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Arizona, um 1890. Für Nora Lark bricht ein neuer Morgen eines viel zu heißen Sommers an. Ihre Farm ist bedroht von Dürre und mächtigen Viehzüchtern. Seit Tagen ist ihr Mann verschwunden, nachts sind die beiden älteren Söhne im Streit davon geritten. Doch Nora stehen noch weitere Prüfungen bevor, die über das Schicksal ihrer Familie entscheiden werden. Das liegt auch an Lurie, einem kleinen Ganoven, der zum Verfolgten, zum Outlaw wurde. Téa Obreht erzählt in ihrer bildreichen, leuchtenden Sprache den amerikanischen Gründungsmythos neu. «Herzland» zeigt die Siedlerzeit mit ihrer Härte und…mehr

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Produktbeschreibung
Arizona, um 1890. Für Nora Lark bricht ein neuer Morgen eines viel zu heißen Sommers an. Ihre Farm ist bedroht von Dürre und mächtigen Viehzüchtern. Seit Tagen ist ihr Mann verschwunden, nachts sind die beiden älteren Söhne im Streit davon geritten. Doch Nora stehen noch weitere Prüfungen bevor, die über das Schicksal ihrer Familie entscheiden werden. Das liegt auch an Lurie, einem kleinen Ganoven, der zum Verfolgten, zum Outlaw wurde.
Téa Obreht erzählt in ihrer bildreichen, leuchtenden Sprache den amerikanischen Gründungsmythos neu. «Herzland» zeigt die Siedlerzeit mit ihrer Härte und zugleich einen schillernden, unbekannten Wilden Westen - in dem die Konflikte der heutigen USA schon aufscheinen.
Autorenporträt
Téa Obreht gilt als eine der wichtigsten jungen Stimmen der internationalen Literatur. Geboren 1985 in Belgrad, lebt sie seit ihrem zwölften Lebensjahr in den USA. Ihr Debütroman 'Die Tigerfrau' (2011), für den National Book Award nominiert, erschien in mehr als dreißig Sprachen und wurde in zahlreichen Ländern zum Bestseller. 2011 erhielt Téa Obreht den Orange Prize for Fiction. Über 'Herzland' schrieb die 'Washington Post': 'Fantastische Prosa.' Bernhard Robben, geb. 1955, lebt in Brunne/Brandenburg und übersetzt aus dem Englischen, u. a. Salman Rushdie, Peter Carey, Ian McEwan, Patricia Highsmith und Philip Roth. 2003 wurde er mit dem Übersetzerpreis der Stiftung Kunst und Kultur des Landes NRW ausgezeichnet, 2013 mit dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis für sein Lebenswerk geehrt.
Rezensionen
Auf den letzten begeisternden Seiten wird aus zwei Erzählsträngen einer ... Die Kulmination eines sanften magischen Realismus, der so gut passt in dieses 'Herzland', das menschenleer ist und doch traumvoll. Cornelius Dieckmann Frankfurter Allgemeine Zeitung 20200416

Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Für Rezensent Michael Schmidt ist Tea Obrehts zweiter Roman eine Geschichte vom Untergang der Illusionen. Mit historischen Fakten und Humor, mehrschichtig und mitunter wie in einem Brennglas erzählt die Autorin laut Schmidt anhand zweier Randfiguren die Geschichte der Eroberung des Südwestens der USA im späten 19. Jahrhundert. Welche Konflikte im Einwandererland USA schwelten, welche Entbehrungen die Siedler in Arizona aushalten mussten und welche Opfer die ansässigen Navajos zu verzeichnen hatten, davon berichtet Obreht "wie in einer Nussschale", ohne moralische Einlassungen, erläutert der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.04.2020

Gesellschaft der Umbenannten

Téa Obrehts Debüt war eine Sensation. Im Roman "Herzland" bespielt sie nun eine Westernlandschaft mit geisterhafter Polyphonie.

Téa Obreht ist landein- und westwärts gezogen. Fort von den New Yorker Menschenmengen, die in Zeiten der Pandemie zum Risiko geworden sind, hinein ins amerikanische Herzland, nach dem ihr neuer Roman benannt ist. Quarantänehalber haben sie und ihr Mann sich in die Abgeschiedenheit ihres Zweitwohnsitzes in Wyoming zurückgezogen, dem bevölkerungsärmsten amerikanischen Bundesstaat. Per Videoanruf erreicht man sie nahe dem Zehntausend-Einwohner-Städtchen Jackson, südlich des Yellowstone-Nationalparks. "Am Rande einer riesigen Wildnis", sagt Obreht und dreht die Kamera zum Fenster, durch das der Blick auf schneebedeckte Berge fällt. Sie erzählt von einer Berglöwin, die kürzlich tagelang auf einer nahen Anhöhe gethront habe. Nach dem Gespräch schickt sie noch ein Handyfoto, das Hunderte im Tal überwinternde Elche zeigt.

Wer Obrehts ersten Roman gelesen hat, weiß um die Zentralität der Beziehung zwischen Mensch und Tier in ihren Geschichten. Als "The Tiger's Wife" (deutsch "Die Tigerfrau") 2011 erschien, wurde Obreht als magisch-realistische Erbin von Gabriel García Márquez gefeiert, das Buch verkaufte sich 1,7 Millionen Mal. Eine junge Ärztin aus einem kriegsversehrten Balkanstaat erinnert sich darin an ihren Großvater, dessen Kindheitsdorf von einem Tiger belagert wird, der sich angeblich nachts in einen Mann verwandelt und mit einer Dorfbewohnerin zusammenlebt. Seitdem hat Obreht zwei Romane für die Schublade geschrieben, der dritte aber liegt nun in Bernhard Robbens kunstfertiger Übersetzung vor. Auch "Herzland" lebt von seinen Tieren.

Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zog durch den amerikanischen Südwesten eine Kavallerie, die keine war. Die Legende vom "Red Ghost" erzählt von einem riesigen Geisterpferd mit zotteligem roten Fell, in dessen Sattel eine Leiche hängt. Verängstigt berichten die Siedler des spärlich bewohnten Arizona Territory einander von ihren Begegnungen mit dem Untier - bis einer sich ein Herz fasst und es erlegt. Dann stellt er fest: Das Pferd war ein Kamel.

Man kann nur staunen, dass das United States Camel Corps nicht längst zur weithin bekannten Folklore des Wilden Westens gehört, zumal es einen Stoff liefert, wie ihn Amerikaner lieben: Wetterfeste Einwanderer aus der Alten Welt streben der Westgrenze des Kontinents entgegen und werden im Fleiße ihrer Reise selbst zu Amerikanern. Von 1856 bis 1866 zog der aus Dromedaren und Trampeltieren bestehende Lastenträgertrupp, der vom Kriegsministerium mitsamt seiner Reiter aus Ägypten und dem Osmanischen Reich eingeschifft worden war, durch Wüste und Prärie.

"Als ich die Legende vom Red Ghost zum ersten Mal in einem Podcast hörte, war ich fasziniert von ihrem immigrantischen Aspekt", sagt Obreht, "von der Vorstellung eines Cowboys aus dem Balkan, dessen Pferd ein Kamel ist." Ihm, dem Kameltreiber Lurie, ist der erste der beiden Erzählstränge des Romans gewidmet. Dass wir ihn unter diesem Namen kennenlernen, setzt die erste Verlusterfahrung seiner Migration schon voraus. Mit sechs ist er mit seinem Vater Hadziosman Djuric, einem Bosniaken, aus dem Osmanischen Reich nach Amerika ausgewandert. "Wenn ich mich recht erinnere, nannte er sich eine Zeitlang Hodgeman Drury - beerdigt aber wurde er als ,Hodge Lurie', besser wusste unsere Zimmerwirtin den Konsonantenverhau seines Namens nicht zu entwirren, als der Bestatter kam, um seine Leiche abzuholen."

Nach dem Tod seines Vaters schließt der junge Lurie sich einer Gang an und begeht bei einem Postkutschenraub einen Mord. Er flieht vor dem Staat - und landet im Staatsdienst. In Texas verpflichtet ihn das U.S. Camel Corps. Wie sonst der Reiter zu seinem Rappen, entwickelt Lurie ein fast brüderliches Verhältnis zu seinem Kamel Burke, an das er sich als Erzähler in weiten Teilen des Buches richtet. Mit wem spräche er auch sonst? Zwar empfindet er, obwohl weder des Türkischen noch des Arabischen mächtig, so etwas wie Nachbarschaft, als er im Camel Corps von einigen seiner Kameraden Wörter wie "merhaba" und "mashallah" vernimmt. Mehr aber ist auch dort nicht zu finden. Man fühlt sich an den böhmischen Vater aus Willa Cathers Siedlerroman "My Ántonia" (1918) erinnert, der nach der Einwanderung erst wieder das Lachen erlernt, als er zwei Russen in Nebraska ihm vage vertraute Töne sprechen hört.

Den Klang des amerikanischen Westens erfährt man bei Obreht mittels einer Gesellschaft der Verstummung und Umbenennung. "Im Laufe der Jahre sind wir alle mit diesem oder jenem Namen gerufen worden, aber jetzt sind wir, wer wir sind", sagt einmal der Kameltreiber Hadschi Ali. Auch ihn gab es wirklich. 1828 als syrisch-griechischer Christ in Izmir geboren und zum Islam konvertiert, kam er zusammen mit den Kamelen in die Vereinigten Staaten, wo er in Quartzsite, Arizona, beerdigt ist. Auf dem Grabstein ist sein Glaube nicht mehr erkennbar. Aus Hadschi Ali wurde darauf Hi Jolly.

Welche Rolle spielen Namen in der Migration? Obreht, 1985 in Belgrad geboren, heißt eigentlich Bajraktarevic, Sie schreibt jedoch unter dem Namen ihres Großvaters mütterlicherseits, der sie auf dem Sterbebett darum bat, seinen Familiennamen fortzuführen. "Auf dem Balkan sind Ethnien oft in Namen hineinkodiert", sagt sie. "Wenn ich dort ins Restaurant gehe und der Kellner den Namen auf meiner Kreditkarte sieht, zieht er vermutlich alle möglichen Schlüsse darüber, wer ich bin."

Zu Hause sprach Obreht als Kind Serbokroatisch. Mit sieben floh die Familie vor den Jugoslawienkriegen nach Zypern, dann weiter nach Ägypten. In die Vereinigten Staaten kam Obreht mit zwölf. In mancherlei Hinsicht seien ihr Ägypten und seine Erzählkultur näher als Amerika, sagt sie, sogar die Fauna von "Herzland" lernte sie zuerst dort kennen. Ihr Geschichtslehrer organisierte damals eine Exkursion zu den Ruinen von Memphis - auf Kamelen.

Seitenwechsel. Hinein in eine geschlossene Welt. Der zweite Handlungsstrang von "Herzland" spielt an einem einzigen Tag im Örtchen Amargo, im Arizona von 1893, neunzehn Jahre vor der Bundesstaatlichkeit. Die Siedlerin Nora Lark wird geplagt vom schwindenden Wasservorrat, den ihr seit Tagen verschollener Mann längst aufgefrischt haben sollte. Die Lokalzeitung, deren Chefredakteur er ist, kämpft derweil auf verlorenem Posten gegen das Konkurrenzblatt, das von Gnaden des Rinderbarons Merrion Crace agiert. Die ersehnte Eisenbahnanbindung, im amerikanischen Westen des späten neunzehnten Jahrhunderts eine Lebensversicherung, wird deshalb wohl nicht an Amargo gehen, sondern an Craces Ortschaft. "Sie ahnte, dies war die Krux des Lebens: Jeder murkste im grellen Glanz seines Ruins einsam vor sich hin." Zu allem Überfluss besteht Noras quengelnder Jüngster darauf, in der Wildnis ein rotes Ungeheuer gesehen zu haben.

Und dann werden Stimmen laut, deren Inhaber gar nicht existieren. Die Cousine von Noras Mann betätigt sich als Medium, was Nora zunächst als Aberglauben abtut. In stillen Momenten allerdings sucht sie selbst das Gespräch mit ihrer verstorbenen Tochter Evelyn. Deren Tod, stellt sich heraus, umrankt ein Geheimnis, das Nora nicht ganz unschuldig dastehen lässt.

Wie in "Die Tigerfrau", in dem ein "Mann, der nicht sterben kann" vorkommt, weil ihm die Tore in den Tod versperrt sind, ist das Jenseits in "Herzland" selten endgültig. Der Tod im klassischen Western sei oft etwas Mechanistisches, sagt Obreht. Aber müsse es in diesen menschenfeindlichen Gefilden nicht ein Dahinter geben? Die Toten heißen im Roman "die anderen Lebenden". Für Nora wird die Stimme ihrer Tochter zum Ersatzgewissen, Lurie wird vom kleptomanisch-durstigen "Wollen" verstorbener Gefährten heimgesucht. Im Original heißen diese Totenrufe "wants" - also nicht nur "Wollen", sondern auch "Fehlen".

Was fehlt? Wasser. Leben. Eine Gesellschaft. 1890 hatte Arizona weniger als 60 000 Einwohner. Die Geister des Romans treten ungebeten ein in dieses unfertige Soziotop, ohne zu Figuren der Komik oder des Grusels abzuflachen. Sie sind einfach da. Auf den letzten, in zweifachem Sinne begeisternden Seiten wird aus zwei Erzählsträngen einer, und plötzlich erkennt der Leser in der Geschichte nicht nur den Kampf gegen die Natur, sondern das, was die Legende vom Red Ghost wirklich ist: eine Parabel auf die Angst Amerikas vor allem Nichtamerikanischen.

An diesem Ende stehen Lebende neben "anderen Lebenden", Nora, Evelyn, Lurie, das rote Ungeheuer - sogar ein gewisses "neues Haus in Wyoming" taucht dort auf, aus dem Téa Obreht vielleicht gerade nach Deutschland telefoniert. Es ist die Kulmination eines sanften magischen Realismus, der so gut passt in dieses "Herzland", das menschenleer ist und doch traumvoll.

CORNELIUS DIECKMANN

Téa Obreht: "Herzland". Roman.

Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2020. 512 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.04.2020

LITERATUR
Kamele für
die Cowboys
Western kennt man.
Hätte man sie ganz anders erzählen müssen?
Ein Gespräch mit Téa Obreht
VON NICOLAS FREUND
Wer dazugehört oder eben nicht, das hat viel mit den Geschichten zu tun, die wir uns erzählen. In Zeiten, die von Diskussionen über Herkunft und Gruppenzugehörigkeiten aller Art bestimmt werden, ist es besonders erstaunlich, wie schnell, verglichen mit anderen historischen Phasen, das Distinktionsmerkmal der Migration seine Unterscheidungsmacht verliert. Oder eben nicht. Das zeigt sich besonders an der Entwicklung des Genres Western, dieser amerikanischen Abenteuererzählung von Freiheit und Selbstverwirklichung. Die 1985 in Belgrad geborene amerikanische Autorin Téa Obreht hat es zum Beispiel gerade neu interpretiert, in ihrem Roman „Herzland“.
Die ersten Pioniere, die den nordamerikanischen Kontinent erschlossen und besiedelten, waren Migranten, die, wie Einwanderer heute noch, in die neue Welt kamen, um dort ein neues Leben zu beginnen. Die bis in die Gegenwart wirkende Vorstellung vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten stammt auch aus dieser Zeit, als die Weite des für die Siedler unberührten Landes versprach, für jeden alles nur Erdenkliche bereitzuhalten. Im verklärenden Rückblick historischer Erzählungen bleiben von den Möglichkeiten häufig vor allem die Viehzucht und die Suche nach Gold übrig und weiße Männer zu Pferd, die das vermeintlich so wilde Land zähmen. Tatsächlich waren es schon immer viele Randgruppen der Gesellschaft, Mexikaner, Indianer und freigelassene schwarze Sklaven, die das Leben führten, das man im Kino des 20. Jahrhunderts glorifizierte.
„Die Geschichte der Besiedlung Amerikas war wesentlich komplexer als der Mythos. Ich wollte einen Western schreiben, der nicht voll von den Leuten ist, die ich in Western immer schon gesehen hatte“, sagt Teá Obreht. Eigentlich hätte sie ihren neuen Roman auch in Deutschland vorstellen sollen. Aber mit der ganzen Lesereise musste auch unser Treffen in München in der Corona-Pandemie abgesagt werden. Jetzt spricht die Autorin eben via Skype über ihr Buch, meldet sich tatsächlich aus dem Herzen des amerikanischen Kontinents, Wyoming, wohin sie mit Mann und Hund vor dem Virus und der Enge New Yorks geflohen ist. Sie redet schnell und mit solchem Enthusiasmus, dass sie fast außer Atem gerät.
Obreht kam mit zwölf Jahren in die USA. Heute staunt sie, wie zu Hause sie sich dort fühlt, obwohl sie zu dem Ort zuerst keine Beziehung hatte: „Ich glaube, das gehört zu den emotionalen Gründen dafür, dass der Mythos des amerikanischen Westens so mächtig ist. Auch die Pioniere erlebten das so, aber es ist natürlich eine Illusion, und aus diesem Gefühl entwickelten sich alle möglichen gefährlichen sozialen Dynamiken während der Zeit der Besiedlung.“
Es ist davon auszugehen, dass sich die in den USA so wichtige Identitätspolitik auch heute noch daraus speist. Zumal sich, findet Téa Obreht, die psychologischen Effekte von Migration über die Jahrhunderte gar nicht so sehr unterschieden: „Ein Land, eine Sprache, eine Familie zurückzulassen bedeutete – vor allem im 19. Jahrhundert – sie wahrscheinlich nie wiederzusehen. Diese emotionale Einsamkeit hat sich bis heute nicht geändert und wird auch nicht verschwinden, weil sich die Umstände der Migration verändern.“ Auch wer wo und wie eine neue Heimat finden darf, ist noch heute nicht gleich verteilt. Für manche ist das Leben als Migrant länger und härter als für andere, besonders im Western.
Zwei Erzählstränge hat Obreht in „Herzland“ miteinander verstrickt, der eine, kann man sagen, bewegt sich durch den Raum, der andere eher durch die Zeit, und sie treffen irgendwann aufeinander, ganz anders als erwartet. Beide handeln von Menschen, die in den Erzählungen der Frontier sonst kaum eine Rolle spielen.
Von der Ostküste aus macht sich Lurie, Waise und Kind osmanischer Einwanderer, mit seinem Kamel auf den Weg ins Herz des Kontinents. Nach einer kriminellen Blitzkarriere, die in ihrer Brutalität und Willkür an Cormac McCarthys blutigen Antiwestern „Die Abendröte im Westen“ erinnert, muss er sich vor der Justiz verstecken und schließt sich einem Trek der amerikanischen Armee an.
Obreht stellt damit eine faszinierende Fußnote der amerikanischen Frontier-Geschichte ins Zentrum ihres Romans: Tatsächlich gab es vor dem Bürgerkrieg für kurze Zeit ein United States Camel Corps, einen Verband der Armee, der Kamele, obwohl man auf ihnen auch reiten kann, vor allem als Lasttiere einsetzte. Man stelle sich vor, das Kamel hätte sich damals gegen das Pferd durchgesetzt. Ob dann die Filmkarrieren von Clint Eastwood und John Wayne so ohne Weiteres möglich gewesen wären? Hätte das Kamel den Mythos vom männlichen, weißen Cowboy verhindern können?
Dass nicht nur weiße, kernige Männer die Frontier voranbrachten, erzählt auch der zweite Handlungsstrang, in dem eine Familie in Arizona dem trockenen, abgelegenen Land die versprochenen unbegrenzten Möglichkeiten abtrotzen muss. Es gibt Streit mit den Nachbarn, der vor allem über die Lokalzeitungen ausgetragen wird. Auch das eine schöne Nebengeschichte des Westens: All die Zeitungen, von denen in den letzten Jahren viele verschwunden sind, und die im 19. Jahrhundert in jedem noch so kleinen Örtchen gegründet wurden, waren jahrzehntelang das diskursive Rückgrat der amerikanischen Gesellschaft.
Auch in der entlegenen Kleinstadt ist der Tod keine Seltenheit, manchmal stirbt jemand schon, weil es einfach zu heiß ist. Das Leben ist hart, nicht nur für Cowboys. Die Kinder erzählen, sie hätten bei der Scheune ein Monster beobachtet. Manche Monstergeschichte aus dem amerikanischen Hinterland hält sich bis heute besser als die Erinnerung an die Kamele, die eine kurze Zeit die Chance hatten, den Pferden davonzuziehen. Komisch und traurig zugleich, als hätte es gar nicht anders kommen können, zeigt der Roman in diesen beiden Erzählungen, wie Mythen und Legenden entstehen und jahrhundertelang wirken oder sofort wieder vergessen werden.
Ein weiterer Mythos, mit dem Obreht aufräumen möchte, ist der des unberührten Landes: „Amerika ist zu Recht stolz auf seine wilden Landschaften. Sie sind etwas Schönes, das man zu bewahren geschafft hat. Die Namen und die kulturelle Bedeutung des Landes wurden aber über Tausende Jahre durch amerikanische Ureinwohner geprägt. Die Landschaft selbst, auch wenn sie unberührt erscheint, von Bränden und Erosion geprägt. Die Geschichten von der Wildnis des Westens blenden das aus.“
Obreht erzählt in „Herzland“ in einem chronikartigen Ton, der manchmal an Gabriel García Márquez’ „Hundert Jahre Einsamkeit“ erinnert, obwohl der Magische Realismus, der Obreht oft unterstellt wird, bei ihr keine große Rolle spielt. In den Vergleichen mit McCarthy und Márquez erkennt sie sich trotzdem wieder: „Beide schreiben keine atheistischen Geschichten. Sie setzen sich immer mit der Gebrechlichkeit des Menschlichen auseinander und mit der Möglichkeit des Übernatürlichen. Das spricht mich sehr an.“
Und dann stehen da immer wieder Sätze wie: „Zwei Tage oder tausend Jahre später begruben sie Evelyn auf dem Hügel hinterm Haus.“ Da wird ausgestellt, wie sehr das Erzählen die erzählte Welt strukturiert, wenn auch nach historischen Maßgaben. Diese Welt entsteht aber immer aus Gesprächen und Zwischenmenschlichem und der Roman tut auch nicht, wie die meisten Mythen, so, als habe er eine Geschichte vorgefunden. Es ist zu spüren, dass hier etwas erschaffen wird, ein Gegenentwurf zu den genauso erfundenen, wirkmächtigeren Erzählungen, die darüber entscheiden, wer zu Amerika gehört und wer nicht.
Auch im Leben mit dem Virus und mit Einschränkungen des öffentlichen Lebens wirken sich diese alten Geschichten und alten Unterschiede noch einmal neu aus. Téa Obreht nutzt das vorübergehende Exil im amerikanischen Herzland zum Schreiben an ihrem dritten Roman, einer dystopischen Robinsonade. Man hofft, dass sie diesmal die Geschichte nicht neu schreiben muss.
Téa Obreht: Herzland. Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Rowohlt, Berlin 2020. 512 Seiten, 24 Euro.
Fußnoten und Nebengeschichten
des alten Wildwest-Mythos stehen
im Zentrum von Obrehts Roman
Die Welt der Erzählung entsteht
immer aus den Dialogen, nichts
erscheint nur vorgefunden
Mit ihrem Debütroman „Die Tigerfrau“ gelang Téa Obreht 2011 der Durchbruch als Schriftstellerin.
Foto: Ilan Harel
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