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Die wichtigsten Texte Ulrike Meinhofs sind ein Beispiel von entschiedenem Journalismus, der nicht vor den Höhen der Macht skandiert, sondern den politischen Widerspruch aufzufindenversteht, und zugleich ein Abriss deutscher Nachkriegsgeschichte: Sie analysieren die Unfähigkeit der Verarbeitung des Nazismus und die eilige Rekonstruktion der Macht, sie beschreibendas Verkümmern der Demokratie am Fall des Einzelnen - seine Würde wird antastbar.

Produktbeschreibung
Die wichtigsten Texte Ulrike Meinhofs sind ein Beispiel von entschiedenem Journalismus, der nicht vor den Höhen der Macht skandiert, sondern den politischen Widerspruch aufzufindenversteht, und zugleich ein Abriss deutscher Nachkriegsgeschichte: Sie analysieren die Unfähigkeit der Verarbeitung des Nazismus und die eilige Rekonstruktion der Macht, sie beschreibendas Verkümmern der Demokratie am Fall des Einzelnen - seine Würde wird antastbar.
Autorenporträt
Ulrike Marie Meinhof wurde 1934 in Oldenburg geboren. Von 1959 bis 1969 war sie Mitarbeiterin bei der Zeitschrift konkret. 1970 ging sie in den Untergrund, wurde 1972 verhaftet und starb 1976 im Gefängnis in Stammheim.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.02.2018

TOMATENAKTION
Klar und modern: Ulrike Meinhof über die Frauen im SDS

Auf der 23. Delegiertenkonferenz des SDS im September 1968 in Frankfurt flogen die Tomaten. Gerade hatte die Sprecherin des Berliner "Aktionsrats für die Befreiung der Frau", Helke Sander, den antiautoritären SDS-Autoritäten vorgeworfen, in der Organisation würden die Frauen genauso unterdrückt wie sonst in der Gesellschaft, da ergriff als nächster Redner der Konferenz Hans-Jürgen Krahl das Wort und ignorierte ihren Angriff völlig, ging gar nicht auf Sanders Beitrag ein - und wurde von den Frauen mit Tomaten beworfen.

In den gesammelten Kolumnen und Polemiken, die Ulrike Meinhof für "konkret" schrieb, jene von Klaus Rainer Röhl gegründeten Zeitschrift, die in ihrer Hochzeit eine Auflage von 200 000 Exemplaren erreichte, findet man einen Text über die Tomaten auf der Delegiertenkonferenz. Er stammt aus der "konkret"-Nummer zwölf von 1968: "Die Frauen im SDS oder In eigener Sache". In Frankfurt hatte sich nach der Aktion ein "Weiberrat" gebildet, der Flugblätter mit der Parole "Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen!" verbreitete, den Genossen ihren Machismus vorhielt oder besser - "kotzen wir's raus" - aggressiv entgegenbrüllte.

Liest man erst den Wortlaut des Flugblatts, der sich in Peter Moslers "Was wir wollten, was wir wurden" findet, und dann den Text von Ulrike Meinhof, zeigt sich im Kontrast noch mehr als ohnehin schon die besondere Kühle ihres Tons, die Nüchternheit und Schärfe ihrer Argumentation. "Dass Tomaten und Eier sehr gut geeignet sind, Öffentlichkeit herzustellen, wo andernfalls die Sache totgeschwiegen worden wäre, ist seit dem Schahbesuch sattsam bekannt. Als Verstärker von Argumenten haben sie sich schon mehrfach als nützlich erwiesen", schreibt die Journalistin und markiert den Unterschied: Die Studenten, die den Schah besudelten, hätten nicht in eigener Sache gehandelt, eher stellvertretend für die persischen Bauern, die sich nicht wehren konnten. Deshalb hätten diese Tomaten Symbolcharakter - ganz im Gegensatz zu denen, die auf der Frankfurter Delegiertenkonferenz geflogen seien: "Die Männer, deren Anzüge (die Frauen wieder reinigen werden) bekleckert wurden, sollten gezwungen werden, über Sachen nachzudenken, über die sie noch nicht nachgedacht haben. Nicht ein Spektakel für eine alles verschweigende Presse sollte veranstaltet werden, sondern die waren gemeint, die sie an den Kopf gekriegt haben."

Sie ruft dann nicht reißerisch zum Kampf auf, überhaupt hat der Text nichts Parolenhaftes, ist nicht Aufruf, sondern Reflexion. Ihre Bemerkung, dass nicht nur die Reaktionen der Männer auf der Konferenz in Frankfurt, sondern auch die der wohlwollenden Berichterstatter gezeigt hätten, "dass noch erst ganze Güterzüge von Tomaten verfeuert werden müssen, bis da was dämmert", hat nichts Aufforderndes, sie ist bloßer Spott. Was sie fordert, ist, über die Konsequenzen der Aktion nachzudenken, die nicht darin bestehen könnten, dass der SDS sich die Frauenfrage zu eigen mache, sondern nur die sein könne, dass mehr Frauen über ihre Probleme nachdenken, sich organisieren, ihre Sache aufarbeiten und formulieren lernen.

Ulrike Meinhofs Artikel, das hat Susanne Schüssler über die "konkret"Texte bemerkt, folgen häufig demselben Aufbau: Zunächst beschreibt sie einen aktuellen Vorfall, um dann zu zeigen, was eigentlich sein müsste. Am Ende von "Die Frauen im SDS" stehen Berge von notwendiger und schwieriger Arbeit - nicht für die Frauen im SDS, sondern für die Frauen insgesamt. Sie formuliert das hier, im Jahr 1968, in einem klaren, modernen Stil - nicht im Kampfmodus, sondern als Selbstverständigung, nicht als Agitation.

JULIA ENCKE.

Ulrike Marie Meinhof: "Die Frauen im SDS oder In eigener Sache", dies.: "Die Würde des Menschen ist antastbar. Aufsätze und Polemiken". Wagenbach-Verlag, 190 Seiten, 10,90 Euro

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