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Berlin - gut zwanzig Jahre nach der Überwindung der Trennung: Wie wurden die beiden Stadthälfte zusammengefügt? Wo entsteht Neues? Wo versagen die Planer? Wie wird gebaut? Wie zeigt sich die Republik in ihren Neubauten? Der Stadtplaner und Architekturkritiker Dieter Hoffmann-Axthelm zieht Bilanz - in langen Streifzügen durch die Stadt. Dazu: Berlin-Fotos von Marek Pozniak mit seiner Blackbox-Kamera.

Produktbeschreibung
Berlin - gut zwanzig Jahre nach der Überwindung der Trennung: Wie wurden die beiden Stadthälfte zusammengefügt? Wo entsteht Neues? Wo versagen die Planer? Wie wird gebaut? Wie zeigt sich die Republik in ihren Neubauten? Der Stadtplaner und Architekturkritiker Dieter Hoffmann-Axthelm zieht Bilanz - in langen Streifzügen durch die Stadt. Dazu: Berlin-Fotos von Marek Pozniak mit seiner Blackbox-Kamera.
Autorenporträt
Dieter Hoffmann-Axthelm, Stadtplaner, Architekturkritiker, Essayist, geboren 1940 und aufgewachsen in Berlin. Studierte Theologie, Philosophie und Geschichte; in den 90er Jahren Mitarbeit am Planwerk Innenstadt für Berlin, begleitet seit Jahrzehnten Bauen und Werden in Berlin mit kritischem Blick. Mehrere Bücher, zahllose Beiträge u.a. in arch+, Bauwelt, Ästhetik und Kommunikation
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.07.2012

Reise in die eigene Stadt
Dieter Hoffmann-Axthelm wandert durch das neue Berlin
Es war einmal ein Berliner Rentner, der wollte zu einer großen Ferienreise aufbrechen. Er bestieg eine Droschke zum Bahnhof, doch auf halbem Wege ließ er anhalten und mietete sich in einer Pension in der Altstadt ein. Von dort aus machte er drei Wochen lang Spaziergänge durch die eigene Stadt und fuhr schließlich zufrieden nach Hause zurück. Diese Figur des Berliner Schriftstellers Julius Rodenberg von 1890 hat sich Dieter Hoffmann-Axthelm zum Vorbild genommen, um in seiner Heimatstadt zu verreisen.
Angetrieben von dem philosophischen Motiv, die Welt nicht nur im eigenen Kopf, sondern auch in der eigenen Stadt zu rekonstruieren, unternimmt er eine Inspektionstour durch das Nachwende-Berlin. In Dutzenden von stadträumlich verknüpften, literarischen Miniaturen geht er nicht nur den Stimmungen, sondern auch den Steinen der Stadt nach und vereint den Genießerblick des Flaneurs mit der Diagnostik eines Stadttherapeuten. Als Theologe und Historiker entfaltet er einfühlendes Verständnis noch für die größten Bausünden. Doch als Planer, der im Senatsauftrag die jüngere Innenstadtentwicklung Berlins mitgeprägt hat, verfolgt er ein klares analytisches Programm. Er nennt es „zukünftige Trümmervermeidung“, indem er im Realisierten auch das mitdenkt, was an planerischer Vernunft versäumt wurde.
Am Alexander-, Potsdamer- und Mehring-Platz trifft Hoffmann-Axthelm auf die stets gleichen Nachwende-Fehler: die Stadtblockaden der überbreiten Autoschneisen, die Kommunikationsbarrieren aus isolierten Riesenblöcken, die Trennwirkungen verpasster Wegeverbindungen. Doch er verzichtet auf die oft Savonarola-mäßige Schärfe seiner früheren Polemiken und arbeitet lieber das Gelungene heraus. Den vielkritisierten neuen Hauptbahnhof lobt er als „Atrium der Eisenbahnstadt, wo die fahrenden Massen sich als Subjekt anschauen können“. Geradezu mit den Augen der Liebe wandert er die 731 Bögen der Berliner Stadtbahn ab und sieht sie als „Wasserstandsanzeiger der Revitalisierung“: Wo städtisches Leben wieder Fuß fasst, öffnen sich die Bögen für Kneipen und Läden.
Im Regierungsviertel beklagt der Autor die unstädtische Friedhofsruhe. Dennoch erkennt er im Kanzleramt ein Stück „erträumter Süden“ und ein republikanisches Monument, das seine Erhabenheit nicht durch Maßstabsverlust, sondern durch Beweglichkeit und Offenheit erhalte. Der neue Spreebogen zwischen Hauptbahnhof und Kanzleramt ist für ihn ein Glanzstück urbaner Gestaltung, das den ehemaligen Wirtschaftsraum eines Stadthafens in eine Gesellschaftspromenade des vereinigten Berlin verwandelt habe.
Zwar sieht der Autor in den Großblöcken der Friedrichstraße zu viel „fehlgeleitetes Bankenkapital“, doch passen für ihn Realität und Erinnerungsbild dennoch zusammen: Denn historische Fluchtlinien und Fassaden fallen nicht brutal auseinander, sondern bewahren die „Magie der barocken Achse“ und künden von der „ungeheuren Kraft, die in der Substanz der zerstörten Stadt noch enthalten war“. Hier formuliert Hoffmann-Axthelm einen Leitsatz seiner Stadtauffassung: „Maßstäblichkeit ist das Geheimnis der Baugeschichte und des Erhaltungszustands einer Stadt.“ Städte würden erst dann aufhören, sich zu kannibalisieren, wenn sie sich selbst klassisch geworden seien. Berlin habe diesen Zustand um 1900 mit der Frühmoderne erreicht, und alles, was danach an Großprojekten aus dem Rahmen falle, lebe gefährlich. Im Stadthaus-Quartier am Friedrichswerder neben dem Außenamt reißt es den Autor vor Vergnügen fast von den Beinen: Dieser erste wieder von unabhängigen Einzelbauherren errichtete Stadtteil seit 1945 sei „ein Fest stadttragender Individualisierung“. Ähnlich schwärmt er von der Vielfalt am Hackeschen Markt. Zwar sei dieses Gebiet eine Nachwende-Erfindung, funktioniere aber deshalb so gut, weil es lebendigen Ersatz für die Leere zwischen Schloss- und Alexanderplatz biete.
Die Klagen über Gentrifizierung stutzt der Autor auf Normalmaß und erinnert daran, dass große Teile des Prenzlauer Berges nach der Wende so grau und unattraktiv waren, dass selbst Berliner davor zurückschreckten. Wachgeküsst wurden diese Quartiere erst von jüngeren Westdeutschen, die die Schönheit der Mietskasernen erkannten. Dass dort heute die Mieten explodieren und Designerläden expandieren, gehört für Hoffmann-Axthelm zur lebendigen Gewerbefreiheit einer Stadt: „Solche Bewegungen zu begrenzen, dazu gehörte eine so entschlossene wie intelligente Stadtpolitik, und die haben wir nicht.“ Basta!
Auch die Eroberung der Ostberliner Industriequartiere schreibt Hoffmann-Axthelm den Neubürgern aus dem saturierten Westen zu, die hier ihre Freizeitbühne für die Sehnsüchte nach Trümmerflächen und Mauermythen finden. Die heute unvorstellbare Melancholie des Bezirks Friedrichshain zu DDR-Zeiten sei wie weggeblasen, sodass die Gegend fast ihren präsozialistischen Charakter wiederbekomme. Zu den weiteren echten Vereinigungserfolgen, die selbst viele Berliner nicht kennen, gehört die stolze Autostadt in Lichtenberg und nebenan die idyllische Victoriastadt von 1900, wo es Sanierung ohne Verdrängung gibt.
Bei allen Fehlern und Versäumnissen von der Leipziger Straße bis zur neuen Autobahn 100, die auf künftige Trümmerverwertung warten, macht der Autor seiner Stadt eine umwerfende Liebeserklärung: „Das will begriffen sein; dass das, was man ein Leben lang als Ferienwunsch mit sich trug, vor der Haustür ist und tagtäglich wahrgenommen sein will.“
MICHAEL MÖNNINGER
DIETER HOFFMANN-AXTHELM: Osten Westen Mitte. Spaziergänge durch das neuere Berlin. Edition Fototapeta, Berlin 2012. 157 S., 12,80 Euro .
Die Klagen über die
Gentrifizierung stutzt
dieser Autor auf Normalmaß
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eine große Liebeserklärung an Berlin erkennt Rezensent Michael Mönninger in diesen Betrachtungen des Architekturkritikers Dieter Hoffmann-Axthelm, der auf die Stadt mit dem genießenden Blick des Flaneurs wie auch dem kritischen des Stadtplaners blickt. Mönninger registriert, dass Hoffmann-Axthelm auf die "Savonarola-mäßige Schärfe" früherer Schriften verzichtet und statt dessen sein Augenmerk auf positive Entwicklungen richtet. Der Autor geißelt also nicht nur die Autoschneisen und Riesenblöcke des Potsdamer Platzes, wie Mönninger informiert, sondern feiert auch die wiedergefundene Lebendigkeit von Prenzlauer Berg und Friedrichshain, die "Maßstäblichkeit" als Garanten guter Stadtplanung und sogar die Friedrichstraße trotz einigen "fehlgeleiteten Bankenkapitals".

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