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Die nächste große Evolutionsstufe der X-Men!Für Marvel Mutanten beginnt eine neue ÄraCharles Xavier führt seine X-Men in ein strahlendes Zeitalter, in dem die Mutanten eine unabhängige Inselnation sind. Doch wegen ihrer neuen Stellung als selbstbewusste Weltmacht wollen einige Menschen sie vernichten, weshalb Cyclops, Wolverine, Jean Grey und andere ihren Gegnern selbst im All entgegentreten. 1000 Jahre in der Zukunft geht die posthumane Evolution sogar noch weiter.Die hymnisch gefeierte, revolutionäre X-Men-Saga - ein Meilenstein und moderner Klassiker! Von Autorensuperstar Jonathan Hickman…mehr

Produktbeschreibung
Die nächste große Evolutionsstufe der X-Men!Für Marvel Mutanten beginnt eine neue ÄraCharles Xavier führt seine X-Men in ein strahlendes Zeitalter, in dem die Mutanten eine unabhängige Inselnation sind. Doch wegen ihrer neuen Stellung als selbstbewusste Weltmacht wollen einige Menschen sie vernichten, weshalb Cyclops, Wolverine, Jean Grey und andere ihren Gegnern selbst im All entgegentreten. 1000 Jahre in der Zukunft geht die posthumane Evolution sogar noch weiter.Die hymnisch gefeierte, revolutionäre X-Men-Saga - ein Meilenstein und moderner Klassiker! Von Autorensuperstar Jonathan Hickman (AVENGERS) und den Top-Zeichnern Pepe Larraz (UNCANNY AVENGERS) und R. B. Silva (X-MEN: BLUE).ENTHÄLT: HOUSE OF X (2019) 1-6 & POWERS OF X (2019) 1-6
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.09.2019

Die Überlebenden des Mediengemetzels

Die neuen Comicserien "House of X" und "Powers of X" gehen ästhetisch und politisch das Risiko ein, von ganz anderen Dingen völlig anders zu erzählen als das Superheldenkino.

Der beinah allwissende Mann, der seine Augen hinter einem Helm verbirgt, hat genug gesehen: "No more!", sagt er, also: Nie wieder, bedrängt und bedroht von Zeitungsseiten und Internetmeldungen, die davon handeln, dass zu viele sterben mussten, die so sind wie er. Der Mann ist ein Mutant, das heißt, er gehört einer neuen Spezies an, homo superior, deren Erblinie von unserem Stammbaum abzweigt. Aufgrund genetischer Besonderheiten steht diese neue Art in einem annähernd magischen Verhältnis zur Natur, jeweils individuell verschieden: Einer kann Magnetfelder formen, eine andere das Wetter willkürlich ändern, ein weiterer regeneriert seinen Leib nach Verletzungen schneller, als Gewebe sich sonst erneuert.

Nicht alle Mutanten sind von menschlicher Gestalt; der mächtigste ist eine Insel, ein vollentwickeltes Ökosystem namens Krakoa, das, wo immer auf der Erde man einen Ableger davon pflanzt, nichtlokal mit sich selbst verbunden bleibt: Wer von Krakoa anerkannt ist, kann einen krakoanischen Blumenbogen in Jerusalem durchschreiten und erscheint im selben Moment an einem der vielen anderen Enden der Vielverbundenheit, in Amerika, Europa oder auf dem Inselhauptkörper. Mutanten sind mehr als wir, das macht uns Angst, also behandeln wir sie, als wären sie weniger als wir. Der Mann mit dem Helm muss über uns Schreckliches wissen: "Sieh, was sie getan haben, was sie immer tun. Sieh, wie das immer endet. Sie haben so viele von uns ermordet, dass sich die Welt daran gewöhnt hat." Das wird als Text und Bild erzählt im vierten Heft der auf sechs Ausgaben angelegten Comicheftserie "House of X", die, verschränkt mit der Parallelreihe "Powers of X" (bei der das "X" nicht wie der Buchstabe ausgesprochen wird, sondern als römische Zahl: "Powers of Ten", Zehnerpotenzen), im Juli des laufenden Jahres begonnen hat und im Oktober enden wird. Zu Weihnachten soll ein Buch erscheinen, in dem die gesamte Geschichte, verfasst von Jonathan Hickman, gezeichnet von Pepe Larraz und R. B. Silva, als bruchlose Einheit präsentiert wird; es gibt aber sehr gute Gründe, stattdessen die Hefte zu lesen.

Erfunden haben die Mutanten und ihre wichtigste Untergemeinschaft, die "X-Men", die der Mann im Helm, Charles Xavier, als Weltverbesserungs-Eingreiftruppe leitet, der Autor Stan Lee und der Zeichner Jack Kirby in den frühen sechziger Jahren für den Comicverlag Marvel. Seinerzeit glichen die X-Men eher einer weißen Kleinstadt-High-School-Klasse als dem nach innen zerrissenen und von außen bedrohten Kollektiv von Figuren, denen man heute in Comics, Kinofilmen und Fernsehserien wie "Legion" und "The Gifted" dabei zusehen kann, wie sie "eine Welt beschützen, die sie fürchtet und hasst".

In den Siebzigern und Achtzigern erneuerte der Comicschriftsteller Chris Claremont die Herkunftsmuster der X-Men. Sie wurden komplizierter, vielfältiger; jemand aus einem amerikanischen Ureinwohner-Reservat kam hinzu, eine Afrikanerin, ein in der Sowjetunion sozialistisch erzogener Russe, eine junge Jüdin aus dem aufstiegswilligen städtisch-amerikanischen Kleinbürgertum, ein Homosexueller, eine Menschmaschine und so fort.

Vieles davon liest sich im Rückblick, als hätte Claremont vorausgeahnt, wie in unseren Tagen der Begriff "Identität" gegen seinen alten bürgerlichen Sinn gedreht werden würde. Der bestand ja darin, dass man die Staatsbürgerin oder den Staatsbürger für politische und rechtliche Zwecke "identifizieren", also seine oder ihre "Identität feststellen" konnte, weil man dem Individuum unverwechselbare, unteilbare Attribute zuschrieb und sie an ihm ablas: Fingerabdrücke, eine persönliche Biographie. "Identität" war somit das, was von allen anderen trennte. Heute aber soll "Identität" mal offensiv, mal in Notwehr, von rechten "Identitären" bis zu linken Gemeinschaften mit "identity politics", alles das sein, was mich gewissen anderen in meinem Stamm, meinem Tribe angleicht und "uns" vom Rest der Menschheit scheidet. Den Widerspruch aus bürgerlicher These und tribalistischer Antithese hat Claremont in seinen X-Men-Comics zu einer seltsamen Synthese geführt, indem er sich seine "mutants" als eine Gruppe dachte, die von allen anderen Gruppen vor allem darin verschieden ist, dass die Unterschiede zwischen den ihr Zugehörigen mindestens so groß sind wie zwischen der Gesamtgruppe und allen anderen Gruppen.

Politisch spaltet sich diese Gemeinschaft in verschiedene Strömungen. Die erste betreibt Separatismus, Absetzung von der Menschheit (dafür steht Erik Lehnsherr alias Magneto). Die zweite zielt auf einen Universalismus, der die Gemeinsamkeiten zwischen Menschen und Mutanten sozial organisieren will (dafür steht Charles Xavier alias Professor X). Die dritte verfolgt ein Vorherrschaftsstreben mit teils terroristischen Mitteln (dafür steht En Sabah Nur alias Apocalypse, teilweise auch wieder Magneto).

Alle drei nun - das ist die gegenüber der bisherigen X-Men-Geschichte neue Ausgangslage für "House of X" und "Powers of X" - sind gescheitert, aus soziologischen, biologischen, auch technischen Gründen. Das erklärt in den beiden neuen Serien eine Figur namens Moira X, die in älteren X-Men-Comics als Moira MacTaggert eine wesentlich bescheidenere Rolle spielt (sie ist Molekularbiologin). Ihr Plan, der alles ändern soll, läuft auf eine Neubestimmung des Begriffs der "Schicksalsgemeinschaft" hinaus, die auch mit der Frage zu tun hat, was die politische Rechte eigentlich meint, wenn sie "unsere Rasse bewahren" will - und die Linke, wenn sie "unsere Kinder" vor den Folgeschäden unserer falschen Lebensweise schützen will.

Diesem Thema gemäß entfaltet sich die Handlung der Doppelserie über große, gar kosmische Distanzen, und über tausend Jahre erzählter Zeit. Eine politische Verhandlung mit Chinesen und Amerikanern in unserer Zeit, eine Hetzjagd auf Unterdrückte durch Maschinen in hundert Jahren, ein Gespräch eines irdischen Botschafters mit einer interstellaren Superintelligenz in einem Jahrtausend: Äußerst abwechslungsreiche Szenarien, die hier wie Teile eines Uhrwerks ineinandergreifen, verschaffen R. B. Silva und Pepe Larraz Gelegenheit, grandiose Räume, Figuren und Schlachtengemälde zu erschaffen. Deren Pracht steht in faszinierendem Spannungsverhältnis zu den Infodiagrammen, typographischen Experimenten (Krakoa hat eine eigene Schrift) und sonstigen digitalen Neuerungen, mit denen dieser Comic sich den Sehgewohnheiten des elektronisch vernetzten Gegenwartspublikums stellt.

Das Internet generiert ja fortlaufend neue Proportionen zwischen Foto, Illustration, Bewegtbild, Ton und Text. Der Umgang vieler Menschen damit ist derzeit bis zur Verwahrlosung autodidaktisch; nicht nur die Rechtschreibung leidet darunter, sondern auch das durch Druck auf Papier vorgeformte Verhältnis zwischen Evidenzmedialem (Bilder, Klang) und Argumentförmigem (Sprache, Sätze). Das Comicheft kann mit seiner zweifachen Serialität (Mikro: Bild und Text zu Bild und Text; Makro: Heft zu Heft zu Album zu Buch) den Verfall von Lese- und Betrachtekompetenzen zumindest stören. Es zwingt nämlich dazu, den eigenen Blick, das eigene Schauen, Lesen, Blättern zu erkennen und zu steuern, Rhythmen zu etablieren, Verstand im Verstehen zu üben. Auf reinen Effektfeldern wie "Suggestion" und "Überwältigung" bleibt es allerdings hoffnungslos hinter dem Kino zurück, das die Vorstellungen davon, welche Geschichten man im Superhelden-Genre erzählen kann, durch flächendeckendes Filmbombardement einem weltweit kommerziell hypererfolgreichen Verwertungsregime unterworfen hat. Disney, der Konzern, dem die Filmrechte an fast allem gehören, was in Marvel-Comics je Bild und Wort war, wird dieses Jahr voraussichtlich als erstes Unternehmen der Branche die Kassenerfolgsmarke von zehn Milliarden Dollar erreichen. Mit der Streamingplattform Disney+ kann dieselbe Firma wohl bald auch im Internet die Konkurrenz nötigen, sich an seine Stil- und Inhaltsvorgaben anzupassen oder unterzugehen.

Anpassung oder Untergang: Das sind Kategorien wie aus "House of X" und "Powers of X" - oder aus dem Erwerbsleben der meisten Menschen: Robotik entwertet gerade Körperkraft, Informationstechnik sortiert die langweiligeren Spielarten menschlicher Hirnarbeit aus der Produktion (Kopfrechnen, Listen verwalten . . .). Gibt es etwas, könnten sich die davon Abgehängten fragen, das mit dem Berufsleben das anstellt, was Claremont mit den Identitäten der X-Men getan hat: so viele verschiedene Tätigkeitsprofile wie Individuen, jede und jeder eine eigene Gattung? Wenn das nicht gedacht und gewagt wird, weil es nicht zu unserer Wirtschaftsweise passt, könnten wir womöglich in Stammes- und sonstige Verteilungskämpfe zurücksinken, neben denen die Kriege in den Comics Kinderei wären. Das sollten alle Individuen und Kollektive verhindern, die genug von der Geschichte wissen, um zu beschließen: nie wieder.

DIETMAR DATH

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