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Im Spätwerk Lenins verdichten sich Dringlichkeit und revolutionäre Schlagkraft in besonderer Weise. Dennoch stehen meist seine frühen Schriften im Rampenlicht. Der Philosoph und ausgezeichnete Lenin-Kenner Slavoj Zizek zeigt nun anhand ausgewählter Briefe, Reden und Notizen eine neue Seite des sowjetischen Regierungschefs, fernab von Personenkult und Verklärung. Anfang der Zwanzigerjahre, inmitten der letzten Wellen des russischen Bürgerkriegs, sah sich Lenin mit der größten politischen Herausforderung seines Lebens konfrontiert. Die junge Sowjetunion war nach außen wie nach innen schwach,…mehr

Produktbeschreibung
Im Spätwerk Lenins verdichten sich Dringlichkeit und revolutionäre Schlagkraft in besonderer Weise. Dennoch stehen meist seine frühen Schriften im Rampenlicht. Der Philosoph und ausgezeichnete Lenin-Kenner Slavoj Zizek zeigt nun anhand ausgewählter Briefe, Reden und Notizen eine neue Seite des sowjetischen Regierungschefs, fernab von Personenkult und Verklärung. Anfang der Zwanzigerjahre, inmitten der letzten Wellen des russischen Bürgerkriegs, sah sich Lenin mit der größten politischen Herausforderung seines Lebens konfrontiert. Die junge Sowjetunion war nach außen wie nach innen schwach, isoliert und zerrüttet - eine neue, gemäßigte Politik musste her. In seiner scharfsichtigen, präzisen und unterhaltsamen Interpretation zieht Zizek eine Verbindung von den turbulenten Zeiten des jungen Staates bis zu gegenwärtigen ökonomischen Krisen. Angetrieben wird er von der Frage, was wir für unsere Situation von Lenin lernen können.
Autorenporträt
Slavoj Zizek ist hegelianischer Philosoph, lacanianischer Psychoanalytiker und Kommunist. Er gehört zu den bekanntesten Philosophen und Kulturkritikern der Gegenwart und ist International Director am Birkbeck Institute for Humanities der University of London, Visiting Professor an der New York University sowie Professor für Philosophie an der Universität seiner slowenischen Heimatstadt Ljubljana.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.11.2018

Der denkbar schlechteste Zeuge für Wahrheit
Aspiranten auf Umsturz sind keine guten Historiker: Slavoj Zizek macht sich mit Lenin auf den Weg zur Revolution

Wie lässt sich linkes revolutionäres Denken heute formulieren, wenn das Kapital alles beherrscht, die Sozialdemokratie dem Reformismus des Wohlfahrtsstaats frönt und der Linken sämtliche Leitsterne verlorengegangen sind? Die Erfahrungen mit dem Sowjetsozialismus haben revolutionäres Denken nicht beflügelt. China, Venezuela, Kuba und Nordkorea schrecken ab.

"Lenin heute" ist Slavoj Zizeks dritter Versuch über den Revolutionär. 2002 veröffentlichte er "Die Revolution steht bevor. Dreizehn Versuche nach Lenin", eine geschichtsferne und theoretisch waghalsige Adaption Leninscher Lehren für die Gegenwart, in der er von der "inneren Größe" und den "guten alten Tagen" des Stalinismus schwärmte, eine im besten Fall tragikomische postmoderne Spielerei mit der Revolution, im schlechteren ein Fall von zynischer Unbelehrbarkeit. Als die Revolution ausblieb, wurde er 2014 Mitherausgeber des Bandes "Lenin Reloaded - für eine Politik der Wahrheit". Gleichsam auf dem Weg dahin gab er zusammen mit Costas Douzinas zwei Bände zur "Idee des Kommunismus" heraus. Die zuletzt genannten drei Bücher erschienen im Laika-Verlag. Laika war eine Hündin und das erste Lebewesen im Weltraum. Sie starb für die Zukunft.

In "Lenin heute" spricht zuerst Zizek auf rund hundert Seiten, dann lässt er Lenin in vierzehn ausgewählten, aber unkommentierten Schriften aus dessen letzten Lebensjahren zu Wort kommen. Im Vergleich zu 2002 hat Zizek theoretisch mächtig abgerüstet; die Geschichte spielt nun eine weitaus bedeutendere Rolle. Damit aber schreibt er sich in Teufels Küche.

Zizek stellt keine politische oder gesellschaftliche Alternative vor, und er propagiert nicht den Kommunismus alter Schule. Wenn er von Lenin spricht, meint er nicht dessen historischen Sowjetstaat. Schon gar nicht meint er den blutigen Stalinismus, an dem er kein gutes Haar lässt. Überhaupt hält er nichts vom "real existierenden Sozialismus" der Vergangenheit. Denn Zizek hat etwas gelernt. Die Geschichte, an der Lenin mitwirkte, ist kein Vorbild. Lenin sei tot, schreibt er. Wenn Lenin aber tot ist und das Ergebnis seines Handelns schauerlich war, was soll er den Linken heute noch sagen? Da kennt Zizek einen tollen Trick, der es ihm erlaubt, mit Geschichte zu argumentieren, ohne mit ihr zu argumentieren. Der Trick geht so: Lenin an dem zu messen, was er tat, sei der falsche Weg; vielmehr seien "die von ihm versäumten Gelegenheiten" aufzugreifen. Auf diese Weise werde "Lenins wahre Größe" offenbar, die nichts mit dem herkömmlichen Verständnis von Leninismus zu tun habe.

Die Aufgabe der Geschichte ist es also, anerkannt, um anschließend verworfen zu werden. Lenin ist hier folglich keine historische Personalie, sondern eine Chiffre für revolutionäres Denken, ein Typus, der hilft, den Kommunismus radikal neu zu durchdenken, um ihm wieder Aktualität zu geben. Es geht auch nicht um Kommunismus als einer neuen Gesellschaftsform, nicht um eine neue politische Ordnung oder irgendeine mehr oder weniger konkrete Organisation der Revolution, denn das alles zeigt Zizek nicht auf. Er geht zurück auf Feld 1: Wir müssen erst wieder lernen, revolutionär zu denken.

Das geschieht in folgenden Schritten: Erstens, von Lenin lernen heiße, eine Politik der Wahrheit zu entwerfen. Sie greift die Fundamente des Gegebenen an, weil sie radikal danach fragt, was ist. Sie sei, zweitens, eine Intervention in die Wirklichkeit, entstanden auf der Grundlage radikaler Wahlfreiheit, die sich herausnimmt, die Freiheitskoordinaten des gegebenen Systems zu überschreiten. Drittens, es gebe nicht den richtigen Augenblick der Revolution, die richtige Chance besteht im Verlauf des Normalen. Viertens: "Die" haben Wahrheit und Freiheit, "wir" nicht. Daraus folgt: "Wir müssen von einem Herrn in die Freiheit gestoßen oder hineingestört werden."

Der Mensch nämlich liege in einem demokratischen Schlummer, vertraue auf die hergebrachten Formen der Repräsentanz und sei über Aufrufe zur Selbstorganisation nicht zu erreichen. Der Herr sei nötig, "um die Individuen aus dem Morast ihrer Trägheit zu ziehen und sie zum überpersönlichen Freiheitskampf anzuspornen". Das hört sich nach Führerprinzip an. Mit Faschismus habe das nichts zu tun, erklärt der Autor vorsichtshalber. Fünftens: Revolutionäres Handeln ziele nicht mehr auf den Systemsturz in einem Streich, sondern konzentriere sich auf "den ,Unmöglichkeitspunkt' eines bestimmten Feldes", das heißt, es treffe das System mehrfach dort, wo es nicht weiter kann. Sechstens: Zur revolutionären Tat gehöre, dass sie tragisch enden könne - für die Revolutionäre. In der Revolutionstragödie kommen die vom revolutionären Akt beglückten Menschen nicht vor.

Das Enthistorisieren im paradoxen Bezug auf Geschichte funktioniert aber nicht. So gilt die Kritik von 2002 weiter: Zizek reproduziert die Kolonisierung des Bewusstseins der Menschen durch eine Elite von Wahrheitserkennern; er verbirgt die in der Wahrheitsposition enthaltenen Machtverhältnisse; Lenin ist der denkbar schlechteste Zeuge für Wahrheit, weil er darunter ausschließlich seine eigene verstand - erinnert sei an Rosa Luxemburgs gegen Lenin gerichtetes Diktum von der Freiheit der anders Denkenden -, der Rest war Gewalt. Leider hat der Lenin-Spezialist Zizek nur die DDR-Ausgabe von Lenins Schriften benutzt. Die Dokumente des Massenmords findet er darin nicht.

Revolutionäre sind schlechte Historiker. Lenins Geist habe die Arbeiterproteste, aus denen Solidarnosc erwuchs, mit Leben erfüllt, behauptet Zizek abschließend, um seine These provokant zuzuspitzen. Das ist Geschichtsklitterung oder ein Witz. "Die geglückte Revolution" (Agnieszka Zaganczyk-Neufeld) fand in Polen ohne Lenin und ohne dessen Geist statt.

STEFAN PLAGGENBORG

Slavoj Zizek: "Lenin heute".

Aus dem Englischen von Axel Walter.

WBG / Academic Verlag, Darmstadt 2018.

268 S., geb., 24,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Zizek öffnet Lenin für heute - ein sehr inspirierendes Buch.« René Aguigah

»Seine erregte Redegewandtheit, sein bärenhafter Charme und seine fröhliche Bereitschaft, alles und jeden zu provozieren und vor den Kopf zu stoßen, haben Zizek zu so etwas wie dem ikonischen Punker der europäischen Philosophie gemacht, der die Zuhörer rund um den Globus in seinen Bann zieht.« New Statesman

»Wenige Denker veranschaulichen die Widersprüchlichkeiten des zeitgenössischen Kapitalismus besser als Slavoj Zizek, einer der bekanntesten öffentlichen Intellektuellen weltweit.«

John Gray, New York Review of Books

»Ein begnadeter Redner - stürmisch, mitreißend, direkt - er schreibt, wie er spricht.« Jonathan Rée, Guardian

»Wie Sokrates auf Drogen. Atemberaubend scharfsinnig.« Terry Eagleton

»Die Leidenschaft dieses Mannes, dessen Werk einen Drahtseilakt zwischen den Einzelheiten der Populärkultur und den großen, abstrakten Problemen der Existenz bildet, ist belebend, unterhaltend und horizonterweiternd für die wissbegierigen Köpfe dieser Welt.« Helen Brown, Daily Telegraph

»Ein Lesevergnügen.« Rezensionen.ch

»Revolution wird Gesprächsstoff bleiben.« Vier Viertel Kult

»In seiner scharfsichtigen, präzisen und unterhaltsamen Interpretation zieht Zizek eine Verbindung von den turbulenten Zeiten des jungen Staates bis zu gegenwärtigen ökonomischen Krisen.« (Junge Welt)