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Während in Westdeutschland die Erforschung der "Machtergreifung" und "Gleichschaltung" durch die Nationalsozialisten als weitgehend abgeschlossen angesehen werden kann, steht die Untersuchung dieses Prozesses für viele Städte der ehemaligen DDR noch aus. Das gilt insbesondere für die Geschichte Dresdens. Das Buch untersucht den Prozeß der "Machtergreifung" und die unterschiedlichen Formen der "Gleichschaltung" verschiedener Bereiche des öffentlichen Lebens. In ihren Beiträgen spüren die Autoren durch die Auswertung bisher unerschlossener Quellen den Ursachen nach, welche zu dem rasanten…mehr

Produktbeschreibung
Während in Westdeutschland die Erforschung der "Machtergreifung" und "Gleichschaltung" durch die Nationalsozialisten als weitgehend abgeschlossen angesehen werden kann, steht die Untersuchung dieses Prozesses für viele Städte der ehemaligen DDR noch aus.
Das gilt insbesondere für die Geschichte Dresdens.
Das Buch untersucht den Prozeß der "Machtergreifung" und die unterschiedlichen Formen der "Gleichschaltung" verschiedener Bereiche des öffentlichen Lebens.
In ihren Beiträgen spüren die Autoren durch die Auswertung bisher unerschlossener Quellen den Ursachen nach, welche zu dem rasanten Anwachsen der NSDAP in Dresden führten und die Stadt bereits früh zu einer "braunen" Metropole werden ließen.
Hierbei werden die "Gleichschaltung" der Kommunalverwaltung ebenso untersucht wie die analogen Vorgänge in der Presse und dem Sozial- und Gesundheitswesen. Abgerundet wird der Band durch Beiträge zur Situation der Kirchen und der jüdischen Bevölkerung in den Jahren 1933 bis 1945
Autorenporträt
Pommerin, Reiner§1967 Promotion Dr. phil. Universität Köln. 1984 Habilitation Neuere und Neueste Geschichte Universität Köln. Lehrte in Köln Mainz, Erlangen, Jena, Dresden und an der Harvard University, Oxford University, Vanderbilt University, Nashville. Seit 1992 Gründungsprofessor und Inhaber des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte an der TU Dresden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.07.1998

Stadt der Volksgesundheit
Ein Sammelband zur Geschichte Dresdens während der nationalsozialistischen Herrschaft

Reiner Pommerin (Herausgeber): "Dresden unterm Hakenkreuz". Dresdner Historische Studien, Band 3. Böhlau Verlag Köln, Weimar und Wien 1998. 270 Seiten, 58,- Mark.

Seit die DDR vergangen ist, haben sich Historiker intensiv mit der SED-Herrschaft beschäftigt und dazu eine mittelgroße Bibliothek hervorgebracht. Die regional orientierte Erforschung der vorhergehenden nationalsozialistischen Diktatur blieb dahinter zurück. Unter der Methode marxistisch-leninistischer "Wissenschaft" hat wohl das Interesse am Gegenstand selbst gelitten, außerdem ist nun allgemeine westliche Literatur leicht zugänglich. Allerdings hatte der staatlich verordnete Antifaschismus seinerzeit auch verhindert, daß selbständig erkundet wurde, was zwischen 1930 und 1945 in jedermanns Nachbarschaft geschehen ist. Diese lokale Geschichtserforschung wurde im Westen Deutschlands in Schulen und Vereinen betrieben und hat interessante Ergebnisse vor allem für diejenigen erbracht, die wissen wollten, wie es damals in ihrer Straße, ihrem Stadtteil oder ihrer Gemeinde gewesen ist.

In Dresden beschäftigt sich ein Geschichtsverein mit der Vergangenheit der Stadt, doch erst seit einiger Zeit ist das Dritte Reich ein Thema seiner regelmäßig erscheinenden "Dresdner Hefte". Dabei war die NSDAP in Sachsen zunächst erfolgreicher als weithin in Deutschland. Nach der Machtergreifung begann in Dresden die Ausgrenzung und Vertreibung der Juden schneller als in anderen deutschen Großstädten. Das Deutsche Hygiene-Museum, heute wieder eine Perle unter den hiesigen Museen, diente zwölf Jahre lang als Propaganda-Halle der Rassenideologie. Kinder, die dort zuvor anschaulich mit Gesundheits- und Hygienefragen vertraut gemacht geworden waren, wurden nach 1933 zu Exkursionen in die Pflegeanstalt Sonnenstein bei Pirna gefahren, wo ihnen "lebensunwerte Existenzen" vorgeführt wurden.

Dresden, das den Titel "Stadt der Volksgesundheit" trug, war eine Hauptstadt nationalsozialistischer Rassenpolitik. Der Sammelband "Dresden unterm Hakenkreuz" bietet einige Aufsätze zu diesen etwas vernachlässigten Themen und darf als guter Anfang gelten. Unter der Leitung des Zeithistorikers Reiner Pommerin, der selbst einen Aufsatz über den alliierten Bombenangriff vom Februar 1945 beisteuert, haben acht überwiegend jüngere Forscher die Ergebnisse ihrer Studien zum Dritten Reich in der sächsischen Hauptstadt zusammengetragen.

Die Aufsätze vermitteln einen Überblick über die Gleichschaltung der Dresdner Zeitungen, über den Kirchenkampf in Sachsen, die Wandlung des Hygiene-Museums und die Gesundheitspolitik in Dresden. Eine kleine Studie von Simone Lässig ragt heraus. Die Thüringer Historikerin beschreibt die Dresdner Bankiersfamilie Arnhold, deren Unternehmen vor der Machtergreifung zu den fünf größten deutschen Privatbanken zählte. Nach 1933 versuchte die jüdische Familie zunächst, sich in Dresden zu behaupten, wohl auch in der falschen Annahme, der Antisemitismus der Nazis gelte zuvörderst den zugewanderten osteuropäischen Juden, nicht alteingesessenen Familien. Bald wuchs der Druck auf die Arnholds. Sie mußten Vereinsmitgliedschaften aufgeben, wurden zu gesellschaftlichen Anlässen nicht mehr eingeladen, die Kinder gerieten in der Schule ins Abseits. In das Freibad, das die Familie 1926 der Stadt geschenkt hatte, durften die Arnholds nicht mehr gehen. (Die Familie hat sich übrigens nach 1990 großzügig an der Renovierung des Schwimmbades beteiligt, in neuem Glanz steht es heute wieder den Dresdnern zur Verfügung.) Dann wurde den Bankiers durch falsche Verdächtigungen die Geschäftsehre abgeschnitten und ihr Handlungsspielraum zunehmend eingeengt - zum Vorteil der Dresdner Bank.

Dieses Bankhaus war damals noch überwiegend in Staatsbesitz. Zug um Zug brachte es Anteile der Arnholds unter seine Kontrolle und verhielt sich dabei - zumindest nach heutigen Maßstäben - schäbig. Die Dresdner Bank war, so Frau Lässig, die erste Großbank, die im "Arisierungsprozeß" aktiv wurde. Bevor die Dresdner Bank begann, Aufsichtsratsmandate der Bankiersfamilie Arnhold zu übernehmen, hatte sie sehr rasch - und ohne daß es dazu bereits eine NS-gesetzliche Verpflichtung gegeben hätte - das eigene Haus arisiert und einige hundert Angestellte jüdischen Glaubens entlassen. Als es nach dem Erwerb des Dresdner Stammhauses der Familie Arnhold auch um das Berliner Geschäft ging, wurde - wie zufällig - einer der geschäftsführenden Brüder, Kurt Arnhold, verhaftet. Arnhold konnte sich freikaufen und offerierte umgehend auch seine Bank zum Kauf.

Die sächsischen Verhältnisse unter der NS-Herrschaft waren, so zeigt Frau Lässigs Studie, geprägt vom besonders antisemitischen Engagement des Gauleiters Martin Mutschmann. Mutschmann war ein selbst für die Verhältnisse des Dritten Reiches ungewöhnlich fanatischer Nationalsozialist. In der Dresdner Comeniusstraße bewohnte er eine Architektenvilla, die den Krieg überstanden hat und zur Zeit saniert wird. Auch Mutschmann überlebte den Bombenangriff. In der schutzlosen Stadt hatte er für sich selbst Vorsorge getroffen und beizeiten einen Privatbunker in seinen Garten bauen lassen. Mutschmann sorgte mit dafür, daß die Bankiersfamilie Arnhold nach dem Januar 1933 rasch ausgegrenzt, kriminalisiert und schließlich aus Deutschland verdrängt wurde. Seine Herrschaft, aber auch die Haltung der Dresdner Bürger im Dritten Reich sind bislang nur ungenau erkundet. Das liegt daran, daß die meisten Akten verschwunden sind. Teile befinden sich wohl in Moskau, manche Geschäftsakten in Firmenarchiven.

Der Sammelband von Reiner Pommerin leistet einen Beitrag zur Erforschung der Dresdner Stadtgeschichte im Dritten Reich. Ihm werden noch manche folgen müssen, und es wäre erfreulich, wenn die Stadt und einige Unternehmen sich an den Erkundungsarbeiten nach ihren Kräften beteiligen würden. Der Neubau einer Synagoge und die Wiedererrichtung der Frauenkirche - sehr gefördert von der Dresdner Bank - wären dann auch Symbole einer aufrichtigen und aufrechten Haltung zur eigenen Geschichte.

Peter Carstens

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