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Der eigentümliche Gebrauch, den Walter Benjamin von seinem Vokabular machte, stellt für alle, die sich in sein kompliziertes Denkgebäude einarbeiten, eine enorme Herausforderung dar. Benjamins Begriffe unterliegen einem diffizilen Bedeutungswandel, und sie entziehen sich dem definitorischen Zugriff. Das vorliegende »Lexikon« macht es sich zur Aufgabe, die Entfaltung der im Zentrum des Benjaminschen Denkens stehenden Begriffe zur Darstellung zu bringen. Für Benjamin bilden Begriffe wie Allegorie, Aura, Eros, Erwachen, Passage, Revolution, Zitat Konzentrationspunkte, die einzelne Stränge des…mehr

Produktbeschreibung
Der eigentümliche Gebrauch, den Walter Benjamin von seinem Vokabular machte, stellt für alle, die sich in sein kompliziertes Denkgebäude einarbeiten, eine enorme Herausforderung dar. Benjamins Begriffe unterliegen einem diffizilen Bedeutungswandel, und sie entziehen sich dem definitorischen Zugriff. Das vorliegende »Lexikon« macht es sich zur Aufgabe, die Entfaltung der im Zentrum des Benjaminschen Denkens stehenden Begriffe zur Darstellung zu bringen. Für Benjamin bilden Begriffe wie Allegorie, Aura, Eros, Erwachen, Passage, Revolution, Zitat Konzentrationspunkte, die einzelne Stränge des Gesamtwerks gleichsam unterirdisch miteinander verknüpfen.
Die vorliegenden Bände sind Einführung und Arbeitsmittel und setzen neue Akzente innerhalb der unüberschaubar werdenden Sekundärliteratur. Die den einzelnen Artikeln beigefügten Belegstellen machen die Verwobenheit der jeweiligen Begriffe in das Gesamtwerk sichtbar und fordern zugleich zu weiterführender Lektüre auf.
Autorenporträt
Erdmut Wizisla, 1958 geboren, ist Leiter des Bertolt-Brecht-Archivs und Leiter des Walter Benjamin Archivs an der Akademie der Künste Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.08.2000

Ein Demokrat war er nie
Über die Schwierigkeit, eine Leitfigur auf den Begriff zu bringen: Walter Benjamins Interpreten steuern in einem neuen Lexikon um die biographischen Klippen herum

Walter Benjamin hat uns ein Vorbild dafür geliefert, wie man eine produktive Selbstorientierung in der Kultur der Gegenwart auf philosophische Bildung, wissenschaftliche Forschung, ästhetische Sensibilität, zeitgeschichtliches Bewußtsein, Kenntnis der literarischen Überlieferung, politisches Urteil und biographische Selbstreflexion gründen kann. Wollte man heute diesem Vorbild folgen, dann müßte man sich von den Kurzschlüssen der Anverwandlung freimachen, mit denen Benjamin Selbstorientierung und Erkenntnis in eins setzte. Die heutige Kulturkritik, die sich auf Benjamin beruft, nimmt indes die Aporien, in die ihn seine überstürzte Theoriebildung geraten ließ, als unvermeidliche Paradoxien historischen Denkens hin. Ist sie doch selbst an die Rhetorik selbstgewisser Begriffsprägungen ohne Prüfung der Ergebnisse gewöhnt.

Bei einem Autor, der, zumindest in der letzten Phase seiner Arbeit, philosophisches Denken an historischen Gegenständen bewähren wollte - "Ich habe nichts zu sagen. Nur zu zeigen" -, läßt sich jedoch die Frage nicht unterdrücken, ob er Primär- oder Sekundärliteratur verfaßte. Die Benjamin-Forschung hat zwar erst kürzlich wieder in einem dreibändigen Kongreßbericht von knapp dreitausend Seiten (auch ich habe darin geschrieben) ihre historiographische und analytische Präzision an der Vielfalt von Benjamins Themen unter Beweis gestellt, meistens aber ohne Benjamins Denken einer Kritik durch Verifikation zu unterziehen. Sie steht im Begriff, Benjamin zu historisieren, allerdings uneingestanden.

Nun ist ein zweibändiges Lexikon mit dem Titel "Benjamins Begriffe" erschienen, in dem ausgewiesene Spezialisten Schlüsselbegriffe aus Benjamins Werk in alphabetischer Anordnung ausführlich erläutern. Die 23 Begriffe sind nach Maßgabe ihrer Erfolgsgeschichte ausgewählt. Im Lichte andauernder Benjamin-Rezeption erstrahlen "Allegorie" und "Aura", "Traum" und "dialektisches Bild", "Kunstwerk" und "Rettung", "Geschichte" und "Theologie". Im dunkeln bleiben die Begriffe, mit denen Benjamin nicht zurechtkam: "Arbeit" und "Ware", "Klasse" und "Proletariat", "Fortschritt" und "Faschismus". Sie stammen allesamt aus der Zeit nach Benjamins intellektueller Selbstverpflichtung auf den Kommunismus, hier verschämt "materialistische Wende" genannt. Sie hätten sich nicht anders als kritisch erläutern lassen, und zwar nicht deshalb, weil die politische Parteinahme Benjamin kompromittieren würde, sondern weil die Begriffe an der historischen Erfahrung vorbeigingen, die sie erfassen sollten. So fehlt auch der Begriff der "Politik", dem sie zugeordnet sind.

Die Auswahl der Begriffe im Lichte ihres Erfolgs wirft zwei Probleme auf. Das erste, historische, betrifft die biographische Kontinuität von Benjamins schriftstellerischer Arbeit, auf die er so viel Wert legte, daß er einmal schrieb, er habe die gesamte Gedankenmasse seines vormarxistischen Denkens in das marxistische überführt. Mehrere Autoren des vorliegenden Lexikons bestätigen ihm diese Kontinuität, lassen aber die Frage offen, ob sie jenen Fortschritt darstellt, den Benjamin damit gemacht zu haben glaubte. Das zweite, aktuelle Problem ist die Bewährung der marxistischen Denktradition in Benjamins späten Schriften, die früher heftig umstritten war. Heute steht diese Denktradition zu einer Revision an, die keineswegs geleistet ist.

Man kann unter Benjamins Begriffen solche, die mehr oder weniger fest in der Begriffsgeschichte verankert sind, von anderen unterscheiden, die Benjamin idiosynkratisch geprägt hat und die nur unter Berufung auf seine Schriften verwendet werden können. Zu den ersteren gehören "Allegorie" und "Geschichte", "Kritik" und "Theologie", zu den letzteren "Aura" und "dialektisches Bild", "Sammler" und "Passagen". Benjamin selbst hat den Wesensunterschied zwischen traditionellen und idiosynkratischen Begriffen ebensowenig beachtet wie den zwischen ihrem epistemologischen und ihrem substantiellen Gebrauch. Wir können heute keine Theorien von Gegenständen gelten lassen, sondern nur von Denk- und Erfahrungsweisen, durch die wir uns ihnen zu nähern suchen. Benjamin dagegen war mit "Theorien" von Gegenständen ohne Reflexion auf ihre Erfahrungsgrundlage schnell bei der Hand. Mit seinem Briefpartner Theodor W. Adorno wetteiferte er darin.

So sind auch seine Begriffe an die Gegenstände gekettet, die sie explizieren sollen. Die meisten Autoren des vorliegenden Werks folgen seinem Anspruch, indem sie die Begriffe an Hand ihrer Thematik erläutern. Dieser Kurzschluß der hermetischen Selbstbestätigung schirmt die Begriffe gegen ihre kritische Beurteilung und damit gegen ihre produktive Fortbildung ab. Sie erstarren zum Zitat, ihr Autor zur Autorität. Nur so werden sie heute noch aktualisiert.

Eine kritische Aneignung von Benjamins Begriffen, die zwischen Gelingen und Scheitern ihrer Verwendung abwägt, ist nur in einer Traditionsbildung funktional. In der Kritischen Theorie wird daran gearbeitet. Adorno hat in seinem Briefwechsel mit Benjamin den Maßstab dafür gesetzt. Jenseits der Tradition werden Benjamins Begriffe der Copyright-Terminologie zugeschlagen, die heute theoretische "Diskurse" aller Art durchsetzt. In einer heterogenen Scholastik unverbindlicher Denkangebote sind sie durch den Namen dessen ausgewiesen, der sie prägte. Die Autoren des Lexikons, die viel literaturgeschichtliche Objektivierung walten lassen, empfehlen anerkennenswerterweise keinen derartigen Gebrauch. Sie erwecken allerdings zuweilen durch Einstimmung in Benjamins apodiktisch hochgeputschten Sprachgestus den Eindruck, als könne man in seinen Begriffen weiterdenken.

Aber man kann sich Benjamin nicht durch eine kritische Aktualisierung seiner Begrifflichkeit zum Vorbild nehmen. Man müßte sich vielmehr die subjektive Zielbestimmung seines Denkens zu eigen machen, indem man eine produktive Selbstorientierung in der Kultur, die zugleich ihren Gegenständen gerecht wird, unter heutigen Bedingungen von Denken und Erfahrung nachvollzieht. Der dekretorische Gestus, mit dem Benjamin die Geltung seiner Begriffe reklamierte, ging von der Dialektik der Auseinandersetzung unversehens in die Rhetorik einer finalen Darlegung über. Wir dagegen sollten in der Lage sein, Begriffe sowohl historiographisch als auch systematisch geklärt auf die erweiterte Erfahrung anzuwenden, die uns heute zugänglich ist, um diese Erfahrung intersubjektiv zu vermitteln und zu revidieren. Dafür stehen längst umfangreiche Begriffslexika bereit, an denen Benjamins Begriffe ebenso zu messen wären wie an ihren Gegenständen.

Die intersubjektive Verbindlichkeit und Erfahrungsoffenheit von Begriffen beruht auf einem Zusammenhang von Theorie und Demokratie, dessen Reflexion in der seit über fünfzig Jahren gesicherten Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik unumgänglich, wenn auch nicht selbstverständlich geworden ist. Dieser Zusammenhang war Benjamin vollständig fremd. Wenn ich mich nicht irre, kommt der Begriff der "Demokratie" in Benjamins Schriften an keiner prominenten Stelle, vielleicht sogar nirgends, vor. In den politisch geschwächten Staatswesen der Weimarer Republik und der Dritten Republik während der Wirtschaftskrise stellte Demokratie keinen Grundkonsens dar, an dem Benjamin sich hätte orientieren können. Er engagierte sich um so weniger an der politischen Kultur der beiden Staaten, in denen er wirkte, als er dem Kommunismus in dessen "revolutionärer", das heißt antidemokratischer Phase während der Jahre 1928 bis 1932, der Zeit des ersten sowjetischen Fünfjahresplanes, zuneigte.

Als 1936 die französischen und spanischen Kommunisten mit ihrer von der Komintern sanktionierten Wendung zur Volksfront demokratische Politik betrieben, hatte er bereits auf die politische Aktualität seiner Arbeit als Schriftsteller verzichtet. Ein solches Denken läßt sich in einer demokratischen Kultur nur dann aktualisieren, wenn man sich von seinen politischen Prämissen distanziert, nicht dagegen, wenn man sie im dunkeln läßt.

Benjamins unermüdliche Beobachtungsfähigkeit, die er an zahllosen Gegenständen literarisch bewährte, erstarrte vor der politischen Kultur, das heißt der öffentlichen Manifestation von Politik, wie der Blick des Kaninchens vor der Schlange. Sobald er sein Denken politisch bestimmen wollte, gründete er es nicht länger, wie noch in seinem Buch "Ursprung des deutschen Trauerspiels", auf die Beobachtung von Politik. So verlor seine Begriffssprache ihre substantielle Authentizität. Statt dessen steigerte Benjamin den rhetorischen Gestus kategorischer Behauptungen, den er sich als metaphysischer Denker angeeignet hatte, zum Anspruch auf den Einklang mit einer unwiderstehlichen Tendenz der Weltgeschichte.

Die Autorität dazu erborgte er sich von ebenden ideologischen Stereotypen des Kommunismus, die im vorliegenden Begriffslexikon keinen Platz gefunden haben. Diese linke Selbstprivilegierung des Denkens hielt ihm schon Gershom Scholem vor. In seinem Aufsatz über den Surrealismus von 1929 hatte Benjamin André Bretons Selbstverpflichtung auf die Parteidisziplin noch mit Beifall bedacht. Als jedoch Breton die Parteidisziplin abschüttelte und mit einem radikalen Kommunismus der Überzeugung die stalinistische Orthodoxie herausforderte, verlor Benjamin ihn aus dem Blick. Von der politischen Indifferenz, mit der sich Benjamin solchen Entscheidungsfragen zu entziehen pflegte, machte er sich mit der "Dialektik im Stillstand" einen Begriff nach Maß.

Das zeitgeschichtliche Erfahrungsdefizit von Benjamins literarischer Selbstorientierung im Bereich der Politik wurde von einer Flut kulturgeschichtlicher Studien über das neunzehnte Jahrhundert kompensiert, deren Anordnung zu einer Metaphysik der weltgeschichtlichen Spekulation eine Perspektive auf die Gegenwart eröffnen sollte. Ein ganzes Kapitel seines geplanten "Passagenwerks" wollte Benjamin den Weltausstellungen des Zweiten Kaiserreiches widmen. Doch den Besuch der Pariser Weltausstellung im Sommer 1937 schob er immer wieder auf. Vielleicht war er nie dort. In den veröffentlichten Vorarbeiten zum "Passagenwerk" erwähnt er sie jedenfalls nicht.

Die spiegelbildliche Konfrontation zwischen dem deutschen und dem sowjetischen Pavillon vor dem Palais Chaillot hätte ihn über den vermeintlichen Gegensatz zwischen einer faschistischen "Ästhetisierung der Politik" und einer kommunistischen "Politisierung der Kunst", mit dem er seinen Aufsatz "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" vom Jahr zuvor beschlossen hatte, eines Besseren belehrt. Doch Benjamins Begriff des Kunstwerks war, wie Chryssoula Kambas in ihrem Beitrag im Begriffelexikon feststellt, eine metaphysisch überdeterminierte Abstraktion, die sich Benjamin aus seinem Studium der romantischen Kunstliteratur gebildet hatte. Infolgedessen entging ihm die Politisierung der Kunst, die Deutschland, Italien und die Sowjetunion im Jahrzehnt der Wirtschaftskrise gleichermaßen betrieben und der die Dritte Republik auf der Pariser Weltausstellung im Bewußtsein ihrer demokratischen Kultur zu begegnen suchte.

Das proklamieren jedenfalls Paul Valérys goldene Inschriften auf den beiden Stirnwänden des Palais Chaillot, die Benjamin wohl nie gelesen hat. Hier hätte er nicht nur Vera Muchinas "Arbeiter und Kolchosbäuerin" und Josef Thoraks "Kameradschaft" inspizieren können, sondern auch Jacques Lipchitz' "Prometheus" und Picassos "Guernica". Diese Werke hätten ihm gezeigt, daß es bei der Politisierung der Kunst nicht lediglich um einen Kampf zwischen "Kommunismus" und "Faschismus" ging, sondern um eine Konfrontation zwischen Demokratie und Diktatur, die quer zur "antifaschistischen" Ideologie verlief. Statt dessen funktionierte Benjamin Klees Aquarell "Angelus Novus" von 1921, seine Privatikone langjähriger Selbstbespiegelung, zur Symbolfigur einer resignierten, retrospektiven Weltsicht im ersten Jahr des Zweiten Weltkriegs um.

In ihrem Beitrag zum vorliegenden Lexikon betont Kambas die Bedeutung der wechselnden Milieus von Personen- und Freundeskreisen, an denen Benjamin seine schriftstellerische Tätigkeit zu orientieren pflegte. Die Öffentlichkeit, die er sich durch seine regelmäßige Mitarbeit am Rundfunk und an der "Literarischen Welt" geschaffen hatte, ging ihm gerade in dem Augenblick verloren, da er sich als politischen Schriftsteller im Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur begriff. Als Benjamin seine Mitarbeit für die "Zeitschrift für Sozialforschung" in New York im Briefwechsel mit deren Herausgebern Horkheimer und Adorno entwickelte, fiel er wieder zurück auf das Schreiben für eine Handvoll ihm bekannter Leser.

In der Öffentlichkeit der pluralistischen Demokratie, in der wir heute arbeiten, von der jedoch Benjamin nicht den mindesten Begriff hatte, ist die ideologiekritische Verantwortlichkeit eines Anspruchs auf Erkenntnis gegenüber einer gesellschaftlich und politisch heterogenen Leserschaft sowohl komplizierter als auch deutlicher geworden. Sie erfordert einen konstruktiven Begriff intersubjektiver, technisch und medial vermittelter Erfahrung, an der sich Behauptungen überprüfen lassen. Daß uns diese Art der Erfahrung eine genauere und differenziertere Kenntnis der Gegenstände liefert, als Benjamin sie haben konnte, ermöglicht einen verantwortlichen Gebrauch von Begriffen, der ihre Verifizierbarkeit in Rechnung stellt. Der linksplatonischen Illusion, sie seien bereits substantielle Aussagen, geben wir uns nicht mehr hin.

Die radikale Verabschiedung von Benjamins Begriffen, zu der uns unsere historische Distanz berechtigt, fordert die Benjamin-Forschung dazu heraus, sich der Frage zu stellen, ob sie ihre Beiträge heute noch, wie einst 1972, unter dem Titel "Zur Aktualität Walter Benjamins" zusammenfassen könnte. Der kleingedruckte Titel "global benjamin", unter dem die dreibändigen Akten des Osnabrücker Kongresses von 1992 sieben Jahre später veröffentlicht wurden, bedeutet nichts weiter, als daß heutzutage in aller Herren Ländern bibliographisch oder elektronisch vernetzt über Benjamin gearbeitet wird. So hat die Benjamin-Forschung ihre akademischen Investitionen festgeschrieben und ihr bibliographisches Kapital exponentiell vermehrt. Ihre philologische und philosophische Ausdifferenzierung macht Benjamins Schriften auf beiden Seiten des Atlantiks zu einer disparaten Berufungsinstanz für die Teilnahme an einer Kultur, die sich durch ihre eigene Kritik legitimiert. Die philosophisch disziplinierte Willkürlichkeit von Benjamins subjektiver Anverwandlung der Kultur spricht einen Diskurs der freien Meinungsäußerung an, der sich seit dem Zusammenbruch des Kommunismus dagegen gefeit weiß, je wieder seine Zuflucht in linker Dogmatik zu suchen.

Dieser postume Erfolg läßt vergessen, daß Benjamin, sobald er sich der Zeitgeschichte stellte, in ebendiese Dogmatik verfiel und sie nicht schon deshalb überwand, weil er schließlich an ihr irre wurde. Wie umsichtig auch immer die Autoren des Begriffelexikons das gut verstrebte Begriffsgebäude von Benjamins philosophischem Denken restaurieren, links, wo die versagenden Begriffe fehlen, bröckelt das Mauerwerk vor dem geschichtslosen Raum. Vielleicht fand sich deshalb niemand dazu bereit, den Zentralbegriff der "Wahrheit" zu erläutern, um die es Benjamin ging.

OTTO KARL WERCKMEISTER

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ralph Hammerthaler charakterisiert die beiden Bände, die es unternehmen Benjamins Begriffe zu analysieren, als "Expeditionen statt Definitionen" und findet, dass sie damit dem Denken Benjamins durchaus gerecht werden. Er lobt, dass die Autoren "das ganze Spektrum" an Begriffen abdecken und selbst fehlende Stichwörter wie die Melancholie in anderen Begriffsuntersuchungen "durchschimmern". Nur ausnahmsweise findet Hammerthaler "autistisch geschraubte Sätze", wie z. B. bei den Ausführungen Josef Fürnkäs` zur Aura, einem Schlüsselbegriff Benjamins. Insgesamt aber überwiegt der positive Eindruck, und er preist die Autoren für ihre Bereitschaft, sich auf "Benjamins eigenes Abenteuer" einzulassen, indem sie das Schwebende und schwer fassbare seiner Begriffe herausarbeiten.

© Perlentaucher Medien GmbH