Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 18,51 €
  • Gebundenes Buch

Vorgestellt wird eine Weltrechtslehre. Sie knüpft an die allgemeinen Ideale in Art. 1 "Allgemeine Menschenrechtserklärung" und an Kants Idee eines "Weltbürgerrechts" an. Dogmatisch geht es insbesondere um die Begriffsbildung, Geltung und die Grundprinzipien des Weltrechts in Abgrenzung zu den völkerrechtlichen Prinzipien. Der Paradigmenwechsel vom Völkerrecht zum Weltrecht zeigt sich vor allem im Übergang von der Souveränität der Staaten zur Rechtssubjektivität der Menschen und zur Orientierung an der 'rule of law'. In fragmentarischen Konstitutionalisierungsprozessen im Völkerrecht offenbart…mehr

Produktbeschreibung
Vorgestellt wird eine Weltrechtslehre. Sie knüpft an die allgemeinen Ideale in Art. 1 "Allgemeine Menschenrechtserklärung" und an Kants Idee eines "Weltbürgerrechts" an. Dogmatisch geht es insbesondere um die Begriffsbildung, Geltung und die Grundprinzipien des Weltrechts in Abgrenzung zu den völkerrechtlichen Prinzipien. Der Paradigmenwechsel vom Völkerrecht zum Weltrecht zeigt sich vor allem im Übergang von der Souveränität der Staaten zur Rechtssubjektivität der Menschen und zur Orientierung an der 'rule of law'. In fragmentarischen Konstitutionalisierungsprozessen im Völkerrecht offenbart sich die praktische Wirksamkeit des Weltrechts. Beispiele sind die Erweiterung von erga omnes-Prinzipien, die Staatswerdung Europas, die Entstehung von global governance, die Ausdehnung der supranationalen Rechtsetzungsbefugnisse des Sicherheitsrates, die Institutionalisierung des Welthandelsrechts und die Schaffung einer Weltstrafgerichtsbarkeit. Wegen der Globalisierung der Lebensverhältnisse bleibt darüber hinaus eine kohärente Weltverfassung, für deren Konzeption verschiedene Modelle geprüft werden, unabdingbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2007

Fragmentarische Weltverfassung
Das Völkerrecht mit all seinen Schwächen ist vagen Versprechen vorzuziehen / Von Christian Hillgruber

Die Idee eines Weltstaates ist alt. Schon Bacon, Dante oder Campanella hatten ihn anvisiert. Ist die Zeit für das, was lange als Utopie erschien, nun reif? Wenn nicht jetzt, im Zeitalter der Globalisierung, die zu einer "Vernetzung" der politisch integrierten Gesellschaften der vielen Staaten in der Wirtschafts- und Wissensgesellschaft der einen Welt geführt hat, und im Zeitalter des Universalismus der Menschenrechte, wann dann? Immanuel Kant hatte bereits in seiner Schrift zum Ewigen Frieden von 1795 davon gesprochen, es sei "mit der unter den Völkern der Erde einmal durchgängig überhandgenommenen (engeren oder weiteren) Gemeinschaft so weit gekommen, dass die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird", und so sei "die Idee eines Weltbürgerrechts keine phantastische und überspannte Vorstellungsart des Rechts, sondern eine notwendige Ergänzung des ungeschriebenen Kodex, sowohl des Staats- als Völkerrechts zum öffentlichen Menschenrechte überhaupt".

An diese Kantsche Idee des Weltbürgerrechts, aber auch an das moderne Menschenrechtsverständnis, das alle Menschen weltweit als frei und gleich an Würde und Rechten geboren begreift (Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948), anknüpfend, wagt Angelika Emmerich-Fritsche das ambitionierte Unterfangen, eine Weltrechtslehre für unsere heutige Zeit zu entwickeln. "Weltrecht" soll dabei zunächst und in erster Linie "Menschheitsrecht" sein. Der einzelne Mensch als primäres Rechtssubjekt bildet danach den Ausgangspunkt allen Rechts. Seine Würde, sein Recht auf Selbstbestimmung und das - ein transnationales subjektives Recht auf globalen Menschenrechtsschutz, Kontaktaufnahme, Asylrecht und status civilis begründende - Weltbürgerrecht sind der zentrale Inhalt des "geborenen Weltrechts". In einem Paradigmenwechsel vom Völkerrecht zum Weltrecht werden die souveränen Staaten von den Menschen als "weltrechtliche" Grundeinheiten abgelöst. Nicht ihre, sondern deren Rechtsfähigkeit ist eine bloß abgeleitete.

Der Paradigmenwechsel hat erhebliche strukturelle Konsequenzen. Auch ohne Positivierung gelten Menschenrechte (ohne allerdings gegenüber Unrechtsregimen deshalb eingeklagt werden zu können). Unabhängig von der bisher allein maßgeblichen Staatenpraxis soll nun auch der im Diskurs zwischen Rechtskulturen entstehende "Konsens der Weltgemeinschaft" als "eigenständige Quelle der Weltrechtsetzung" Anerkennung finden. Wie aber kann er festgestellt werden, wenn die Weltgesellschaft doch als solche nicht organisiert ist? Frau Emmerich-Fritsche erscheint die "Institutionalisierung des Weltrechts in einer Weltverfassung" geboten. Die "öffentliche Weltverfassung", die ihr vorschwebt, ist "mehrgliedrig" und reicht von der kleinsten Einheit verfasster Bürgerlichkeit über eine Völkerrechtsordnung bis zu einer weltbürgerlichen Verfassung. Sie baut also auf den bestehenden "Verfassungen" der Gebietskörperschaften, der Staaten, Weltregionen und der universellen Staatengemeinschaft auf. Staats- und Völkerrecht werden also durch das Weltrecht nicht obsolet. Einer Weltverfassung bedarf es "nur für den durch das Völkerrecht und das staatliche Recht unbewältigten ,Restnaturzustand'". Die unabdingbare Weltverfassung erscheint gewissermaßen als die neue, Rechtseinheit stiftende Spitze einer Verfassungshierarchie und beansprucht - supranational - Geltungsvorrang vor dem Staats- und Völkerrecht und unmittelbare innerstaatliche Anwendbarkeit. Das im Völkerrecht enthaltene ius cogens enthält in dieser Sichtweise bereits "eine partielle, minimale Weltverfassung", bildet dessen Nukleus.

Frau Emmerich-Fritsche unterscheidet und prüft vier Modelle der verfassten Weltrechtsordnung, eine durch die Staaten selbst realisierte "Republik offener Republiken", der Kants "Föderalismus freier Staaten" entsprechen dürfte, funktionale Weltstaatlichkeit in Gestalt von Weltinstitutionen, Streitbeilegungsverfahren und Weltgerichtsbarkeit, "eine sachlich beschränkte oder minimale Weltrepublik" und schließlich eine von der Weltgesellschaft selbst diskursiv hervorgebrachte "Weltrechtsordnung jenseits der Kategorie des Staates". Während sich bei dem Modell der Weltrepublik auch in seiner angedachten rudimentären Form durchgreifende Zweifel an einer dafür erforderlichen globalen Solidarität und der Realisierbarkeit einer funktionierenden "kosmopolitischen Demokratie" einstellen, kann Deliberation in Politiknetzwerken der "global governance" herkömmliche demokratische Legitimationsverfahren nicht ersetzen; ganz ohne Staat(en) geht es also offensichtlich doch nicht.

Nun setzt Angelika Emmerich-Fritsche stattdessen auf einen Ausbau der institutionell-verfahrensrechtlichen Konstitutionalisierungsprozesse im Völkerrecht, die sich etwa in der Entwicklung der Vereinten Nationen, der Welthandelsordnung und der Internationalen Arbeitsorganisation zeigen sollen und die als beginnender Paradigmenwechsel hin zu einer Weltfriedens-, Weltwirtschafts- und Weltarbeitsverfassung gedeutet werden. Hinzu treten völkerrechtliche Verpflichtungen erga omnes, universelle Menschenrechte sowie eine völkerstrafrechtlich bewehrte Individualverantwortlichkeit. Von einer kohärenten Weltverfassung sind diese separaten "Teilverfassungen" auch in ihrer Addition noch weit entfernt, aber die Autorin sieht hierin doch bereits deutliche Belege für ihre These vom Paradigmenwechsel. Darüber ließe sich streiten.

Wichtiger erscheint, dass all diese Entwicklungen, auch der in die Überlegungen einbezogene europäische Integrationsprozess, in nationalstaatlicher Perspektive mit Entparlamentarisierung und Entdemokratisierung einhergehen, der kein hinreichender, kompensatorischer Partizipationsgewinn auf der Ebene inter- und supranationaler Organisationen gegenübersteht. Wird die sich abzeichnende weltweite rule of law mittels funktionaler Zweckverbände also möglicherweise mit dem unwiederbringlichen Verlust demokratischer Legitimation teuer, zu teuer erkauft? Ist eine an ihre Stelle tretende "weltbürgerliche Legitimation" überhaupt vorstellbar, und wie könnte sie hergestellt werden? Die propagierte Einbeziehung nichtstaatlicher, globaler Rechtssubjekte (transnationaler Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen) in den Weltrechtserzeugungsprozess der global governance löst das Problem jedenfalls definitiv nicht, sondern verschärft es im Gegenteil.

Möglicherweise gilt es daher heute aus anderen als den seinerzeit von Kant angeführten Gründen, nämlich zur Erhaltung der Demokratie, der Idee einer verfassten Weltrepublik zugunsten eines Völkerbundes zu entsagen, gehört die Zukunft weniger einer durch Weltgemeinschaftsinteressen zur Einheit geformten Menschheit als vielmehr einer internationalen Gemeinschaft rechtsstaatlich und demokratisch verfasster, nach wie vor souveräner, wenngleich offener Nationalstaaten, "die in der Heterogenität und Ungleichzeitigkeit bilateraler und supranationaler Bindungen immer voraussetzungsreicher agieren" (Udo Di Fabio). Auch und gerade in der zunehmenden Kooperation und Integration bleiben, wie die Autorin selbst betont, die Staaten als Vermittler demokratischer Legitimation unverzichtbar. Frau Emmerich-Fritsche resümiert: "Es gibt Möglichkeiten, die fragmentarische Weltverfassung zu vervollständigen, namentlich zu demokratisieren." Solange sie nicht voll entwickelt und erprobt sind, sollten wir dem vagen Versprechen eines Welt(verfassungs)rechts ein durch die staatlich organisierten Völker demokratisch legitimiertes Völkerrecht mit all seinen Schwächen vorziehen.

Angelika Emmerich-Fritsche: "Vom Völkerrecht zum Weltrecht". Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2007. 1204 S., 128,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Skeptisch äußert sich Christian Hillgruber letztlich über Angelika Emmerich-Fritsches "amibitonierten" Versuch, anknüpfend an Kants Idee des Weltbürgertums sowie an das moderne Menschenrechtsverständnis eine Weltrechtslehre für die Gegenwart zu entwickeln. Der von der Autorin angestrebte Paradigmenwechsel vom Völkerrecht zum Menschheitsrecht scheint ihm weitreichende Konsequenzen zu haben. Mit hohem rechtswissenschaftlichen Sachverstand setzt sich Hillgruber mit Emmerich-Fritsches Ausführungen auseinander. Er kommt zu dem Schluss, dass es besser wäre, die Idee einer Weltrepublik mit einer weltbürgerlichen Verfassung zugunsten eines Völkerbunds zu entsagen, sieht er doch durch die Vorschläge der Autorin die Erhaltung der Demokratie in Gefahr. Die Zukunft gehört in seinen Augen eher einer internationalen Gemeinschaft rechtsstaatlicher, demokratischer, souveräner, aber gleichwohl offener Staaten.

© Perlentaucher Medien GmbH