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Nach dem Ersten Weltkrieg, in den Wirren von Revolution und Krieg, Armut und Rassenhass, lernen sich zwei Männerkennen: Danny Coughlin, Sohn einer angesehenen Bostoner Familie, und Luther Laurence, ein junger Schwarzer. Sie werden Freunde, und Danny kann nicht länger die Augen vor den himmelschreienden Ungerechtigkeiten seiner Zeit verschließen.

Produktbeschreibung
Nach dem Ersten Weltkrieg, in den Wirren von Revolution und Krieg, Armut und Rassenhass, lernen sich zwei Männerkennen: Danny Coughlin, Sohn einer angesehenen Bostoner Familie, und Luther Laurence, ein junger Schwarzer. Sie werden Freunde, und Danny kann nicht länger die Augen vor den himmelschreienden Ungerechtigkeiten seiner Zeit verschließen.

Autorenporträt
Lehane, Dennis
Dennis Lehane wurde 1965 in Dorchester, Massachusetts, geboren. Bekannt wurde er mit seiner Krimiserie um Patrick Kenzie und Angela Gennaro. Dreimal wurde er mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Clint Eastwoods Verfilmung seines Romans Mystic River erhielt mehrere Oscars, MartinScorsese führte Regie bei Shutter Island. Dennis Lehane lebt in Boston.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.09.2010

Und er war mittendrin
Nachdenken hilft hier nicht viel: Der amerikanische Schriftsteller Dennis Lehane erzählt aus dem Boston der zwanziger Jahre
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde die Stadt Boston von einer Reihe katastrophaler Ereignisse heimgesucht. Armut und Arbeitslosigkeit, Streiks und Terror schufen eine Stimmung voller Angst und Wut. Aus Europa zurückkehrende Soldaten brachten die Spanische Grippe mit. Anarchistische Bombenleger attackierten Polizeiwachen, Kirchen und Politiker. Die Explosion eines riesigen Melassetanks verwüstete 1919 ein Armenviertel, und nachdem ein Großteil der Polizisten einen Streik begonnen hatten, kam es zu Aufständen, die von Polizeioffizieren und Kavallerie blutig niedergeschlagen wurden.
Bleibenden Schaden aber erlitt die Stadt auf anderer Ebene. Anfang 1920 wurde der Star der Baseballmannschaft Boston Red Sox, der 1895 geborene George Herman „Babe“ Ruth, an die New York Yankees verkauft – eine der schlimmsten Fehlentscheidungen der Sportgeschichte. Auch nach Ruths frühem Tod im Jahre 1948 sollte es noch beinahe ein halbes Jahrhundert dauern, bis die Red Sox im Jahre 2004 wieder eine World Series gewinnen konnten.
Babe Ruth war der Sohn eines deutschen Einwanderers und konnte weder lesen noch schreiben. In den USA kennt ihn jedes Kind, und so wird Sportgeschichte hier zum Vehikel historischen Erzählens. Dann und wann lässt Dennis Lehane diesen weißen Elefanten in seinem Roman auftauchen. Am Anfang wie am Ende schickt er ihn auf eine Zugfahrt. 1918 begegnet Babe dabei einem begnadeten schwarzen Amateurspieler, Anfang 1920 einem irischen Paar auf dem Weg nach New York.
Für Babe erscheint die ganze Welt wie ein Baseballfeld und sein Leben darauf wie ein großer Homerun. Dabei umzirkelt der Sportler nicht nur die Handlungszeit des Romans, sondern auch dessen Hauptpersonen: den Polizisten Danny Coughlin, der den Bostoner Polizeistreik organisieren wird. Seine spätere Frau Nora O'Shea und Luther Laurance, der nach dem Mord an einem Gangsterboss seine schwangere Frau Lila in Tulsa zurücklassen musste, um in Boston als Hausdiener von Dannys Eltern unterzutauchen.
Dannys Vater ist aus Irland eingewandert und hat sich in Boston zum Captain der Polizei hochgearbeitet, doch er protegiert seinen Sohn auf fragwürdige Weise. Um sich die Beförderung zum Detective zu verdienen, soll Danny radikale Zirkel unterwandern, und beflügelt von der „Red Scare“, der Kommunistenangst und Anarchistenhysterie nach der russischen Revolution, verstand man unter „radikalen Zirkeln“ alles Mögliche – von anarchistischen Bombenbauern bis zu biederen Gewerkschaftern. Am Rande der Szenerie erhebt deshalb ein anderer junger Mann sein teigiges Antlitz. Der heißt im Roman John Hoover, und der skandalumwitterte Kommunistenfresser und FBI-Gründer J. Edgar Hoover hat ihm offenbar das Vorbild geliefert.
Zur Ironie der Geschichte aber zählt, dass die Bostons Cops, die auf „Bolschewiken“ und auf streikende Arbeiter gleichermaßen einprügeln, selbst eine Gewerkschaft am dringendsten nötig haben. Ihr Lohn liegt unter dem Existenzminimum, ihre Wachen sind verlaust, und ihre Ausrüstung müssen sie selbst bezahlen. Spannungsreich ist auch Dannys Verhältnis zu Nora, und am spannungsreichsten ist das Leben in Boston für Luther, der in den beiden unverhoffte Freunde, doch in einem Kumpan von Dannys Vater seine Nemesis gefunden hat. Lieutenant Eddie McKenna will Luther dazu zwingen, ausgerechnet jene schwarzen Bürgerrechtler ans Messer zu liefern, die ihn bei sich aufgenommen haben.
Glücklich ist der reine Tor
Also Kabale und Lovestory, Korruption und Gewalt, wohin man blickt. Der 1966 in Massachusetts geborene Dennis Lehane zeigt die USA im Rohzustand, und das lässt an Johns Steinbecks Romane „Früchte des Zorns“ und „Stürmische Ernte“ denken. Lehane hat neben einer erfolgreichen Krimiserie auch „Mystic River“ (2001) und „Shutter Island“ (2003) geschrieben, zwei umfangreiche Romane, die von Clint Eastwood und Martin Scorsese erfolgreich verfilmt wurden. Gleichwohl könnte man ihn wegen des dramatischen Handlungsreichtums seiner Bücher unterschätzen, denn auch bei „Im Aufruhr jener Tage“ haben seine Gestalten oft nur wenig Zeit zum Nachdenken oder bringen es dabei nicht weit, wie Babe Ruth.
Reflexionen und Emotionen werden umgehend in Handlung umgesetzt, lebenswichtige Entscheidungen in Sekundeschnelle getroffen, Leben in Sekundenbruchteilen verwirkt. Gleichwohl erreicht Lehane beachtliche historische Tiefenschärfe, aber seine handlungsbetonte Erzählweise saugt die Reflexion immer wieder in sich auf. Den Schlüssel liefert „Shutter Island“. Der Clou dieses Romans ist es, dass sich eine vermeintliche Polizeiermittlung als therapeutisches Rollenspiel erweist und dass der angeblich gesuchte Patient der Held selbst ist. Auch „Im Aufruhr jener Tage“ ist eine Art Rollenspiel, das aber ganz Amerika noch einmal in die verdrängten Traumata seiner Geschichte zurückversetzt. Angst vor den „Roten“ und Rassismus, Lynchmorde, Terroranschläge, massenhafte Verarmung und hemmungslos gepredigter und betriebener Kapitalismus, falscher Idealismus und scheinheilige Ordnungspolitik sind die Mahlsteine, zwischen denen Menschen hier zerrieben werden.
Am Ende sind zwei junge Paare, ein schwarzes und eine weißes, nach Westen gezogen oder auf dem Weg dorthin. Beide sind glücklich. Doch am glücklichsten ist Babe Ruth, dieser reine Tor, obwohl man ihn gerade an die Yankees verkauft hat: „Ein gutes Jahrzehnt“, lässt Lehane ihn 1920 prophezeien: „Babe sah aus dem Fenster, während New York flimmernd an ihm vorbeiflog, Lichter, Reklamen und endlos hohe Türme. Was für ein Tag. Was für eine Stadt. Was für eine Zeit, und er selbst mittendrin.“
Angesichts all der schmutzigen Wäsche der USA, die hier gerade vorgeführt worden ist, müssten solche Sätze eigentlich ironisch wirken, pathetisch oder gar lächerlich. Lehane bringt es fertig, dass sie ganz natürlich klingen. Nach der Freude eines Mannes, dem jener „pursuit of happyness“ gelungen ist, den die Verfassung der USA ihren Bürgern garantiert.
„Im Aufruhr jener Tage“ hat alle Qualitäten, die uns amerikanische Literatur immer wieder verdächtig machen. Lahenes Buch ist spannungs- und faktenreich, mal emotional und mal kaltschnäuzig, und der Polizeiroman hat unübersehbar Pate gestanden. All das erscheint auch nötig, um den Aufruhr jener Tage ganz ins Bild zu bekommen. Was für ein Roman, und man selbst mittendrin. ULRICH BARON
DENNIS LEHANE: Im Aufruhr jener Tage. Aus dem Amerikanischen von Sky Nonhoff. Ullstein, Berlin 2010. 760 Seiten, 22,95 Euro.
Aufmarsch der Boston Red Sox Outfields kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Foto: Getty Images
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Ulrich Baron entdeckt in Dennis Lehanes Roman fesselnde Zutaten, die allerdings dazu führen könnten, dass dieser Roman "unterschätzt" wird, wie er meint. "Im Aufruhr jener Tage2 spielt kurz nach dem Ersten Weltkrieg in Boston. Kommunistenangst, massenhafte Verarmung, die Niederschlagung eines Polizistenaufstands, Lynchmorde und ein bis heute in der kollektiven Erinnerung verankerter Sportskandal bilden die dramatische Folie für diesen Roman, der aus der Perspektive zweier Paare erzählt wird, so der Rezensent. Wie schon in seinem Roman "Shutter Island" werde hier eine "Art Rollenspiel" inszeniert, in dem im vorliegenden Fall noch mal all die "verdrängten Traumata" der amerikanischen Geschichte aufgerufen werden. Weil der Roman so tempo- und spannungsreich daherkommt, fürchtet Baron, dass man seine historische Tiefenschärfe übersehen könnte, aber dennoch gewinnt man den Eindruck, dass sich der Rezensent sehr bereitwillig vom dramatischen Geschehen mitreißen ließ.

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