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Zugegeben. die Menschen in Miranda Julys Geschichten sind sonderbar. Sie haben merkwürdige Obsessionen, verlieben sich möglichst hoffnungslos, wohnen gern in Luftschlössern, sind einsam und stoßen das Glück von sich, wenn es einmal anklopft, aber Sie etwa nicht?
Ein junges Mädchen verliebt sich in ein geheimnisvolles Wesen, einen körperlosen Schatten, der nachts von ihr Besitz ergreift. Ihr Glück ist vollkommen, bis sie den schrecklichen Fehler begeht, etwas Wunderbares für etwas Wirkliches aufzugeben. Ein Mann und eine Frau haben sich nicht mehr viel zu sagen, bis sie als Statisten auf…mehr

Produktbeschreibung
Zugegeben. die Menschen in Miranda Julys Geschichten sind sonderbar. Sie haben merkwürdige Obsessionen, verlieben sich möglichst hoffnungslos, wohnen gern in Luftschlössern, sind einsam und stoßen das Glück von sich, wenn es einmal anklopft, aber Sie etwa nicht?
Ein junges Mädchen verliebt sich in ein geheimnisvolles Wesen, einen körperlosen Schatten, der nachts von ihr Besitz ergreift. Ihr Glück ist vollkommen, bis sie den schrecklichen Fehler begeht, etwas Wunderbares für etwas Wirkliches aufzugeben. Ein Mann und eine Frau haben sich nicht mehr viel zu sagen, bis sie als Statisten auf einem Filmset ein turtelndes Paar im Restaurant spielen sollen – und es auf einmal wieder sind. In Miranda Julys Erzählungen wird das Alltägliche wieder zum Wunder und das Skurrile so selbstverständlich wie Gespräche übers Wetter. Sechzehn Stories von bizarr bis sexy, von zärtlich bis verstörend.
Autorenporträt
Miranda July, 1974 in Barre (Vermont) geboren, ist Filmemacherin, Künstlerin und Schriftstellerin. Ihre Arbeiten wurden schon im Museum of Modern Art und auf der Biennale in Venedig gezeigt. Bei den Spielfilmen "Ich und du und alle, die wir kennen" (2005) und "The Future" (2011) schrieb sie das Drehbuch, führte Regie und spielte die Hauptrolle. Sie entwickelte die Messaging-App "Somebody", die Nachrichten nicht elektronisch übermittelt, sondern Personen in der Nähe sucht, um diese persönlich zu überbringen. Miranda July lebt in Los Angeles.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Der Name der Autorin sei in den USA inzwischen das Mantra der Hipster, ihre Sprache klug, brutal und witzig, die Geschichten selbst seien eine Art postmoderner Haiku, überschlägt sich Rezensent Georg Diez fast vor Begeisterung über diesen Erzählband, dessen Autorin das Genre aus seiner Sicht für unsere Zeit neu definiert hat. Die Kurzgeschichten schlagen die Brücke zwischen dem "New Yorker" und der "Brigitte", schreibt er auch, weshalb speziell die Leser der "Zeit" die idealen Leser für diese Stories wären. Denn Miranda July leuchte darin die Keller der "Wohlfühlboheme" aus, "Dunkelkammern", die Diez vor emotionaler Leere geradezu gähnen sieht und dessen Leserglück angesichts des "Extremismus der Gefühle", den July in ihren Geschichten walten lässt, manchmal zu explodieren scheint. Es handele sich, wie der Rezensent in einem Gespräch mit der 34jährigen Autorin erfahren hat, um "vage autobiografische" Stoffe, die July dann jeweils am Personal ihrer Kurzgeschichten durchspielt: also an "mittelalten, übergewichtigen, verlassenen, scheuen und sehnsüchtigen Frauen" oder "einsamen, verstörten, älteren Männern" - kurz: deplatzierten Außenseitern.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.04.2008

Das saugende Geräusch der Erde
Schauder, Genuss, Staunen: „Zehn Wahrheiten”, ein Erzählband der amerikanischen Künstlerin Miranda July
Bevor man die Webseite der amerikanischen Künstlerin, Filmemacherin und Autorin Miranda July betreten darf, wird man gebeten, ein „geheimes Passwort” einzugeben. Natürlich hat man keine Ahnung, wie das lauten könnte. Aber im Kleingedruckten steht: „Du kennst das Passwort. Leere Deinen Geist und schaue in Dich hinein. Wahrscheinlich ist es das erste Wort, das Dir in den Sinn kommt.” Die Methode funktioniert. Einmal eingetippt, erscheint der Satz: „Du weißt offenbar, wovon ich rede.” Und man ist drin. Das ist ein typischer Miranda-July-Moment: Aus einem Routine-Kontakt kann, bewusst begangen, ein kleines Ritual der Annäherung werden.
Hinter der geschlossenen Tür
Unscheinbare Gesten der Annäherung, so lernt man beim Lesen von Miranda Julys erstem Erzählungsband „Zehn Wahrheiten”, können einen Menschen an ein Leben anschließen, aus dem er sich sonst womöglich auf ewig ausschließt. Nehmen wir die Ich-Erzählerin aus „Der Junge von Lam Kien”. Sie ist 27 Schritte von ihrem Haus entfernt stehen geblieben, wie immer. Sie kommt nicht weiter. Eine innere Blockade. Da spricht sie ein kleiner Junge an. Er möchte ihr Zimmer sehen. Sie geht mit ihm in ihre Wohnung zurück, teilt eine kleine Weile Zeit mit ihm, dann muss er wieder nach Hause: „Ich schloss meine Tür und lauschte dem saugenden Geräusch. Das war das Geräusch der Erde, die sich mit unvorstellbarer Geschwindigkeit von meiner Wohnung entfernte. Und während die gesamte Schöpfung in diesen Mahlstrom verschwand, lachte sie – das sarkastische Lachen von etwas, das es nie nötig hatte, sich zu bemühen.”
Diese letzten zwei Sätze, gezielte Hiebe in die Magengrube, stehen inmitten einer ansonsten ganz sparsam dahergeplauderten kurzen Geschichte. Sie stehen da wie ein furchtbarer Abgrund, der plötzlich vor den Füßen des Lesers aufgerissen wird. Und im Grunde handeln Miranda Julys Erzählungen fast immer von diesen zwei Dingen: Vom Blick in den Abgrund zwischen einem Menschen und dem Rest der Welt, und von den tastenden Schritten, mit denen diese Menschen den Abgrund im Glücksfall auf schwankenden Brückchen überqueren können.
Zunächst ist man geneigt, Julys Figuren mit dem Begriff „Loser” zu belegen. Aber irgendwie scheint das Wort nicht zu passen. Denn Julys zerbrechlichen Hauptfiguren hat das Leben eigentlich nicht auf herkömmliche Weise übel mitgespielt. Sie nehmen an dem Spiel im Grunde gar nicht teil. Sie stehen eher staunend oder verstört am Rande des Spielfelds und haben einen wichtigen Teil der Regeln vergessen oder verdrängt. Sie versuchen zu funktionieren, aber dann laufen sie doch nur wieder neben der Spur, und irgendwann unversehens auf ein Abstellgleis. Der Alltag und das allgemeine Miteinander sind Programme, zu deren Bewältigung ihnen entscheidende Module zu fehlen scheinen. Sie stoßen sich den Kopf im Leben blutig, schrecken zurück und wagen vielleicht nie wieder einen Vorstoß.
Das alles wird fast immer aus der Ich-Perspektive erzählt, von äußerlich eher verhuschten, innerlich schwer verschrobenen Borderlinern, denen Miranda July eine vergleichsweise coole beziehungsweise sehr temperierte Stimme gibt. Sie will, trotz all der Wunden, die sie zeigt, keine triefenden Geschichten schreiben. Und es gehört zu ihrem großen Talent, dass sie herzzerreißende Momente oft mit spröder Komik einzurahmen weiß, was deren Eindruck nur verstärkt. Man könnte das Lakonie nennen, doch womöglich ist Post-Verzweiflung der richtigere Ausdruck. Denn der Ton ist nie tough. Er gibt sich alle Blößen, wenn es sein muss, nur scheinen die Tränen schon getrocknet zu sein. Lessings bitterer Satz fällt einem ein: „Ich wollte es auch einmal so gut haben wie andere Menschen. Aber es ist mir schlecht bekommen.” So grausam und knapp blicken im Ernstfall auch Julys Figuren auf das eigene Dasein. Aber die 34jährige Amerikanerin, abgehärtet als Performerin in der Kunstszene des beginnenden 21. Jahrhunderts, baut eine solche Bilanz immer wieder geschickt in bizarre Handlungsschleifen ein, präsentiert den harten, tragischen Grund zeitgenössisch abgefedert.
Unglücklicherweise beginnt „Zehn Wahrheiten” mit ein paar Erzählungen, in denen das Skurrile den harten Kern der Geschichten fast unangenehm überwölbt; in denen man kurz befürchtet, dass die Seltsamkeit der Entwürfe schon ihre Substanz sein soll. Doch bald bricht sich der Ernst Bahn und erdet alle Merkwürdigkeiten. Sie entspringen eben nicht allein der weitgespannten Phantasie der Autorin, sondern auch dem überspannten Bewusstsein der Figuren, die von ihrer kratertiefen Einsamkeit auf komische Gedanken gebracht werden.
Ein dünner, glühender Draht
Sie stellen sich Liebhaber aus anderen Ecken der Galaxis vor, die sie in ihren Träumen so großartig ficken, wie sie’s in der Realität wohl nie erleben werden. Sie stellen sich eine Kollektivmail aller ihrer Bekannten vor, die lautet: „Du hast den Test bestanden, ist alles nur ein Test gewesen, wir haben nur Spaß gemacht, das wahre Leben ist so viel schöner.” Sie stellen sich vor, dass es reicht, „den kleinen Bereich vor unserem Gesicht” romantisch aufzuladen, um die Welt mit anderen Augen zu sehen.
Fast immer geht es um Liebe, regelmäßig auch um Sex. Trotzdem schreibt Miranda July eigentlich keine Liebesgeschichten. Die Liebe ist eher ein dünner, aber glühender Draht, über den Menschen zueinander finden und ihre existentielle Vereinzelung beenden. July spürt diesem glühenden, erloschenen, vergessenen Draht nicht nur bei Paaren nach, sondern auch in flüchtigen Begegnungen, die urplötzlich in gewaltige Gewitter, Tränenstürze, Orgasmen münden, oder in eine nächste, noch unermesslichere Einsamkeit.
Zur Liebe im landläufigen Sinne fehlt den Figuren neben dem geeigneten Partner meist noch etwas Fundamentaleres – ein messbares Selbstwertgefühl. Man kann auch sagen: die Liebe zu sich selbst, in Anlehnung an das Projekt „Learning to love you more”, das die Künstlerin Miranda July seit Jahren mit ihrem Kollegen Harrell Fletcher im Internet betreibt. Die Website hält eine Liste von Aufgaben für all jene bereit, die an ihnen innerlich wachsen möchten. Teilnehmer werden gebeten, die eigene Erfahrung später fürs Netz zu dokumentieren. Der Seite mangelt es nicht an Witz. Aber zugleich ist der aufrichtige Wille erkennbar, Menschen weiterzuhelfen, ihnen zu zeigen, wie man den eigenen Kopf aus dem Sumpf ziehen kann.
Miranda Julys Erzählungen zeigen das nicht. Sie bilden nur, auf mitunter atemberaubende Weise, kleine Stationendramen tiefempfundenen Elends ab. Deren heftiger Pulsschlag, oft streng im Zaum gehalten vom diskreten Stil, scheint unmittelbar vom ungeheuren Mitgefühl der Autorin bestimmt. Sie macht keinerlei Zugeständnis an die Lebenshilfe-Literatur. Und doch mag von diesem Buch, im richtigen Augenblick eingesetzt, durchaus eine heilende Wirkung auszugehen. Wer derer nicht bedarf, dem bleiben – eigenes Mitgefühl vorausgesetzt – der Schauder, der Genuss, das Staunen. MERTEN WORTHMANN
MIRANDA JULY: Zehn Wahrheiten. Stories. Diogenes Verlag, Zürich 2008. 257 Seiten, 18,90 Euro.
Auf der Bühne, im Licht, die Luft fest im Griff: Die amerikanische Autorin und Künstlerin Miranda July Foto: oh
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»Wo Miranda July draufsteht, ist immer auch ein bisschen Gen-Y drin, aber eben auch noch mehr.« n-tv.de