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Tom Wolfes Meisterwerk zur Finanzkrise jetzt als Neuausgabe
Amerika in Zeiten der Krise: Der erfolgsverwöhnte Tycoon und Immobilienmakler Charlie Croker hat sich verspekuliert. Statt auf dem Höhepunkt seines Lebens steht er plötzlich vor dem Aus. Und auch der elegante Anwalt Roger Too White kämpft ums Überleben. Ähnlich wie in "Fegefeuer der Eitelkeiten" liefert Tom Wolfe ein gnadenloses Panorama des American Way of Life.

Produktbeschreibung
Tom Wolfes Meisterwerk zur Finanzkrise jetzt als Neuausgabe

Amerika in Zeiten der Krise: Der erfolgsverwöhnte Tycoon und Immobilienmakler Charlie Croker hat sich verspekuliert. Statt auf dem Höhepunkt seines Lebens steht er plötzlich vor dem Aus. Und auch der elegante Anwalt Roger Too White kämpft ums Überleben. Ähnlich wie in "Fegefeuer der Eitelkeiten" liefert Tom Wolfe ein gnadenloses Panorama des American Way of Life.
Autorenporträt
Tom Wolfe, 1930 in Richmond, Virginia, geboren, arbeitete nach seiner Promotion in Amerikanistik als Reporter u.a. für The Washington Post, Esquire und Harper's. In den 1960er-Jahren gehörte er mit Truman Capote, Norman Mailer und Gay Talese zu den Gründern des "New Journalism". Der vielfach preisgekrönte Schriftsteller (National Book Award u.a.) war mit Büchern wie The Electric Kool-Aid Acid Test (1968) international längst als Sachbuchautor berühmt, ehe er mit Fegefeuer der Eitelkeiten (1987) seinen ersten Roman vorlegte, der auf Anhieb zum Weltbestseller und von Brian de Palma mit Tom Hanks verfilmt wurde. Es folgten mit Hooking Up eine Sammlung von Essays und Erzählprosa (Blessing 2001) und weitere erfolgreiche Romane, darunter Ich bin Charlotte Simmons (Blessing 2005) und der SPIEGEL-Bestseller Back to Blood (Blessing 2013). Zuletzt erschien Das Königreich der Sprache (Blessing 2017). Tom Wolfe verstarb im Mai 2018 in New York.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999

Klatschmäuler, vom Winde gebläht
Eine ananasblonde Angelegenheit: Tom Wolfes neuer Roman "Ein ganzer Kerl" / Von Karl Markus Michel

Beginnen wir - denn irgendwo muss man ja ansetzen bei diesem Wälzer, der mit seinen 920 Seiten jenem anderen Atlanta-Roman nacheifert, dessen Südstaaten-Legende von ritterlichen Männern, heißblütigen Frauen und glücklichen Sklaven er höhnisch in einer Plantage simuliert, die, obwohl so groß wie ganz Südhessen, allein der Wachteljagd einiger Erlesener dient und Charlie Croker, den "ganzen Kerl" des Titels, jährlich Millionen kostet (und diese Millionen fehlen jetzt dem charmant-grobschlächtigen Immobilienlöwen, dem die Skyline Atlantas so manchen Tower verdankt, der sich aber im Boom der späten neunziger Jahre verspekuliert hat und allein bei der PlannersBank mit einer halben Milliarde in der Kreide, also kurz vor dem Ruin steht, was Serena, seine Zweitfrau, nicht wissen darf) -, beginnen wir also mit den Frauen der guten (weißen) Gesellschaft von Atlanta, diesen "Jungs mit Brüsten" und, als wichtigstem Kennzeichen, mit "langem, absichtsvoll wirrem Haar", das aussieht, "als wäre gerade ein Hurrikan hindurchgefegt"; und wenn diese Brustknaben beim täglichen Training die Köpfe herumschleudern, fliegt der Schweiß aus ihren Mähnen.

Natürlich hat auch Serena, eine wahre Trophäenfrau, föhngeblähte Haare (eine "dichte, ein wenig wilde schwarze Mähne"), sie trägt sie bald offen, bald zur Korona getürmt, während die betagteren Ladys, zum Beispiel Martha, Crokers erste Frau, die durch die Scheidung reich und einsam (und etwas füllig) geworden ist, sich statt mit solchen Windstoßmähnen lieber mit kunstvoll frisierten Haarhelmen wappnen, etwa einem "Palm-Beach-Sturzhelm", teuer gefärbt, zur Zeit (der Roman spielt tatsächlich heute: die Olympiade in Atlanta, anno 1996, liegt weit zurück, und an die Rassenunruhen nach der Ermordung des berühmtesten Sohnes der Stadt, Martin Luther King, erinnert sich kaum noch jemand, es herrscht ja der "Atlanta way" unter Bürgermeister Wes Jordan, der natürlich schwarz ist, aber nicht so schwarz wie sein Rivale, weshalb er sich alle Mühe gibt, die anderen Schwarzen, es sind siebzig Prozent der Einwohner, politisch korrekt "Afroamerikaner" zu nennen), kurz: heute ist ananasblond angesagt. Aber was vermag schon ein ananasblonder Haarhelm neben diesem "kunstvoll ungezähmten blonden Haar" oder jenem "langen, welligen schwarzen Haar mit seinem wunderbaren kastanienbraunen Glanz" oder gar einer "unerhörten Mähne roter Hurrikanhaare" - Mähnen überall, die jeden Mann, ob er selber noch Haare hat oder nicht, "in wahren Lusttaifunen davontragen" können.

Wenn bei einer Frau, die hier in Erscheinung tritt, die Haare nicht erwähnt werden, kann der Leser sicher sein: sie hat keinerlei Bedeutung für Atlanta, für diesen Roman. Wenn aber einmal nur die Haare in Erscheinung treten, und sei es auch ganz flüchtig und fern, so wie bei Elizabeth ("eine prachtvolle hellbraune Mähne"), dann gilt es aufzumerken. Die achtzehnjährige Elizabeth, das sei gleich gesagt, ist der wahre Mittelpunkt der Handlung, alles dreht sich letztlich um sie, aber so, wie sich in Umberto Ecos Roman "Der Name der Rose" alles um die abwesende Rosa dreht. Nur als Gerücht tritt Elizabeth auf. Bis zum Ende müssen wir rätseln, was die "Fummelei" dieser sehr weißen höheren Tochter mit dem sehr schwarzen Footballstar Fareek Fanon ("die Kanone") am Rande einer Rapper-Party wirklich war: eine Vergewaltigung durch den kahl geschorenen Flegel oder eine Anmache durch die haarige Mieze. Jedenfalls gerät durch dieses Was-wohl das ganze sportgeile Atlanta entlang seiner "rassischen Verwerfungslinie" ganz schön ins Beben und Klatschen.

Es versteht sich, dass Atlantas "tolle Miezen" nicht nur "meterlange" Haare, sondern auch "sehr viele Zähne" haben (wie viel genau, erfahren wir nicht). Und andere körperliche Merkmale, deren erbarmungslose Erzeugung durch den Gesundheitskonzern "Definition Amerika" genau beschrieben wird. Und dann die Kleider, die Schuhe, der Schmuck! Und die Automarken, die Armaturen und Polster! Und die Häuser in Buckhead: palastartige Villen unter blühenden Hartriegel- und Magnolienbäumen, auf saftige Rasenbusen gebettet. Und drinnen: die Hölzer der Täfelungen, die Muster der Teppiche, die Möbel und Draperien und Gedecke - das alles will gerühmt sein, einschließlich der Designer und der Preise. Wenn des Autors Detailbesessenheit sich nicht in pedantischen Aufzählungen erschöpft, sondern zur Beschreibungslust erblüht, entstehen kürzere oder längere Reportagen, die an Wolfes frühe satirische Glanzstücke in "The Kandy-Kolored Tangerine-Flake Steamline Baby" und "Radical Chic" heranreichen, auch wenn sie sich - diesmal noch mehr als vor elf Jahren im ersten Roman, "Fegefeuer der Eitelkeiten" - um Ernsthaftigkeit bemühen. Sie sind die Kernstücke des Romans, die durch die dünnen Fäden der Handlung nur lose zusammengehalten werden. "Andere Schriftsteller", sagte Wolfe bei einer Lesung aus seinem neuen Roman, "benötigen eine Handlung oder ein paar Hauptpersonen, ich brauche lediglich einen Ort, an dem meine Handlung spielt." Noch treffender wäre: "einige Orte", Orte im Sinn des klassischen "locus amoenus" und "locus terribilis". Als Ort des Schreckens übertrifft alle anderen das Gefängnis Santa Rita in Oakland, das vier Kapiteln als Schauplatz dient. Es ist bekannt, dass Tom Wolfe wie kaum einer seiner Kollegen - aber so wie vor hundert Jahren Zola - die Milieus, die er beschreibt, gründlich erforscht hat. Diesmal verbrachte er beispielsweise etliche Tage in einem Kühlhaus, um Conrad Hensley, den Nebenhelden des Romans, in einem solchen schuften lassen zu können, bevor er durch eine Verkettung so genannter widriger Umstände im Knast landet. Aber war Wolfe selber denn im Knast? Wenn nicht: wie konnte er die entsprechenden Szenen schreiben? Oder bezeugen sie mit ihrer grausigen Eindringlichkeit, die an Dickens erinnert, dass die Einbildungskraft doch die besseren Recherchen liefert? Wie immer dem sei: weder das Kühlhaus noch das Gefängnis trägt zur Handlung des Romans etwas bei - sofern man nicht bereit ist, die Karriere Conrads als tiefsinniges Pendant zur Karriere Charlies zu deuten, weil in beiden Fällen einer fertig gemacht wird, das eine Mal auf der unteren, das andere Mal auf der oberen Ebene. Doch diese Parallelisierung verliert sich im Laufe des Romangeschehens. Was bleibt, ist der Gegensatz von Kraftnatur und Lichtgestalt - Conrad, Wolfes einzige durch und durch positive Figur, ist ihm offensichtlich missraten; sie wirkt wie vom Computer errechnet. Moralische Fragen liegen diesem Autor fern.

Auch der Gegensatz von oben und unten darf nicht - im alteuropäischen Sinn - moralisch verstanden werden, so als gediehe im Elend die Tugend, im Wohlleben die Hoffart. Oben und unten manifestieren sich in Orten; grob gesagt: im schwarzen Südatlanta, im weißen Nordatlanta. Letzteres gipfelt in Buckhead, wo das weiße Establishment wohnt: ein "locus amoenus", wie er im Buche steht. Von hier aus gesehen gibt es nur noch eine Steigerung der Ergötzlichkeit: die Wachtelfarm, auf der Croker seinen Gästen eine heile Welt vorführt, natürlich mit schwarzen Bediensteten, die ihn "Cap'm Charlie" nennen und abends Gospels singen. Von diesem falschen Naturidyll hebt sich eine Szene deutlich ab. In einem speziellen Stall führt Charlie seinen Zuchthengst First Draw (drei Millionen Dollar) einer rassigen Stute zu, und seine Gäste werden erschauernd Zeugen der Begattung. (Mit Dank sei vermerkt, dass dies - wenn man absieht von einer nur akustisch wahrgenommenen homosexuellen Vergewaltigung im Gefängnis - der einzige im Roman beschriebene Geschlechtsakt ist. Aber was für einer! Genug für tausend Seiten.) Auch diese Szene, die jedes sexualkundliche Lesebuch bereichern würde, hat mit der Romanhandlung nichts zu tun.

Das soll nicht heißen, dass der Held und seine Geschicke wenig hergäben für eine spannende Erzählung. Einen Höhepunkt bildet die große "Problemlösungssitzung" in der PlannersBank. Croker soll klein gemacht, zum Verkauf seiner Pretiosen, das heißt der teuren Wagen und Flugzeuge sowie der Wachtelfarm samt allen Hengsten und Stuten, genötigt werden. Er macht Ausflüchte, versucht es mit Charme, mit Grobheit, mit Demut - es ist ein Kampf der Giganten, der an so manche Szene bei Zola erinnert, vor allem in "L'Argent". Doch gerade dieser Vergleich macht deutlich, dass die Handlung und die Helden für Wolfe nicht das Wichtigste sind. Harry, der bissige Problemlöser der Bank, verschwindet nach jener Sitzung ganz aus dem Blickfeld des Erzählers. Auf der Gegenseite übernehmen plötzlich andere die Regie, aber ihre Intrigen durchkreuzen sich mit dem Plan, den der Bürgermeister zum Wohle der Stadt verfolgt: Croker, der einst selbst ein großer Footballstar war, soll auf einer öffentlichen Pressekonferenz für den Flegel Fareek Fanon gutsagen, damit die Klatschmäuler sich endlich schließen und der soziale Frieden gewahrt bleibt; im Gegenzug will Wes Jordan die PlannersBank zurückpfeifen, bis ihr Schuldner wieder zahlungsfähig ist. Das gelingt ihm auch - aber wie? Wir erfahren es nicht. Soll uns das lehren, dass sich die wirklich wichtigen Dinge hinter den Kulissen abspielen?

Egal, der Millionendeal erübrigt sich, weil Croker sich selbst sein Grab gräbt - oder seine Wiedergeburt betreibt. Vor die Entscheidung gestellt, ob er seinen Immobilienbesitz, und zwar den ganzen, darunter tut es die Bank jetzt nicht mehr, an diese abtreten oder das, was er seine Ehre nennt, preisgeben soll, rettet er sich in die Krankheit, wird depressiv, bekommt dann aber ein Buch in die Hand, das aus dem ganzen Kerl einen ganz anderen Kerl macht. Was für ein Buch? Texte der antiken Stoiker. Durch wen? Durch Conrad. Hier endlich, im letzten Zehntel des Romans, verbinden sich die beiden Lebensläufe. Conrad hat den Band durch ein Versehen ins Gefängnis geschickt bekommen, das bald darauf durch ein Erdbeben zerstört wird; er kann aus den Trümmern fliehen, halbnackt, aber mit dem Buch in der Hand (das doch, lieber Autor, nur noch aus losen Blättern besteht!), gelangt nach Atlanta, findet dort bei einem Pflegedienst Arbeit und wird nach Buckhead geschickt, um einem lädierten Tycoon unter die Arme zu greifen, dem er die Lehren Epiktets vorträgt. Und siehe da, Charlie lässt sich bekehren, humpelt mit Conrads Hilfe zur Pressekonferenz, erklärt dort aber, dass er den Footballstar für einen Dreckskerl hält und dass er auf alle seine irdischen Besitztümer verzichtet. Denn Epiktet lehrt . . .

Das alles ist völlig unwahrscheinlich - es sei denn, man liest es als satirische Parabel darüber, was in Amerika alles geschehen muss, damit ein bestimmtes Buch zu einem bestimmten Mann gelangt und ihn bekehrt, so dass er schließlich als Erweckungsprediger durchs Land zieht. Immerhin, nach jener Pressekonferenz mit Crokers lustvollem Verstoß gegen das politisch Korrekte (der anscheinend die Wirkung einer absurden Intervention hatte), gewinnt Wes Jordan die Wahl, der "Atlanta way" kann fortgesetzt werden, die Normalität ist gesichert. Für den Roman ist die Bilanz weniger günstig. Am Schluss geht alles holterdiepolter, diverse Handlungsfäden werden notdürftig miteinander verknüpft, andere werden einfach abgeschnitten. Ende.

Man wünscht manchem literarisch anspruchsvolleren Roman, dass er so gut übersetzt wäre wie dieser. Benjamin Schwarz tut des Guten fast zu viel, weil er auch Tom Wolfes Manier, ständig Buchstaben, Wörter, Sätze zu wiederholen, getreulich nachahmt. So erfahren wir, dass ein Telefon, das klingelt, "Trrrillll Trrrillll Trrrillll" macht, dass eine Zeitung, in der jemand blättert, "viel Geraschelraschelraschel" erzeugt, dass ein Augenblick, der verweilt, "sich zu dehnen, dehnen, dehnen" beginnt. Auch der Roman dehnt sich, weil Wolfe - im Großen wie im Kleinen - uns von allem zu viel beschert, so als riefe der Leser ihm zu: "Mach weiter! Mach weiter!", gleich jenem Insassen von Santa Rita, der, im Fernsehen eine Peepshow verfolgend, neun Mal hintereinander "Mach weiter!" kräht. Aber ein Roman ist keine Peepshow.

Tom Wolfe: "Ein ganzer Kerl". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Benjamin Schwarz. Kindler Verlag, München 1999. 925 S., geb., 59,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Karl Markus Michel hält sich in der FAZ lange damit auf, den Roman zu verreißen: pedantische Aufzählungen von Designermarken, Parallelen, die sich im Laufe der Handlung irgendwie verlieren, unwahrscheinliche Begebenheiten wie die des Sträflings, der nach einem Erdbeben aus den Trümmern seines Gefängnisses flieht, dabei aber ein Buch retten kann, das nur aus losen Seiten besteht. Nein, das Buch taugt nichts, aber die Rezension hat Michel sichtlich Spaß gemacht. Mit Genuß läßt er sich über die von Wolfe hingebungsvoll beschriebenen Haartrachten aus - "heute ist ananasblond angesagt" - die jeden Mann, "ob er selber noch Haare hat oder nicht, in wahren Lusttaifunen davontragen können." Michel wollte sich von dem Roman nicht davontragen lassen, aber ein bißchen muß er sich zum Widerstand zwingen.

© Perlentaucher Medien GmbH
Ein pralles Sittengemälde. Der Spiegel