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Kann ein Duft Geschichte aufbewahren?
Zwei Parfums liefern Karl Schlögel den Stoff, die europäischen Abgründe des 20. Jahrhunderts neu zu erzählen. Durch die Turbulenzen der Revolution gelangte die Formel für einen Duft, der zum 300. Kronjubiläum der Romanows kreiert worden war, nach Frankreich. Er lieferte die Grundlage für Coco Chanels Nº 5 und für sein sowjetisches Pendant Rotes Moskau, das bis heute unter diesem Namen produziert wird. Verantwortlich für die Parfümindustrie war Polina Schemtschuschina, die Frau des Außenministers Molotow. Sie fiel später einer Säuberungskampagne zum…mehr

Produktbeschreibung
Kann ein Duft Geschichte aufbewahren?

Zwei Parfums liefern Karl Schlögel den Stoff, die europäischen Abgründe des 20. Jahrhunderts neu zu erzählen. Durch die Turbulenzen der Revolution gelangte die Formel für einen Duft, der zum 300. Kronjubiläum der Romanows kreiert worden war, nach Frankreich. Er lieferte die Grundlage für Coco Chanels Nº 5 und für sein sowjetisches Pendant Rotes Moskau, das bis heute unter diesem Namen produziert wird. Verantwortlich für die Parfümindustrie war Polina Schemtschuschina, die Frau des Außenministers Molotow. Sie fiel später einer Säuberungskampagne zum Opfer - und Coco Chanel kollaborierte mit den deutschen Besatzern. Ein unscheinbarer Zufall führt Karl Schlögel zu erstaunlichen Entdeckungen in einer Epoche, die wir gründlich zu kennen glaubten.
Autorenporträt
Karl Schlögel, geboren 1948, hat an der Freien Universität Berlin, in Moskau und Sankt Petersburg Philosophie, Soziologie, Osteuropäische Geschichte und Slawistik studiert. Er war bis 2013 Professor für Osteuropäische Geschichte an der Europa Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Seine Arbeit wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. 2018 wurde er in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung gewählt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Thomas Karlauf verfällt dem Duft von Schlögels Parallelgeschichte zweier Parfüms in West und Ost. Dass Schlögel nicht nur über "Rotes Moskau" und "Chanel No. 5" plaudert, sondern soziale Realitäten hüben wie drüben und ihren Geruch sowie die Lebensgeschichten der "Duftmischerinnen" Coco Chanel und der tiefroten Polina Shemtschushina gleich miterzählt, findet Karlauf famos. Dass Ästhetik über Weltanschauung triumphiert, lernt der Rezensent mit dieser Geschichte fast spielend. Redundanzen und Brüche in der Komposition sieht der Kritiker gern nach.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2020

Der Duft der zwei bösen Frauen
Das zwanzigste Jahrhundert, aber wie roch es? Karl Schlögel erzählt die Karriere eines Parfüms, das in Ost und West Geschichte schrieb

Es ist eine Geschichte böser Frauen. Die eine ist Antisemitin und Nazi-Kollaborateurin. Die andere Stalinistin und Ehefrau eines Schreibtischmassenmörders. Was sie verbindet, ist Parfüm. Sie heißen Gabrielle Coco Chanel und Polina Schemtschuschina-Molotow. Von ihnen erzählt Karl Schlögel in seinem Buch, das alles ist: ein Sachbuch, zwei Biographien und der Roman einer Epoche. Es heißt "Der Duft der Imperien: Chanel No. 5 und Rotes Moskau". Und Schlögel, der Biograph der bösen Frauen, erzählt von ihnen ohne Anklage: Er schreibt das Wort "Antisemitin" nicht und auch nicht "Schreibtischmassenmörder". So analytisch wie ein Mathematiker, lakonisch wie ein Schriftsteller beschreibt er beide Leben und andere Leben - von Menschen, die die Wege der zwei Frauen streiften. Und er beschreibt den Duft der Macht an sich.

Zuerst ist da die Macht der Zarin Katharina II. Zum Jubiläum, dreihundert Jahre Romanow, wird ein Parfüm entwickelt, nach ihr benannt. Es ist das Jahr 1913. Der Parfümeur heißt Ernest Beaux. Doch 1919, im mörderischen Bürgerkrieg, flieht er nach Frankreich, und dort begegnet er Chanel. Beaux ist der Schüler eines Meisters, der auch Auguste Michele, einen anderen Parfümeur, um die Jahrhundertwende unterrichtet hatte. Michele will so wie Beaux nach Frankreich fliehen. Aber er hat seinen Pass verloren, kommt nicht aus Russland raus, er bleibt. Und da begegnet er Polina Schemtschuschina-Molotow.

Schlögel erzählt, wie auf Grundlage des Katharina-Dufts der eine, Ernest Beaux, "Chanel No. 5" entwickelt - und Auguste Michele aus dem gleichen Duft dann Krasnaja Moskwa. Das "Rote Moskau", so heißt es übersetzt, ist jahrelang, jahrzehntelang der Duft der Sowjet-Frauen. Schemtschuschina-Molotow ist eine dieser Frauen. Sie ist aber die erste, ist die einzige, die Volkskommissarin werden wird - es ist einer der höchsten Politposten im Bolschewiken-Russland.

Geboren 1897 in einem jüdischen Schtetl und in Armut, heißt sie mit Vornamen Perl, mit Nachnamen Karpowskaja. Zuerst ist sie Kassiererin in einer Apotheke, tritt 1918 in die Partei der Bolschewiki ein, arbeitet im Untergrund - ihre Aufgaben sind Propaganda und politische Erziehung. Sie ändert 1920 ihren Namen und trifft einen damals schon bekannten Bolschewiken: Wjatscheslaw Molotow, der später, als sowjetischer Außenminister, Tausende Todesurteile unterzeichnen wird. Das Paar heiratet 1921 und zieht zu Freunden: eine WG mit Stalin und dessen Frau Nadjeshda Allilujewa.

Polina Schemtschuschina-Molotow arbeitet viel, sie macht Karriere und macht das "Rote Moskau" groß, denn sie ist damals Chefin der sowjetischen Parfüm-, Kosmetikindustrie. Von dieser Industrie erzählt Karl Schlögel Absurdes und Aufregendes: Hießen in Zarenzeiten Düfte noch "Aroma der Liebe" oder "Bouquet der Tanja", werden in der neuen Ära die Namen hart, politisch, kalt. Sie heißen: "Held des Nordens" oder "Neuer Alltag". Und während man das alles liest, erfährt man nicht nur etwas über Düfte, nein, man erfährt das grausame System im Ganzen und im Großen: Man spürt es, denn man kann es riechen, so scharf ist Schlögels Präzision. Ja, auf einmal weiß man, wie die Tinte riecht, mit der Anklagen, Urteile in der Sowjetunion bestätigt werden. Auch die gegen Polina Schemtschuschina-Molotow, gegen ihre Freunde und Familie - sie sind jetzt Todgeweihte.

Warum Stalin sie plötzlich hasst? Vernichten will? Klar, weil es Stalin ist, denkt man, es braucht keine Erklärung. Doch Schlögel hat Erklärungen, Vermutungen zumindest: Schemtschuschina-Molotow ist Jüdin, sie hat Familie im Ausland, in Palästina und Amerika. Sie ist befreundet mit Ausländerinnen, mit Diplomaten-Ehefrauen. Und auf einem Empfang spricht sie in jener Antisemiten-Sowjet-Zeit mit Golda Meir sogar öffentlich auf Jiddisch, wie eine gute Zionistin sagt sie zu ihr: "Wenn es Ihnen gutgeht, wird es bei allen Juden überall in der Welt so sein." Vielleicht, weil Stalin schon immer Juden hasst, vielleicht aber auch, weil er seinem zweiten Mann, Außenminister Molotow, nicht mehr vertraut, wird Schemtschuschina-Molotow am 26. Januar 1949 verhaftet, verhört und im Dezember zu fünf Jahren Verbannung in Kasachstan verurteilt. Ihr Bruder, ihre Schwester werden gefoltert, sterben. Nach vier Jahren wird sie noch einmal angeklagt, ein Schauprozess soll es jetzt werden. Doch kurz vor der Verhandlung kommt sie frei: Stalin ist gestorben. Ein Schock für Schemtschuschina-Molotow, die den Diktator bis zum Ende ihres Lebens liebt.

Schnitt. Frankreich um die Jahrhundertwende und eine Frau, die anderes, aber Ähnliches erlebt. Gabrielle Chasnel ist die uneheliche Tochter einer Wäscherin und eines Straßenhändlers. Auch sie wächst auf in Armut: zuerst ein Waisenhaus, das Nonnen führen, dann eine Mädchenschule, auch katholisch. Sie singt in Varietés und hat Affären mit Reichen und Einflussreichen, wird Hutmacherin, macht Karriere. Und als sie 1920 durch eine Liaison mit einem Romanow in Cannes auf Ernest Beaux trifft, trifft sie so auch auf einen Duft, der Chanel No. 5 werden wird, bis heute das berühmteste Parfüm der Welt.

Doch dann ändern sich Zeiten und Verhältnisse. Nazis besetzen Frankreich. Und was macht Gabrielle Chasnel, die sich seit Jahren schon Coco Chanel nennt? Sie geht ins Bett mit einem Nazi, mit Hans Günther von Dincklage, und auch auf Vernissagen mit ihm, zu Galadiners, zu Empfängen. Sie arbeitet jetzt für die Nazis. Warum? Auch das erklärt Karl Schlögel: Sie will den Sohn der Schwester, der nach Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppt worden war, freibekommen. Es klappt. Und sie will auch die Brüder Wertheimer bekämpfen. Die elsässischen Juden waren Geschäftspartner, Eigentümer der Parfümsparte Chanel. Durch ihren Amerika-Vertrieb machten sie das Parfüm erst groß. Aber Coco Chanel will alles selbst besitzen. Durch ihre gute, kleine, große Connection zu den Nazis bekommt sie einen Teil des Wertheimer Parfümgeschäftes - eine "französische Form der Arisierung", schreibt Karl Schlögel. Er schreibt dann auch, dass Chanel "aus ihrer feindseligen Haltung gegenüber Juden nie ein Hehl gemacht" hat.

Schon 1944 flieht sie zu ihrem Nazi-Liebhaber von Dincklage nach Lausanne. Sie wird nach Kriegsende verschont, nicht so wie andere Kollaborateure verhaftet und verurteilt. Und im Paris der Fünfziger dann ihr Comeback: Den Rest der Chanel-Story sieht man bis heute in Hochglanzmagazinen und in Schaufenstern der teuersten Straßen dieser Welt.

Ja, Coco Chanel hatte mehr Glück als Polina Schemtschuschina-Molotow. Erstaunlich aber ist, was die zwei Frauen aus den zwei unterschiedlichsten Systemen so verbindet: die Armut anfangs, die Visionen, die Besessenheit, der Arbeitswille, die Machtgier und Kaltblütigkeit, der Aufstieg und Erfolg, danach der Fall und dann die Rettung. Das alles erzählt Schlögel und noch mehr. So dicht, so packend, dass man durch zwei verschiedene Düfte - die doch Verwandte sind, denn ihren Ursprung haben sie im Katharina-Duft - auf einmal ein Jahrhundert vor sich sieht und riecht. Denn Schlögel schreibt nicht nur von starken Frauen und von schönen Düften, sondern auch vom Geruch der Lager in Sibirien und vom Geruch von Auschwitz. Zitiert Warlam Schalamow, Primo Levi, viele andere. Schneidet dagegen Modewelten, Glitzerwelten. Und immer wieder die zwei bösen Frauen. Deshalb ist "Der Duft der Imperien" nicht nur ein interessantes Sachbuch über das Vergangene. Es handelt auch vom Bleibenden, vom Sichentwickelnden, vom Kommenden, ja, vom Feminismus.

Was böse Frauen mit Feminismus zu tun haben? Alles und nichts. Nichts, weil die alte These, dass Machtgier männlich ist, so wie Gewalt, schon immer Unsinn war. Und alles, weil die alten Zuschreibungen, was Männer machen, wie sie sind, was Frauen machen, wie sie sind, dann doch gebrochen werden in den zwei Lebensläufen von Chanel und Schemtschuschina-Molotow. Was dann doch wieder feministisch ist, weil Feminismus schließlich die Idee, die Vorstellung, den Traum vom Leben ohne Zuschreibung benennt.

Und diesen Traum leben die guten und die bösen Menschen, die Männer und die Frauen, in guten und in bösen Zeiten. Was man aus diesem Buch deshalb noch lernt? Dass Machtgierige, Kaltblütige, Unanständige erfolgreich sind - egal ob sie im Stalinismus leben oder im Paris der Goldenen Zwanziger, in Nazi- und in Wirtschaftswunderzeiten, ob gestern oder heute, hier oder dort. Selbst auf dem Mond spielt das Geschlecht der bösen Menschen keine Rolle.

ANNA PRIZKAU

Karl Schlögel: "Der Duft der Imperien: Chanel No. 5 und Rotes Moskau". Carl Hanser Verlag, 224 Seiten, 23 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2020

Das Chanel No 5
des Stalinismus
Karl Schlögels „Der Duft der Imperien“
@pgexplaining, empfohlen von
Monika Rinck („Champagner für die Pferde“)
If you do not teach me, I shall not learn – diese Zeile von Beckett fällt mir ein, wo immer ich auf die Arbeit von Christiane Frohmann und ihrem Verlag treffe, seit Kurzem auch auf Instagram, an ihrer Seite eine Bande präraffaelitischer Girls, die zum wiederholten Mal das Internet erklären und Vorschläge machen, wie der digitale Raum ein erhaltenswerter bleiben kann.
Karl Schlögel, hierin ein Schüler Walter Benjamins, unternimmt es, in seinen Büchern das Abstrakte im Konkreten lesbar zu machen – historische und soziologische Strukturen in Architekturen, Interieurs, Alltagsgegenständen. Mit Reiseessays über die plötzlich wieder zugänglichen Städte, Landschaften und die soziologischen Revolutionen des Ostens ist er nach 1989 bekannt geworden. In seinem letzten großen Buch „Das sowjetische Jahrhundert (2017) beschäftigt er sich mit paradigmatischen Gegenständen der untergegangenen sowjetischen Alltagskultur. Einem Archäologen gleich gelingt es diesem Schriftsteller immer wieder, aus den unscheinbarsten Spuren zwanglos und einleuchtend die maßgebenden Tendenzen ganzer Zeitalter zu rekonstruieren.
Sein neues Buch – „Der Duft der Imperien“ – ist eine Art Auskoppelung aus jener monumentalen sowjetischen Kulturgeschichte von 2018. Schlögel treibt hier die historiografische Konkretion bis ins Olfaktorische hinein, in den Zuständigkeitsbereich des Paleocortex. Das Reich der Gerüche und des Schmeckens, man weiß es, bewahrt die lebendigsten, prägnantesten – die sozusagen unwiderleglichen – Erinnerungen einer Person (und einer Gesellschaft) auf. Die Duftwolken des Parfüms „Krasnaja Moskwa“ auf den Empfängen und Diners der sowjetischen Nomenklatura sind für Schlögel, was die in Lindenblütentee getauchte Madelaine für Proust gewesen ist. Sein Buch geht der Entstehung dieses Dufts durch die kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Konstellationen des Stalinismus und „Neuen Ökonomischen Politik“ hindurch bis in die Lebensläufe, Rezepturen und Kulturatmosphären der beau monde des späten Zarenreichs nach. Die war eng mit der Mode- und Kunstszene von Paris verbunden, wo der russisch-französische Parfümeur Ernest Beaux mit „Bouquet de Catherine“ den definitiven vorrevolutionären Duft geschaffen hatte. 1921, inzwischen in Paris, komponierte er für Coco Chanel das bis heute legendäre „Chanel No 5“. Beaux’ Parfüms waren die ersten auf rein chemischer Basis, ohne Beimischung natürlicher Essenzen – bei aller Kostbarkeit auf die Produktionsverhältnisse des Industriezeitalters zugeschnitten.
Der Aufschwung der sowjetischen Parfümindustrie fällt in die Dreißigerjahre, in jene paradoxe Konsolidierungsphase der UdSSR zwischen „Terror und Traum“ (wie ein anderes Buch Schlögels heißt). Mit dem Abschluss des ersten Fünfjahresplans waren die Grundlagen der Schwerindustrie gelegt. Die Zerstörung der traditionellen bäuerlichen Lebenswelt war mit der „Kollektivierung“ und den kollateralen Völkermorden durch Hunger zu einem vorläufigen Abschluss gekommen. „Das Leben ist schöner geworden, Genossen, das Leben ist fröhlicher geworden“, verkündete Stalin 1935. Gleichzeitig war der fatale „Parteitag der Sieger“ 1934 der Beginn eines Terrors gegen die eigene Partei, der 1937/38 kulminieren sollte. Es entstand in jenen Jahren aus jungen Ingenieuren, Wissenschaftlern, Staatskünstlern und Berufspolitikern ohne Verbindung zur eingeschüchterten und bedrohten alten Garde eine „neue Klasse“, die auf ihren Theatersoiréen, Empfängen, Tanztees, Salons und Diners einen postrevolutionären Bedarf des Luxus und der Moden erzeugte. Ein Highlight von Schlögels Buch ist die biografische Parallelführung des Lebens von Coco Chanel mit dem einer der interessantesten, widersprüchlichsten und tragischsten Figuren des sowjetischen Führungskreises: Polina Schemtschuschina-Molotow. Die Frau des Außenministers, Grande Dame und eine Stilikone des Stalinismus, war von 1932 bis 1936 Chefin der sowjetischen Kosmetikindustrie. „Krasnaja Moskwa“, das östliche Pendant zu „Chanel No 5“, ist mittelbar ihre Schöpfung. Die Lebensläufe Polinas und Coco Chanels wirken wie die von antipodischen Zwillingsschwestern, die es an die beiden Pole des „Zeitalters der Extreme“ verschlagen hat.
Schlögels Buch ist randvoll mit den erstaunlichen kulturhistorischen Beobachtungen und Materialien, die aus einer geduldigen Anschauung und Kontextualisierung scheinbar abseitiger Gegenstände gewonnen werden können. Er macht die Parallelen zwischen Chanels „kleinem Schwarzen“ und den Entwürfen der gleichzeitigen sowjetischen Modeindustrie sichtbar. Oder die enge Verschränkung der Pariser Anregungen in Kunst, Mode und Luxusproduktion mit der russischen und sowjetischen Kultur von der Zarenzeit bis weit in den Stalinismus hinein. Oder die Parallelen zwischen der Kosmetikwissenschaft, welche die Schauspielerin (und diplomierte Kosmetikerin) Olga Tschechowa popularisierte, mit der Lebensverlängerungswissenschaft des ukrainischen Mediziners Alexander Bogomoletz.
Schlögel hat sogar wiederentdeckt, dass ausgerechnet der Suprematist Kasimir Malewitsch in seiner voravantgardistischen Phase einen Flakon für das Eau de Cologne „Sewerny“ (Nord) entworfen hat (es zeigt einen stilisierten Eisbären, der auf dem Glaspfropfen über dem als Eisberg gestalteten Fläschchen balanciert). „Der Duft der Imperien“ ist ein neuer Beweis für die Fruchtbarkeit jenes an Benjamin geschulten Blicks, mit dem Karl Schlögel in unauffälligen Details mit scheinbar müheloser Plausibilität das Ganze der Gesellschaft sichtbar zu machen vermag.
STEPHAN WACKWITZ
Karl Schlögel: Der Duft der Imperien. „Chanel No 5“ und „Rotes Moskau“. Hanser Verlag, München 2020. 224 Seiten,
23 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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"Wie rochen Sozialismus, Nazizeit, die Goldenen Zwanziger? Schwer zu beschreiben? Nicht für Schlögel!" Anna Prizkau, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 21.06.20

"Kaum jemand vermag Eindrücke und Impressionen so überzeugend zu vermitteln wie Schlögel. Er forscht und analysiert, wo andere assoziieren. [...] Er breitet die parallelen Biografien seiner Heldinnen mit größter, ansteckender Neugierde aus und führt uns hinein in die Zufälligkeiten der Weltgeschichte. [...] Karl Schlögel ist ein großer Erzähler." Arno Widmann, Frankfurter Rundschau, 30.04.20

"Ein gewagtes, aber sorgfältiges Kapitel zur Geruchswelt der deutschen Lager einerseits und des Gulags andererseits verhindert jede Gefahr, dass aus seinem Essay einfach nur ein launig-assoziativer Schlendergang durch die Parfümerie des 20. Jahrhunderts wird. Schlögel hat tatsächlich den Duft des 'Zeitalters der Extreme' eingefangen - zu viel macht Kopfschmerzen, aber ein kurzer Sprüher ist anregend und berauschend." Fabian Wolff, Deutschlandfunk Kultur, 09.04.20

"Ein sehr anregender [...] Versuch, über diese beiden Parfums die Geschichte des 20. Jahrhunderts und das Riechen an sich neu zu beleben und zu erfahren." Fabian Wolff, Deutschlandfunk, 09.04.20

"So kurzweilig wie erhellend ... Karl Schlögel hat 'Rotes Moskau' in diesem überaus anregenden und faktensatten Essay kunstvoll ans Licht geholt." Adam Soboczynski, Die Zeit, 12.03.20

"Der renommierte Osteuropahistoriker erzählt die Entwicklung des Luxusartikels in altbewährter Manier als eminent politische west-östliche Geschichte." Erich Klein, Falter, 11.03.20

"Es ist ein neuer Beweis für die Fruchtbarkeit jenes Blicks, mit dem Karl Schlögel in unauffälligen Details mit scheinbar müheloser Plausibilität das Ganze der Gesellschaft sichtbar zu machen vermag." Stephan Wackwitz, Süddeutsche Zeitung, 10.03.20

"Eine Kunst- und Kulturgeschichte, eine Geschichte der Sowjetunion, es erzählt Biografien - diese reichlich 200 Seiten sind prall gefüllt mit Informationen, mit Zahlen, Namen, mit Kunst, mit Geschichte - das ist bereichernd, streckenweise aber auch etwas sprunghaft und herausfordernd." Matthias Schmidt, MDR Kultur, 19.02.20

"Eine faszinierende Duft-Reise ... Schlögel zeigt aus verschiedenen Perspektiven, wie auch der Luxuszweig der Parfumindustrie zu einem Spielball der Mächte wird. Wie stets schreibt er verständlich, lebensnah und klar und ermöglicht mit Zusammenfassungen auch eine nichtchronologische Lektüre." Valeria Heintges, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 23.02.20

"Ein Buch, das der Kunst der Leichtfertigkeit huldigt und stets aufs Neue die Ästhetik über die Weltanschauung triumphieren lässt." Thomas Karlauf, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.02.20

"In gewohnt meisterlicher Wiese stellt er das scheinbar Unvereinbare nebeneinander und lässt den Leser erkennen, wie vereinbar es in Wirklichkeit war." Bernhard Schulz, Der Tagesspiegel, 19.02.20
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