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Die Anthroposophische Gesellschaft ist die wichtigste, praxisorientierte esoterische Gemeinschaft der Gegenwart. Helmut Zander Buch ist die erste umfassende Geschichte der Anthroposophie und des theosophischen Milieus zwischen 1884 und 1945.
What is the link between Waldorf schools, organic tomatoes, Weleda healing lotions, fair-trade chemists and Otto Schily and Christian Morgenstern? The anthroposophy of Rudolf Steiner. The Anthropological Society established by Steiner between 1900 and 1925 has been the most influential esoteric community in European history. Helmut Zander has now…mehr

Produktbeschreibung
Die Anthroposophische Gesellschaft ist die wichtigste, praxisorientierte esoterische Gemeinschaft der Gegenwart. Helmut Zander Buch ist die erste umfassende Geschichte der Anthroposophie und des theosophischen Milieus zwischen 1884 und 1945.
What is the link between Waldorf schools, organic tomatoes, Weleda healing lotions, fair-trade chemists and Otto Schily and Christian Morgenstern? The anthroposophy of Rudolf Steiner. The Anthropological Society established by Steiner between 1900 and 1925 has been the most influential esoteric community in European history. Helmut Zander has now written the first history of anthroposophy and theosophical milieu between 1884 and 1945. Zander examines Steiner's theosophical world-view-products between 1900 and 1914, the anthropological dance (Eurhythmy) and architecture. The study assesses practical fields such as social theory, pedagogy, medicine and farming existing from 1918 until today and makes links to current social problems.
Autorenporträt
Zander, Helmut
Helmut Zander ist Privatdozent für Neuere und Neueste Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.10.2007

Jenseits von Legende und Geheimwissenschaft
Geschichte der Theosophie und intellektuelle Biographie Rudolf Steiners: Helmut Zanders großes Panorama der Anthroposophie in Deutschland
Anthroposophie in Deutschland – wer wüsste nicht gern mehr darüber? Kaum eine Weltanschauung von vergleichbarer Größe und Verbreitung hüllt sich in solches Schweigen, ist dem breiten Publikum ähnlich unbekannt. Dabei reichen die Berührungspunkte bis in unseren Alltag hinein. Mit mehr als 190 Einrichtungen stellen die Waldorfschulen heute nach den kirchlichen Schulverbänden den zweitgrößten privaten Schulverband in Deutschland, 19 medizinische Einrichtungen und etwa 6000 Ärzte mit anthroposophischer Ausrichtung versorgen das Land, mehr als 1300 biodynamische Landwirtschaftsbetriebe haben sich im anthroposophischen Demeter-Bund zusammengeschlossen. Die Zahl der Priester in der anthroposophisch ausgerichteten Christengemeinschaft liegt allein in Deutschland bei circa 230, ihre Mitgliedschaft bei etwa 20 000. Doch dies ist nur der zählbare Kern, die wirkliche Verbreitung der Anthroposophie ist mit statistischen Mitteln kaum abzuschätzen. Viele kommen mit anthroposophischen Einrichtungen in Berührung, aber nicht jeder Besucher einer Waldorfschule, nicht jeder Patient in einem anthropologischen Krankenhaus ist Anthroposoph.
Geheimnisumwittert ist auch die Lehre der Anthroposophen, sind ihre okkulten Wurzeln in Freimaurerei, Spiritismus und Theosophie, ihre Organisationsgeschichte und nicht zuletzt die Gestalt ihres Gründers Rudolf Steiner. Obwohl die immer noch unabgeschlossene Gesamtausgabe seiner Werke schon heute mehr als 400 Bände umfasst, hüllte sich seine Lehre wie sein Leben bislang in das opake Licht der Geheimwissenschaft und Legendenbildung.
Da kommt das enzyklopädische Werk von Helmut Zander gerade recht. Auf fast 1900 Seiten durchstreift Zander das gesamte Feld der deutschen Anthroposophie von deren Anfängen im späten 19. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg. Die Erfolgsgeschichte der Nachkriegsjahrzehnte kann er deshalb nur noch im Ausblick kurz berühren, sie wäre eine eigene Untersuchung wert.
Doch auch so ist Zander eine riesige Aufgabe angegangen, die Reichweite seiner Aktions- und Problemfelder ist immens: Das Werk ersetzt und fasst eine ganze Bibliothek verstreut vorliegender Literatur zusammen. Gleichwohl bewahrt es in seiner weit ausgreifenden Gründlichkeit die Haltung des Kartographen, der die Dinge lieber an ihren rechten Platz rücken, als sie abschließend beschreiben und bewerten will: Geschichte der Theosophie und intellektuelle Biographie Rudolf Steiners, Religionssystem und Wissenschaftsverständnis, Freimaurerei und politisches Engagement, Eurythmie und anthroposophische Architektur, Waldorfpädagogik, Medizin und Landwirtschaft – man liest ein solches Werk am besten passagenweise. Dem an Fakten interessierten Historiker bietet es minutiöse Darstellungen, dem an seiner Lehre Interessierten Einführungen in ganze Wissensbereiche, vielschichtige Begriffsanalysen und bibliographische Erschließungen. Hier schreibt einer, der sich noch viel vorgenommen hat, der die Forschung noch ganz am Anfang sieht und ihr den Weg weisen will.
Natürlich gibt es heiße Eisen, nicht nur für Anthroposophen. Der Verfasser geht sie umsichtig und beherzt an: etwa die Frage nach Steiners Rassismus: Ja, es gab ihn, wenn auch nicht in der völkischen Form der Nationalsozialisten. Steiner, konzediert Zander, wollte zwar kein Rassist sein, doch seine Klassifikation der heutigen Indianer, der Juden und der „Neger” als „degenerierte”, „überholte” und „zurückgebliebene” Menschenrassen war gleichwohl ein schwerer, wenn auch unter den Zeitgenossen weitverbreiteter Irrtum. Da helfen auch alle heutigen anthroposophischen Verteidigungsargumente nichts.
Harmonie und Hierarchie
Auch Steiners politische Neuordnungspläne nach dem Ersten Weltkrieg zeugen von einem fragwürdigen Demokratieverständnis. Vor allem seine „Dreigliederung des sozialen Organismus” von 1918/19 atmet den autoritären Geist hierarchischer Herrschaftsbeziehungen. Die Verbindungslinie zum Nationalsozialismus sollte gleichwohl nicht zu direkt gezogen werden. „Die Anthroposophen zählten weitenteils nicht zu den Parteigängern des Nationalsozialismus, fast alle ihre Organisationen wurden von den Nationalsozialisten verboten. Gleichwohl gehören sie zu denjenigen, die die mentale Akzeptanz des Harmonie- und Hierarchiemodells eines gesellschaftlichen ,Körpers‘ mit vorbereiteten.”
Das hatte, so Zander, seinen psychisch-sozialen Untergrund in der von Steiner geleiteten Anthroposophischen Gesellschaft selbst. Sie wollte okkultes Wissen vermitteln, was kaum ohne autoritative Einweihungs- und Unterweisungsriten möglich war. Sie bediente sich dabei zunehmend autoritärer Methoden, welche auf die Ausschaltung jedweder kritischen Distanzierungsmöglichkeit bei den Unterwiesenen zielte. Dazu passte ein bedauernswerter Mangel an wissenschaftlichen Evidenzkriterien für übersinnliche Einsichten ebenso wie ein manifester Hang des Meisters und seiner Jünger zur Dogmatisierung einmal postulierter Wahrheiten. Wenig Verständnis findet Zander auch dafür, dass Steiner seine „Geheimwissenschaft” gegen Lebensende sogar in einen manifesten Gegensatz zur empirischen Methode der Naturwissenschaft hineintrieb, die er zunächst als vorbildlich für seine „Erfahrungswissenschaft” angesehen hatte.
Doch solche kritischen Einwände sind nicht die Hauptsache in dieser glänzend recherchierten und meist wohlabgewogenen Aufarbeitung der deutschen Anthroposophie im frühen 20. Jahrhundert. Zander geht es nicht um Verurteilung, sondern um möglichst genaue Rekonstruktion der Elemente und Voraussetzungen von Steiners Anthroposophie, ihrer Genese und ihrer Bruchstellen. So kann er manches zurechtrücken: etwa die von Steiner selbst oft verschleierten Quellen oder die Umstände und Motive der Trennung von der internationalen Theosophischen Gesellschaft unter Annie Besant 1912. Gewonnen werden solche Erkenntnisse zum einen durch die penible Sammlung weitverstreuter Quellen, zum andern durch eine chronologische Neusortierung der in Steiners Gesamtausgabe nur systematisch geordneten Schriften, die ältere Fassungen und neuere Überarbeitungen von Texten oft nicht mehr erkennen lassen.
Ihre Grenzen findet Zanders Methode allerdings beim Verzicht auf eine eigene systematische Auseinandersetzung mit Steiners Lehren und Anschauungen. So kann er, um nur zwei Beispiele zu geben, zwar schon frühzeitig die Wurzeln für die Konzeption einer objektiven Erkenntnis aus purer Anschauung in dessen Rekonstruktion von Goethes „Weltanschauung” aufsuchen; beim Versuch, diese Konzeption zu verstehen, lässt er den Leser dann aber doch recht ratlos zurück.
Hier setzt eine Distanznahme des Historikers von der Aufgabe des Verstehens ein, die umso misslicher ist, als sie zwischen den Zeilen eine nicht ausgeführte Kritik von Steiners Konzeption vermuten lässt. Ihre Ausführung hätte wohl auch bei der Rekonstruktion von Steiners Erkenntnistheorie nicht ganz so rasch vor dessen Inanspruchnahme einer „schauenden” Erkenntnis in der Geschichte kapituliert. Gehörte doch die Vorstellung, dass historische Erkenntnis nicht nur auf Quellenlektüre, sondern auch auf innerer Ergänzung, auf einer Schau des Ganzen einer historischen Idee beruht, schon zu den Grundkonzeptionen des frühen Historismus, etwa bei Humboldt und Droysen. Zander geht nur ansatzweise in solche Kontroversen mit sachlichen Argumenten hinein. Wie die Ablehnung ihn nicht zum Feind, so hätte ihn aber wohl auch eine partielle Zustimmung nicht gleich zum Parteigänger der Anthroposophie machen müssen.
Der Leser fühlt sich daher nach der Lektüre dieser zwei schweren Bände vor allem historisch enorm belehrt. Das Werk ist in vieler Hinsicht ein Meilenstein der historischen Forschung, es zieht den Vorhang vor einem Panorama okkulter und reformreligiöser Initiativen in Deutschland um die Wende zum 20. Jahrhundert weg und bietet einen Ansatzpunkt für viele weitere Forschungen. Sein epochales Gemälde öffnet den Blick nicht nur auf eine lang verborgen gebliebene esoterische Traditionslinie in Deutschland, sondern auch für den geistesgeschichtlichen Kontext all jener kirchenkritischen Neuansätze, aus denen nicht zuletzt die Nationalsozialisten ihre weltanschauliche Munition bezogen. Für ein systematisches Verständnis der Anthroposophie ist dies wohl eine wesentliche Voraussetzung, es ersetzt die sachliche Auseinandersetzung mit ihr allerdings nicht. LUCIAN HÖLSCHER
HELMUT ZANDER: Anthroposophie in Deutschland. Theosophische Weltanschauung und gesellschaftliche Praxis 1884-1945. 2 Bände. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007. 1884 Seiten, 246 Euro.
Schöne Form mit Körperbewusstsein: Eurythmie-Vorführung im Goetheanum, Dornach, undatiert. Foto: AKG
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.12.2008

Höhere Mächte befahlen: 1914 schwarz malen!

Fast zweitausend Seiten über die Anthroposophie: Helmut Zander legt ein Grundlagenwerk der Kulturgeschichte vor. Von der Bildungsreligion kann endlich nicht-metaphorisch gesprochen werden.

Man konnte den Ersten Weltkrieg die Urkatastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts nennen, weil die Zeitgenossen sich auf die Suche nach tieferen Ursachen verwiesen sahen. Dumme Zufälle und staatshandwerkliche Fehler reichten, so schien es, zur Erklärung eines so gewaltigen Ereignisses nicht aus, wollten vielmehr in ihrer Kumulation ihrerseits erklärt werden. Unter den Prämissen eines idealistischen Geschichtsbildes, das die Kulturkritik mit dem Selbstverständnis der Führungsschichten und zumal der politischen Akteure verband, war es höchst suggestiv, vom Scheitern der Strategen auf eine geistige Krise der alten Ordnung zurückzuschließen. Ein frühes Dokument dieser Sichtweise ist eine Mitteilung eines Hauptakteurs des Jahres 1914, des deutschen Generalstabschefs Helmuth von Moltke.

"1914 waren wir ganz götterverlassen. Wir überließen uns dem Treiben von Geistern, von denen der eine dahin, der andere dorthin zog. Ganz Europa war diesem Treiben unterworfen." Die Feinde sah Moltke also im Bann derselben Fremdbestimmung wie die Deutschen. Der apologetische Sinn dieses Prinzips Verantwortungslosigkeit liegt auf der Hand. Das Fazit des Generals war fatalistisch: "Man konnte nichts anderes machen als das, was geschehen ist." Die Aufzeichnung datiert aus dem Jahre 1923. Moltke war damals seit sieben Jahren tot, die Mitteilung "aus dem nachtodlichen Leben" erreichte seine Witwe genauso wie etwa fünfzig weitere Botschaften auf dem Weg über Rudolf Steiner, den Gründer der Anthroposophischen Gesellschaft.

Eliza Gräfin Moltke hatte Steiner schon 1904 und 1905 zu Séancen hinzugezogen, auf denen ein Geist namens Uriel aus dem Jenseits berichtete. Als Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft Steiner im Krieg um Stellungnahmen zum Spiritismus baten, ließ er sich ablehnend vernehmen. Eine "materialistische Art" des "Sehnens nach der geistigen Welt" wollte Steiner in Moltkes Todesjahr in dem Buch "Raymond or Life and Death" erkennen, in dem der englische Experimentalphysiker Oliver Lodge Kundgaben seines gefallenen Sohnes als "examples of the evidence for survival of memory and affection after death" präsentierte. Diese spiritismuskritische Position vertrat Steiner bis zu seinem eigenen Tod; die letzte Mitteilung Moltkes gab er 1924, in seinem letzten Lebensjahr, weiter. Dass Steiner vor der Geisterbeschwörung warnte und gleichzeitig als spiritistisches Medium tätig war, hat Bedeutung für zwei große Themen von Helmut Zanders umfassender kulturhistorischer Untersuchung der Genese der Anthroposophie: für Steiners Bewirtschaftung des Arkanwissens und für das Verhältnis seiner Lehre zu den Naturwissenschaften.

Die "Geisteswissenschaft", die Steiner in seinen Vorträgen und Büchern entfaltete, wird im Titel eines ihrer Grundlagenwerke als "Geheimwissenschaft" ausgewiesen. Das von der Anthroposophie in Aussicht gestellte höhere Wissen erschließt sich auf dem Weg der Initiation. Obwohl der Zugang ein individueller sein soll und in dieser Anknüpfung an die Individualisierung, die in anthroposophischen Lehrstücken zur kosmologischen Urtatsache stilisiert wird, der Schlüssel zur anhaltenden Attraktivität der Anthroposophie für bildungsbürgerliche Milieus liegen dürfte, überließ Steiner die Wahrheitsfindung nicht der Selbsteinweihung und Selbsteinweisung der Adepten. Die Unterweisung erfolgte mündlich und nicht ausschließlich geistig beziehungsweise intellektuell, sondern schloss rituelle Elemente ein, darunter freimaurerische Riten. Als Vorsitzender der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft war Steiner Landesleiter der von Annie Besant gegründeten Esoterischen Schule, die für die innertheosophische Elite reserviert war. Die Trennung der Schule Steiners von Besants Schule 1907 nahm die Spaltung der Theosophischen Gesellschaft fünf Jahre später vorweg. Als Steiner 1923 förmlich die Leitung der Anthroposophischen Gesellschaft übernommen hatte, setzte er die Neugründung der Esoterischen Schule ins Werk.

Wie ist nun auf dem Hintergrund der von Zander dokumentierten konstitutiven Funktion der Arkandisziplin für die Steiner-Gemeinde die Moltke-Affäre zu deuten? Verwarf Steiner öffentlich die Theorie des Spiritismus, um ihn heimlich zu praktizieren? Mit diesen Oppositionen, die die Sphären von Öffentlichkeit und Wissenschaft voraussetzen, wie sie sich im Zuge der europäischen Aufklärung herausgebildet haben, ist das Problem der Moltke-Mitteilungen nicht zu fassen. Denn alle Mitteilungen Steiners richteten sich an bestimmte Adressaten. Wenn er sich auf Bitten trostbedürftiger Mitglieder seiner Gesellschaft über die Glaubwürdigkeit von Geisterbotschaften äußerte, dann formulierte er keine allgemeine Theorie des Spiritismus. Das Verdikt über den "rein äußerlichen Spiritismus" ließ offen, ob der Spiritismus insgesamt als äußerlich abqualifiziert wurde oder nur ein materialistischer, nicht auf Innenschau bauender Typus der Geisterkommunikation getroffen werden sollte.

Es ist nicht nur Höflichkeit, wenn Zander gegen Steiner nicht leichtfertig den Vorwurf der Heuchelei und Scharlatanerie erheben will. Der katholische Theologe, der mit einer Monographie über den Reinkarnationsgedanken in der Neuzeit bekannt geworden ist, möchte mit seiner von den Historikern der Humboldt-Universität als Habilitationsschrift angenommenen Arbeit den Kontinent der modernen Bildungsreligionen erschließen. Was in der Kulturgeschichte des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts gewöhnlich so genannt wird, kann ja nur metaphorisch so heißen. Das Terrain der Bilder- und Bücherschwärmerei ist grotesk überforscht; es gibt in der Kulturwissenschaft den kuriosen Typus des Kunstliebhaberliebhabers, der sich nicht zu fein ist, einem Burckhardt oder Justi den ideologischen Überschuss ihres Enthusiasmus vorzurechnen. Bei Zander weht ein anderer Wind. Wir atmen noch einmal die freie Luft der Gründerjahre der historischen Kritik, als ganze Lebenswelten durch editorische Kontroversen ins Wackeln kamen. Der Anthroposophie ergeht es nun wie den christlichen Kirchen, denen sie ihr Dogma der Dogmenfreiheit entgegensetzte: Die Philologie zerlegt Steiners heilige Schriften, die Historie findet profane Kontexte für seine Offenbarungen.

Zander kennt sich in der Geschichte der religionskritischen Aufklärung aus und beherzigt die erste Lektion einer selbstkritischen Religionswissenschaft: Mit der Priestertrugsthese kommt man nicht weit. Die Retuschen der Überlieferung, die Zander Steiner und den Herausgebern der mehr als 350 Bände umfassenden Dornacher "Gesamtausgabe" nachweist, offenbaren keine Fälschungsabsicht, sondern den sozusagen systemischen Zwang, die Ursprünglichkeit der neuen Religion zu fingieren. Betrachtet man Steiner von außen, so liegt auf der Hand, dass er seine Lehrinhalte zusammenklaubte und montierte, was in der spirituellen Luft lag. Der Nachweis des Synkretismus könnte die Anthroposophie nicht diskreditieren, da die Harmonisierung der religiösen Traditionen der Menschheit zu ihrem Selbstverständnis gehört. Aber zur Rechtfertigung von Steiners Bruch mit Annie Besant und der "indischen" Richtung der Theosophie reklamieren die Anthroposophen für ihren Meister eine literarische Originalität, die im Licht von Zanders Textkritik keinen Bestand hat. Nicht Goethe oder romantische Naturphilosophen, sondern theosophische Klassiker waren Steiners hauptsächliche Vorlagen.

Wichtiger als philologische Details ist die Kontinuität der Denkform, wie sie am Spiritismus hervortritt. Zander deutet die Theosophie, unter die er die Anthroposophie fasst, als Antwort auf den Glaubwürdigkeitsverlust des Spiritismus, dem die experimentellen Beweise missrieten. Es ist vielleicht Zanders originellste These, dass der theosophische Monismus wie der Spiritismus den Totalerklärungsanspruch der populären Naturwissenschaft übernahm. Theosophie, die Offenbarung okkulter "Meister", war Geheimwissen, das jedermann zugänglich werden konnte. Das Labor der Séance wurde durch Lesungen aus dem Buch der Natur ersetzt. Steiner brauchte an seinem Schreibtisch nicht zu rücken, um mit dem toten Moltke zu kommunizieren.

Drei Fakultäten wiesen Zanders Habilitationsgesuch zurück, wie er im Nachwort berichtet. Im jüngsten Heft der "Historischen Zeitschrift" wird sein Werk als "journalistische Kolportage" abgetan; es fehle Zander an der für eine "wissenschaftliche Leistung" erforderlichen "Unbefangenheit und Sachkenntnis". Angesichts der Bedeutung, die Besprechungen der wichtigsten historischen Fachzeitschrift bei Berufungen gewinnen können, muss man die Rezension einen Skandal nennen. Der Verfasser ist ein Basler Anthroposoph, der zu Zanders Buch schon eine in zweiter Auflage vorliegende Gegenschrift herausgebracht hat. Man mag in der Vergabe ein Zeichen der Liberalität sehen; das Resultat ist eine Denunziation.

PATRICK BAHNERS

Helmut Zander: "Anthroposophie in Deutschland". Theosophische Weltanschauung und gesellschaftliche Praxis. Zwei Bände. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007. 1884 S., Abb., geb., 246,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Lucian Hölscher kann vor diesem zweibändigen Mammutwerk der Geschichte der Anthroposophie vom Ende des 19. Jahrhunderts bis nach dem Zweiten Weltkrieg, die Helmut Zander vorgelegt hat,  den Hut ziehen. Die von Rudolf Steiner begründete Weltanschauung sei trotz großer Verbreitung ihrer Institutionen und einer beträchtlichen Anhängerzahl bemerkenswerter Weise in ihren Lehren und okkulten Wurzeln kaum bekannt, weshalb die historische Studie umso nachdrücklicher vom Rezensenten begrüßt wird. Er bescheinigt dem Autor, die vielen Themen und Aspekte der Anthroposophie und ihres Gründers akribisch darzustellen und geschickt zusammenzufassen. Auch die problematischen Seiten der Weltanschauung lässt der Autor nicht unbesprochen, er geht dem Vorwurf des Rassismus Steiners oder dessen zweifelhaftem "Demokratieverständnis" nach, so Hölscher anerkennend. Weniger angetan ist er von Zanders Weigerung, sich gründlich mit der Steinerschen Lehre auseinanderzusetzen und auch eigene Einschätzungen und Deutungen zu bieten. Hier hält sich der Historiker für den Geschmack des Rezensenten eindeutig zu stark zurück, was ihn umso mehr stört, als das er hinter der historischen Bestandsaufnahme dennoch so etwas wie Kritik an der Anthroposophie spürt. Als historische Untersuchung aber gebührt dem Werk höchstes Lob, bekräftigt der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH…mehr