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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Bettina Balàka hat einen Roman über reiche Frauen geschrieben. Aber sie mag sich nicht entscheiden, ob sie sie bemitleiden, bewundern oder bloßstellen soll.
Die Zutaten für einen Unterhaltungsroman der gehobenen Art sind nahezu perfekt. Venedig bietet eine stimmungsvolle Kulisse für amouröse Abenteuer; Gespräche unter reifen Freundinnen über ihre peinlichsten Sexabenteuer verbinden Selbstironie mit reizvollem Voyeurismus; und der Gondoliere mit dem prächtigen Muskelspiel darf nicht nur für Kalenderfotos posieren, sondern kennt auch vielerlei persönliche Verwendung für Viktualien aller Art. Ums Essen geht es dabei, man hat es vermutet, am allerwenigsten.
So jedenfalls erfährt es Judit, die Heldin des sommerlichen Venedig-Abenteuers, von ihrer besten Freundin, die dann aber doch schnell der zweckentfremdeten Früchte und vor allem des üppig fließenden Honigs auf dem Bettlaken überdrüssig wird: zu viele Ameisen, zu wenig Einfallsreichtum. Ja, die Frauen, mit denen die 1966 in Salzburg geborene Bettina Balàka ihren neuen Roman bevölkert, sind kritisch, sie kennen sich aus in der mondänen Welt, und sie haben klare Vorstellungen davon, was zeitgemäße Liebhaber aufbieten sollen. Wer über vierzig Jahre alt ist, so können wir staunend nachlesen, kennt die zentralen Orte dieser Welt, war auf den Osterinseln und hat das Taj Mahal gesehen, frequentiert die Boutiquen von Dubai bis Göteborg und weiß, wann es sich lohnt, auf den Personal Trainer zu hören, um die Figur in Form zu halten. Und so streng muss die Diät ja gar nicht sein - eine Kugel Eis pro Sommer ist immerhin erlaubt.
Da aber auch das Treiben der Schönen und Reichen schnell langweilig werden kann, belässt es die Autorin nicht bei stimmungsvollen Szenen, die auf den Reiseseiten anspruchsvoller Frauenmagazine besser als in einem Roman aufgehoben wären, sondern stattet ihre Heldin auch noch mit manch schicksalhafte Erfahrung aus. Aufgewachsen als Tochter eines unfassbar reichen Salzburger Bauunternehmers, kann sich Judit zwar alle materiellen Wünsche erfüllen, mal kauft sie sich ein Häuschen in Irland und probt für einige Wochen das einsame Landleben, dann wieder trennt sie sich von ihren Designerkleidern, sobald an ihnen auch nur ein Knopf abgerissen ist. Doch mit den großen Gefühlen hat die früh verwitwete Judit wenig Glück, ihren Ehemann konnte sie nicht vor Depressionen bewahren, das Verhältnis zur älteren Schwester bleibt lange ungeklärt.
Einen Ausweg scheint die Literatur zu bieten. Denn als Judit unversehens auf einen Roman mit dem schillernden Titel "Kassiopeia" stößt, ist sie sicher, dass sein Autor ihr damit eine persönliche Botschaft schicken wollte, schließlich steht das geheimnisvolle Wort weit oben auf der Liste ihrer Lieblingsausdrücke. In der Romanlektüre findet Judit also neuen Lebenssinn, allerdings nicht so, wie es Deutschlehrer ihren Zöglingen zu vermitteln suchen. Denn statt sich weiter ins Lesen zu vertiefen und als Interpretin zu erproben, wird Judit nun zur Stalkerin. Ausdauernd stellt sie dem attraktiven jungen Nachwuchstalent nach, plündert seine Post, liest Kontoauszüge, die bedenklich rote Zahlen zeigen, und folgt dem Angebeteten klammheimlich nach Venedig, wohin ihn ein mageres Autorenstipendium führt. Am Ende kommt es zum großen Finale über venezianischen Kanälen, langgehütete Familiengeheimnisse werden offenbart, Hoffnungen enttäuscht, Illusionen zerstört.
Das alles ist flüssig erzählt, einige freche Seitenhiebe auf den Literaturbetrieb im Allgemeinen und die österreichische Kunstszene im Besonderen sind geschickt in die Handlung eingeflochten. Zahlreiche Nebenhandlungen bringen allerlei seltsame Gestalten ins Spiel, von der nikotinsüchtigen Meisterköchin, die ihre Kinder quält, bis hin zur betrügerischen Schriftstellermutter, die Eier aus der Legebatterie und ukrainischen Honig als vermeintliche Bioware mit großem Gewinn verkauft.
Dennoch gelingt es Bettina Balàka nicht, eine wirklich fesselnde Geschichte zu erzählen. Zu unentschlossen schwankt die Erzählerin zwischen den verschiedenen Genres, mixt Bestandteile der Gesellschaftsatire mit denen des tragischen Familienromans, überblendet Elemente des psychologischen Thrillers mit Versatzstücken der erotischen Erzählung und kann sich vor allem nicht entscheiden, ob sie ihre schönen Figuren bewundern, bloßstellen oder bemitleiden soll. So bleibt bis zum Ende in der Schwebe, ob die reiche Judit nun eine tragische Heldin ist oder doch nur ein zwar exquisit angezogenes, aber ziemlich dummes Huhn. Die Zutaten sind, wie gesagt, erlesen. Was daraus entsteht, ist aber nur Fastfood, routiniert erzählte Alltagsware, die keinen anhaltenden Eindruck hinterlässt.
SABINE DOERING.
Bettina Balàka: "Kassiopeia". Roman.
Haymon Verlag, Innsbruck und Wien 2012. 344 S., geb., 22,90 [Euro].
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