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Manche radikalen Denker glauben, man müsse lediglich für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen, um auch mehr gegenseitigen Respekt zwischen den Menschen zu wecken. Aber ist das überhaupt realistisch? Zieht Selbstachtung nicht automatisch mangelnden Respekt gegenüber denjenigen nach sich, die im unbarmherzigen sozialen und wirtschaftlichen Wettbewerb die Benachteiligten sind? Bei der Suche nach Antworten greift Sennett auch auf seine eigene Lebensgeschichte zurück: Aufgewachsen in einem Ghetto von Chicago, gelang ihm zunächst mit Hilfe der Musik und dann des Studiums in Harvard der soziale…mehr

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Produktbeschreibung
Manche radikalen Denker glauben, man müsse lediglich für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen, um auch mehr gegenseitigen Respekt zwischen den Menschen zu wecken. Aber ist das überhaupt realistisch? Zieht Selbstachtung nicht automatisch mangelnden Respekt gegenüber denjenigen nach sich, die im unbarmherzigen sozialen und wirtschaftlichen Wettbewerb die Benachteiligten sind? Bei der Suche nach Antworten greift Sennett auch auf seine eigene Lebensgeschichte zurück: Aufgewachsen in einem Ghetto von Chicago, gelang ihm zunächst mit Hilfe der Musik und dann des Studiums in Harvard der soziale Aufstieg. Erneut erweist sich Sennett als konstruktiver kritischer Geist mit Weitblick, als jemand, der mit Hilfe anschaulicher Beispiele grundlegende gesellschaftliche Veränderungen benennt.

Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.

Autorenporträt
Richard Sennett, geboren 1943, lehrt Soziologie und Geschichte an der London School of Economics und an der New York University. Er zählt zu den bekanntesten Theoretikern unserer Zeit und hat eine Reihe kulturhistorischer Bücher verfasst. 2006 erhielt Richard Sennett den renommierten Hegel-Preis der Stadt Stuttgart. Richard Sennett lebt in London und New York.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2002

Über allen Sümpfen
Macht’s Buh: Richard Sennett ruft nach Respekt
Schön war die Kindheit, als wir noch Königen gleich im Schilfe saßen und Welten erfanden. Wir wussten, dass der Phantasie keine Grenze gesetzt ist. War das Leben auch karg, wir ließen uns rühren von der „lust an fremder pracht und ferner tat”: Sehr gerne denken Erwachsene an das zurück, was war und alles hätte werden können. Sind die Erwachsenen Lyriker, gedeihen mitunter aus den Sentimentalitäten unsterbliche Gedichte; Stefan George hat es bewiesen. Sind die Erwachsenen Soziologen, bringt der Garten der Nostalgie unreife Früchte hervor; Richard Sennett beweist es mit seiner verschämten Autobiographie „Respekt”.
Ein Melodram ist dieser Stoff: Ein Junge aus der Armensiedlung schafft den Absprung, weil er meisterhaft Cello spielt. Mit elf Jahren komponiert er, gibt Konzerte, übt fünf Stunden täglich. Er beherrscht das Vibrato und empfindet „eine tiefe Freude, die ganz in sich ruht”. Die große Karriere ist nur eine Frage der Zeit. Dann schlägt das Schicksal zu: Eine Operation soll die zunehmende Starre der linken Hand beseitigen. Operation misslingt, Karriere fällt aus. Abspann.
Euer Nacktbad, Herr Nachbar
Wenn Richard Sennett sich heute über sein Leben beugt, hat er dennoch wenig Grund zur Klage. Nicht musikalischen Fähigkeiten, wohl aber analytischen Fertigkeiten machten aus dem Ghettokind eine Berühmtheit. Die Einsichten zur Zeit liefert seit den siebziger Jahren zuverlässig Mister Sennett aus Chicago. Mit dem „Flexiblen Menschen” gelang ihm der Sprung aus der kapitalismuskritischen Wissenschaftsprosa in das Pantheon der geflügelten Worte. Das unerreichte Hauptwerk „Die Tyrannei der Intimität” verband 1974 breiten historisches Wissen mit quicklebendiger Alltagsschläue. Beide Bücher fragen nach dem Status der Person im Kontext ihrer Vergesellschaftung. Der Neoliberalismus, der die allzeit flexiblen, immer mobilen Arbeitnehmer ihrer Lebensgeschichte beraubt, besiegelt demnach den Tod einer ehemals zivilisierten Welt. Deren Untergang begann mit der „Besessenheit von der Intimität” und mit der „Verdrängung der res publica durch die Annahme, gesellschaftlicher Sinn erwachse aus dem Gefühlsleben der Individuen”.
Wer mag es dem linken Kulturkritiker verdenken, dass er im Herbst eines ertragreichen Intellektuellenlebens die „eigene Erfahrung zum Ausgangspunkt für die Erforschung eines umfassenden sozialen Problems” machen will? Wer mag es ihm verwehren, sich zu fragen, wie man „die Grenzen der Ungleichheit in wechselseitigem Respekt überschreiten” kann? Natürlich niemand, und darum erfährt nun die Welt, dass Richard Sennett vier Jahre lang in einer Chicagoer Armensiedlung lebte, dass seine Mutter ihn alleine erzog, dass sein kommunistischer Onkel im Spanischen Bürgerkrieg kämpfte, dass der kleine Richard knöcheltief im „Gefühlssumpf” watete, vor allem aber, dass die Hippies der sechziger Jahre selbstbezügliche Narren waren, weil „sozialer Jazz keine Bindung schafft”.
Auch der junge Mister Sennett genoss die „Gegenkultur”, war „Nacktbaden, LSD-Erfahrungen und Freizeitprotesten” nicht abgeneigt. Heute weiß er, dass die „persönliche Befreiung” gefährlich war, da sie die Privilegien ausblendete, die solch eine wohlfeile Revolte erst ermöglichten. Von marxistischer Warte aus geißelt Sennett den Hedonismus der Apolitischen und gelangt zu konservativen Schlussfolgerungen: „Niemand kann ein wirklich neues Leben anfangen, wenn er die Vergangenheit hasst.” So dreht sich letztlich eben alles im Kreis, das Rechte und Linke, das Gedachte und Gefühlte, und nur ein Kretin könnte den Kopf, der solches denkt, für den Urheber des Ringverkehrs halten.
Die Hippies mag Sennett also nicht, ebenso wenig eine liberale Elite, die mit dem Loser wenig anzufangen weiß, und schon gar nicht die vermeintlichen Reformer des Sozialstaats. Was er mag, ist das Auf und Ab der Begriffsketten. Zwar wird ihm dabei manchmal fast so dumm, als ginge ein Mühlrad in seinem Kopf herum, doch auch dem Kinde, erinnert er sich, wird alles zum Rätsel, und es empfindet Glück dabei, so will also auch Sennett glücklich spekulieren.
Ungleich an Talent, Einkunft oder Herkunft waren die Menschen schon immer. Da zwischen Mitgefühl und Ungleichheit einerseits, zwischen Fürsorge und Bevormundung andererseits ein prekärer Zusammenhang besteht, ist Solidarität unter Ungleichen kaum möglich. Schnell „verursacht Ungleichheit Unbehagen” bei denen, die der Ungleichheit abhelfen wollen und deren Tun herablassend wirken kann; der Sozialhilfe haftet der Makel des widerwillig gegebenen Almosens an. Sennett empfiehlt, in jeder menschlichen Beziehung Respekt walten zu lassen, den anderen auch da zu akzeptieren, wo man ihn nicht begreift. „Die hartnäckige Tatsache der sozialen Trennung”, lautet der letzte Satz, „bleibt gleichwohl ein Problem der Gesellschaft”.
Nach Dutzenden zählen die Probleme, die Sennett benennt, um sie als unerledigt in dem großen Zettelkasten abzulegen, den dieses Buch darstellt. Immer wieder singt der Autor das hohe Lied der „Achtung vor den Bedürfnissen anderer”. Ein hehres Ziel, gewiss. Doch wenn es stets aufs neue von dem Eingeständnis begleitet wird, das Rätsel namens Wirklichkeit sei zu groß für jede Erkenntnis, zu komplex für praktische Handlungsanweisungen, dann reduzieren sich 350 Seiten auf eine fatale These: Wie man’s macht, man macht’s verkehrt. Mit sauertöpfischer Miene schließt Mister Sennett seine Selbstbefragung ab. Das Wunderkind lässt sich entschuldigen, die Welt erfindung wurde abgesagt. Im Schilf ist es zu feucht für Soziologen, und nur Dichter tragen reuelos die Krone ihrer Sendung.
ALEXANDER KISSLER
RICHARD SENNETT: Respekt im Zeitalter der Ungleichheit. Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff. Berlin Verlag, Berlin 2002. 344 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Wären wir bloß nicht durch Kummersdorf gegangen
Ein Hochbegabter wendet sich den Tiefbetrübten zu: Richard Sennett zollt dem Sozialstaat Respekt / Von Andreas Rosenfelder

Der älteste Magnet für Respekt ist der Staat. Ein Ordnungshüter ruft einen Passanten an, dieser dreht den Kopf und blickt über die Schulter zurück: Der marxistische Philosoph Louis Althusser hat die zutiefst unsymmetrische Urszene des Respekts, das Zurücksehen, in ein schonungslos einfaches Bild gefaßt. In der Kultur des Ghettos jedoch hat dieses Schauspiel eine Umkehrung erfahren. Hier gilt gerade das Anblicken als verweigerte Ehrbekundung und kommt einer offenen Kriegserklärung gleich. Respekt besteht am Gegenpol des Staates, wo selbst die Polizei nur noch in Ausnahmefällen vorbeischaut, offenbar gerade in der Vermeidung von Zuwendung.

Wenn der Kulturwissenschaftler Richard Sennet ein umfassendes Werk über "Respekt im Zeitalter der Ungleichheit" vorlegt, dann tut der New Yorker Professor für Geschichte und Soziologe dies zunächst in seiner Eigenschaft als Respektsperson. Denn der mitunter scharfsinnige Kritiker des Bürgertums besitzt selbst alle Ehrenabzeichen des Bildungsbürgers, der Erforscher der Etikette nimmt seinerseits gerne die Haltung des moralischen Benimmlehrers an, und der bekennende Sozialist stellt sein kulturelles Kapital auf Vorträgen und im Fernsehen stets ohne falsche Bescheidenheit zur Schau.

Zugleich aber stammt Richard Sennett, geboren 1943, selbst aus einem Ghetto - der Sozialbausiedlung Cabrini Green im Westen Chikagos, wo nach dem Zweiten Weltkrieg Schwarze und verarmte Weiße, Kriegskrüppel und geistig Behinderte wohnten. Sennett weiß aus eigener Erfahrung, daß auch im Leben der infamen Menschen ein Ehrenkodex waltet. In seiner mit ein wenig Autobiographie angereicherten Abhandlung fallen zwei Gattungen zusammen. Als Bildungsroman führt das Buch den Erwerb von Respekt durch Selbstentfaltung vor: "Ich war zwar kein Wunderkind, aber ich komponierte, spielte Cello und hatte meine ersten Auftritte." Als Sozialstudie fordert es hingegen Respekt für die Welt der Erniedrigten und Beleidigten: "Wie kann man verhindern, daß Menschen sich angesichts ungleicher Talente entmutigen lassen oder Ressentiments entwickeln?"

Fast könnte der Leser vermuten, der arrivierte Wissenschaftler richte eine publizistische Wohltätigkeitsveranstaltung aus und lasse einen Teil seines soziologischen Ansehens an seine soziale Heimat zurückfließen. Doch auch wenn bereits der junge Akademiker auf Mentorenveranstaltungen in Cabrini Green auftrat, um den Jugendlichen seines alten Stadtviertels als Rollenmodell den Weg in die Gesellschaft zu weisen: Respekt erscheint hier keineswegs als Tauschgeschäft zwischen Individuen. Vielmehr legt Sennett die Verwaltung des knappen Gutes ganz in die Hände einer grauen Eminenz, die als strahlendes Vorbild kaum zu gebrauchen ist. Denn die wichtigste Quelle von Achtung findet Sennett im Sozialstaat.

Sennetts West Side Story, die von den Blickgefechten und Bandenkriegen des Ghettoalltags erzählt, bildet somit nur die wildromantische Kulisse für eine aufs Motiv der Ungleichheit gegründete Staatstheorie. Ausgerechnet der soziale Brennpunkt rückt als Keimzelle der Polis in den Blick, ausgerechnet im Ghetto zeichnen sich die Umrisse eines Gemeinwesens ab. Sennet sieht gerade in den von der Fürsorge möblierten Sozialwohnungen den Rahmen für Selbstrespekt, und in den von Ämtern kontrollierten Vierteln erkennt er den Grundriß der Autonomie. Selbst wo der Sozialstaat die Stadt verplant wie ein großes Kinderdorf und die Bewohner in unmündige Schützlinge verwandelt, verlieren die Sozialhilfeempfänger nicht notwendig das Bewußtsein der Selbstbestimmung. Denn das politische Wesen muß bei Sennett keineswegs Herr im eigenen Hause sein, es überlebt auch in den Grauzonen der Abhängigkeit.

Noch in seiner einschlägigen Studie zur "Tyrannei der Intimität" verteidigte Sennett die strikte Abschottung des Öffentlichen gegen das bürgerliche Privatleben - nun kassiert er scheinbar selbst die seit Aristoteles am Anfang aller Politik stehende Unterscheidung zwischen Polis und Oikos ein. Denn der Sozialstaat überwacht, wie Sennett mit Beispielen belegt, in seinen Modellsiedlungen selbst die Inneneinrichtung und die Haushaltsführung. Der Schlüssellochblick der Sozialfürsorge zieht sich durch Sennetts Bericht: Nicht allein die Beschreibung der ärmlichen Kleinwohnung in Cabrini Green zitiert der Autor aus den Tagebüchern und unveröffentlichten Kurzgeschichten seiner Mutter, die überdies als Sozialarbeiterin selbst zwischen Behörden und Wohnungen verkehrte.

Auf den ersten Blick wiederholt sich im Konzept des sozialen Wohnungsbaus genau jene Grenzverletzung zwischen innen und außen, welche Sennett vormals noch in den Glasfassaden der kapitalistischen Vorzeigebauten verkörpert fand. Doch auch wenn der in all seiner Ambivalenz befürwortete Sozialstaat bisweilen wie ein von außen einsehbares Puppenheim wirkt, scheint doch eine unsichtbare Wand des Respekts die Bewohner von den Betrachtern zu trennen. Diese fast theaterhafte Distanz soll die von Staats wegen gefallenen Sichtblenden ersetzen. Denn Sennetts Klage über das "Fehlen eines funktionstüchtigen unpersönlichen öffentlichen Bereichs", gerichtet ebenso gegen das liberale Vertrauen auf den Privatsektor wie gegen das konservative Setzen auf Mitgefühl, zielt als Forderung selbst auf ein durchweg ästhetisches Szenario.

Das begnadete Cellospiel, das den kleinen Richard vom kulturlosen Umfeld seines Wohnviertels abhob, findet in verwandelter Form seinen Weg zurück in die Straßen des Ghettos. Immer wieder vergleicht Sennett das Wirken des Staates mit einem Konzert: Sozialhilfe stellt eine strenge Aufführungspraxis dar, und im Respekt kommt eine verfeinerte Ausdruckskunst zur Vollendung. Allein eine Sozialarbeit der Kälte scheint in der Lage, die Autonomie der Bedürftigen zu achten - so lautet jedenfalls die Rechtfertigung für den kühlen und floskelhaften Jargon der Sozialtechnologen. Für Augenblicke nimmt Sennetts Ghetto die barocken Züge jener Hofstaaten an, in denen ein wertvoller Formelschatz das Ehrgefühl aller Höflinge ansprach und ihre Abhängigkeit von den Launen des Herrschers ausglich.

Der begründete Verdacht, daß hinter Sennetts Begriff des Respekts eine Neuauflage seiner Überlegungen zur Ehre steckt, muß keineswegs ehrenrührig sein - eher schon der Umstand, daß ausgerechnet das terminologische Kapitel des Buches wie ein unsortierter Zettelkasten daherkommt und jede durch das Begriffsfeld von Ansehen, Talent und Selbstachtung leitende These vermissen läßt. Überhaupt schaltet Sennett ein wenig planlos zwischen Begriffsklärungen und Lebensweisheiten hin und her: "Der Wunsch nach hervorragenden Fähigkeiten setzt Einsicht in die eigene Unzulänglichkeit voraus - sich durchwursteln kann nicht das Ziel sein." Und immer wieder streift die auf Haltungen ausgerichtete Theorie der Sozialhilfe eine Kalenderspruchmoral der kleinen Gesten.

Über eine sozialpsychologische Verhaltenslehre geht Sennetts anregendes Buch dennoch weit hinaus. Denn hinter jeder Sozialarbeit stehen letztlich die bürokratischen Anlagen des Sozialstaats, die gerade durch ihre abschreckende Unpersönlichkeit für Anerkennung bürgen. Das nahezu leidenschaftliche Bekenntnis zur Büroherrschaft mag man als Ausschweifung des Versorgungsdenkens abtun. Doch die in diesem Zusammenhang skizzierte Geschichte der Bürokratie läßt eine ebenso überraschende wie aufschlußreiche Abstammungslinie des Sozialstaats aufleuchten, die nicht allein mit Seitenblick auf den Schauplatz Chicago überzeugt. Sennett bezeugt nichts anderes als die Geburt des Sozialhilfesystems aus dem Geiste des Kartells. Wuchernde Bürokratien, so Sennett, entstanden zunächst als Bindestoff jener großindustriellen Trusts, die das Vertrauen schon im Namen führen. Mittels pyramidenförmiger Hierarchien und langer Befehlsketten minderten die zusammengeschlossenen Konzerne ihre eigene Unberechenbarkeit. Der Sozialstaat brauchte diese Organisationsphilosophie dann lediglich zu übernehmen, um seinerseits die hektischen Veränderungen des Wirtschaftssystems durch die Langsamkeit des Apparats aufzufangen. Die entscheidende Leistung der Bürokratie liegt nach Sennett in der Verwaltung von wechselseitigem Respekt: Womöglich bildet der Sozialstaat, dessen Blick noch auf der heruntergekommensten Wohngegend ruht, die letzte wirklich ehrenwerte Gesellschaft.

Richard Sennett steht in echter Bewunderung vor jener Pyramide des Sozialstaats, die uns das zwanzigste Jahrhundert wie ein baufälliges Menschheitswunder hinterlassen hat. Sein Buch vollzieht einen Bruch mit der Institutionsfeindlichkeit seiner Generation, die in öffentlichen Einrichtungen in der Regel nur Gefängnisse sah und bei jeder Gelegenheit zur Befreiung ihrer Insassen aufrief. Sennett wendet all seine Raffinesse auf, um das Büro vor Foucault zu retten: Überwachen ist nicht notwendig gleich Strafen, der Staat besteht nicht allein aus Macht, und Befehlsketten müssen keine Fesseln sein. Denn das Sozialamt trägt bei Sennett weniger zum Ausschluß als zur Einbindung seiner Klientel bei. Jedes ausgefüllte Formular dient zugleich als Notenblatt, das den Antragsteller zum Ehrenmitglied im großen Staatsorchester macht. Nur Richard Sennett, der hochbegabte Junge aus dem Ghetto, sitzt einsam im Publikum und schaut zu. Ein wenig unglücklich sieht der erfahrene Kulturliebhaber dabei schon aus. Schließlich muß er als Erwachsener ebenjener Ordnungsmacht Respekt zollen, welcher er als Kind mit Glück entkam.

Richard Sennett: "Respekt im Zeitalter der Ungleichheit". Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff. Berlin Verlag, Berlin 2002. 344 S., geb., 19,90 [Euro].

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Kluge Fragen in einer sozialkritischen Debatte
Er ist Soziologe und Buchautor, vor allem aber ist er einer der wichtigsten Kulturkritiker der USA und gilt durch seine zahlreichen sozialkritischen Veröffentlichungen auch in Europa als jemand, der Debatten anschieben und führen kann. Richard Sennetts Buch Der flexible Mensch wurde in Deutschland zu einem Bestseller. Hier stellte er die provokante These auf: Nicht die Globalisierung der Märkte ist die große Bedrohung, sondern die neue Arbeitsorganisation. Mit Respekt im Zeitalter der Ungleichheit knüpft der Autor hier an und sucht nach Wegen, wie man die Bedürftigen im Sozialstaat unterstützt, ihnen dabei jedoch nicht die Würde nimmt, sondern die Menschen respektiert.
Musik als Weg zu mehr Respekt
Sennett wählte für die Abhandlung seines Themas eine Gratwanderung zwischen konkreter eigener Erfahrung und sozialwissenschaftlicher Theorie. Dazu outet er sich als im Sozialhilfesystem Aufgewachsener und bekennt, dass diese Erfahrung sein Leben prägte. Aus eigener Kraft entkam er dem Milieu, indem er seine Fähigkeiten und Talente nutzte, sich bis zu einer misslungenen Handoperation konsequent der Musik widmete. Kann aber wirklich alles, was ihn zu den theoretischen Überlegungen über Respekt und Ungleichheit führte, auf seine Erfahrungen mit Musik zurückgeführt werden? Will man den Denkmodellen Sennetts folgen, sollte man diese Frage mit Ja beantworten.
Drei moderne Gebote
Bei seinen Nachforschungen zum Thema Respekt analysiert der Autor den gesellschaftlichen Einfluss und fordert für den zwischenmenschlichen Umgang, dass man 1. die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickeln muss, 2. sich um sich selbst sorgen muss und 3. anderen etwas zurückgeben sollte. Wer Spaß daran hat, Sennetts klugen Anmerkungen zu einem Teilbereich der geistigen Situation unserer Zeit zu folgen oder sie kritisieren will, dem bietet das Buch jede Menge Ansatzpunkte. Allerdings stellt der Autor mehr Fragen, als er Antworten gibt.
(Mathias Voigt, literaturtest.de)
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Es ist das "Prinzip der Gegenseitigkeit", so referiert Rezensent Ulrich Greiner, in dem Richard Sennet die Möglichkeit eines Ausgleichs ungleicher Chancen sieht. Der Hauptaugenmerk des Soziologen gilt der Frage, wie gegenseitiger Respekt und gegenseitige Anerkennung zu erreichen sind. Zwar findet der Rezensent dies eine lohnende Frage, aber da Sennet, anders als der von Greiner anfangs zitierte Norbert Elias, keine These beziehungsweise zu viele Thesen hat, empfindet der Rezensent die Lektüre dieses Buchs als "verwirrende Mühsal". Die soziologisch schwammigen Begriffe, mit denen Sennet arbeitet, werden selten durch Ausflüge in Empirie oder Geschichte wirklich erhärtet, findet Greiner. Ihn stört, dass der Gebrauch verschiedener Gattungen - autobiografisch-narrative Passagen wechseln sich ab mit Analyse und Reflexion - den Autor meist nur ausweichen lässt vor der Strenge philosophischer Begrifflichkeit. Für Greiner erklärt sich der Erfolg des Wissenschaftsautors Sennet denn auch vor allem damit, dass dieser "Stichworte zur geistigen Situation der Zeit liefert", jedoch über eine kluge Beschreibung unser aller Ratlosigkeit nicht hinaus geht.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Er streicht die Praxis des Respekts als zentralen Ausgangspunkt für sozialen Frieden heraus - eine wichtige Anregung für den Umgang mit Flucht und Migration.", Die Presse, Astrid Kury, 12.12.2015