16,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in 1-2 Wochen
payback
0 °P sammeln
  • Broschiertes Buch

»Keiner Nation gelingt es, sich selbst anzuklagen«
1919 bis 1921 standen führende türkische Politiker vor dem Kriegsgericht in Istanbul. Die Anklage lautete auf Beteiligung am Völkermord an den Armeniern. Zustande kamen die Prozesse durch den Druck der alliierten Mächte, die damit einen ersten Schritt unternahmen, Menschenrechtsprinzipien mittels einer internationalen Strafgerichtsbarkeit durchzusetzen.
Der türkische Wissenschaftler Taner Akçam stellt diese kaum bekannten Prozesse in den Kontext des Untergangs des Osmanischen Reiches und der Erfolge der jungtürkischen Bewegung bei ihrem
…mehr

Produktbeschreibung
»Keiner Nation gelingt es, sich selbst anzuklagen«

1919 bis 1921 standen führende türkische Politiker vor dem Kriegsgericht in Istanbul. Die Anklage lautete auf Beteiligung am Völkermord an den Armeniern. Zustande kamen die Prozesse durch den Druck der alliierten Mächte, die damit einen ersten Schritt unternahmen, Menschenrechtsprinzipien mittels einer internationalen Strafgerichtsbarkeit durchzusetzen.

Der türkische Wissenschaftler Taner Akçam stellt diese kaum bekannten Prozesse in den Kontext des Untergangs des Osmanischen Reiches und der Erfolge der jungtürkischen Bewegung bei ihrem Bestreben, einen homogenen türkischen Nationalstaat zu gründen. Aber er analysiert zugleich auch die spezifischen historischen und politisch-ideologischen Hintergründe, die zum Genozid an den Armeniern führten.

Der Band enthält erstmalig in deutscher Sprache eine kommentierte Auswahl aus den Verhandlungsprotokollen und Urteilsbegründungen der Istanbuler Prozesse. Sie vermitteln neue Erkenntnisse über die Planung und Durchführung des Völkermords und zeigen die Mechanismen eines von Hass und Brutalität geprägten Massakers auf.
Autorenporträt
Taner Akçam, Prof. Dr. phil., Soziologe und Historiker, ist Inhaber des Lehrstuhls für die Geschichte des armenischen Genozids an der Clark University in Massachusetts, USA.Taner Akçam war einer der ersten türkischen Wissenschaftler, die den Genozid an den Armeniern öffentlich thematisierten.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.04.2005

Politik mit einem Massenmord
Die Schwierigkeit, den Genozid an den Armeniern vor 90 Jahren - den die Türkei bis heute leugnet - angemessen darzustellen
Die Türkei will in die EU, doch die Mehrheit der Bürger Europas halten die EU wie Altkanzler Helmut Kohl oder der Historiker Hans-Ulrich Wehler für einen christlichen Club. Andere hegen wirtschaftliche Bedenken gegen einen EU-Beitritt, ungeachtet dessen, dass das gesamte Wirtschaftsleben eines EU-Landes wie der Slowakei„leicht im Eminönü-Viertel von Istanbul Platz hätte” (so der Historiker Norman Stone). Schließlich gibt es eine Reihe politischer Bedenken, die vor allem die Garantie von Grund- und Menschenrechten betreffen. Zu dieser Art Gründen gehört auch der Massenmord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg. Nicht dass er stattgefunden hat, wird den Türken dabei zur Last gelegt - denn ein staatlicher Massenmord kann aus nahe liegenden Gründen keineswegs ein Ausschlusskriterium für „Europa” sein; das Problem ist vielmehr, dass die Türkei einen Genozid an den Armeniern bis heute leugnet. Seit Jahrzehnten tobt deshalb ein Kampf der Historiker, vornehmlich armenischer und türkischer, um die Frage, ob der Mord an den Armeniern eine bewusst geplante Vernichtungsaktion war.
Apodiktischer Ton
In der armenischen Version heißt es, dass die Armenier unschuldige Opfer eines unprovozierten Genozids des jungtürkischen Regimes waren. In der türkischen Version wird behauptet, dass die Massendeportationen eine notwendige Antwort auf einen armenischen, von Russen und Briten unterstützten Aufstand gewesen seien. Die hohe Zahl der Toten erklärt sie mit Hunger, Krankheiten infolge dieser Deportationen und bürgerkriegsähnlichen Handlungen. Da in diesem international ausgetragenen Wettstreit die Differenzierung oft auf der Strecke bleibt, empfiehlt es sich in jedem Fall, neben den historiografischen Texten deren eigene Kontexte zu berücksichtigen. Das gilt auch für drei Bücher zum 90. Jahrestag des Beginns der Massaker an den Armeniern.
Die Hamburger Edition hat das zehn Jahre alte Buch „Armenien und der Völkermord” von Taner Akçam wiederaufgelegt. Es war seinerzeit eines der wenigen historischen Bücher in deutscher Sprache, die sich mit dem Massaker beschäftigten. Das besondere Interesse galt der strafrechtlichen Ahndung eines staatlichen Verbrechens. Neben einem kurzen historischen Abriss dokumentiert Akçam vor allem eine Reihe von Prozessen gegen führende türkische Politiker vor dem Kriegsgericht in Istanbul in den Jahren 1919 bis 1921. Das Buch ist ein wissenschaftlich unterfüttertes Plädoyer für einen internationalen Gerichtshof - der inzwischen längst besteht. Dass Akçams Werk nun unverändert - das heißt ohne auf die Veränderungen in der internationalen Politik wie auf jüngere Forschungen hinsichtlich des Massenmordes an den Armeniern einzugehen - einfach in zwei neue Buchdeckel gebunden wird, ist enttäuschend.
„Porträt einer Hoffnung: Die Armenier”, herausgegeben von Huberta von Voss, ist dagegen nicht der Aufklärung des Genozids gewidmet. Dieser wird zu Anfang von den Autoritäten Yehuda Bauer und Vahakn N. Dadrian „festgestellt”. Der Sammelband möchte stattdessen anhand von Lebenswegen und Erinnerungsorten der leidvollen Geschichte der Armenier, aber auch ihrem Behauptungswillen und glänzenden Beitrag zur menschlichen Zivilisation nachgehen. Hier ist infolgedessen viel von Würde und Identität die Rede. Das Buch versucht, Sympathie für die Armenier zu wecken - als wäre die Anerkennung des Völkermordes an den Nachweis kultureller Leistungen gebunden. Die Idee, anhand ausgewählter gewöhnlicher wie ungewöhnlicher Lebenswege kollektive armenische Erfahrungen des 20. Jahrhunderts einzufangen, ist gleichwohl eine originelle.
Ein gewisses Überengagement zeichnet „Operation Nemesis” des Filmemachers und Journalisten Rolf Hosfeld aus. Ausgehend vom Mord am ehemaligen Großwesir Talaat Pascha am 15. März 1921 in Berlin durch den armenischen Aktivisten Tehlirjan erzählt Hosfeld einen spannenden Politkrimi, der die wiederholten Massaker an den Armeniern mit dem schließlich daran anknüpfenden Völkermord während des Krieges zum Gegenstand hat. Notgedrungen fehlt dem Autor bei seinen kriminalistisch inspirierten Rückblenden zu Tatorten und Tätern die Nüchternheit. Er sucht beständig nach kräftigen Worten für das Ungeheuerliche. Hosfeld schreibt offensichtlich vor der Folie des Nationalsozialismus: Das, was die Jungtürken bewegt, ist die Suche nach „Lebensraum”, nach „Eigentlichkeit”. Sie wollen eine „Herrenrasse” sein. Sie betreiben eine „Heim-ins-Reich”-Politik und veranstalten eine „Kristallnacht”. Kurzum: Sie führen einen „Weltanschauungskrieg”. Nur Gaskammern konnte Hosfeld im Osmanischen Reich nicht finden.
Für alle drei Bücher ist klar: Der Mord an den Armeniern war der erste Genozid, für Hosfeld gar der ursprüngliche Holocaust! Dagegen ist einzuwenden, dass der Begriff der Weltanschauung im Sinne einer Welterklärung doch eher dem Arsenal des Antisemitismus zuzurechnen ist. Die Aussage „Die Armenier beherrschen die Welt!” hätte noch nicht einmal für jungtürkische Fanatiker Plausibilität beansprucht, obwohl deren Wahrnehmung der Armenier paranoide Züge gehabt haben mag. Aber auch hier ist zu berücksichtigen, dass armenische Milizen tatsächlich mit den Russen gegen die Türken gekämpft haben. Das Phantasma einer jüdischen Weltverschwörung hat dagegen, wie kaum erläutert werden muss, überhaupt keine reale Grundlage.
Darüber hinaus irritieren die Bücher durch ihren apodiktischen Ton. Argumente gegen die These vom zentral gesteuerten, intentionalen Genozid sind nicht zugelassen und werden nicht diskutiert. Der Pappkamerad, auf den es einzuschlagen gilt, ist die türkische Leugnung, dass es überhaupt Massaker im großen Umfang gegeben hat. Dass der türkische Staat ungeachtet aller belastenden Dokumente noch immer im Bunker verbleibt und gar den Gebrauch des Wortes „Völkermord” bis vor kurzem unter Strafe gestellt hat, nährt offensichtlich das Bedürfnis nach steilen Gegenthesen. Doch die Anerkennung des horrenden Leidens und des mörderischen Verbrechens an mehreren hunderttausend Armeniern ist auf Simplifizierungen und Übertreibungen nicht angewiesen.
Unglückliche Überschneidung
Die alte zentrale Frage - Völkermord ja oder nein? - ist mittlerweile für das Gros westlicher Historiker in Richtung der armenischen Version entschieden. Unglücklicherweise überschneidet sich der Jahrestag des Mordes an den Armeniern mit den Diskussionen um den EU-Beitritt der Türkei. Die türkische Anerkennung des Massenmordes ist zwar überfällig. Mit der armenischen Frage wird aber leider auch so manch anderes politische Süppchen gekocht - sei es die Rückprojizierung der antisemitischen NS-Vernichtungspolitik auf den Massenmord an den Armeniern oder das Unbehagen einer Zugehörigkeit der Türken zu Europa. Anlässlich des 90. Jahrestages des Beginns der Vertreibungen und Massaker am 24. April hat die CDU/CSU-Fraktion beantragt, dass die Bundesregierung auf die Türkei einwirkt, sich mit der Geschichte „vorbehaltlos auseinander zu setzen”.
JÖRG SPÄTER
TANER AKÇAM: Armenien und der Völkermord. Die Istanbuler Prozesse und die türkische Nationalbewegung. Hamburger Edition 2004 (Neuausgabe). 430 S., 16 Euro.
HUBERTA VON VOSS (Hrsg.): Porträt einer Hoffnung: Die Armenier. Lebensbilder aus aller Welt, mit einem Geleitwort von Yehuda Bauer. Verlag Hans Schiler, Berlin 2004. 415 S., 28 Euro.
ROLF HOSFELD: Operation Nemesis. Die Türkei, Deutschland und der Völkermord an den Armeniern. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005. 351 S., 19.90 Euro.
Viele Armenier wurden auf Todesmärsche durch die syrische Wüste geschickt. Sirpuhi Papasian - hier auf einem Foto von 1987 mit einem Bild ihrer ermordeten Verwandten - gab sich als muslimische Bäuerin aus und überlebte.
Kunz/Bilderberg
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Noch heute leugnet die Türkei weitgehend den Genozid an 800.000 Armeniern zwischen 1915 und 1917, der von der jungtürkischen Regierung des osmanischen Reiches ausging. Dankenswert findet Rezensent Eberhard Seidel im Blick darauf die Neuauflage von Taner Akcams "Standardwerk" zu diesem Thema, das die türkische Haltung zum Völkermord anhand türkischer Quellen analysiert. Akcam räumt dabei den Protokollen der Kriegsgerichtsprozesse, die in Istanbul zwischen 1919 und 1921 gegen die Verantwortlichen des Genozids stattgefunden haben, einen besonderen Stellenwert ein, notiert der Rezensent. Für den Autoren sind sie "fehlgeschlagene Vorläufer der Nürnberger Prozesse". Akcams Buch versteht Seidel auch als einen Aufruf an die armenische und vor allem an die türkische Seite, "endlich die Dokumente zur Kenntnis zu nehmen." Akcams eigener Ansatz, der in der Türkei seit Jahren zustimmend debattiert werde, sei dabei ein "hoffnungsvoller Beginn."

© Perlentaucher Medien GmbH