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Produktdetails
Trackliste
LP 1
1DEUTSCHLAND00:05:26
2RADIO00:04:38
3ZEIG DICH00:04:16
4AUSLÄNDER00:03:52
5SEX00:03:57
6PUPPE00:04:34
LP 2
1WAS ICH LIEBE00:04:30
2DIAMANT00:02:34
3WEIT WEG00:04:21
4TATTOO00:04:12
5HALLOMANN00:04:12
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.05.2019

Wenn das Blut die Tinte küsst
Eine Band, die seit langem mit ihren Affekten ringt: Das neue Album von Rammstein

Deutschland, das ist etwas, was man am besten mit Sauerkraut zu sich nimmt: So muss man wohl eine Schlüsselszene aus Rammsteins Video zu "Deutschland" verstehen. Das nur aus Schüsselszenen montiert ist, in denen Mitglieder der sechsköpfigen deutschen Band in Kostümen mit einer schwarzen "Germania" (gespielt von Ruby Commey) durch die Zeiten wandern und epochal deutsches Deutschsein und deutsche Deutschhaftigkeit erleben - als Schicksal, als Triumph, als Hunger, Strafe, Mission und Schmerz. Dieser neue Song und das Video dazu leiteten vor Wochen die Ankunft eines neues Albums von Rammstein ein.

Am Freitag erscheint es nun, nach zehn Jahren ohne neue Musik. Es heißt wie die Band, beziehungsweise hat es gar keinen Titel, auf dem weißen Cover ist ein Streichholz zu sehen, und es wird sicher wie noch jedes Album der Band ein großer Erfolg werden, auch international. Seit fünfundzwanzig Jahren gibt es Rammstein jetzt, und ohne dass diese neue, siebte Platte (Rammstein/Universal) etwas von Jubiläum hätte, kommt hier, in elf Songs, alles zusammen, was die Band in all dieser Zeit ausgezeichnet hat, musikalisch und motivisch. Also zum Beispiel das sogenannte Spiel mit dem Tümelnden, was sie im neunminütigen Video zur ersten Single inszenieren - und das Diskussionen auslöste, wie so oft in der Geschichte der Band.

Einmal verspeisen die verkleideten Rammstein im "Deutschland"-Video also mönchskuttentragend eine aufgebrochene Germania bei einem vage ans Mittelalter gemahnenden Sauerkraut-Gelage. Dann verwandelt sich die Band ins SED-Politbüro, dann in eine Rote Armee Fraktion in drag, dann - und das hatte vor ein paar Wochen für die größte Unruhe gesorgt - stehen sie in der gestreiften Kleidung von KZ-Häftlingen am Galgen. Und dann ist das Video trotz neun Minuten Dauer doch irgendwann vorbei. Der Refrain - "Deutschland, mein Herz in Flammen / Will dich lieben und verdammen / Deutschland, dein Atem kalt / So jung, und doch so alt / Ist Fluch und Segen / Deutschland, meine Liebe / Kann ich dir nicht geben / Deutschland!" klingelt einem lang in den Ohren.

An Rammstein scheiden sich die Geister, wie man so sagt. Die einen finden das ledrige, schmierige, männliche, schicksalserdrückte Schwermetall dieser Band stumpf - und die sexuellen und nationalen Provokationen der Band bedenklich. Oder das Spiel mit den Zitaten zu offensichtlich, das Geheimnis zu offenbar, das ganze zu stumpf.

Und die anderen nicht. Denen ist das Spiel entweder egal - oder sie genießen es, weil es so schön stumpf ist. Oder auf einer Kunstfreiheit beharrt, zu der man heftig die Haare schütteln kann. Oder sie lachen über den ganzen Quatsch. Und erkennen in der Rammstein-Ikonographie die Fortsetzung des Punk (aus dem die Band kam, damals, in der späten DDR), der ja immer schon mit den kontaminiertesten Symbolen spielte.

Neue Antworten auf die Frage, was von alldem nun stimmt, gibt die Platte nicht. Stattdessen, elfmal verstärkt, nur weitere Indizien für jede der genannten Positionen. Aber je länger "Rammstein" dauert, angefangen mit "Deutschland", über die zweite Single "Radio" und "Puppe" bis zu "Tattoo", desto mehr wundert man sich darüber, was nur an Rammstein dafür gesorgt hat, dass sie noch immer solch einen Status als Unruheherd besitzen. Rammstein machen das schon so routiniert, was sie da tun: Sie sind ihr eigener Gewöhnungseffekt geworden.

Das spricht nicht gegen ihre Qualitäten als Band, es gibt große Gitarrenmomente (etwa das hinabstürzende Solo des letzten Songs, "Hallomann") und genauso große für den Synthesizer. Überhaupt könnte die Band auf manch fett produzierte Gitarrenspur verzichten, aber nie auf ihren Keyboarder Christian Lorenz, genannt Flake.

Die Theorie aber, dass Rammstein und ihr Spiel mit Aufmarsch- und Leni-Riefenstahl-Ikonographien irgendwie gut sein könnten für das Land, weil es in solchen Provokationen ungeklärten Affekten begegnen könnte, glaubt man einfach nicht. Vielmehr sieht man einer Band seit fünfundzwanzig Jahren dabei zu, wie die mit ihren Affekten ringt. Teilt man diese Probleme, ist das vielleicht interessant, teilt man sie nicht, wird es eintönig (das Phänomen kann man auch bei Bands wie The Cure beobachten).

So oft, wie Rammsteins Sänger Till Lindemann in all den Jahren schon mit rollendem R den "Schmerz" angesungen, das "Weib" beschworen, die Himmelsmächte zu Zeugen berufen hat, am "Weltempfänger" gedreht oder sich selbst als Schlachtermeister Biberkopf inszeniert hat, ist da kein Platz mehr für Risiko. Rammstein herrschen über ihre Motivwelten, und sie beherrschen sie streng. "Wenn das Blut die Tinte küsst", singt Lindemann auf "Tattoo", "wenn der Schmerz das Fleisch umarmt" - Texte, wie aus Kühlschrankmagneten montiert. Und im Kühlschrank dahinter dann Blutwurst und Sauerkraut.

TOBIAS RÜTHER

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