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Die geb?rtige Ungarin Agota Kristof legt einen Roman vor, der das Thema der Identit?tssuche in einer gef?hlskalten Welt behandelt. Sie erz?hlt die Geschichte einer unm?glichen Liebe. Sandor, der vereinsamte im Exil lebende ungarische Fabrikarbeiter, trifft die Frau, die seinem Leben einen Sinn geben k?nnte: die ehemalige Mitsch?lerin Line. Aber ein dunkles Geheimnis verbindet die beiden, und nur kurz ist die Zeit, in der Sandor so etwas wie Gl?ck erlebt.

Produktbeschreibung
Die geb?rtige Ungarin Agota Kristof legt einen Roman vor, der das Thema der Identit?tssuche in einer gef?hlskalten Welt behandelt. Sie erz?hlt die Geschichte einer unm?glichen Liebe. Sandor, der vereinsamte im Exil lebende ungarische Fabrikarbeiter, trifft die Frau, die seinem Leben einen Sinn geben k?nnte: die ehemalige Mitsch?lerin Line. Aber ein dunkles Geheimnis verbindet die beiden, und nur kurz ist die Zeit, in der Sandor so etwas wie Gl?ck erlebt.
Autorenporträt
Kristof, Agota
Agota Kristof, geboren 1935 in Csikvánd in Ungarn, verließ ihre Heimat während der Revolution 1956 und gelangte über Umwege nach Neuchâtel in die französischsprachige Schweiz. Als Arbeiterin in einer Uhrenfabrik tätig, erlernte sie die ihr bis dahin fremde Sprache und schrieb auf Französisch ihre erfolgreichen Bücher, die in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt wurden. Sie wurde mit zahllosen Preisen geehrt wie 2001 mit dem angesehenen Gottfried-Keller-Preis, dem Österreichischen Staatspreis für Literatur sowie dem Kossuth-Preis in ihrem Geburtsland Ungarn. Agota Kristof starb Ende Juli 2011 nach längerer Krankheit in Neuchâtel.

Enzenberg, Carina von
Carina von Enzenberg, geb. 1964, ist verheiratet, hat zwei Söhne und lebt in München. Seit rund 25 Jahren übersetzt sie - preisgekrönt - Autoren wie Camilo José Cela, Javier Marías, Jean Rouaud, Agota Kristof Mordechai Richler und Christopher Hope ins Deutsche.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.1996

Löcher im roten Ton
Agota Kristofs Aussparungen / Von Christoph Bartmann

Kaum eine Prosaschriftstellerin erzielt mit weniger Wörtern mehr Wirkung als Agota Kristof. Auch in ihrer jüngsten Erzählung "Gestern", die der Verlag "Roman" nennt, wird mehr verschwiegen als mitgeteilt und dennoch eine Welt erzeugt, die durch die Kargheit der Sprache erst vollends den Eindruck der Unentrinnbarkeit hervorruft. Weil die Autorin alles wegläßt, was auf bestimmte Zeitumstände deuten könnte, empfindet man schon Vokabeln wie "Fabrik", "Auto" oder "Sandwich" als Anachronismus.

Dabei läßt sich die Zeit der Handlung fast aufs Jahr genau bestimmen. Der Ich-Erzähler hat, um seine Identität zu wechseln, sich als Kriegswaise ausgegeben; er hat sich als Zwölfjähriger in ein fremdes Land durchgeschlagen, hat mit sechzehn begonnen, in einer Uhrenfabrik zu arbeiten und trifft nach vielen Jahren in der Fremde eine Frau namens Line wieder, mit der er vor fünfzehn Jahren die Schulbank teilte. Demnach spielt die Geschichte in der Mitte der sechziger Jahre, und auch ohne Kenntnis von Agota Kristofs ungarisch-schweizerischem Hintergrund scheint es eindeutig, woher Sandor kommt und wo er nun lebt: irgendwo im Jura, unweit von Agota Kristofs Wohnort Neuchâtel, in einer negativen Idylle, die an Bernhards oder Elfriede Jelineks Österreich erinnert. "Die Uhrenfabrik", berichtet Sandor von der Stätte seines "täglichen Wahnsinns", "ein riesiges Gebäude, beherrscht das Tal . . . Ich stehe um fünf Uhr auf, ich wasche mich, ich rasiere mich, ich mache Kaffee, ich gehe aus dem Haus, ich laufe zum Hauptplatz, ich steige in den Bus, ich schließe die Augen, und der ganze Schrecken meines Daseins springt mir ins Gesicht."

Sandor ist ein Protagonist, wie man ihn aus Agota Kristofs früheren Romanen kennt. Vom Schreiben abgesehen, hält ihn, so scheint es, nichts am Leben, und selbst der Umgang mit den Landsleuten und die Leichtigkeit erotischer Erfolge - "Man sucht sich eine aus und treibt es mit ihr" - vertiefen nur seine Einsamkeit. Die Freundin Yolande jedenfalls, blond und dumm, hat in Sandors innerer Welt keinen Platz. Neben seiner Schreibobsession verfolgt ihn die Idee von Line, der Schulkameradin, in der er die ideale Geliebte zu erkennen glaubt. Eines Tages erscheint Line mitsamt Mann und Kind tatsächlich in seiner Stadt. Es beginnt eine Liebesgeschichte, kurz, unerfüllt und tragisch, an deren Ende Sandors armseliges Leben auch noch seiner Illusionen beraubt ist.

Die Schrecken des Daseins, von denen dieses Buch erzählt, haben mit dem sozialen Elend seiner Figuren zu tun, ohne daß sie darin ihre Ursache hätten. Sowenig es Agota Kristof um Beschreibungen des Alltags von Fabrikarbeitern geht, so wenig hat sie Sozialkritik im Sinn. Statt dessen geschieht hier, wie schon in ihrer Romantrilogie "Der Beweis", "Die dritte Lüge" und "Das große Heft", jederzeit Unerhörtes, für das es keinen anderen Grund gibt als die Einrichtung von Agota Kristofs Welt selbst. Hier beherrschen Inzest und Mord die Szene, Prostitution und Suizid und Wahnsinn, es wird gesoffen und geheult und - in einer der komischsten Szenen des Buches - ohne ersichtlichen Grund gekotzt, bis das Waschbecken verstopft ist.

Doch all diese Handlungen wirken seltsam stilisiert. Es haftet ihnen gar nichts "Authentisches" an, es ist nicht einmal sicher, ob sie überhaupt passiert sind. Denn Sandor ist ein Meister im Verschweigen, im Lügen und im Umschreiben seiner Biographie. Er, der Sohn einer Hure, weiß, daß Line, die Tochter des Schulrektors, seine Schwester ist. Line jedoch wird es nie erfahren. Am Ende resümiert Sandor sein Leben wie folgt: "Ich habe ihr nicht gesagt, daß ich ihr Bruder bin. Ich habe ihr nicht gesagt, daß ich versucht habe, unseren Vater umzubringen. Mein Leben? Es kann in wenigen Worten zusammengefaßt werden: Line ist gekommen und wieder gegangen."

Ob es Line je gegeben hat, oder ob sie nur gekommen und gegangen ist wie ein psychotischer Schub, bleibt offen. Es gibt keine Gewißheit über diese Figur, über die Figuren überhaupt. "Die Dinge", heißt es in einer der eingestreuten Traumsequenzen, "die Dinge leben in mir und nicht in der Zeit." Oder: "Gestern, heute - was besagen solche Worte? Es gibt nur die Gegenwart."

Es wäre fatal, wenn solche Sätze die Lizenz zur unbegrenzten poetischen Willkür erteilten. Zum Glück hält Agota Kristofs Erzählung insgesamt die Balance zwischen einer träumerischen Liquidierung der Tatsachen und einem resoluten, an den Dingen haftenden Erzählen. Ihre Figuren registrieren keinerlei Regung an sich selbst. Sie reden nicht über ihr Unglück, sie drücken es aus, indem sie weinen oder sich übergeben.

Deshalb wirken die Handlungen manchmal so, als gäbe es keine innere Beziehung zwischen ihnen und den Figuren, die sie verüben. Die Blut- und anderen Taten dieses Buches lassen sich nur als Elemente innerhalb eines formalen Bezugsrahmens begreifen. Das Schreckliche wird bei Agota Kristof zum künstlerischen Ereignis, nicht weil sie es ausmalt, sondern weil sie es mit ihrer aussparenden Methode neu erschafft, deren symbolische Form das Loch ist. Fast als Metapher dieser Verfahrensweise läßt Agota Kristof einmal Sandor von einem Kindheitserlebnis sprechen. "Aus rotem Ton", erinnert sich die Hauptfigur, "bildete ich den Körper meiner Mutter nach und drückte meine Kinderfinger hinein, um Löcher zu bohren. Mund, Nase, Augen, Ohren, Geschlecht, Anus, Nabel. Meine Mutter war voller Löcher, wie unser Haus, meine Kleidung, meine Schuhe."

Agota Kristof: "Gestern". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Carina von Enzenberg und Hartmut Zahn. Piper Verlag, München 1996. 134 Seiten, geb., 34,- DM.

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