrochen überall auf der Welt. Kaum jemand, der nicht zumindest die Titel der einschlägigsten Rammstein-Stücke wie BÜCK DICH, SEEMANN oder DU RIECHST SO GUT kennt. 1994 gegründet, sind Rammstein die Schöpfer der »Neuen Deutschen Härte« und eine der wenigen Bands, die als Gesamtkunstwerk gelten können. Flake wuchs im Prenzlauer Berg auf. Weil er nicht zur NVA wollte, blieb ihm das Abitur verwehrt. Stattdessen machte er eine Lehre als Werkzeugmacher und widmete sich der Musik. 1983…mehr

Produktbeschreibung
Er ist der Keyboarder der »größten deutschen Band der Gegenwart« (Die Welt) und tourt seit 20 Jahren nahezu ununterbrochen überall auf der Welt. Kaum jemand, der nicht zumindest die Titel der einschlägigsten Rammstein-Stücke wie BÜCK DICH, SEEMANN oder DU RIECHST SO GUT kennt. 1994 gegründet, sind Rammstein die Schöpfer der »Neuen Deutschen Härte« und eine der wenigen Bands, die als Gesamtkunstwerk gelten können. Flake wuchs im Prenzlauer Berg auf. Weil er nicht zur NVA wollte, blieb ihm das Abitur verwehrt. Stattdessen machte er eine Lehre als Werkzeugmacher und widmete sich der Musik. 1983 stieß er zu Feeling B, deren legendäre Auftritte zuletzt Buchpreisgewinner Lutz Seiler in einer Szene seines Romans KRUSO literarisch würdigte. Bei Rammstein fällt Flake durch seine eigentümlichen Showeinlagen auf, die Fans bejubeln seine angst- und schamfreien Aktionen. Er hat es ziemlich weit gebracht als Tastenficker. Sich seine Träume sofort erfüllen, bevor man zu alt ist, sie zu genießen, und sich nicht beirren lassen, wenn mal was nicht klappt, so könnte man Flakes Lebenshaltung zusammenfassen. Tatsächlich liest sich seine Autobiografie ein wenig wie eine anarchische Version von Hans im Glück: Der junge Flake stromert durch die Subkulturlandschaft der DDR der 1980er. Dass er laut eigener Aussage ein ängstlicher Typ ist, hält ihn nicht davon ab, seinen Eingebungen zu folgen. Quasi-Solo-Auftritt mit 13 trotz mangelhafter Beherrschung des Instruments - warum nicht? Einen Oldtimer-Verleih gründen, weil man ein Faible für alte Autos hat? Na klar! Bei dieser neuen bösen Band mitmachen, auch wenn man zunächst mit deren Musik nicht so viel anfangen kann? Hallo, Rammstein! DER TASTENFICKER ist nicht nur eine witzige und entwaffnend ehrliche Künstlerbiografie, sondern auch greifbar gemachte Zeitgeschichte. Ein ganz großes Buch!
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2015

Wir waren eine Band, mehr braucht kein Mensch

Wie ein schüchterner Junge aus dem Prenzlauer Berg in einer der bekanntesten deutschen Bands landete - die ungewöhnliche Autobiographie von Rammstein-Musiker Christian "Flake" Lorenz

Von Jochen Schmidt

Im letzten Winter saß ich im Zug von Brüssel nach Luxemburg, eine Fahrt von drei Stunden, und las Flake, nicht, wie gebildete Leser jetzt denken werden, Otto Flake, sondern die Autobiographie von Christian "Flake" Lorenz, dem Keyboarder von Rammstein. Das Manuskript hatte, wie bei den anspruchsvollsten Autoren, keine Absätze, sehr kleine Schrift und einfache Leerzeilen, dafür war es äußerst anrührend und komisch. In meiner Schulzeit, die kurz vor dem Mauerfall zu Ende ging, hatte ich zu denen gehört, die gern Anschluss gefunden hätten an die Welt der Punkbands, nur leider konnte ich gar kein Instrument spielen, was kein Problem gewesen wäre, wenn ich wenigstens eins gehabt hätte. Und im Neubauviertel, in dem ich wohnte, hörten alle Milli Vanilli oder Judas Priest. Dass Punks eine eigene Musik hatten, wusste ich lange gar nicht, ich kannte sie nur vom Imbiss aus dem Berliner Kulturpark, wo man ihre tollen Frisuren bewundern konnte.

Aufgeklärt wurde ich vom Film "Flüstern & Schreien", einer Defa-Dokumentation von 1987 über vier DDR-Bands, die eigentlich schon ein vorgezogener Mauerfall war, weil hier der Bruch zwischen denen, die sich irgendwie noch im staatlich geförderten Unterhaltungskontext bewegten, und denen, die man witzig fand, weil sie darauf pfiffen, für alle sichtbar dokumentiert wurde. Die witzigsten Sachen im Film sagte Flake, der Keyboarder der Band Feeling B, der, was schon an sich lustig war, mit halblangen Haaren, Hornbrille und Stoffwindel um den Hals in einer Punkband spielte. Sie lebten auf eine Art, die ich mir auch wünschte: von selbstgebastelten Lockenwicklern, die sie an Friseurgeschäfte verkauften. Sie strebten keinen Erfolg an ("Wir wollten ja die Leute verschrecken und nicht unterhalten") und scherten sich nicht um die Meinung musikalisch versierter Mugger. Bei einem Song auf einer Amiga-Compilation sang Flake seinen Part übers Telefon ein, weil er im Krankenhaus lag, die Geste zählte, der Sound war egal. Nicht nur ich als Zuhörer, auch er als Keyboarder der Band verstand die Texte des Sängers erst nach Jahren. Sie schienen glücklich in diesem Land, was doch nach Ansicht der Mehrheit unmöglich war. "Uns ging es großartig, wir waren eine Band, und mehr braucht kein Mensch."

Einmal wandern sie auf die Schneekoppe, er mit Leichenschuhen aus Pappe, die ihm ein Leichenredner geschenkt hat und die sich bald auflösen. Sie ziehen sich an einem Stromkabel zum Gipfel hoch und überholen dabei eine professionelle Bergsteigergruppe mit Eispickeln. Und so funktionierte auch ihre Musik! Ich kannte Flakes erstes Buch von 2007, "grün & blau", das er mit einer Schreibmaschine auf alten DDR-Einkaufstüten aus braunem Packpapier getippt hatte ("GUTE WARE - ZUFRIEDENE KUNDEN"), die sein Vater sammelt. Es war der Begleittext für eine CD mit restaurierten Feeling-B-Aufnahmen. Seine Kommentare zu den Fotos deuteten auf ein humoristisches Naturtalent hin, obwohl er nur die Tatsachen aufschrieb, zum Beispiel dass manchmal die Schlussakkorde ihrer Songs nicht ausklangen, weil die Pausen dazwischen zu kurz waren, denn die DDR-Toningenieure gingen so sparsam mit dem kostbaren 24-Spur-Band aus dem Westen um.

In "Tastenficker" erzählt Flake sein Leben nun noch einmal viel ausführlicher, auch die Abgründe. An seiner glücklichen Kindheit kam mir vieles bekannt vor, mit dem Vater gehen sie auf Müllkippen, um mit einem eigens konstruierten Grabegerät nach Schätzen zu suchen, auch wir hatten immer einen Klappspaten im Auto. Auch dass es bei seinem Vater verboten war, Ostradio zu hören: "Er sagte, die Sprecher reden wie Idioten", kannte ich. Aber auch seine Angst vor der Außenwelt, die krankhafte Grübelei. Wie er eine hässliche Brille verpasst bekam und deshalb mutmaßlich nie Sex haben würde im Leben.

Mein Zug schlich immer langsamer durch Belgien, bis er ganz stehen blieb, was ich wegen meiner Lektüre aber erst nach einer Stunde merkte. Es war sauber, und man hatte Platz für die Beine, nicht wie bei uns im Regionalexpress. Oft ist im Ausland ja vieles besser als bei uns, leider kann man nicht einfach die besten Dinge aus allen Ländern in einem Land kombinieren. Irgendwann begann ich, auf die Ansagen zu achten: "À cause de l'intemperie notre train peut actuellement pas redémarrer." Die Fahrgäste reagierten mit sarkastischen Bemerkungen, es hätte nur noch gefehlt, dass sie "scheiß Osten" sagten, so kannte ich es von früher. Wegen "feuilles mortes" auf dem Gleis (war das nicht ein Chanson von Prévert?) konnten wir stundenlang nicht weiter. Es kamen ganz widersprüchliche Durchsagen, von einer Lokomotive, die unsere abschleppen sollte, war die Rede, und dass wir uns von kleineren Explosionen nicht beunruhigen lassen sollten. Zum Trost wurde an alle "La tartine de l'écolier - de studentenkoek" ausgeteilt, riesige, dicke Kekse, die ein bisschen wie das DDR-Diabetiker-Gebäck aus der Kaufhalle schmeckten. Zu meiner Lesung in Luxemburg schaffte ich es nicht mehr, ja, ich schaffte es nicht einmal mehr, in Luxemburg etwas zu essen zu bekommen, es gab nur noch "Carpaccio", eines dieser unverständlichen West-Essen, eine extrem dünne und auch noch rohe Lage Fleisch? Das hätte ich für Kriegsessen gehalten, es war aber etwas besonders Edles, weshalb es auch nicht satt machte. Ich bekam auch kein Ausfallhonorar, den Vertrag hatte ich gar nicht gelesen, der Westen hatte schon immer leichtes Spiel mit mir. Aber immerhin hatte ich noch eine Nacht im Hotel für den Rest des Manuskripts.

Künstlerbiographien sollen einem ja immer die Genese des Genies erklären, und warum man selbst keins geworden ist. Wie konnte dieser schüchterne, hagere Junge aus dem Prenzlauer Berg, für den schon Brötchen holen ein Abenteuer war, in einer Band landen, die zum Bekanntesten gehört, was Deutschland in den letzten zwanzig Jahren hervorgebracht hat, und das zusammen mit Kraftwerk und der Autobahn die eigentliche deutsche Folklore darstellt? Man versteht vielleicht nicht ganz, wie er in diese Band gekommen ist, aber man versteht, dass die Band ohne ihn nicht dieselbe wäre. Er ist der Typ, der unter Flugangst leidet und deshalb immer ein Stück von einem abgestürzten Flugzeug mitnimmt, das ja wohl nicht zweimal abstürzen wird. Und wenn, wird es beim Zusammensetzen der Wrackteile Verwirrung stiften. Er ist so dünn, dass er überlegt, eine Diät zu machen, um durch den Jojo-Effekt zuzunehmen. Er denkt, dass ein "locker room" dafür da ist, dass man sich dort vor dem Konzert locker macht.

Das Bild, das er vom Prenzlauer Berg vor seiner Eroberung durch seine heutigen Bewohner zeichnet, ist zum Heulen schön. Damals gab es ja noch Pferdewagen, die Kühleis für die Gemüseläden und Kneipen brachten, da bekamen die Kinder dann Splitter zum Lutschen geschenkt. Seine Eltern wohnten mit Blick auf einen großen Friedhof, so dass die Brüder vom Fenster aus lange Reden an die Toten hielten. Gerade das aus heutiger Sicht Ärmliche gefiel ihm. Er hatte nur Angst, dass der Fernsehturm umfallen und ihr Haus zerquetschen könnte. Die Angst hatten wohl viele Berliner Kinder. Mir hat sogar jemand glaubhaft versichert, die Fläche südwestlich des Fernsehturms sei nicht bebaut worden, weil, wie beim Fällen eines Baums, genau geplant sei, in welche Richtung er beim Einstürzen fallen würde. Zum Glück stand dort früher kein Schloss, sonst hätten sie den Turm schon abgerissen.

An der DDR störte ihn vieles nicht, was andere bemängelt haben. Zum Beispiel dass im Winter abends oft der Strom ausfiel. Die Kerzen standen ja schon bereit, und die Dunkelheit war gemütlich. "Dass um unser Land eine Mauer war, fand ich als Kind in Ordnung. Ich dachte noch, dass um jedes Land eine Mauer errichtet worden ist, damit jedermann weiß, wo das eine Land zu Ende ist und das andere beginnt. Kinder freuen sich ja über Grenzen, weil sie sich dann sicherer fühlen. Ich denke nicht, dass man mich als unverbesserlichen Nostalgiker oder Ostalgiker bezeichnen sollte, denn ein Nostalgiker verklärt die Vergangenheit. Für mich ist aber der Kapitalismus die Vergangenheit, weil er schon da war, bevor es die DDR in Deutschland gab." Vermutlich ist ihm nicht bewusst, dass Heiner Müller genau diesen Gedanken auch geäußert hat.

Flakes Gefängnis ist eher sein Körper. "In der ersten Klasse wollte ich Feuerwehrmann werden und die Mädchen aus meiner Klasse retten. Dann erfuhr ich, dass man als Feuerwehrmann ein guter Sportler sein muss, und damit war die Sache für mich erledigt." Er wird gemobbt, die anderen Jungs tragen ihn beim Schwimmen nackt in den Mädchenduschraum. Die Rettung kommt, als er sich auf dem Schulhof zu den Sitzenbleibern "in die Kohlenecke" stellt und raucht. Jetzt war er in Sicherheit. Vielleicht driften unsere Biographien an diesem Punkt auseinander, denn ich hatte immer Angst vor den Aussätzigen, die mit finsterem Blick auf die Bürgersteige rotzten. In einem Land, in dem Kellner Selters "mit einem angewiderten Gesichtsausdruck auf den Tisch stellten", ist es kein Wunder, dass er auch noch Alkoholiker wird, als er sich der sogenannten Säuferbande anschließt: "Das erste Bier tranken wir natürlich in einem Zug aus, während der Wirt das nächste zapfte." Herrliche Zeit der ersten Räusche!

Die andere Droge ist Musik. Natürlich versteht die Gitarrenlehrerin überhaupt nicht, dass er Blues spielen will, und zwingt ihn, die Hände wie Katzenkrallen zu halten. Und als er sich einmal mit dem Kassettenrekorder aufnimmt, erschrickt er über seine Stimme: "Etwas so Ekelhaftes hatte ich noch nie gehört." Der erste Auftritt in der Schulturnhalle, ein fremder Schlagzeuger spielt irgendeinen Rhythmus, und er singt "Arbeiterenglisch", also englisch klingende Wortfetzen. "Dann ging ich von der Bühne und versuchte unsichtbar zu sein." Trotzdem wird er daraufhin zum Proben abgeholt. Offenbar hat er den Schlagzeuger beeindruckt. Er hört aber nur zu und hofft, die jeweilige Band nicht zu stören. Eine davon wird Feeling B sein.

"Als die Wende kam, kehrte sich alles um, auf einmal wollte ich Ostdeutscher sein." Ein für jeden, der es erlebt hat, bis heute schwer zu verstehender, aber noch viel schwerer zu erklärender Vorgang. Sie machten das einzig Richtige: "Wir lernten, ganz viel zu essen, wenn wir eingeladen wurden." In Berlin konnte man den Sieg des Kapitalismus noch eine Weile ignorieren, es gab ja besetzte Häuser. Sie wohnen in einer WG, die für alle offen ist, weil die Tür außen eine Klinke hat. "Ich treffe jetzt immer noch Leute, die mir erzählen, dass sie mal in unserer Wohnung gewohnt haben." Trotzdem konnte es so nicht weitergehen, Alkohol verliert seinen Reiz, die Punks werden langsam zu Bettlern vor der Kaufhalle. Der Sänger kämpft erfolglos gegen den neuen Hausbesitzer und stirbt in einem Bauwagen.

Irgendein Schutzengel hat Flake seine neue Band finden lassen, der man, im Gegensatz zu den neuerdings wiederauferstandenen Ost-Bands, die DDR nicht anmerkt, obwohl sie dort ausgebildet wurde. Was Flake zur Musik beiträgt, bleibt oft unsichtbar, er vergleicht seine Rolle bei der Arbeit an einem neuen Song mit Tesaband, das man zum Streichen der Fenster braucht und danach wegwirft. Normalerweise können Musiker nicht gut über ihre Musik schreiben, aber manche von Flakes scheinbar einfachen Sätzen könnten von John Cage sein: "In der Musik gibt es kein richtig oder falsch. Es gibt in dem Sinne auch keine falschen Töne. Es gibt nur Töne, die ungewöhnlich klingen." Und es gibt, ganz selten, so ein ungewöhnlich gutes Buch.

Flake: "Der Tastenficker". Schwarzkopf & Schwarzkopf, 392 Seiten, 19,99 Euro

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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension

Zum 25. Jahrestag der deutschen Einheit liest Michael Pilz am liebsten die Memoiren des Rammstein-Organisten Flake. Warum? Weil er hier die DDR wiedererkennt. Flake, meint Pilz, schreibt darüber staunend wie ein Kind. Dass der Autor aus seiner DDR-Liebe kein Hehl macht, imponiert dem Rezensenten. Selbst wenn Flake die Stasi verharmlost und gegen den Westen schimpft. Oder doch gerade weil.

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