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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
der Zivilisiererei!
Der Journalist Stephen Cave fragt,
ob wir der Endlichkeit entkommen
Seneca starb geräuschlos, als Vertreter der Stoa hatte er es gelehrt, noch im Tod bereitete er Nero keine Probleme. Für die vom selben Kaiser verfolgten Christen dagegen war der Tod ein ander Ding: widernatürlich und schreckenerregend, eine Frucht der Sünde.
Es war, schreibt Stephen Cave in seinem Buch „Unsterblich“, die eigentliche Neudeutung des Christentums, dass es eine Auferstehung auch des Körpers postulierte. Für Griechen und Römer lebte die Seele, ähnlich wie es die meisten Menschen der Gegenwart annehmen, nach dem Tod ohne den Körper weiter. Deshalb lässt Platon, der die Seelenerzählung erstmals philosophisch rationalisiert hatte, Sokrates den Tod als Befreiung der Seele begrüßen; nur scheinbar paradox betonen dagegen die Evangelisten, dass Jesus sich trotz des Wissens um die eigene Auferstehung vor dem Tod fürchtet.
Wie der reißerische Untertitel ankündigt, fungiert für Cave, der als britischer Journalist in Berlin lebt, nämlich „Die Sehnsucht nach dem ewigen Leben als Triebkraft unserer Zivilisation“. Das beginnt beim Weiterleben in den eigenen Kindern, wird individueller mit der Sehnsucht nach unsterblichem Ruhm wie beim Heros Achill oder dessen Nachahmer Alexander dem Großen und hört bei symbolischen Schöpfungen wie den Religionen lange nicht auf. Für Cave bleiben gerade die Naturwissenschaften von ihren alchemistischen Ursprüngen bis heute auf der Suche nach dem Elixier des ewigen Lebens. Und nicht wenige versprächen sich bereits von der digitalen Revolution eine „computerisierte Auferstehung“ in Gestalt des „Mind-Uploading“, also eines Kompletthirnscans.
Es ist ein Rundgang von verführerischer Farbenpracht, zu dem Cave von Echnaton über Dante bis Borges kenntnisreich, süffig und mit vielen erzählerischen Elementen anleitet. Wohl deshalb auch versteht der Leser erst in der zweiten Hälfte des Buches, dass er nicht in einem kulturhistorischen, sondern in einem Debattenbuch schmökert: Für Cave sind die entfalteten Unsterblichkeitserzählungen nämlich alle gleichermaßen unlogisch und widersinnig.
Doch beim handstreichartigen Versuch, sie sämtlich mit einem dicken Buch zu erledigen, landet die – gut lesbare – Argumentation bei einem Materialismus der härteren Gangart. Wenn Cave mit dem berühmten Bonmot Epikurs dafür hält, dass wir den Tod gar nicht wahrnähmen, setzt er den unzugänglichen Bewusstseinsprozess des Sterbens mit dem Abschalten einer Maschine gleich. Wenn die Ewigkeit für ihn notwendig ewige Langeweile ist, unterscheidet er – schon Augustinus tut es, wie Cave sehr wohl anführt – nicht zwischen einer endlosen und einer außerzeitlichen „Zeit“.
Das „moderne Verständnis der Funktionsweise des Lebens“, so Cave, verpflichte uns einfach darauf, dass alles, was einmal Seele schien, ein „Produkt des Körpers“ sei. Wir mögen, resümiert wohlverborgenes Pathos, die Unsterblichkeit aufgeben und den Stoizismus wiederentdecken: dankbar sein also für das Leben und in der Gemeinschaft mit anderen ebenso aufgehen wie im wirbelnden Augenblick. Weil im Namen der Unsterblichkeit schon zu viele Kriege geführt und Sozialreformen verhindert worden sind, wie der Autor anführt, muss sozusagen jetzt einmal Schluss sein mit der ständigen Zivilisiererei.
Dass die – hier durchaus verwässerte – Stoa allerorten Konjunktur hat, bleibt aufschlussreich. Unfreiwillig aber erinnert die freundlich gemeinte Generalabrechnung vielmehr an einen anderen philosophischen Gemeinplatz, den „letzten Menschen“ aus Nietzsches „Zarathustra“: „Und viel Gift zuletzt, zu einem angenehmen Sterben.“ Wer jeder utopischen Sehnsucht, sei sie gesellschaftlicher, sei sie religiöser Natur, müde ist, erblickt am Ende auch die eigenen Vergangenheiten, und kenne er sie noch so gut, wie manche Touristen eine Antikensammlung durch den Fokus ihrer Videokamera.
MICHAEL STALLKNECHT
STEPHEN CAVE: Unsterblich. Die Sehnsucht nach dem ewigen Leben als Triebkraft unserer Zivilisation. Aus dem Englischen von Michael Bischoff. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012. 368 Seiten, 22,99 Euro.
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