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Beim letzten Schuß klemmte das Gewehr. Das Kind stand in seinem Bettchen, weinend, ans Gitter geklammert. Um nachzuschauen, warum das Gewehr streikte, setzte sich der Mann in einen Sessel und nahm es auseinander. Das Weinen ging ihm auf die Nerven. Er legte das Gewehr hin und hielt Ausschau nach einem Hammer...
Pluto, North Dakota, eine Stadt am Rande des Chippewa-Reservats. Indianer oder Einwanderer, alle sind hier miteinander verbunden, durch Arbeit, Liebe, Freundschaft, Blutsbande - und durch die schwere Hypothek einer gemeinsamen Geschichte.
Wie ein dunkler Schatten liegt die
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Produktbeschreibung
Beim letzten Schuß klemmte das Gewehr. Das Kind stand in seinem Bettchen, weinend, ans Gitter geklammert. Um nachzuschauen, warum das Gewehr streikte, setzte sich der Mann in einen Sessel und nahm es auseinander. Das Weinen ging ihm auf die Nerven. Er legte das Gewehr hin und hielt Ausschau nach einem Hammer...

Pluto, North Dakota, eine Stadt am Rande des Chippewa-Reservats. Indianer oder Einwanderer, alle sind hier miteinander verbunden, durch Arbeit, Liebe, Freundschaft, Blutsbande - und durch die schwere Hypothek einer gemeinsamen Geschichte.

Wie ein dunkler Schatten liegt die Erinnerung an eine Bluttat, begangen 1911 an einer weißen Siedlerfamilie, und deren brutale Vergeltung, verübt an vier unschuldigen Indianern, auf den Menschen.

Wie gehen die Buckendorfs und Wildstrands, Nachkommen der weißen Täter, mit der Schuld ihrer Väter um? Findet Sister Mary Anita Buckendorf Erlösung im Kloster? Warum erschrickt der Indianer Mooshum zu Tode, als seine Enkelin Evelina die Schuhe von 'Holy Track' von einem Besuch bei Sister Mary Anita mit nach Hause bringt?

Atemlos lauscht Evelina den Berichten ihres Großvaters Mooshum, des großen Geschichtenerzählers und Legendenbewahrers.Louise Erdrich erzählt die Geschichte einer Stadt: von einem dunklen Geheimnis, das seit fast einhundert Jahren auf den Menschen lastet. Sie spielt mit vielen Genres - Liebesroman, Abenteuerroman, Episodenroman - und verknüpft sie zu einem Porträt der Generationen, einem kraftvollen, farbigen, bewegenden Panorama von Leidenschaft, Schuld und Sühne.'
Autorenporträt
Erdrich, Louise
Louise Erdrich, 1954 in Little Falls, Minnesota als Tochter einer Indianerin und eines Deutschamerikaners geboren, wuchs in North Dakota auf. Sie wurde für ihre Romane und Lyrikbände mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. In Deutschland war sie vor allem mit den Romanen Die Rübenkönigin und Liebeszauber erfolgreich. Sie lebt mit ihren fünf Kindern in Minnesota.

Hirte, Chris
Chris Hirte, geboren 1948, studierte Germanistik und Anglistik in Berlin. Heute ist er als Publizist und literarischer Übersetzer tätig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.05.2009

Die wütenden Bürger von Pluto

Von Philip Roth zur Lektüre empfohlen: Die amerikanische Schriftstellerin Louise Erdrich entwirft in "Solange du lebst" ein vielstimmiges Werk von Witz und Poesie, Lakonie und Pathos.

Von Tobias Döring

Ausgerechnet "Pluto" heißt die Ansiedlung in North Dakota, ein kleines Nest, am Rande des Chippewa-Reservats gelegen, abseits der Verkehrsstraßen und des Laufs der Welt. Als der Trupp der Landvermesser und Ortsgründer um die vorletzte Jahrhundertwende endlich mit dem Planwagen so weit nach Westen vorgedrungen war, fielen ihnen weiter keine Namen ein. Sämtliche Präsidenten, sonstige Staatsmänner, wichtige Mineralien, Säugetiere, eigene Familienmitglieder und griechische Götter hatten sie als Namensgeber bereits aufgebraucht. "Venus" wurde abgelehnt, weil das der Unzucht Vorschub leisten könnte. So schlug jemand "Pluto" vor, offensichtlich ohne zu bedenken, dass dieser neue Stadtname dem Herrscher der Unterwelt Tribut zollt. Das war 1906. Der gleichfalls so benannte Zwergplanet wurde zwar erst zwei Jahrzehnte später entdeckt, doch tatsächlich mag, wie man in Pluto, N.D., seither glaubt, dieser "kälteste, einsamste und vermutlich unwirtlichste Himmelskörper unseres Sonnensystems" dem eigenen Gemeinwesen entsprechen.

Pluto jedenfalls ist Schauplatz des neuen Romans von Louise Erdrich, ihres zwölften. Aber was heißt hier schon Schauplatz? Pluto ist Protagonist, Echokammer, Spiegelkabinett, Beziehungsgeflecht, Geschichtenknäuel. Wie auch in vielen ihrer früheren Romane überträgt Erdrich die Erzählerrolle wieder einer Reihe von verschiedenen Figuren, deren Stimmen sich kapitelweise ablösen, einander ergänzen und wechselseitig kommentieren oder auch zuweilen einrahmen. Selten aber ist dieses Verfahren so stimmig und bezwingend eingesetzt worden wie in "The Plague of Doves", so der Titel der amerikanischen Originalausgabe, wo auf diese Art ein ganzer Kleinstadtchor entsteht und eine polyphone Erzählwelt lebendig werden lässt, die aus wenigen Grundmotiven in immer neuen Wandlungen und Durchführungen eine gewaltige Melodie entwickelt. Ihr zentrales Thema allerdings, das zeigen gleich die ersten Sätze, ist ein dunkles Ostinato.

Im Jahr 1911 wurde eine weiße Siedlerfamilie in ihrem Farmhaus kaltblütig erschossen, ohne dass Anlass oder Motiv kenntlich gewesen wären. Doch die aufgebrachte Menge der aufrechten Bürger von Pluto war sich sehr schnell einig, wo die üblichen Verdächtigen zu finden sind, und übte grausam Lynchjustiz an vier jungen Männern aus dem Reservat. Diese hatten lediglich den Mord entdeckt und das einzige Familienmitglied, das den Blutrausch überlebte, einen Säugling, aus dem Farmhaus retten wollen. Als Indianer aber galten sie nun mal als verbrecherische Nichtsnutze und konnten weder beim lokalen Sheriff noch beim Pfarrer auf Verständnis rechnen. Nur einer von ihnen kam in letzter Sekunde mit dem Leben davon. Jetzt, fast drei Generationen später, ist er ein sehr alter Mann, dem Whisky gleichermaßen zugetan wie dem Erzählen von Geschichten. Mit seinen Andeutungen und stockenden Erinnerungen beginnt sich die traumatische Geschichte dieses Orts auch für uns allmählich zu entfalten.

Seine Enkelin heißt Eveline und bildet, da sie selbst immer stärker in den Sog dieses unvergangenen Unrechts gerät, im Erzählkosmos des Buches unsere wichtigste Gewährsfigur. Wie sich zeigt, stammt sie mütterlicherseits von einem Opfer ab, väterlicherseits dagegen zählt ein Teilnehmer der Lynchaktion zu ihren Vorfahren. So durchkreuzen sich Jahrzehnte später bei fast allen Einwohnern der Kleinstadt Schicksale wie Erinnerungen, denn die fraglose Gewissheit klarer Zugehörigkeiten, mit denen sich zu Anfang des Jahrhunderts die Welt der weißen Siedler von der des Indianer-Reservats abgrenzen mochte, gilt längst nicht mehr. Eveline selbst beginnt nach den Erzählungen des Großvaters, ihre Welt mit anderen Augen zu betrachten: "Ich verfolgte die blutige Spur der Morde quer durch die Familien meiner Mitschüler und Freunde, bis ich ein kompliziertes Geflecht aus Linien und Doppelkreisen aufzeichnen konnte." Doch sie ahnt bereits, dass in dem, was ihr davon erzählt wird, die entscheidenden Verbindungslinien bislang ausgespart bleiben. Auf diese Weise wird für sie die Spurensuche nach der geteilten Geschichte ihres Orts zu dem Versuch, eine Form der Darstellung zu finden, in der sich das Verschwiegene mitteilen lässt.

Eben eine solche Form bietet Erdrich uns als Lesern mit dem komplizierten Geflecht von Erzähllinien. Die einzelnen Teilstücke des Romans lassen sich auch einzeln lesen, denn sie bieten jeweils durchaus eigenständige Episoden aus dem Kleinstadtleben. Tatsächlich wurden etliche von ihnen zunächst separat als Kurzgeschichte publiziert. In der durchkomponierten Folge allerdings verlinken sie sich immer merklicher, verhaken sich bald zunehmend durch Personal und Perspektive ineinander und verdichten sich zum Ende zu einer Art kubistischem Gesamtbild, das uns ein und denselben Gegenstand aus vielerlei Sichtweisen gleichzeitig vor Augen führt.

Dabei richtet sich der Blick keineswegs ausschließlich auf die alte Mordund Lynchgeschichte. Ganz unterschiedliche Sehnsüchte, Hoffnungen, Begegnungen und heimliche Affären werden ausgebreitet, viele von skurriler Komik. Eveline entdeckt in der Schule zunächst ihre unbändige Zuneigung zu einer Lehrerin; später verliebt sie sich in eine andere Frau, mit der sie bald Erfahrungen, wie von ihrer Lieblingsautorin Anais Nin beschrieben, ausprobieren und ausleben kann. Ein Freund des Großvaters spielt Geige und trägt, wie sich herausstellt, mit der Geschichte dieses Instruments ebenfalls seit langem eine ganz persönliche Last. Eine Taubenplage sucht die Stadt heim und muss gemeinschaftlich bewältigt werden. Ein Nachbarsjunge entdeckt plötzlich seinen Hang zum Messianischen und gründet eine Religionsgemeinschaft, die täglich dem Weltuntergang entgegensieht. Ein anderer Nachbar hält sich eine junge indianische Geliebte und beauftragt deren Bruder, als der ihn finanziell erpressen will, die eigene Ehefrau zum Schein zu entführen, was schrecklich danebengeht - die Coen Brothers lassen grüßen, denn Fargo, wo einst ihre blutige Kidnapping-Komödie spielte, ist in North Dakota der nächstgelegene Ort.

Mit derlei Alltagssorgen und Verwicklungen setzt Erdrich den Akzent aufs Undramatische und gibt dem eigentlichen Drama, das nur auf Umwegen zur Sprache kommt, damit umso mehr Gewicht. Ihr Interesse gilt dem Überleben, und so wird auch die Frage nach dem Täter jener alten Bluttat zum Ende nur fast beiläufig geklärt. Vor allem aber setzt sie auf die Sprache - von Chris Hirte so subtil wie stimmig übertragen - und entwirft ein chorisches Gesamtwerk, dessen erstaunlicher Registerreichtum Witz und Poesie, Lakonie und Pathos gleichermaßen einschließt. Und dabei verfährt sie derart raffiniert, dass wir am Schluss das Buch sofort noch einmal lesen wollen, weil viele der verborgenen Verbindungen beim ersten Mal noch gar nicht spürbar werden konnten. Mag Pluto noch so weit entfernt und unwirtlich erscheinen - in diesem Geschichtenkosmos fühlt man sich dort plötzlich seltsam heimisch.

Louise Erdrich: "Solange du lebst". Roman. Aus dem Amerikanischen von Chris Hirte. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2009. 398 S., geb., 22,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In einem Städtchen mit Namen "Pluto" spielt dieser jüngste Roman von Louise Erdrich, der Tobias Döring ziemlich begeistert. Zwar merke man dem Buch an, dass es aus verschiedenen, zuvor separat veröffentlichten Kurzgeschichten zusammengesetzt ist. Wie Erdrich diese aber in der Spiegelung von Motiven in- und gegeneinander zu montieren verstehe, das macht, findet er, ihre große Kunst gerade aus. Im eigentlichen Plot geht es um eine Jahrzehnte zurückliegende Geschichte, bei der Indianer unschuldig gelyncht wurden. Dazwischen aber werden viele unspektakuläre Momente und Motive geschoben, so dass ein sehr überzeugendes Porträt der Kleinstadt und ihrer Bewohner entsteht. Und weil Erdrich viele Register zieht, sich auf "Witz und Poesie, Lakonie und Pathos" gleichermaßen versteht, kommt, da ist sich Döring sicher, bei diesem Roman eigentlich jeder auf seine Kosten.

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