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"The last novel where I rooted for every character, and the last to make me cry." - Marlon James, Elle From the Pulitzer Prize-winning author of The Overstory and the Oprah's Book Club selection Bewilderment comes Richard Powers's magnificent, multifaceted novel about a supremely gifted-and divided-family, set against the backdrop of postwar America. On Easter day, 1939, at Marian Anderson's epochal concert on the Washington Mall, David Strom, a German Jewish émigré scientist, meets Delia Daley, a young Black Philadelphian studying to be a singer. Their mutual love of music draws them…mehr

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Produktbeschreibung
"The last novel where I rooted for every character, and the last to make me cry." - Marlon James, Elle From the Pulitzer Prize-winning author of The Overstory and the Oprah's Book Club selection Bewilderment comes Richard Powers's magnificent, multifaceted novel about a supremely gifted-and divided-family, set against the backdrop of postwar America. On Easter day, 1939, at Marian Anderson's epochal concert on the Washington Mall, David Strom, a German Jewish émigré scientist, meets Delia Daley, a young Black Philadelphian studying to be a singer. Their mutual love of music draws them together, and-against all odds and their better judgment-they marry. They vow to raise their children beyond time, beyond identity, steeped only in song. Jonah, Joseph, and Ruth grow up, however, during the civil rights era, coming of age in the violent 1960s, and living out adulthood in the racially retrenched late century. Jonah, the eldest, "whose voice could make heads of state repent," follows a life in his parents' beloved classical music. Ruth, the youngest, devotes herself to community activism and repudiates the white culture her brother represents. Joseph, the middle child and the narrator of this generation-bridging tale, struggles to find himself and remain connected to them both. Richard Powers's The Time of Our Singing is a story of self-invention, allegiance, race, cultural ownership, the compromised power of music, and the tangled loops of time that rewrite all belonging.
Autorenporträt
Richard Powers
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.05.2004

Reise eines Ziegelsteins ans Ende der Welt
Wie Amerika die Zukunft abhanden kam: Heute erscheint der Roman „Der Klang der Zeit” von Richard Powers
Dieses Buch hat sich klein gemacht, aber es hat ihm nicht geholfen: Es ist immer noch sehr, sehr dick. So dick wie zwei Ziegelsteine, und hätte der Verlag nicht zu einer kleinen Schrift gegriffen und mit den weißen Flächen auf der Seite gespart, so wäre es groß wie drei Ziegelsteine geworden.
Lebensgeschichten haben oft einen solchen Umfang. Denn ein Biograph muss mit seinem Helden leben, und dafür braucht er Platz. Auch historische Romane sind so dick. Denn sie sind auf die Verwechslung von Fiktion und Wirklichkeit angelegt. Und schließlich neigen Enzyklopädien zu großem Umfang. Denn sie haben die Beständigkeit des Wissens gegen die Flüchtigkeit des Gedächtnisses zu verteidigen. „Der Klang der Zeit” (S. Fischer Verlag, 22,90 Euro), der jüngste Roman des amerikanischen Schriftstellers Richard Powers, gehört in alle drei Kategorien: Er ist die Geschichte einer Familie zwischen der weißen und der schwarzen Rasse, er ist eine Geschichte der Vereinigten Staaten von den späten dreißiger Jahren bis heute, und er ist eine Geschichte vom Verlust der bürgerlichen Kultur als der Vision einer Einheit von freien Menschen. Und schließlich ist er: ein gewaltiges Aufbäumen gegen diesen Verlust.
Fast achthundert Seiten hat dieses Buch, und keine Seite ist zu viel. In Richard Powers Buch, seinem achten, kehrt der Roman des neunzehnten Jahrhunderts unter den Bedingungen der Gegenwart zurück. „Der Klang der Zeit” ist eine Expedition in die amerikanische Gesellschaft, mitten hinein und vorangetrieben bis an ihrer äußersten Ränder. Es ist das Panorama eines sozialen Zustands, wie es keine Soziologie, keine Kulturtheorie, keine Philosophie mehr hervorbringt, ein Buch, das seine Entsprechung bei den Rougon-Macquarts von Emile Zola oder The Great Gatsby von F. Scott Fitzgerald hat – nur, dass diesem Roman die Zukunft fehlt. Denn dorthin, wo diese Zukunft sein müsste, wo Zola von einer neuen Menschengemeinschaft träumte und Fitzgerald das amerikanische Pastoral tragisch neu erblühen ließ, hat Richard Powers ein Nichts gestellt. Oder besser: das Ende der Zeit, ein ewiges Zurückschnappen der Zukunft in die Vergangenheit, eine Geschichte, in der jeder Aufbruch ein Ende ist.
Die großen Gesellschaftsromane vergangener Zeiten waren Panoramen, die sich aus einer zentralen Perspektive entfalteten. In der Mitte über ihnen gab es einen Autor, der die Welt nach seinen Vorstellungen ordnete. So viel Vertrauen in die Fähigkeiten eines einzelnen Menschen gibt es heute nur noch im Trivialen. Richard Powers, ein Mann von einer stupenden Gelehrtheit, hat – ähnlich wie Philip Roth, als er den „menschlichen Makel” (2002) beschrieb – denn auch seine Mitte in Extremen gefunden: in David Strom, einem deutschen Juden, der in den Vereinigten Staaten Asyl gefunden hatte, und in Delia Daley, einer Schwarzen. Die äußersten Pole der amerikanischen Demokratie werden hier miteinander verknüpft, das arme, schwarze Amerika und das liberale, jüdische. Und der Leser sieht zu, wie das Band, das die Vereinigten Staaten zusammenhält, langsam, aber sicher zerreißt.
David Strom, der aus Deutschland geflohene Physiker, und Delia Daley, eine Frau, die, wäre sie gefördert worden, eine große Sängerin hätten werden können, lernen einander bei einem historischen Ereignis kennen: Am Ostersonntag des Jahres 1939 tritt die berühmte Altistin Marian Anderson vor dem Lincoln Memorial in Washington auf, nachdem ihr das Konzert in der Constitution Hall wegen ihrer schwarzen Hautfarbe verweigert worden war. David und Delia, die Musikliebhaber, verlieben sich ineinander, das Konzert wird zu einem großen Datum in der Geschichte des schwarzen Amerika, die beiden ziehen nach New York, wo sie sich von Rassendiskriminierung verschont glauben. Und für eine Weile – am deutlichsten in den sechziger Jahren – sieht es so aus, als sei der zivilisatorische Fortschritt nur eine Frage von Vernunft und Beharrlichkeit.
Und es geht voran, gewiss, aber anders, als es sich eine freundliche Phantasie gerne ausgedacht hätte. Drei Kinder kommen zur Welt: ein fast weißes, ein graues und ein schwarzes. Jonah, das fast weiße Kind, wächst zu einem begnadeten Tenor heran und bereist die Bühnen der Welt, hoch geschätzt nicht nur, weil er so gut, sondern auch, weil er so verführerisch singt – manchmal glaubt man, John Potter habe Modell für diesen Sänger gestanden, nicht zuletzt, weil John Dowland, der Komponist einer fast noch metaphysisch reinen, aber doch schon sinnlich infizierten Renaissance, für Jonah zu einer Leitgestalt wird.
Ruth, das schwarze Kind, schließt sich den Black Panthers an, nachdem Delia, die Mutter, bei einem rätselhaften Brand ihres Hauses ums Leben gekommen ist. Und Joey, das graue Kind, hält das Zentrum, so wie es Serenus Zeitblom, der Erzähler in Thomas Manns Doktor Faustus, in selbst gewusster Mittelmäßigkeit tat. Er ist der Erzähler, er berichtet, was mit der Familie geschieht, doch eher, als dass eine Genealogie daraus wird, eher, als dass sich an einem mehr oder minder identischen Stoff eine Vergangenheit und eine Zukunft auftäte, scheint alle Geschichte einem Gesetz zu unterliegen, von dem man nicht weiß, ob es Fluch oder Hoffnung ist: dem Gesetz der ewigen Wiederkehr.
Dieses Gesetz gehört zu den Naturwissenschaften: David Strom ist schließlich Physiker, er gehört zu Albert Einsteins Umgebung, und nach dem Tod seiner Frau arbeitet er verzweifelt an Kurt Gödels Gleichungen, sucht das Geheimnis einer räumlich begrenzten Zukunft, die zugleich ihre eigene Vergangenheit ist. Dieses Gesetz gehört aber auch und vor allem zur Musik: „Jetzt hatten meine Jongleure so viel Töne in der Luft, dass wir alles singen konnten, wonach uns der Sinn stand. Ich flocht die Melodien ineinander, ließ sie an- und wieder abschwellen, verlangsamte sie, dann gab ich ihnen wieder Tempo, kappte sie, zog sie in die Länge, löste ein Solo heraus, stellte Quartette zusammen, ließ alles nach Belieben zwischen den Tonarten wandern.” Selten ist Musik in der Literatur so innig beschrieben worden wie in diesem Roman – und selten ist der Verbindung zwischen der Physik und der Musik so gehuldigt worden: „Alle Augenblicke beginnen mit dem einen, an dem wir sehen, wie alle enden müssen.” In der Physik und in der Musik findet diese Familie eine Weichheit, eine Schönheit und Bereitschaft zur Vergebung, die sie zwischen Menschen vergeblich sucht. Das hilft ihr nicht, und sie weiß es, aber dieses Wissen macht zumindest die Musik um so schöner.
Das ist die Innenwelt. Die Außenwelt aber wird in Richard Powers’ Roman durch andere Dinge zusammengehalten: durch Bilder, durch Fotografien, durch Momentaufnahmen einer Geschichte, die sich mit einer absoluten Beharrlichkeit von einer Katastrophe in die nächste stürzt: Da ist eine Photographie von Emmett Till, dem jungen Mann, der 1955 gelyncht wurde, weil er eine weiße Frau angesprochen hatte – die vier Mörder wurden von einem Geschworenengericht in Mississippi freigesprochen. Sechsunddreißig Jahre später stirbt Jonah, nachdem er in die Rassenunruhen von Los Angeles geraten war, ausgelöst von einem Video, das eine Bande von Polizisten zeigte, wie sie den unbewaffneten Schwarzen Rodney King fast zu Tode prügelten. Das alles ist da, festgehalten in Bildern, die nicht vergehen werden, die immer wieder hervorgeholt werden, die vergangene Gegenwart für alle Gegenwart bannen. Dieser Fluch ist Vergangenheit und Zukunft von Amerika, und die Werte, die dieser Staat in die Welt tragen will, muss er in sich selbst offenbar erst entdecken.
Ob es da noch Hoffnung gibt? „Sie werden ja rot”, ruft David, der Vater, in einer letzten historischen Reminiszenz des Erzählers aus. „Ja”, sagt Delia Daley, die zukünftige Mutter. „Ja, das gibt es bei uns auch.”
THOMAS STEINFELD
Fünfundsiebzigtausend Menschen im Publikum, das Konzert im Rundfunk übertragen: Marian Anderson vor dem Lincoln Memorial.
Foto: Corbis
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.06.2004

Amerikas Gunst der Fuge
Hausmusik: Richard Powers komponiert einen Roman

Mit Musik und Literatur verhält es sich wie mit dem Vogel und dem Fisch: Sie können sich verlieben, doch wo bauen sie ihr Nest? Zwar kann die Musik die Dichtung in ihr Reich entführen und ihr dort zu wunderbar neuer Dimension verhelfen, wie nicht nur zahlreiche Liederzyklen, allen voran die Vertonungen Schuberts, beweisen. Wenn aber die Literatur versucht, Größe, Tiefe und Wirkung von Musik darzustellen, ist sie unweigerlich die unterlegene Kunst - es sei denn, sie befindet sich in der Hand eines Schriftstellers, der es wagt, Töne mit solcher Inbrunst und Schlichtheit zu schildern, daß ihr Echo gleichsam von den Buchseiten aufzusteigen scheint.

Der Amerikaner Richard Powers ist so ein Erzähler, der die Unmittelbarkeit von Musik zu vermitteln und zu schildern vermag, ohne sich stilistisch zu verrenken. "Die Sicherheit, mit der die Stroms sangen, war etwas Körperliches, etwas Angeborenes, es war die Augenfarbe der Seele . . . Keiner der beiden Jungen wäre auf die Idee gekommen, daß es etwas Besonderes war, wenn ein Neunjähriger mit der Selbstverständlichkeit, mit der er atmete, vom Blatt singen konnte. Man mußte ja nur den Mund öffnen und die Stimme herauslassen; man machte mit den Tönen einen Ausflug hinunter zum Riverside Park, dahin, wo ihr Vater an einem sonnigen Sonntagnachmittag manchmal mit ihnen spazieren ging: hinauf, hinunter, Kreuz, b, lang, kurz, East Side, West Side, quer durch die Stadt."

Dieser beneidenswerte Zustand unschuldiger Mühelosigkeit, in dem Gesang so selbstverständlich erscheint wie Sprache, prägt die Kindheit der drei Strom-Geschwister. Es ist die Zeit ihres gemeinsamen Singens, "The Time of Our Singing", wie der Roman im Original heißt, der im Deutschen den bleiernen Titel "Der Klang der Zeit" trägt. Wie jede glückliche Kindheit ist auch die von Jonah, Joseph und Ruth wie eine Insel, auf die sie auch später noch in der Erinnerung flüchten könnten - nähme sie sich rückblickend nicht so unwirklich, wie eine Fata Morgana aus. Lange Zeit nehmen die Kinder die Brandung, die ihre spezielle Insel umtost, kaum wahr, denn sie sind beschäftigt: "Singen war ihr Baseball, ihr Flohhüpfen, ihr Mensch-ärgere-dich-nicht." Im Hause Strom gibt es kein Gejammere, wenn geübt werden soll, keinerlei Lustlosigkeit beschwert die fünfköpfige Combo. Die Familie bildet eine hermetisch abgeschlossene Einheit - bis der Schutzwall aus Musik, den die Eltern um ihre Kinder gezogen haben, zu bröckeln beginnt, sie begreifen müssen, daß selbst engelhafte Stimmen Rassenhaß nicht übertönen können.

Richard Powers hat sich eine gewaltige, eine zu gewaltige Aufgabe vorgenommen. Denn mehr noch als die Musik ist sein Thema das Gleichnis von dem Vogel und dem Fisch, den unvereinbaren Gegensätzen: Schwarz und Weiß, Glaube und Physik, alte Musik und Pop - und ein bißchen auch der Konflikt zwischen Amerika, der "größten Kulturnation der Nachkriegszeit", und Europa, das selbst in seinem Dornröschenschlaf jenseits des Atlantik noch Minderwertigkeitskomplexe erzeugt. Und nebenbei will Powers auch noch den Beweis führen, daß einzig die Literatur das Allerheiligste vermag: Sie bildet die Wirklichkeit ab und gewährt zugleich Schutz vor ihren Zumutungen. Zuviel des Guten.

Alle ringen hier auch noch mit ihrer Identität. Jonah, Joseph und Ruth sind zuerst Musiker, dann New Yorker und schließlich noch Amerikaner. Vor allem aber, als Kinder eines vertriebenen deutschen Juden und einer schwarzen Mutter, sind sie Mischlinge, "zeugungsunfähige Maulesel", wie Jonah einmal erbittert feststellt. Vor dem gesteigerten, schicksalsübersättigten Leid dieser Herkunft kann auch der amerikanische Traum sie nicht bewahren. Um so größer der Schock dann darüber, daß die schlimmsten Konflikte am Ende doch nicht zwischen den Rassen, sondern mitten durch die Familie verlaufen.

Die beiden Brüder verstecken sich in Konzertsälen, "unserer Zuflucht vor den echten Klängen dieser Welt". Das in seiner Genialität ewig einsame Wunderkind Jonah wird ein auf der ganzen Welt gefeierter Tenor, wobei man in den amerikanischen Kritiken stets die Einschränkung "schwarz" vor die Superlative setzt. Joseph, der getreue Ich-Erzähler der geschwisterlichen Geschicke, stellt sich freiwillig in den Dienst des ungleich begabteren Jonah. In dessen Fahrwasser besucht er die Musikhochburgen Bolyston und Juillard, doch als Jonah endgültig abhebt, geht Joseph nach Atlantic City und vertrödelt seine Jahre als Barpianist, bis die Familie ihn zurückholt. Die Jüngste ist die einzige, die offen rebelliert. Anders als ihre Brüder, die sich ihrer Meinung nach zu Sklaven der "Kultur des weißen Mannes" machen, entscheidet Ruth sich für ihr schwarzes Erbe, schließt sich den Black Panthers an und wendet sich von dem weißen Vater ab.

Der "Klang der Zeit", dem freilich etwas mehr sinnliche Vitalität à la Philip Roth besser getan hätte als die gesteigerte Gelehrsamkeit eines "Doktor Faustus", tönt am besten, wenn Powers sich auf die Musik konzentriert. Dann entstehen kostbare, bewegende Passagen, etwa wenn Jonah das hypnotisierende "Time stands still" von John Dowland singt und damit selbst eingefleischte Zyniker zum Weinen bringt. In solchen Momenten vermitteln die Figuren eine Lebendigkeit, die man sonst über weite Strecken vermißt. So zum Beispiel bei der Geschichte der Eltern, die den zweiten Erzählstrang des Romans bildet. Die schwarze angehende Sängerin Delia Daley und der jüdische Physiker David Strom begegnen sich am Ostersonntag des Jahres 1939 beim historischen Konzert der schwarzen Sängerin Marian Anderson in Washington. Vorausgegangen war der Freiluftdarbietung, zu der sich fünfundsiebzigtausend Menschen eingefunden haben sollen, ein skandalöser Affront: Die Constitution Hall in Washington sei ausgebucht, hatte man der gefeierten Altistin mitgeteilt, und Termine für schwarze Sängerinnen seien auch so bald nicht zu haben.

Stärker als die Besorgnis von Delias Eltern ist die gemeinsame Liebe des Paars zur Musik und das Vertrauen darauf, daß Kunst und Wissenschaft keine Rassenschranken kennen. Auch daß interracial marriages im Jahr 1940 nicht nur geächtet, sondern in den meisten Bundesstaaten sogar verboten sind, ficht sie nicht an. Erst Jahre nach Delias Tod, die bei einem ungeklärten Brand ihres Hauses umkommt, fragen sich die Kinder, ob letztlich nicht doch Haß, Verachtung und Demütigung die Mutter getötet haben. David verbringt sein Leben mit der Suche nach einer physikalischen Formel, die Zeitreisen ermöglichen würde, nach Zeitschleifen, auf denen sich Dinge auf ihre Zukunft zubewegen und trotzdem in ihrer Vergangenheit landen. "Alles, was möglich ist, muß existieren" lautet sein Motto, dem auch der Autor aufgesessen zu sein scheint.

Der entscheidende Satz aber fällt, wie so oft, am Ende, als Richard Powers zum letzten überraschenden Tonartwechsel seines ausgeklügelt komponierten Werks ansetzt. Es ist einer dieser Sätze, die Powers immer wieder beiläufig fallenläßt und die ihre wahre Bedeutung erst Hunderte von Seiten später zu erkennen geben. Joseph sagt über einen Song: "Vielleicht bezog er Stellung, vielleicht enthüllte er auch nur. Bei Kunst weiß man das nie." So verhält sich auch der Roman: Er stellt dar, doch er nimmt keine Haltung ein. David beteiligt sich am Bau der Atombombe, Ruths Mann stirbt nach einem Scharmützel mit der Polizei, Jonah geht nach Europa. Wenn Powers überhaupt eine eigene Meinung zu seinen Figuren hat, so versteckt er sie in gelegentlichen Kommentaren wie diesem: "Ruhm ist das letzte Mittel, mit dem eine Kultur ihre Abtrünnigen unschädlich macht." Und Gerechtigkeit ist sowieso nicht zu haben. Alles sehr gut gemeint, alles aber auch: Papier.

Stilistisch ist Powers ein im besten Sinn altmodischer, konservativer Schriftsteller. Er schreibt klare, einfache Sätze, ohne mit Metaphern zu protzen, doch erschafft er auf diese unaufdringliche Weise hie und da eine Prosa von tönender Dichte: wenn es um Musik geht. Worüber man jedoch immer wieder stolpert, ist die Vermessenheit dieses Autors, dem in seiner Gelehrsamkeit etwas geradezu Musterschülerhaftes anhaftet. Ein einziges großes Thema reichte ihm auch schon in seinen vorhergehenden sieben Romanen nie; stets wurden mindestens zwei beängstigend große Ideenstränge zusammengespannt - mit nicht nur kommerziellem Erfolg: In seiner Heimat zählt der Siebenundvierzigjährige seit langem zu den household names seiner Generation. Schon in früheren Werken wie den noch nicht übersetzten "Gold Bug Variations" oder "Schattenflucht" (2002) hat er die Biotechnologie mit Bachs "Goldberg-Variationen" unterlegt und künstliche Intelligenz mit Kunstgeschichte verquickt. Darunter tut er es selten. Nicht zufällig hat er Physik studiert und Computer programmiert, bevor er Schriftsteller wurde. Seine Gegenwelten wirken deshalb oft mehr bemüht als sinnlich. Auch dieses Mal beschwert er die Musik mit dem Konflikt zwischen Schwarz und Weiß und dem Panorama Amerikas im zwanzigsten Jahrhundert - bis hin zu den Rassenunruhen von 1993 in Los Angeles. Es ist charakteristisch für diesen Autor, daß der Roman schwächer wird, je näher er an unsere Gegenwart heranrückt, in der allfälliges Hitparaden-Gedudel längst Teil einer passiven, am Schmelztiegel Amerika ausgerichteten Lebenskultur geworden ist.

Dabei hat Richard Powers eine gesunde Abneigung gegen alle Gefühlsduselei. Es liegt zum Beispiel in Jonahs Natur, das, was Leidenschaften lehren oder geben können, schnell auszuschöpfen, ebenso wie es in Josephs Charakter liegt, genau dieses nicht zu tun: Der Ältere ist der Solist, er ist der Begleiter, der "Mann am Klavier". Doch trotz der ehrgeizigen, imposant ausgeführten Themen, trotz oder vielleicht auch gerade wegen der Musik, die auf jeder Seite dieses Romans eine Rolle spielt, bleibt der Zugang von Powers zu seinen Figuren nüchtern und trocken. Ihnen und ihrem Verfasser fehlt die Inbrunst. Ohne sie rührt keine Musik und keine Literatur. 

Richard Powers hat ein Paradox geschaffen: ein reiches, sprudelndes, beeindruckendes und zugleich trockenes Buch. Einen Familienroman und ein Porträt des modernen Amerika, verbunden mit einem Streifzug durch die Musikgeschichte, ohne daß dies alles zeigefingrig, mühsam oder gar langweilig würde. So folgt man den siebenhundertundfünfzig engbedruckten Seiten durchaus nicht unwillig. Seitdem wir uns jedoch daran gewöhnt haben, Jahr um Jahr mindestens einen umfangreichen Roman inklusive verbaler Vorschußlorbeeren aus Amerika präsentiert zu bekommen, der nicht nur einfach ein Buch, sondern gleich die great American novel sein will - Jonathan Franzen, Jeffrey Eugenides und Nachahmer -, werden diese Bücher mit erhöhter Aufmerksamkeit wahrgenommen. Dieser Roman gehört gar nicht erst in die Reihe der Bewerber um den begehrten Titel. Nicht weil er schlechter als die Werke von Franzen oder Eugenides wäre, sondern weil er seinen Protagonisten niemals an die Orte folgt, an denen ihre Seelen geformt werden. Musik, so Picasso, wische den Staub des Alltags von der Seele. Bei Powers pustet sie eher kleine Löcher in den Mehltau, der über seinen Figuren liegt.

Vor allem aber spricht Musik nicht die Leidenschaft, die Liebe, die Sehnsucht eines bestimmten Individuums aus, sondern die Leidenschaft, die Liebe, die Sehnsucht selbst. Literatur hingegen braucht Individualität, um nicht nur zu Kopf zu steigen, sondern auch zu Herzen zu gehen, kurz: Persönlichkeit. Sie fehlt diesem Buch.

Richard Powers: "Der Klang der Zeit". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 765 S., geb., 22,90 [Euro].

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There is no contemporary American writer quite like Richard Powers... It is rare to find a novel as intellectually and emotionally engaging as this Guardian