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  • Buch mit Leinen-Einband

Produktdetails
  • Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe (FSGA), Reihe B 30
  • Verlag: WBG Academic
  • 1997.
  • Seitenzahl: 415
  • Deutsch, Englisch, Französisch
  • Abmessung: 226mm x 154mm x 27mm
  • Gewicht: 678g
  • ISBN-13: 9783534048229
  • ISBN-10: 3534048229
  • Artikelnr.: 07119161
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.1998

Das internationale Sittengesetz
Quellen zur Geschichte des Versailler Vertrags

Klaus Schwabe (Herausgeber) unter Mitarbeit von Tilman Stieve und Albert Diegmann: Quellen zum Friedensschluß von Versailles. Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit, Band XXX. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1997. XXII, 415 Seiten, 148,- Mark.

Über das Zustandekommen des Friedensvertrages von Versailles gibt es inzwischen zahlreiche Veröffentlichungen, aber eine Dokumentation, die die Entwicklung vom deutschen Entschluß zur Bitte um einen Waffenstillstand Ende September 1918 bis zur Annahme des Vertrags durch die Nationalversammlung neun Monate später zusammenfaßt, war stets ein Desiderat. Wer sich über den Gang der Dinge anhand wesentlicher Quellen informieren wollte, mußte auf eine große Zahl von Einzelpublikationen zurückgreifen. Die jetzt von dem Aachener Historiker Klaus Schwabe vorgelegte Edition hilft diesem Mangel gründlich ab. In ihr kann jeder Interessent die Zielsetzungen und Motive der maßgeblichen Persönlichkeiten in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten und den Entscheidungsgang insgesamt bequem an zentralen Zeugnissen nachvollziehen.

Vom Friedensdekret zur Reparation

Daß der knappe, zur Verfügung stehende Raum die Konzentration auf die Hauptfragen bedingte, liegt auf der Hand. Die sehr verdienstvolle Sammlung beginnt mit dem Dekret über den Frieden vom 8. November 1917, mit dem der soeben an die Macht gekommene Lenin allen kriegführenden Völkern Verhandlungen über einen gerechten Frieden unter Verzicht auf Annexionen und Kontributionen vorschlug. Es folgen eine Rede des britischen Premiers David Lloyd George über die Kriegsziele vom 5. Januar 1918, ein zugehöriges Memorandum des Foreign Office und die Kongreßbotschaft des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson vom 8. Januar 1918, die sogenannten Vierzehn Punkte. Danach tut die Dokumentation einen großen Sprung, hin zu den deutschen Überlegungen über einen Waffenstillstand Ende September und dem deutsch-amerikanischen Telegrammwechsel zwischen dem 3. Oktober und dem 5. November. Sodann bietet Schwabe eine dichte Folge von Memoranden, Gesprächsniederschriften, Tagebuchblättern, Briefen, Telegrammen, Noten und Sitzungsprotokollen deutscher, amerikanischer, britischer und französischer Herkunft. Den Schlußpunkt der spannend zu lesenden Edition bildet die Mahnung des Präsidenten der Nationalversammlung, Fehrenbach, an die Deutschen am 23. Juni 1919, nun die bevorstehenden ungeheuren Lasten einmütig zu tragen. Wo eine zeitgenössische Übersetzung vorlag, werden auch englische, amerikanische und französische Quellen in deutscher Sprache geboten, ansonsten im Original. Dies dürfte für etwa die Hälfte der 138 Texte zutreffen. In einer Einleitung von gut drei Dutzend Seiten zeichnet der Herausgeber die Hauptlinien der Entwicklung nach.

Das deutsche Waffenstillstandsersuchen berief sich auf die Vierzehn Punkte. Nach wochenlangen interalliierten Verhandlungen akzeptierten auch London und Paris diese Basis, freilich mit Vorbehalten hinsichtlich der Freiheit der Meere und des Ersatzes für die Schäden, die Deutschland durch seine Angriffe der Zivilbevölkerung der Alliierten und ihrem Eigentum zugefügt hatte. Der jetzt geschlossene Waffenstillstand kam einer bedingungslosen Kapitulation recht nahe. Gleichwohl glaubte man in Berlin, einen Frieden des Ausgleichs erreichen zu können, verstand man das Ergebnis des Telegrammwechsels doch mit Recht als Vorvertrag. Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau, seit Mitte Dezember Außenminister und später Leiter der deutschen Friedensdelegation, war sich freilich von Anfang an klar darüber, daß das Reich erhebliche territoriale Verluste hinnehmen mußte. Er erhoffte aber für Elsaß-Lothringen den Status eines neutralen Staates oder einer autonomen französischen Provinz. Ansonsten lehnte er eine Veränderung der Westgrenze ab. Das nordschleswigsche Problem wollte er durch direkte Gespräche mit Kopenhagen lösen, im Osten ein selbständiges Polen auf unzweifelhaft polnischem Boden anerkennen und dem neuen Staat in Danzig einen Freihafen gewähren. Die Kolonialfragen sollten im Sinne Wilsons durch eine unparteiische Schlichtung unter Berücksichtigung der Interessen der jeweiligen Bevölkerung geregelt werden.

Mit einer weitgehenden Abrüstung und mit Reparationen für den Wiederaufbau des Kriegsschauplatzes war Brockdorff einverstanden. Er erstrebte die Einstellung aller wirtschaftlichen Kampfmaßnahmen und eine allgemeine Meistbegünstigung. Bei der Durchsetzung dieses Programms hoffte er auf Wilson, zudem auf England, hatte doch Lloyd George in seiner Rede am 5. Januar 1918 betont, daß Deutschlands große Stellung in der Welt nicht zerstört werden solle. Insgesamt schätzte er die Stimmung in den beiden angelsächsischen Nationen gegenüber Deutschland viel zu günstig ein und erkannte offensichtlich auch nicht, daß Wilson und Lloyd George innenpolitisch zunehmend unter Druck gerieten und deshalb wenig Spielraum hatten. Von Frankreich erwartete er, daß es alles aufbieten werde, um das Reich zu schwächen. In der Tat: Paris strebte eine dauernde Trennung des westlich des Rheins liegenden deutschen Gebietes (inklusive rechtsrheinischer Brückenköpfe) vom Reich und eine Dezentralisierung an, es wollte die östlichen Nachbarn Deutschlands auf Kosten des Reiches stärken, es verlangte weitestgehende Abrüstung und eine hohe Kriegsentschädigung, die Deutschland nachhaltig schwer belasten sollte.

Der Band zeigt sehr eindringlich die deutschen Bemühungen um einen für das Reich akzeptablen Vertrag, das Ringen zwischen den Alliierten um die zahlreichen strittigen Fragen und die Kritik in der englischen und amerikanischen Delegation an der Härte der von den Großen Vier in ihren streng geheimen Konferenzen schließlich festgelegten Bedingungen. So sprach der Südafrikaner Jan Smuts von einem schweren Unrecht. Lloyd George und Wilson, der immer vorsichtiger taktierte, konnten dem französischen Premier Clemenceau immerhin einige Konzessionen abringen. Am wichtigsten war der Verzicht auf die Separation des Rheinlandes. Statt dessen sollte dieses Gebiet fünfzehn Jahre besetzt und Frankreichs Sicherheitswünschen durch ein Bündnis mit England und den Vereinigten Staaten entsprochen werden. Clemenceau hoffte freilich auch daraus auf Gewinn. Die Kriegsentschädigung würde so hoch sein, daß Deutschland Bankrott machen müsse, "und wir werden bleiben, wo wir sind", sagte er am 21. April im Kabinett.

Die deutsche Delegation war an der Erarbeitung des Vertrags gar nicht beteiligt und mußte sich über den Fortgang der ganz im Widerspruch zu Wilsons einstiger Forderung nach offener Diplomatie strikt geheim geführten Verhandlungen im wesentlichen aus der Presse unterrichten. Als der Entwurf mit knapper Bedenkfrist übergeben wurde, war das Entsetzen groß. Der Sozialdemokrat Otto Landsberg, Justizminister und einer der Hauptdelegierten, erklärte: "Dieser Friede ist ein langsamer Mord des deutschen Volkes." Die deutschen Gegenvorschläge erbrachten wenig. Immerhin konzedierten die Alliierten eine Volksabstimmung in Oberschlesien, gegen den hartnäckigen Widerstand Wilsons. Nun empfahl die deutsche Delegation der Reichsregierung die Ablehnung des Vertrags. Er sei unerträglich, weil Deutschland damit nicht als unabhängige, auf die Wahrung der Ehre bedachte Nation weiterleben könne, unerfüllbar, weil die darin enthaltenen wirtschaftlichen und finanziellen Forderungen selbst ein blühender Staat nicht erfüllen könne - um so weniger ein verarmtes und von wirtschaftlicher Gleichberechtigung ausgeschlossenes Deutschland -, und rechtsverletzend, weil die dem deutschen Volk öffentlich gemachten Zusagen verleugnet würden, und unaufrichtig, "weil Deutschland der Wahrheit zuwider seine alleinige Schuld am Kriege bekennen und einen Gewaltfrieden als Rechtsfrieden annehmen soll".

Eine Verwerfung des Vertrags hätte das Reich freilich schwer erschüttert, wenn nicht auseinandergesprengt. Die Alliierten planten für diesen Fall einen Vormarsch auf Berlin und Weimar wenigstens bis zur Weser und einen Vorstoß entlang der Mainlinie. Damit sollten Bayern, Württemberg und Baden militärisch isoliert und dann durch spezielle Verträge vom Reich gelöst werden. Der Chef der politischen Abteilung des amerikanischen Besatzungsheeres, Oberst Conger, ließ einen deutschen Mittelsmann Mitte Juni wissen, es bestünde die Absicht, Deutschland zu verwüsten. Damit werde Frankreich sein Kriegsziel doch noch erreichen, um das es sich bisher betrogen glaube.

So weit ein Blick auf einige Quellen. In der Einleitung kommt die deutsche Delegation schlechter als verdient weg. Da ist von einem Konfrontationskurs die Rede, und da heißt es, die deutsche Seite, mithin auch die Regierung, habe durch ihr Beharren auf bestimmten Positionen, namentlich im Bereich der Prestigefragen, zumal beim Problem der Kriegsschuld, das Verhandlungsklima noch zusätzlich vergiften geholfen.

Indessen kann man von Verhandlungen kaum reden. Die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme zum Vertragsentwurf glich die Tatsache nicht aus, daß die Deutschen bis zum 7. Mai von der Erarbeitung des Vertrages ausgeschlossen blieben. Das war die eigentliche Klimavergiftung. Die in nur drei Wochen formulierte deutsche Erwiderung kam den Alliierten weit entgegen. So wertete beispielsweise der Chef des imperialen Generalstabs, Henry Wilson, dieses umfangreiche Dokument, das in der vorliegenden Edition leider nur mit der Mantelnote vom 29. Mai 1919 vertreten ist, als ein sehr gutes, auf den Vierzehn Punkten aufbauendes Papier, gegen das sich in vielen Einzelheiten so leicht nichts sagen lasse.

"Urheber aller Schäden"

Die Nationalversammlung nahm, dem alliierten Druck folgend, den Vertrag am 23. Juni 1919 ohne jeden Vorbehalt an. Auch die Verwahrung gegen die Artikel 227 bis 231 gab sie auf. Noch am Vortag hatte sie sich dagegen gewandt, daß ein Gerichtsverfahren gegen den Kaiser "wegen schwerster Verletzung des internationalen Sittengesetzes" durchgeführt werden und daß Deutschland anerkennen sollte, es sei "als Urheber für alle Verluste und Schäden" verantwortlich, die die alliierten Regierungen und Staatsangehörigen "infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben".

Gewiß: das kategorische Urteil der deutschen Delegation war überzogen. Mit dem Vertrag konnte die Weimarer Republik leben, wenn er ihr innenpolitisch auch Abbruch tat. Er enthielt in der Tat ein gewisses Maß an Flexibilität. Nur wäre es dem europäischen Frieden sehr viel dienlicher gewesen, wenn diese Flexibilität schon 1919 gezeigt worden wäre und nicht erst nach dem französisch-belgischen Ruhrabenteuer des Jahres 1923. HANS FENSKE

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