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Eine Partitur stiller Sehnsüchte, meisterhaft orchestriert und größtenteils farbig illustriert von Jean-Jacques Sempé.

Produktbeschreibung
Eine Partitur stiller Sehnsüchte, meisterhaft orchestriert und größtenteils farbig illustriert von Jean-Jacques Sempé.
Autorenporträt
Jean-Jacques Sempé, geboren 1932 in Bordeaux, lebte in Paris. Die Karikaturen in ¿Paris Match¿ und in ¿L'Express¿ waren nur erste Schritte zum Höhepunkt beim ¿New Yorker¿, für den er ab 1978 arbeitete. Mit René Goscinny, Patrick Modiano und Patrick Süskind schuf er so legendäre Figuren wie ¿Der kleine Nick¿, ¿Catherine, die kleine Tänzerin¿ und ¿Herr Sommer¿. Jean-Jacques Sempé starb im Sommer 2022 in Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2003

Der Anfang jeglicher Melancholie
Wer sie sieht, kann sie auch hören: Sempés Musiker / Von Hubert Spiegel

Das Leben, hat Sempé einmal gesagt, sei eigentlich zu schwer für uns. Immerzu müßten wir Menschen Ängste überwinden. Das dürfte auch damit zu tun haben, daß die Welt zu groß ist für uns. Oder damit, daß wir zu klein sind für die Welt. In vielen Arbeiten dieses zarten Zeichners und großen Geschichtenerzählers sehen wir winzig kleine Menschlein in übergroßen Interieurs. Das Mißverhältnis zwischen der eher bescheidenen Größe des menschlichen Körpers und der Maßlosigkeit, mit der sich der uns umgebende Raum aufbläht, gehört zu den wiederkehrenden Themen dieses Künstlers. Wer die Welt mit den Augen Sempés betrachtet, wird sie bald als heillos überladenes Bühnenbild empfinden, gegen das selbst Schauspielvirtuosen unmöglich anspielen können. Was aber nutzt die beste Inszenierung, wenn schon das Bühnenbild so grausam mißraten ist?

Die Musiker, denen der jüngste Band Sempés gewidmet ist, scheint dieses Mißverhältnis jedoch nicht anzufechten. Die kleine Geigenschülerin könnte aufrecht unter dem Flügel ihres gestrengen Lehrers hindurchgehen, aber ihr Elan ist ungebrochen. Wie ihre Kollegen ist sie immun gegen die Zumutungen, die von den Disproportionen des Raumes ausgehen. Sempés Musiker benötigen nicht einmal Publikum: Kaum eine der Zeichnungen des Bandes zeigt Akteure und Zuhörer vereint. Wir sehen gutgekleidete Paare, die vor dem Opernhaus aus noblen Limousinen steigen, flanieren und andere gutgekleidete Paare begrüßen. Auf der anderen Straßenseite hetzen die letzten Orchestermitglieder der Philharmonie entgegen, zu Fuß und außer Atem. Privilegiert sind die Zuhörer, nicht die Künstler.

Aber dieses Bild ist die Ausnahme in einem Band, der Musiker vor allem als glückliche Menschen zeigt: Die Musik, so scheint Sempé sagen zu wollen, ist sich selbst genug. Und so sehen wir zahlreiche in sich selbst versunkene Solisten, den Klarinettisten mit Einstecktuch und den Schlagzeuger mit Schiebermütze (unsere Abbildungen), den charmanten Akkordeonspieler am offenen Fenster, den Saxophonisten auf der Gartenbank, den alten Barpianisten mit dem zurückweichenden Haaransatz und der fettigen Nackenrolle, der einen Leguanblick über die Schulter wirft: nicht ein einziger Tisch seines zweifelhaften Etablissements ist besetzt. Die lateinamerikanische Combo (Sombreros!) in der Dschungel-Dekoration, die Big Band (Smoking!) im Grandhotel, die Swingformation (gelockerte Binder!) in der Dorfkneipe: Sie alle spielen vor leeren Sälen oder stehen erwartungsvoll an ihren Plätzen. Zuversicht malt sich in ihren Zügen, Vorfreude, von Enttäuschung keine Spur.

Sempé zeigt Musiker, die spielen, und Musiker, die sich bereitmachen für ihren Auftritt. Der Pianist im Frack marschiert auf der linken Buchseite los, sein Flügel wartet auf der rechten Buchseite. Dazwischen: ein paar Schritte und jene Sekunden, in denen die Spannung um das Entscheidende steigt. Noch schwebt die Hand über den Tasten, noch streicht der Bogen nicht über die Saiten der Violine, noch reicht die Luftsäule nur vom Zwerchfell des Saxophonisten bis zu seinen Lippen und nicht weiter. Die Töne: nur zu ahnen, nicht zu hören. Womöglich ist das der Moment, in dem die Musik am reinsten klingt: wenn sie unhörbar ist.

Sempé ist ein Meister der Verzögerung, der Aufschub ist sein Element. Als er im vorigen Jahr siebzig wurde, bescheinigte ihm Werner Spies in seinem Geburtstagsartikel (F.A.Z. vom 17. August 2002), daß er eine Analogie zur Schrecksekunde geschaffen habe: jenen Augenblick der Lachsekunde, jener Verzögerung, die sowohl in den Zeichnungen angelegt sein kann als auch in der Wahrnehmung des Betrachters. Sempés Humor reicht tiefer als bis zur nächsten Pointe. Man lacht nicht los, sondern überlegt, ob es etwas zu lachen gibt. Darin aber liegt der Anfang jeglicher Melancholie.

Daß er Duke Ellington verehrt und gern selbst Musiker geworden wäre, hat der ansonsten eher diskrete Sempé nie verschwiegen. Selbst seinen mehr als fünfzigmal geträumten Lieblingstraum hat er einem Kritikerkollegen einmal verraten: "Ich stehe in einem vollbesetzten Konzertsaal auf der Bühne. Da kommt Duke Ellington herein, ein Mann, den ich unendlich bewundere. Der Duke sagt zu mir: beeil dich, das Orchester ist bereit, setz dich ans Klavier und spiele. In meinem Traum bin ich dann immer sehr glücklich. So glücklich, daß ich aufwache, bevor ich merke, daß ich gar nicht Klavier spielen kann. Ich habe mich im Traum nie spielen hören."

Wer hören will, wie Sempé in seinen Träumen Klavier spielt, der betrachte seine Zeichnungen in diesem Band.

Sempé: "Sempés Musiker". Veränderte und gegenüber der gleichnamigen Originalausgabe von 1979 stark erweiterte Neuausgabe. Diogenes Verlag, Zürich 2003. 107 S., Abb., geb., 34,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit feinsinnigen, sensiblen Beschreibungen huldigt Rezensent Hubert Spiegel diesem Band mit Musikerzeichnungen. Sempe zeige Musiker, die spielen, und Musiker, die sich bereitmachen für ihren Auftritt, selbstversunkene Solisten und charmante Musikanten. Gelegentlich scheint Spiegel die Töne schon zu ahnen, welche die gezeichneten Musiker im Begriff sind, auf ihren ebenfalls gezeichneten Instrumenten zu erzeugen. Insgesamt liegen diese Zeichnungen mit ihrem tiefen Humor für den Rezensenten an der Schwelle zur Melancholie. Wer hören wolle, wie Sempe in seinen Träumen Klavier spiele, dem legt er die Betrachtung dieses Bandes besonders ans Herz.

© Perlentaucher Medien GmbH