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Angesichts der großen Besucherscharen, die jedes Jahr durch das toskanische Pienza ziehen, vermag man sich kaum vorzustellen, dass dies einst ein abgelegenes Provinznest war. Der heute fein herausgeputzte Ort bietet nicht nur den berühmten Pecorino und den atemberaubenden Blick auf das Weltkulturerbe Val d'Orcia. Die malerischen Gassen beherbergen ein einzigartiges Kunstwerk, die erste geplante Stadt der Renaissance. Papst Pius II. Piccolomini, zentrale Figur des Humanismus und bekannt durch viele Schriften, hat seinen Geburtsort Corsignano für nur wenige Jahre (1458-1464) dem Schlaf entrissen…mehr

Produktbeschreibung
Angesichts der großen Besucherscharen, die jedes Jahr durch das toskanische
Pienza ziehen, vermag man sich kaum vorzustellen, dass dies einst ein abgelegenes
Provinznest war. Der heute fein herausgeputzte Ort bietet nicht nur den
berühmten Pecorino und den atemberaubenden Blick auf das Weltkulturerbe
Val d'Orcia. Die malerischen Gassen beherbergen ein einzigartiges Kunstwerk,
die erste geplante Stadt der Renaissance.
Papst Pius II. Piccolomini, zentrale Figur des Humanismus und bekannt
durch viele Schriften, hat seinen Geburtsort Corsignano für nur wenige Jahre
(1458-1464) dem Schlaf entrissen und nach einem Entwurf des Florentiner
Architekten Bernardo Rossellino zur "Piusstadt" umbauen lassen. Das Denkmal,
das er sich selbst gesetzt hat - mit Dom, Wohnpalast, den Residenzen und
profanen Gebäuden -, gibt ein genaues Bild seiner künstlerischen und intellektuellen
Vorstellung eines idealen Gemeinwesens. Piccolomini leistet damit,
wie Andreas Tönnesmann gewohnt mitreißend und anschaulich darstellt, einen
wichtigen Beitrag in der zeitgenössischen Auseinandersetzung um die Gestalt
der Stadt.
Autorenporträt
Andreas Tönnesmann, geboren 1953 in Bonn, studierte Kunstgeschichte und Literaturwissenschaften in Deutschland und Italien. Professuren in Bonn, Augsburg und Basel. Seit 2001 Professor für Kunst- und Architekturgeschichte an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Im Verlag Klaus Wagenbach erschienen "Monopoly: Das Spiel, die Stadt und das Glück" und (zusammen mit Bernd Roeck) "Die Nase Italiens. Federico da Montefeltro, Herzog von Urbino".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.07.1998

Die Sonne bringt den Plan des Papstes an den Tag
Pius II. ließ die Kathedrale nach dem Kalender bauen: Jan Pieper bestimmt die Koordinaten der Idealstadt Pienza in Raum und Zeit

Die südtoskanische Kleinstadt Corsignano, seit 1458 von und nach ihrem berühmtesten Sohn, Papst Pius II., Pienza genannt, liegt seitab der traditionellen Route der Grand Tour. Folglich geriet sie erst spät ins Blickfeld der Kunstwissenschaft. Dabei hatte bereits ihr Erneuerer im frühen neunzehnten Jahrhundert, Carl Friedrich von Rumohr, die Stadt gepriesen als "jenen Ort, an dem die einzelnen Gebäude in ihrem Verhältnis zueinander ein schöneres und reicheres Ganzes" bildeten als irgendwo sonst in Italien. Noch immer bleibt Pienza weitgehend vom Touristenstrom verschont; die Kunstgeschichte hat sich dem Ort dagegen in den vergangenen fünfzig Jahren mit auffälligem Nachdruck gewidmet. Der prominente Anteil, der den deutschsprachigen Autoren dabei zukommt, erklärte sich anfänglich auch damit, daß Pius in der Raumorganisation des Doms spätgotische Baulösungen des Nordens, etwa vom Typ der kaiserlichen Palastkapelle zu Wiener Neustadt, zum Vorbild nehmen ließ und Pienza also auch als eines der selteneren Beispiele des Kunstimports von Nord nach Süd gelten darf.

Vor allem aber ist Pienza eine idealtypische Stadtgründung der Renaissance; sie erlaubt, zentrale Positionen der neuzeitlichen Baukultur in kleiner, deswegen nicht weniger monumentaler Fassung zu studieren. Nach der Gründung im Jahr der Papstwahl von Enea Silvio Piccolomini entwickelte sich hier im Zeitraum von sechs Jahren ein städtisches Bauprogramm, das in Anspruch und Homogenität tatsächlich kaum seinesgleichen hat. Pius suchte in seiner Geburtsstadt nördlich von Rom die Kurie in Stadtpalästen um sich zu versammeln. Und wenn auch - mit Ausnahme des Kardinals Ammannati - kaum einer dem päpstlichen Siedlungsdiktat folgte, ist das Zentrum der Anlage, also Papstpalast mitsamt Dom, Palazzo Comunale und Piazza, doch zu einem der konzentriertesten Ensembles städtischer Ikonographie und territorialen Anspruchs der frühen Neuzeit geraten.

Vor rund acht Jahren hat Andreas Tönnesmann in einer vielbeachteten, konzisen Studie die Ikonographie dieser "Idealstadt" entschlüsselt; er stützte sich auf die umfänglichen "Kommentare" des päpstlichen Bauherrn. Was bei Tönnesmann als sinnfällige Verbindung von Text und (Stadt-)Bild auftrat, erfährt mit der jetzt von Jan Pieper vorgelegten Monographie eine geradezu kolossale Steigerung. Faszinierend erscheint hier zunächst die geglückte Verknüpfung von nüchterner Bauforschung und ikonologischer Deutung. In exquisiten Bauaufnahmen und mit archäologischem Impetus erschließt Pieper im Detail nicht nur Fassaden und "öffentliche" Räume Pienzas, sondern auch all jene oft übersehenen Nebenstrukturen, die das Funktionieren der Anlage, sowohl des Palastes als auch der Stadt insgesamt, anschaulich dokumentieren.

Damit verfügt die Renaissanceforschung, exemplifiziert an einem ihrer ambitioniertesten Projekte, Bernardo Rossellinos Papstpalast, erstmals über ein nahezu lückenlos erschlossenes Abbild von Struktur und System der neuzeitlichen Palastbaukunst. Vor allem aber versucht Pieper, Topographie und Physiognomie Pienzas zueinander ins Verhältnis zu setzen und zugleich die Integration des Landschaftsbildes - mit dem Fluchtpunkt des Monte Amiata - als Bestandteil der architektonischen Planung und Wirkungsabsicht zu charakterisieren. Ein Seitenblick auf die Hintergrundlandschaften in der zeitgenössischen Malerei hätte die Argumentation freilich bereichern und weiter präzisieren können.

Zu den vielleicht strittigen, gleichwohl überraschendsten Ergebnissen dieses über viele Jahre hinweg intensiv besuchten und beobachteten Stadtprospekts zählt Piepers Protokoll des lokalen Sonnenverlaufs. An den Äquinoktien, den Tagundnachtgleichen, fällt der Schatten der Kathedralfassade exakt auf die Begrenzung des in neun Felder geteilten Rasters des trapezförmigen Platzes. In ausgedehnten Exkursen, die auch den Planwechsel und die damit einhergehende Erhöhung der Fassade zu erklären suchen, deutet Pieper die Anlage mithin als "Kalenderbau". Nun ist Pius' Abgrenzung von der zeitgenössischen Astrologie weithin bekannt. Er verwarf freilich nicht ihre Tatsachenfeststellungen, sondern vielmehr deren divinatorische Ausdeutung. Piepers Interpretation erreicht insofern Plausibilität, als Pius damit, in Anlehnung etwa an die in der Renaissance durch literarische Quellen bekannte römische "Sonnenuhr" des Augustus, einen antiken Topos umwidmete, der es ihm ermöglichte, sich und sein Pontifikat in den Weltenlauf und die christliche Heilsordnung einzuschreiben.

Auch andere Interpretationsangebote Piepers müssen, bei aller Überredung durch Bauzeichnung und Fotografie, Konjektur bleiben. Das gilt auch für die letztlich nicht belegbare, grundsätzlich aber reizvolle These, daß die Überführung der Andreas-Reliquien die Platzanlage in den Kontext der durch Pius vehement verfolgten, dann gescheiterten Kreuzzugspläne rückt. Pieper identifiziert eine Blattmaske sicherlich auch deshalb als Porträt Leon Battista Albertis, weil immer schon eine Teilhabe des führenden Baupraktikers und -theoretikers der Renaissance an den Pientiner Bauten vermutet worden ist.

Vor einigen Jahren revidierte einer der Begründer der Architekturikonologie, Richard Krautheimer, seinen früheren Ansatz und forderte den Verzicht auf eine Sinnaufladung, die sich oft zu verselbständigen drohe. Solch ein Rigorismus freilich könnte zu einer erheblichen Verarmung der Architekturgeschichte, letztlich auch zu ihrer Abkopplung von einer der produktivsten und anregendsten Denkrichtungen der Kulturgeschichte führen. Jan Pieper klagt dagegen erfolgreich einen notwendigen Ermessensspielraum ein, den er selbst, meist zum erheblichen Erkenntnisgewinn des Lesers, verschwenderisch ausdehnt. Sein opus magnum mag Piepers eigene, jahrelange Beschäftigung mit Pienza abschließen. Zu den besonderen Qualitäten des Buches freilich zählt, daß sich Forschung und Kritik auf weithin neuen Grundlagen zu weiterer Auseinandersetzung mit Pienza herausgefordert fühlen werden. ANDREAS BEYER

Jan Pieper: "Pienza". Der Entwurf einer humanistischen Weltsicht. Edition Axel Menges, Stuttgart 1997. 622 S., 1563 Abb., geb., 380,- DM.

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