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Die Diskussion über die Absichten, die Stalin mit seiner Note an die Westmächte vom 10. März 1952 verfolgte, hält seit fünf Jahrzehnten an. War das Angebot für eine Wiedervereinigung Deutschlands als neutraler Staat ernstgemeint oder diente es nur Propagandazwecken? Haben Adenauer und die Westmächte eine Chance verpasst oder ein gegen die Westintegration der Bundesrepublik gerichtetes Störmanöver abgewehrt? Sollte die sowjetische Initiative die Position des Westens in der Bundesrepublik unterminieren oder ging es nur darum, diesem die Verantwortung für die Teilung Deutschlands zuzuschieben?…mehr

Produktbeschreibung
Die Diskussion über die Absichten, die Stalin mit seiner Note an die Westmächte vom 10. März 1952 verfolgte, hält seit fünf Jahrzehnten an. War das Angebot für eine Wiedervereinigung Deutschlands als neutraler Staat ernstgemeint oder diente es nur Propagandazwecken? Haben Adenauer und die Westmächte eine Chance verpasst oder ein gegen die Westintegration der Bundesrepublik gerichtetes Störmanöver abgewehrt? Sollte die sowjetische Initiative die Position des Westens in der Bundesrepublik unterminieren oder ging es nur darum, diesem die Verantwortung für die Teilung Deutschlands zuzuschieben? Die seit einiger Zeit begrenzt zugänglichen sowjetischen Archivquellen haben der wissenschaftlichen Diskussion über diese Fragen neue Perspektiven eröffnet. Erstmals werden hier Schlüsseldokumente zur Entstehung der Stalin-Note vom 10. März 1952 aus dem Archiv des russischen Außenministeriums in deutscher Übersetzung veröffentlicht und von drei prominenten Autoren, die sich schon seit Jahrzehnten durchaus kontrovers mit der Problematik auseinandersetzen, analysiert.
Autorenporträt
Wilfried Loth, geboren 1948, ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Duisburg-Essen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.04.2002

Im Osten nichts Neues
Steckte vielleicht Frankreich hinter der Stalin-Note vom März 1952?

Jürgen Zarusky (Herausgeber): Die Stalin-Note vom 10. März 1952. Neue Quellen und Analysen. R. Oldenbourg Verlag, München 2002. 212 Seiten, 24,80 Euro.

Hätten wir die Wiedervereinigung schon vor 50 Jahren haben können? Der für nonkonformistische Thesen bekannte Essener Historiker Wilfried Loth beantwortet diese Frage ohne Zögern mit Ja - zumindest, wenn es nach den Sowjets gegangen wäre und nach deren Bedingungen. Er kommt zu dieser These aufgrund neuer Aktenfunde aus dem Moskauer Außenministerium und dem Präsidialarchiv. Sie betreffen die bekannte, an die Westmächte gerichtete Stalin-Note vom 10. März 1952, die einen Friedensvertrag mit Deutschland in bewaffneter Neutralität in den durch die Potsdamer Konferenz abgesteckten Grenzen offerierte.

Die diplomatische Initiative rief in der Bundesrepublik nicht nur diejenigen auf den Plan, die in der parlamentarischen und außerparlamentarischen Opposition die Wiedervereinigung der in Rede stehenden Wiederbewaffnung vorzogen, mehr noch: die letztere als Ausschlußgrund für die Einheit erachteten. Sie stiftete selbst im Parteilager Adenauers Verwirrung, wo reputierliche Politiker wie Jakob Kaiser, Eugen Gerstenmaier und Heinrich von Brentano dazu rieten, die Ernsthaftigkeit des Anerbietens zu prüfen. Sollte es sich als Finte herausstellen, wovon auszugehen war, dann besaß Stalin den deutschlandpolitischen Schwarzen Peter.

Insgesamt hat aber die Note bei den Historikern für größere Aufregung denn bei den Politikern gesorgt. Die 1958 von Thomas Dehler entfachte und in der Historikerzunft geschürte Kontroverse über die angeblich verpaßte Gelegenheit beruhte allein schon auf einer Fehleinschätzung der politischen Psyche der Westmächte, insonderheit Frankreichs, die eine Wiedervereinigung als Provokation der Weltkriegssieger zum gegebenen Zeitpunkt nicht verkraftet hätten.

Wie steht es nun mit der Ernsthaftigkeit des Moskauer Angebots? Diesbezüglich enttäuschen die neu vorgelegten Papiere. Hermann Graml, Co-Autor des Bandes, bescheinigt Loth zu Recht, wichtige Quellen publiziert, sie aber gründlich mißverstanden zu haben. Handelt es sich doch um Schriftstücke, die den administrativ-politischen Entstehungsprozeß hin zur Stalin-Note im Wandel des Textgehalts detailliert nachvollziehen lassen. Sie sagen aber nichts über die ihnen zugrunde liegenden politischen Intentionen und erhofften Wirkungen aus. Ihre ideologisch determinierte Formelhaftigkeit (wie "demokratisch-friedliebendes Deutschland") unterscheidet sie qualitativ nicht von anderen sowjetischen Deklarationen.

Daß man die Aufbereitung des westlichen politischen Terrains in Vorbereitung des Moskauer diplomatischen Coups der DDR-Propaganda überließ, die dort über keinen nennenswerten Resonanzboden verfügte, verstärkt nicht die Glaubhaftigkeit der Note. Beide Sachverhalte bestätigen eher die Schlußfolgerung des dritten Autors des Bandes, Gerhard Wettig, eines exzellenten Kenners sowjetischer Politik, daß der Kreml kein vereinigtes Deutschland wollte, das sein politisches System eigenverantwortlich hätte wählen können. So muß die Note weiterhin als Störfeuer in Anbetracht der Verhandlungen über Deutschland und den daran gekoppelten Vertrag über eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft gelten. Dafür spricht auch der eigentliche Adressat des Schriftstücks, als den kundige Zeitzeugen die Öffentlichkeit und die Nationalversammlung in Frankreich benennen. Die französischen Kabinette konnten sich keiner parlamentarischen Mehrheit für die Vertragswerke sicher sein, ehe Ministerpräsident Mendès-France sie 1954 gar nicht mehr wollte.

Es fehlt nicht an bedeutsamen Hinweisen, die den Verdacht begründen, daß die Stalin-Note von französischer Seite inspiriert gewesen sein könnte, um Aufrüstung und europäische Integration der Bundesrepublik zu hintertreiben. Natürlich war für die meisten französischen Politiker ein geteiltes Deutschland das beste Deutschland. Ein neutrales, militärisch kontrolliertes Deutschland aber konnte einen französischen Führungsanspruch in einem kontinentalen Bündnis in Anbetracht wachsenden militärischen Engagements in Indochina nicht konterkarieren. Als einflußreichen Exponenten der Neutralisten hatte Adenauer den bis zum Sommer 1951 amtierenden Verteidigungsminister Jules Moch kennengelernt.

Nach einer Notiz von Staatssekretär Lenz äußerte der Kanzler im Kabinett, die sowjetische Offerte "richte sich (auch deshalb) in erster Linie an Frankreich, um dieses zu seiner alten traditionellen Politik mit Rußland zurückzubekommen". Minister Seebohm vermerkte: "Starkes Ressentiment in Paris gegen Deutschland pro Rußland". Nach einer Aufzeichnung des Chefunterhändlers für den Deutschlandvertrag, Wilhelm Grewe, konfrontierte Adenauer die westlichen Hohen Kommissare mit der Frage, "ob sich die Note nicht in erster Linie an die französische Kammer . . . richte". Lenz mutmaßte gegenüber dem Bonner Geschäftsträger in Paris, Hausenstein, unwidersprochen, daß "die Franzosen noch enge Beziehungen nach dem Osten" hätten.

Für Moskaus Werben um die Gunst Frankreichs spricht ein weiteres Indiz: Unmittelbar vor den Debatten im Bundestag über EVG- und Deutschlandvertrag hatte die französische Regierung ihren Hochkommissar im Saargebiet zum Botschafter ernannt und damit die Diskussion um das Schicksal dieses Territoriums in einer Weise verschärft, die die Bonner parlamentarische Mehrheit für die Kontrakte gefährdete. Es darf darüber spekuliert werden, warum der in Entwürfen vorgesehene Zuschlag des Industriereviers der Saar an Deutschland in der Endfassung fehlt.

Über Ernsthaftigkeit und Zielrichtung sowjetischer Deutschlandpolitik im Frühjahr 1952 erfahren wir auch mit Hilfe der neuen Veröffentlichung aus dem Osten nichts Neues. Wir sollten tiefer in französischen Archiven wühlen.

HANS-ERICH VOLKMANN

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Um es gleich vorwegzunehmen: Rezensent Gregor Schöllgen hält wenig von der pünklich zum 50. Jahrestag von Stalins Entwurf über die Grundlagen eines Friedensvertrags wieder aufgeflammten und in Buchform erschienenen Debatte. Auch die erstmals in deutscher Sprache vorgelegten Dokumente aus dem Archiv des Außenministeriums der Russischen Föderation bringen keine neuen Erkenntnisse, im Gegenteil: Schöllgen ist überaus erstaunt, wie die drei maßgeblich in die Debatte involvierten Historiker nach Auswertung derselben Quellen zur Festigung des jeweils bereits vorher bestehenden Standpunkts gelangen. Auch wundert er sich, dass die Welt außerhalb Deutschlands nicht vorkomme und man zu der Ansicht gelangen könnte, den immer strategisch denkenden Diktator habe das Weltgeschehen nicht interessiert. Stalins ungewöhnliche Verengung der Perspektive sei zumindest erklärungsbedürftig, findet der Rezensent und stellt in unverhohlener Ironie in den Raum, dass diese Frage vielleicht erst der nächsten Diskussionsrunde vorbehalten sei.

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