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New York am Ende des 20. Jahrhunderts
In der episkopalischen Kirche im East Village ist das große Messingkreuz gestohlen worden. Thomas Pemberton, der von tiefen Glaubenszweifeln gequälte Pfarrer, erfährt bald darauf, dass das Kreuz auf dem Dach einer Synagoge an der Upper West Side entdeckt wurde. Ob nun frevlerisch oder symbolhaft, dieser Vorfall führt Thomas mit den Rabbinern Joshua und Sarah Gruen zusammen. Sie diskutieren über die Frage, welchen Wert die Religion noch in einem Jahrhundert haben kann, das so barbarisch war wie das zwanzigste. Es entwickelt sich eine Freundschaft, aus…mehr

Produktbeschreibung
New York am Ende des 20. Jahrhunderts

In der episkopalischen Kirche im East Village ist das große Messingkreuz gestohlen worden. Thomas Pemberton, der von tiefen Glaubenszweifeln gequälte Pfarrer, erfährt bald darauf, dass das Kreuz auf dem Dach einer Synagoge an der Upper West Side entdeckt wurde. Ob nun frevlerisch oder symbolhaft, dieser Vorfall führt Thomas mit den Rabbinern Joshua und Sarah Gruen zusammen. Sie diskutieren über die Frage, welchen Wert die Religion noch in einem Jahrhundert haben kann, das so barbarisch war wie das zwanzigste. Es entwickelt sich eine Freundschaft, aus der nach Joshuas Tod Liebe zwischen Sarah und Pemberton wird. Ein Schriftsteller verfolgt ihre Geschichte, weil er darüber schreiben möchte. Auf diese Weise entsteht ein Roman im Roman, der eingebettet ist in ein Mosaik aus Figuren, die, wie etwa Wittgenstein oder Einstein, das 20. Jahrhundert geprägt haben, und aus Lebensgeschichten wie der von Sarah Gruens Vater, der in Litauen den Holocaust überlebt hat.

In großen erzählerischen Bögen, in Reflexionen und prallen New Yorker Szenen, Jazzstandards und Liedern entwirft E. L. Doctorow das Panorama einer Stadt und eines Zeitalters, wird der Leser hineingezogen in ein tollkühnes, faszinierendes Romanabenteuer.
Autorenporträt
Doctorow, E.L.E.L. Doctorow wurde am 6. Januar 1931 in New York City geboren und wuchs in der New Yorker Bronx auf. Seine Romane »Ragtime«, »Billy Bathgate« oder »Der Marsch« und »Homer & Langley« sind aus dem Kanon der amerikanischen Literatur nicht wegzudenken. Er erhielt für seine Bücher nahezu alle wichtigen Literaturpreise, darunter den PEN/Saul Bellow Award für sein Lebenswerk.

Praesent, AngelaAngela Praesent, geboren 1945, gestorben 2009, war Verlagslektorin, Übersetzerin und Schriftstellerin. Neben E.L. Doctorow brachte sie u.a. Harold Brodkey und John Updike ins Deutsche. Für ihre Übersetzungen erhielt sie den Heinrich Maria Ledig-RowohltÜbersetzerpreis und den Paul-Celan-Preis.
Rezensionen
»Ein großartiger Spiegel unseres Lebens und unserer Zeit.« Publishers Weekly

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Gottes ellenlange Evolution
E. L. Doctorows Astrotheologie / Von Friedrich Kittler

In der guten alten Zeit, als Romane es noch mit dem Weltlauf aufnehmen konnten, wäre Doctorows "City of God" wohl der Thesenliteratur zugeschlagen worden. Eine flüchtig hingemachte Handlung bemäntelt kaum, daß sie als Anklageschrift herhalten muß. Nur steht vor Gericht kein blutsaugender bloßer König oder Ausbeuter mehr, sondern der Gott der Christen.

Die Handlung spielt in New York vor der Jahrtausendwende. Einem katholischen Priester in Manhattan schwindet die Gemeinde dahin, je theologisch gelehrter seine Predigten daherkommen. Auf dieser Leseabenteuerfahrt von Paul Tillich zu Walter Burkert zersetzt sich das Christentum Zug um Zug in jene orientalischen oder griechischen Mythen von Zerstückelung und Wiedergeburt, aus denen vier Evangelien es einst zusammengestückelt haben mögen. Also landet auch das Dreimeterkreuz im Kirchenschiff, ohne daß der Roman bei aller detektivischen Paranoia dies Zeichen und Wunder zu erklären geruhte. Unbekannte verschleppen es aufs Dach einer Synagoge, die selbstredend im Dunstkreis der Columbia University liegt und tapfer verspricht, jedermann und jederfrau zu einem "evolutionären Judaismus" auf dem Wissensstand von Astrophysik und Sprachphilosophie zu verhelfen.

Der Rabbi lebt glücklich mit einer Rabbinerin und ihren beiden Kindern zusammen, bevor ihn die Wiederholung jenes Unglücks ereilt, dem sein Schwiegervater gerade noch entronnen war. So zielstrebig nämlich hat der christliche "Gott der Geschichte" auf den Holocaust zugearbeitet, daß zwar der Alte als wacher Botenjunge ein litauisches Nazi-Ghetto überlebt und dessen friedlich in die Vereinigten Staaten emigrierter SS-Kommandant doch noch auf seinen gerechten Mörder trifft. Aber beim Versuch, die geheime Autobiographie jenes Rüstungsarbeitslagers aus den postkommunistischen Wirren Osteuropas zu bergen, schlägt seinen Schwiegersohn der nackte Antisemitismus tot. Beide Verluste sind indes zu verschmerzen.

Erstens findet mit alledem, was den Romanfiguren zu Ohren oder auch nur zu Herzen kommt, auch die Ghettogeschichte in eine Veröffentlichung, die mit unserer Lektüre nachgerade zusammenfällt - einfach weil der Erzähler, postmodernen Labyrinthen weit enthoben, als halbnaher freundlicher Biograph sein Heldenpaar begleitet. Was dem Schriftsteller zusetzt, erotisch und professionell, sind nur milde Eifersüchte auf die kurzsichtige, aber brillante Rabbinerin einerseits und die dummen, aber leider viel erfolgreicheren Hollywoodfilme andererseits. Also läßt der Romancier seinem ketzerischen Priesterfreund, nachdem die Kirche ihn kurzerhand gefeuert hat, einmal mehr den Vortritt. Am Ende darf ein am Christengott verzweifelter Expriester die schöne verwitwete Rabbinerin zum Standesamt führen, nur um in letzter urkatholischer Laienpredigt seine unmittelbar bevorstehende Konversion zum Gott der Väter zu verkünden.

Ende gut, alles gut. New York, das lernen wir beim Sommersonntagsspaziergang durch den Central Park, ist die Stadt Gottes, "dahinter die Finanzskyline des unteren Manhattan, im Sonnenschein eine Inselkathedrale, ein Palast der Religionen". Und nur weil der heilige Augustinus zwischen Polis und Tyrannis, Stadt und Imperium nicht recht unterscheiden konnte, heißt "City of God" Civitas Dei, der Gottesstaat. Auf der einen Seite "dieses schnarrende, stieläugige, zähneknirschende Arschloch der deutschen Nationalreligion", jenes "stählerne, schlitzäugige, bäurische Scheißhirn der russischen Revolutionsreligion" und weiter ringsum die unzähligen "Inseltyrannen der Karibik", "Stammeswürger Afrikas", "Totschläger des Balkans" - auf der Gegenseite, einsam im Gegenlicht, "unsere am weitesten fortgeschrittenen Demokratien" in "makelloser ethischer Haltung", wie sie sich schon in zwei Weltkriegen, 1919 in Flandern und 1944 über Schweinfurt, so glänzend bewährt haben.

Fürs kommende Jahrtausend allerdings, das hoffentlich auch mit diesem seinem christlichen Kalender brechen wird, muß die politische Korrektheit noch viel tiefer fundiert werden: Sie braucht die feste Burg einer neuen, aber buchstäblich notwendigen Theologie, in der die amerikanische Verfassung nicht einfach unter "nationaler Geschichte" abgebucht wird, sondern eine "Ausdehnung der ethischen Verpflichtung" begründet, welche sich ab sofort, nämlich noch bevor "um die Mitte des kommenden Jahrhunderts zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben werden", "auf ein Blickfeld von dreihundertsechzig Grad zu richten hat".

Jeder Weltmacht die Theologie, die sie verdient: Augustinus für Rom, Romane für New York. Also kaum der Rede wert. Spannend wird Doctorows aktualisierter Gottesstaat erst, wenn er von seinen theologischen Rechtfertigungen zu wissenschaftlichen überleitet. Ob der Holocaust die christliche Auferstehung der Toten widerlegt oder umgekehrt das Eingedenken der Ermordeten jedweden Ahnenkult abschafft, steht dahin, Einsteins Relativitätstheorie und Wittgensteins frühe Sprachphilosophie dagegen nicht. Ohne die wundersame Gabe angelsächsischer hard sciences, ihre Sache in klarer Prosa zu vermitteln, hätten dergleichen Romane kaum die Chance, globale Bestseller zu werden. "Evolutionär" heißt der neue, nicht eben glücklich übersetzte "Judaismus" also schlicht darum, weil Abrahams orthodoxer oder allzu orthodoxer Gott im Romanverlauf zum Gott zunächst Einsteins, später aber auch Wittgensteins evolviert. (Quantenphysik und Computertechnik sind Doctorows Sache nicht.) Gott west, wie ein leibhaftiger Nobelpreisträger allen Synagogenbesuchern glaubhaft versichern darf, im Urknall an, in der Lichtgeschwindigkeit und schlußendlich in einer planvoll nachlässigen Sprache, die am Schlußsatz von Wittgensteins "Tractatus" keinerlei Schmerz mehr spürt. Erstens nämlich "braucht" das neue Jerusalem New York die Philosophie nur als "erhebende, animierte Disney-Produktion", und zweitens ist Europas Metaphysik ohnehin am Ende: Einstein hat Sir Isaac Newton, diesen frommen Christen, so restlos widerlegt wie Wittgenstein den frommen Griechen Platon. Dem verwirrten Leser bleibt nur die Frage, ob mit Populärversionen von Astrophyik und Sprachphilosophie schon geklärt ist, auf welchen Fundamenten Megalopolis selber ruht oder ruhte. Denn offenbar ist die Wissenschaft, diese griechische Balkan-Idee, erst im Lauf einer langen, von Indern, Arabern und Christen geradezu übervölkerten Geschichte bei heutiger Hochtechnologie angekommen. Solange amerikanische Bestseller die Technik schlichtweg voraussetzen, statt sie wie Pynchon zu denken, werden sie Bestseller bleiben.

E. L. Doctorow: "City of God". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Angela Praesent. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001. 400 S., geb., 44,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.11.2001

Der beseelte Tomahawk
Bisschen viel auf einmal: E. L. Doctorow gründet einen Gottesstaat, der vor keiner Invasion sicher ist
Romane sind, so kann man gelegentlich hören, „Container”, Behältnisse für vielerlei Frachtgut unklarer Herkunft und Bestimmung. Dahinter steht ein Prinzip, das man als zerebralen Realismus bezeichnen kann. Was immer Platz hat in einem Gehirn, darf auch Platz finden im Roman. Ganz neu ist das nicht. Denn ist nicht auch die Bibel ein Container? Ist nicht der „Gottesstaat” des Heiligen Augustinus ein ziemlich hybrides Format? Fest steht, dass sich das „Fiktionale” vieler heutiger Romane zu einem dünnen Paravent zurück entwickelt hat, hinter dem die eigentlichen Scharmützel ausgetragen werden.
Aber die heroischen Zeiten des totalen Bewusstseinsromans sind längst vorbei. Wirkt es nicht ein bisschen antiquiert, wenn ein heutiger Roman die Leistungen des menschlichen Geistes (und also des Romans) wie folgt preist: „Durchlässig, jeder zufälligen Invasion zugänglich, wie der Geist ist, kann er von sämtlichen Eigentümlichkeiten der Welt überrannt und besetzt werden, von allem, was der Fall ist; und von den Gedanken und Thesen aller anderen Geister zu allem, was der Fall ist...” So steht es in E. L. Doctorows jüngstem Roman „City of God” (das ist die amerikanische Übersetzung des augustinischen „Gottesstaates”). Gewiss, das alles vermag der Geist, aber tut es ihm oder einem Roman unbedingt gut, wenn er immerzu von sämtlichen Eigentümlichkeiten der Welt überrannt wird? Vielleicht wird „City of God” als der letzte zerebrale Container-Roman in die Geschichte eingehen, als der überaus ehrgeizige, aber nicht mehr überzeugende Versuch, am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts ein Buch der Bücher zu schreiben, eine postmoderne Bibel und einen „Gottesstaat” gleich dazu, eine allseitige allegorische Beschreibung der Welt-im-Kopf und ein ketzerisch-frommes Manifest für ein besseres einundzwanzigstes Jahrhundert.
So wie der menschliche Geist vor keiner Invasion sicher ist, kann auch Doctorows Roman kaum eine halbe Seite beim selben Gegenstand verweilen. Wo also anfangen? Damit, dass Everett, ein älterer Schriftsteller, gern über kosmo-theologische Probleme nachgrübelt? Oder lieber gleich mit Ludwig Wittgensteins „Tractatus”? Oder mit Frank Sinatra? Mit Albert Einstein, einem jüdischen Ghetto in Litauen, einem Messingkreuz auf einer Synagoge für „evolutionären Judaismus” und der Magie von Jazz-Standards? Das alles und noch viel mehr hat den Schreibtisch des Romanciers, des fiktionalen Everett wie des echten Doctorow, heimgesucht.
Zuerst ist aber wohl von New York zu reden, denn „City of God” ist zuvorderst ein New-York-Roman. Das ganze Buch ist voll mit herrlichen, hymnischen Anrufungen der Stadt der Städte. Ein Seher ist E. L. Doctorow nicht, aber man erschrickt trotzdem, wenn er Thomas Pemberton, den episkopalischen Geistlichen ohne Kreuz auf dem Kirchendach, am Battery Park die Szenerie wie folgt beschreiben lässt: „Hinter mir die Finanzskyline des unteren Manhattan, im Sonnenschein eine Inselkathedrale, ein Palast der Religionen”. Gott und Geld geben sich in Doctorows Roman wie auch sonst in Manhattan und Amerika die Hand. Denn, so sagt es eine Stimme namens Ludwig Wittgenstein: „ich weiß, daß die Amerikaner besessen sind von Gott”. Wenn Doctorow uns vorher noch eben erzählen könnte, wie das drei Meter hohe Messingkreuz unbemerkt vom Kirchen- aufs Synagogendach gelangt ist, würden wir diesem Motivgeflecht mit noch größerer Aufmerksamkeit folgen. Aber er lässt diesen „whodunit”, das einzige dynamische Element des gesamten Romans, schnöde fallen.
New York ist das eine, und vielleicht das beste, in diesem Roman, Gott und die Welt das andere. Man lässt sich gern beeindrucken von dieser fiebrigen New-York-Prosa aus glücklicheren Tagen, in denen die Metropole als „Diaspora” und jeder ihrer Bewohner als „Teil unseres großartigen, stotternden Experiments” gefeiert wird, des Experiments, „in einer universalistischen Gesellschaft eine Welt ohne Nationen zu entwerfen, in der jeder alles werden kann und seine Erkennungsmarke die des Planeten ist.” Diese Gesellschaft wird es nun noch weniger geben. Am Ende des Romans entwirft denn auch Everett, der anchorman des Romans, eine beklemmende New Yorker Apokalypse, das Szenario eines in Anomie und Armut versunkenen Gemeinwesens, in dem „sonderbare Krankheiten” auftauchen, „für welche die Ärzte keine Heilverfahren haben.” Eine Militärjunta übernimmt die Macht, verordnet Sicherheit und das „Ethos der rationalen Selektion”. Es ist der Christengott, der bei Doctorow auf der Anklagebank sitzt, und es gäbe in seinem Roman keinen Spalt für Zuversicht, wäre da nicht ein Paar, das Hoffnung verheißt, „ein zutiefst religiöses Paar, das eine kleine progressive Synagoge an der Upper West Side unterhält.” Die Welt, wenn sie genesen soll, bedarf sofort des „evolutionären Judaismus”.
Jazz-Standard
Kann man das nicht auch etwas einfacher sagen? Wie wäre es, wenn man statt eines voluminösen Thesenromans einfach ein paar Jazz-Standards spielen würde? Geht es in Doctorows Roman nicht neben allem kosmologischen Geraune um eine Liebesgeschichte, nämlich die zwischen einer soeben verwitweten jungen Rabbinerin und einem episkopalischen Feuerkopf, und darum, wie ihre, Sarahs, „makellose ethische Haltung”, ihn, Thomas, derart verzückt, dass er umgehend seine Konversion zum Judentum beschließt? Und welche Textsorte käme dem Tatbestand frischer Verliebtheit mehr entgegen als ein Jazz- Standard?
Das Geheimnis des Standards ist bekanntlich die Einfachheit. „Je einfacher, desto besser. Man will, daß ungeübte Stimmen damit umgehen können, unter der Dusche, in der Küche. Also vier Grundakkorde und möglichst keine vertrackten Rhythmen”, doziert Everett, der seinerseits ein Auge auf die schöne Rabbinerin geworfen hat. Everett und Doctorow wissen, dass der Standard, den sie beschreiben, in allem das genaue Gegenteil ihres übervertrackten und gänzlich un-einfachen Romans darstellt. Gleichsam zur Entspannung der mit „Tractatus” und Relativitätstheorie bombardierten Leserhirne spielt regelmäßig ein „Midrash Jazz Quartet” mit Standards auf.
Das ist zwar eine schlaue Idee, aber in der Ausführung schlicht unerträglich. Seitenlang schließt sich an den jeweiligen Standard eine holprige jazzmäßige Verbal-Improvisation an, die etwas vom Geist der Synkope ins literarische Feld hinüber tragen soll, aber mit diesem Vorhaben, zumindest in der deutschen Übersetzung, kläglich scheitert. Kein Urknall ist vor Doctorows erzählerischem Ungestüm sicher, beim Versuch jedoch, das sogenannte Einfache in seinen Kosmos zu integrieren, bleibt er auf der Strecke. Doctorows Roman, so unendlich gelehrt und über die Maßen vielschichtig er auch sein mag, ruft irgendwann Ermüdung, ja eine gereizte Langeweile hervor. Dann lässt einen auch die laut Everett „vernünftige These” kalt, „daß eine bestimmte Bakterie, die im Anus eines besonders archaischen Tomahawk-Fisches am Meeresgrunde lebt, die recycelte, vollauf empfindungsfähige Seele Adolf Hitlers ist, welche kläglich den nährenden Kloakenschlamm durchglimmt, in dem er von Zeit zu Zeit gebadet und ernährt wird”.
Der solchermaßen gepeinigte Leser hat inzwischen Deckung vor dem Dauerfeuer der Simultaneitäten gesucht. „Von sämtlichen Eigentümlichkeiten der Welt überrannt” – so wehrlos gegen Einfälle wünscht man sich keinen Roman und keine Welt. Integration wäre eine Antwort. „Meditation for integration” heißt ein Stück von Charles Mingus, nicht gerade ein Jazz-Standard. Vielleicht wird sich im einundzwanzigsten Jahrhundert der literarische Fortschritt daran erinnern.
CHRISTOPH BARTMANN
E. L. DOCTOROW: City of God. Roman. Aus dem Amerikanischen von Angela Praesent. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001. 400 Seiten, 44, 90 Mark.
Der Christengott auf dem Weg zur Anklagebank: „Ich weiß, daß die Amerikaner besessen sind von Gott.”
Foto: Regina Schmeken
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