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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Fleißarbeit: Johannes Zechner schüttet seinen Zettelkasten zum deutschen Wald aus
Wer das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald besucht, kann einiges über nationale Distinktionsmechanismen lernen. Arminius' linker Fuß steht triumphierend auf einem Legionsadler, dem Emblem des römischen Heers, und einem Rutenbündel, dem Abzeichen römischer Amtsgewalt. Die mit einem Schwert bewaffnete rechte Hand in die Höhe gereckt, blickt der Cheruskerfürst entschlossen Richtung Südwesten, wo sich die größten Feinde Deutschlands befinden - das Römische Reich und Frankreich. Der Steinsockel des Denkmals ähnelt formal einem antiken Rundtempel, doch die obligatorischen Säulen wurden durch gotisch anmutende, von Eichenlaubkränzen gekrönte Bögen ersetzt.
Dass der Bildhauer Ernst von Bandel, der mit dem Bau des Denkmals betraut wurde und es 1875 vollendete, nicht die Blätter irgendeines beliebigen Gewächses als Schmuck verwendet hat, muss einem deutschen Dichter in die Schuhe geschoben werden: Klopstock. Dies weiß Johannes Zechner in seiner die Jahre 1800 bis 1945 umfassenden Ideengeschichte "Der deutsche Wald" zu berichten. Klopstock habe, so Zechner, mit seinen Gedichten, Stücken und politischen Schriften dazu beigetragen, der Eiche einen festen Platz im deutschen Selbstverständnis zu sichern. Seine Ode "Der Hügel und der Hain", in der die Eiche gehörig gepriesen wird, beeindruckte eine Göttinger Dichtertruppe so außerordentlich, dass sie sich von 1772 an "Hainbund" nannte. Der Rest ist Literaturgeschichte.
Den Wald, auch den eichenfreien, verbindet man seit jeher mit den Germanen. Dafür sorgten Autoren wie Caesar, Plinius und Tacitus. Sie demonstrierten, wie man aus zum Teil nicht einmal persönlich vorgenommener Waldanschauung Weltanschauung macht, indem sie ihre Städte und Tempel gegen die Wälder und Haine Mitteleuropas ausspielten. Das Gebiet östlich des Rheins beschrieb Tacitus als "entweder durch seine Wälder grauenerregend oder durch seine Sümpfe gräßlich". Schon hier, im Jahr 98, wurde vorbereitet, was bei den Brüdern Grimm im neunzehnten Jahrhundert zur Vollendung gelangte - die Imagination des durch und durch bedrohlichen Waldes. Die Leser von Märchen wie "Rotkäppchen" wissen, welche Gewissheit zur Spannung der Lektüre beiträgt: Geht es in den Wald, geht es um dein Leben.
Auch Zechner begibt sich mit sieben Fallstudien tief hinein in den Wald. Bäume interessieren ihn dabei zuerst als Indikatoren für kulturelle und politische Haltungen, was vor allem für die Kapitel über romantische Schriftsteller fatale Folgen hat. Der Abschnitt zu Ludwig Tieck etwa ist eine regelrechte Leistungsschau ungewaschen formulierter Romantik-Klischees. Tiecks "Naturhintergrund" sei eine "Projektionsfläche ohne jeglichen Eigenwert, um menschliche Leidenschaften wie Einsamkeit, Liebesschmerz, Sehnsucht und Unrast zu illustrieren"; bei der notorischen Waldeinsamkeit im "Blonden Eckbert" handele es sich schlicht um die negative "Einsamkeit des Waldes". Dass sie tatsächlich einen Sonderraum markiert, in dem lineare Zeit in Unendlichkeit übergeht, darüber schweigt der Autor.
Lieber betont er, die Texte Tiecks und Eichendorffs würden von ihm "eingehend zitiert und interpretiert, um ihrem ästhetisch-künstlerischen Eigenwert gebührend Gerechtigkeit widerfahren zu lassen". Genau das passiert zu keinem Zeitpunkt. Gerade weil der Historiker Zechner alles Ästhetische konsequent ausklammert, sind seine Interpretationen nichts weiter als Anhäufungen von Gemeinplätzen.
Dem heuristisch dünnen Ertrag stehen fast 1400 Endnoten gegenüber, die - wie auch das Literaturverzeichnis - insgesamt einhundert Seiten beanspruchen. Was bei einer solchen Materialschlacht herauskommt, ist absehbar: Ideengeschichte als Stellensammlung. Mit Beflissenheit trägt Zechner zusammen, was andere über Wälder, Bäume, Schonungen und Forste gesagt haben, wobei sich das Ergebnis liest wie ein ausgezeichnet recherchierter Wikipedia-Artikel. Eigene zündende Ideen bleiben indes aus. Dafür begegnen ständig dieselben Oppositionen: Wald vs. Stadt, Deutschland vs. Frankreich, Arminius vs. Varus. Die wiedergegebenen, besonders von 1900 an atemberaubend infamen Passagen über Völker und Nationen werden grob rubriziert und in Schubladen abgelegt. Zechners Analysen enden durchweg bei dem, was an der Oberfläche eines Zitats sowieso für jeden offenkundig ist.
Stilistisch gleicht die Abhandlung der Fleißarbeit eines Studenten, der pausenlos passende Synonyme sucht und nur unpassende findet: Der Autor sagt gerne "Arborealnatur", nicht "Bäume", "Silvasphäre", nicht "Wald", "Poem", nicht "Gedicht". Seine Begriffe sind konturlos, seine Diktion ist unfreiwillig komisch. Wir lesen von "sozialsilvanen Sichtweisen" und "antisemitischen Waldpositionen", von "Eichenvorstellungen" und "Waldrassismus". Das Kapitel zu Ernst Moritz Arndt, so lernen wir, beruhe hauptsächlich auf Quellenbelegen, die das Denken des Publizisten "in den Kategorien von Wald und insbesondere Eiche herausarbeiten".
Diese Auswahl ist nicht böswillig, sondern zufällig, sie ließe sich problemlos fortsetzen, denn vergleichbare Funde springen den Leser auf fast jeder Seite an. Wer also ohne Frustration etwas über den Zusammenhang von Wäldern, Eichen und deutschem Nationalgefühl erfahren möchte, der sollte die Finger von Zechners Ideengeschichte lassen - ein Ausflug zum Hermannsdenkmal wäre sicherlich lohnender.
KAI SPANKE
Johannes Zechner: "Der deutsche Wald". Eine Ideengeschichte zwischen Poesie und Ideologie. 1800-1945.
Philipp von Zabern Verlag/WBG, Darmstadt 2016. 447 S., Abb., 69,95 [Euro].
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