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Die alten SED-Kader leben längst wieder kommod
Wider Erwarten landete die DDR nicht einfach auf dem Müllhaufen der Geschichte, sondern ihr Gedankengut und ihre Ideale "leben im vereinten Deutschland auf irritierende Weise fort" - so die Autoren in ihrem bitterbösen Buch über Vergesslichkeit und Fahrlässigkeit. Wie ein roter Faden zieht sich durch das Buch der Vorwurf, schon die "alte" Bundesrepublik und dann das wiedervereinte Land seien nicht wachsam genug gegenüber den auf Rehabilitierung und Rechtfertigung ihres Tuns erpichten alten Kadern der DDR-Staatssicherheit gewesen, sondern hätten - unwillig oder fahrlässig - zugelassen, dass es die DDR immer noch gibt, gleichsam als unsichtbarer Staat im Staate.
Nach der Volkskammerwahl vom März 1990 überstürzten sich die Ereignisse - Währungsunion, Einigungsvertrag sowie der 2+4-Vertrag waren die kurz nacheinander erreichten Etappen zur Wiedervereinigung des geteilten Landes. Schon für dieses Jahr müsse man laut Uwe Müller und Grit Hartmann (beide in Berlin journalistisch tätig und bereits durch mehrere Bücher zur Hinterlassenschaft der DDR ausgewiesen) der Bonner Politik den Vorwurf machen, nicht konsequent genug eine grundlegende Reform des politischen und gesellschaftlichen Lebens im "Beitrittsgebiet" angestrebt zu haben.
An vier Bereichen machen sie die in ihren Augen gravierenden Versäumnisse fest: die mangelnde Aufarbeitung von DDR-Unrecht, die Entwicklung der mit "Blockflöten" durchsetzten Parteien im Osten, das Einsickern von Eliten oder sogar das Belassen einstiger Ämter in Medien, Sport und öffentlichem Dienst, schließlich die staatlich geförderte Gedenkstätten- und Erinnerungsarbeit zur DDR-Diktatur.
Das bitterste Kapitel ist das erste, das zur Aufarbeitung von DDR-Unrecht. Die Autoren sehen als Beweis für ihre These, "der Rechtsstaat war unfähig, die Staatsverbrechen der zweiten deutschen Diktatur angemessen zu ahnden", die überaus milden Urteile gegen die angeklagten Mitglieder der Partei- und Staatsführung . Generell lautet ihr Vorwurf, die Täter des SED-Regimes hätten einen "Diktaturrabatt" erhalten. Man muss sich dabei allerdings auch erinnern, dass seinerzeit in der "alten" Bundesrepublik allenthalben die Absicht erkennbar war, nicht den Eindruck von Rache zu erwecken; das reichte vom Bundespräsidenten bis zu fast allen einflussreichen Medien - eine in der Rückschau nach 20 Jahren vielleicht kaum mehr nachvollziehbare Mentalität?
Hart gehen die Autoren auch mit CDU und SPD ins Gericht, die es entweder zugelassen hätten, einstige Funktionsträger in der DDR, ja selbst Stasi-IMs, in ihre Reihen zu nehmen oder andererseits völlig naiv auf Bündnisse mit der PDS setzten. Zynismus auch im Sport: Einflussreiche Trainer, deren Schützlinge meist durch Doping zu Siegen und Medaillen gekommen, seien nach der Vereinigung von den westdeutschen Verbänden mit offenen Armen aufgenommen worden; allein der Erfolg zählte, Skrupel kannte man nicht.
Es ist ein kräftiger Rundumschlag gegen fast alles und alle, die irgendwie mit der DDR zu tun hatten oder sich heute mit deren Erbschaft auseinandersetzen müssen (selbst die Birthler-Behörde wird mit Blick auf ungenügende Aufklärung von Stasi-Verbrechen zu einer "Zensurinstanz"). Mitunter verlässt die Autoren die doch gerade hier notwendige Nüchternheit, sie werden polemisch und urteilen voller Spott über ignorante "Wessis" damals in Bonn, jetzt in Berlin. Dabei sprechen doch die mitunter haarsträubenden Fakten für sich; freilich sind sie inzwischen so zum Alltag, so zur Gewohnheit geworden, dass man an eine Änderung kaum noch glauben kann.
DIRK KLOSE
Uwe Müller/Grit Hartmann: Vorwärts und vergessen! Kader, Spitzel und Komplizen: Das gefährliche Erbe der SED-Diktatur. Rowohlt Berlin, Berlin 2009. 316 S., 16,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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