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Eines Abends erfährt sie, als sie, statt zu schreiben, nach ihrer ersten Liebe googelt, dass er sich aus dem achten Stock gestürzt hat. Vor fast fünf Jahren schon. Sie ist schockiert, ebenso sehr über seinen Selbstmord wie über die Tatsache, dass sie ihn gar nicht vermisst hat. Nun hat sie ihn am Hals, stärker als zu Lebzeiten.Was ist das, die Liebe? Wieso kann sie kommen und gehen? Wohin geht sie, wenn sie geht? Und was ist eigentlich mit der aktuellen Liebe los? Der sitzt in seinem Zimmer und checkt Mails oder sieht fern.Die Protagonistin in Monique Schwitters neuem Roman beginnt nun eine…mehr

Produktbeschreibung
Eines Abends erfährt sie, als sie, statt zu schreiben, nach ihrer ersten Liebe googelt, dass er sich aus dem achten Stock gestürzt hat. Vor fast fünf Jahren schon. Sie ist schockiert, ebenso sehr über seinen Selbstmord wie über die Tatsache, dass sie ihn gar nicht vermisst hat. Nun hat sie ihn am Hals, stärker als zu Lebzeiten.Was ist das, die Liebe? Wieso kann sie kommen und gehen? Wohin geht sie, wenn sie geht? Und was ist eigentlich mit der aktuellen Liebe los? Der sitzt in seinem Zimmer und checkt Mails oder sieht fern.Die Protagonistin in Monique Schwitters neuem Roman beginnt nun eine Liebesrecherche: Sie handelt ihre Liebesbiographie an zwölf Männern ab, die weit mehr als die Namen gemein haben mit den Aposteln, den Gesandten des Glaubens und der Liebe. Es sind beinahe mythische Umrisse von Männern, die sie schreibend mit Liebe, Leben und Geschichte füllt. Und je länger sie schreibt, desto stärker schiebt sich die Rahmengeschichte, ihre aktuelle Liebessituation, ins Zentrum, bis sie die Handlung übernimmt."Eins im Andern" ist ein außergewöhnliches Buch: ein Wagnis, ein trickreiches, konsequentes Spiel mit Leben und Fiktion. Seine mitreißend lebendige Sprache verleiht ihm, bei aller Intensität, eine fast heitere Leichtigkeit.
Autorenporträt
Monique Schwitter, geb. 1972 in Zürich, lebt seit 2005 in Hamburg. Sie hat in Salzburg Schauspiel und Regie studiert, war unter anderem an den Schauspielhäusern in Zürich, Frankfurt, Graz und Hamburg engagiert und lebt heute als freie Autorin in Hamburg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.09.2015

Wohin geht die Liebe,
wenn sie geht?
Seltsame Heilige: Monique Schwitter erzählt in ihrem
Roman „Eins im Andern“ von den Männern ihres Lebens
VON KRISTINA MAIDT-ZINKE
Das Buch ist noch frisch und hat doch schon eine interessante Rezeptionsgeschichte hinter sich. Beim diesjährigen Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettlesen trug Monique Schwitter, Jahrgang 1973, aufgewachsen in der Schweiz und wohnhaft in Hamburg, einen Text aus ihrem neuen Roman „Eins im Andern“ vor und erntete damit viel Lob, ging bei der Preisvergabe jedoch leer aus. Es folgten, vor der Nominierung für die Longlist des Deutschen Buchpreises, mehrere hymnische Rezensionen, und zwar sämtlich von Männern. Aus der Sicht der Kritikerin nun ist es eine lustige Denksportaufgabe herauszufinden, was die geschätzten Kollegen an dem Werk derart enthusiasmiert haben mag.
  Hat hier endlich einmal eine Autorin so über das andere Geschlecht geschrieben, dass die Betroffenen sich verstanden fühlen? Trifft die kunstlose Sachlichkeit ihrer Sprache, die unverhohlen autobiografische Erzählhaltung den Nerv männlicher Leselust? Oder schmeichelt die etwas überinstrumentierte Konstruktion, in der eine Frau auf zwölf Männer in ihrem Lebenslauf zurückblickt und elf von ihnen die Namen biblischer Apostel gibt, der männlichen Eitelkeit? Von „Gesandten des Glaubens und der Liebe“ sprach Monique Schwitter in einem Radiointerview, und wenn dabei Ironie im Spiel war, dann kam sie, genau wie im Roman, leider nur sehr schwach herüber.
  Räumen wir zunächst mit der Rezensenten-Galanterie auf, die „Ähnlichkeiten“ zwischen der namenlosen Ich-Erzählerin und der Autorin seien „sicher nicht zufällig“. Die gut vierzigjährige Hamburger Schriftstellerin mit Theatervergangenheit, Hundebesitzerin und Mutter zweier Söhne, die in einer Winternacht über ihrem neuen Roman brütet, zwischendurch ihre erste Liebe googelt und auf diese Weise vom Selbstmord des Verflossenen erfährt, ist niemand anders als Monique Schwitter. Sie hat das im nämlichen Interview bestätigt und zugleich erläutert: Das „Verhältnis von Leben und Schreiben“ habe sie interessiert, die „Verschränkung von Erinnerung und Gegenwart“ sowie die Herausforderung, das eigene Leben „in Echtzeit“ zu erzählen.
  Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden; allerdings steigt bei diesem Verfahren das Risiko, ein Übermaß an privaten Redundanzen für mitteilenswert zu halten, um der Authentizität willen. Manch ein männlicher Leser mag hier Dinge aus dem Alltag und der Innenwelt einer Frau erfahren, die ihm bislang verborgen geblieben sind, und das überaus spannend finden. Auf Leserinnenseite hält sich die Faszination in Grenzen, denn nichts geht hier wirklich unter die Haut.
  Die erste Liebe also, Petrus genannt, hat sich fünf Jahre vor der erzählten Echtzeit aus dem achten Stock gestürzt. Fast mehr als über die Todesnachricht erschrickt die Schriftstellerin darüber, dass der Verblichene so lange ihrem Gedächtnis entschwunden war. Und so benutzt sie die Vergegenwärtigung der gemeinsamen Zeit als Initialzündung für ein Erinnerungskarussell, auf dem sie kapitelweise Ex-Liebhaber, Freunde und Flirts, aber auch den aktuellen, sympathisch-problematischen Ehemann Revue passieren lässt, alle mit Namen von Jüngern Jesu, jedoch überwiegend ohne biblische Bezüge.
  Die würde dieses vom Leben zusammengewürfelte Männer-Sortiment auch gar nicht hergeben – abgesehen von so vordergründigen Entsprechungen wie der, dass die Jugendliebe Petrus sich der Untreue schuldig gemacht hat und dass Thomas, ein allzu anhänglicher Lesungsbesucher, die Autorin zu dem Satz inspiriert: „Ich glaube nur, was ich sehe.“ Zwischen einigen der Herren lässt sich über die Assoziationsschiene des Martyriums eine Verbindung herstellen, aber die wiederum wirkt ziemlich gewaltsam: Andreas, dem Bruder des Petrus, wird in einem französischen Schafstall die Oberlippe von einer Ratte zerbissen; der unvorteilhaft gealterte Regisseur Tadeusz ist Sadomasochist; der Swingerclub-Besucher Thomas trägt Blutergüsse obskurer Herkunft am mageren Leib. Und neben dem Selbstmörder gibt es, als Substitut für den Verräter Judas, der in der Apostelreihe fehlt, einen weiteren Toten: den Bruder der Erzählerin, der an Krebs starb und der, wie das ihm gewidmete, an ein anonymes „Du“ gerichtete Schlusskapitel verrät, ihre größte Liebe war.
  Ja, die Liebe – sie muss wieder einmal als Sammelbegriff für höchst unterschiedlich geartete Emotionen, Beziehungen und Gefühlskonstellationen herhalten. Der Apostel Nathanael (besser bekannt als Bartholomäus) leiht seinen Namen einem homosexuellen Freund der Familie, den die Erzählerin bei einer kuriosen Baumgrabsuche begleitet, und Matthäus wird durch den siebzehnjährigen Schüler Mathieu repräsentiert, mit dem sie so keusch wie angeregt flirtet. Und dann gibt es im Hintergrund noch eine verstorbene Großmutter, die zu Lebzeiten stets Trost und weise Worte spendete und die man posthum befragen kann: „Ach, Großmutter. Was ist das, die Liebe? Wieso kann sie kommen und gehen? Wohin geht sie, wenn sie geht?“
  Die Erzählerin behauptet am Ende, sie habe „gehen gelernt“, was sich zum Teil der Tatsache verdankt, dass sie mittlerweile festeres Schuhwerk bevorzugt als in jüngeren Jahren. Sie kann es denn auch nicht lassen, an dieser Stelle den Song „These Boots Are Made For Walking“ zu zitieren. Und spätestens jetzt dämmert der leicht erschöpften Leserin, woran das Ganze sie erinnert: an die „Neue Frauenliteratur“ der Achtziger – nur dass der aufgekratzte Prosecco-Humor, der damals die feministische Übellaunigkeit ablöste, hier ersetzt worden ist durch ein mit Bildungsgut unterfüttertes Dauerpathos.
  Ein Liebesakt in einem Jugendstil-Pissoir, an sich ja eher komisch, wird durch Zitate aus Schuberts „Winterreise“ geadelt; wenn die Ex-Schauspielerin Monique Schwitter mit Reminiszenzen an den Theaterbetrieb operiert, muss Samuel Beckett bemüht werden. Eine literarisch wenig ergiebige Beziehungsbiografie wird zum Kreuzweg stilisiert, und wo, von der inhaltlichen Anmutung her, die sieben Zwerge viel besser gepasst hätten, winken die zwölf Apostel mit allerlei Zaun- und Marterpfählen.
  Vielleicht ist das die Lösung des eingangs erwähnten Rätsels: Männer dürfen sich bei solcher Lektüre ernst genommen, als Leidende verklärt oder auch wohlig gegeißelt fühlen. Frauen hingegen möchten, wenn sie von den Männer-Erfahrungen anderer Frauen lesen, entweder erheitert werden oder erhellende Einsichten gewinnen. Weder das eine noch das andere wird hier geboten, weshalb „Eins im Andern“ für unsereins ziemlich enttäuschend ist. Wir sind gespannt auf die weitere Erfolgsgeschichte des Romans.
Eine literarisch wenig ergiebige
Beziehungsbiografie wird
hier zum Kreuzweg stilisiert
  
  
  
  
   
Monique Schwitter: Eins im Andern. Roman. Literaturverlag Droschl, Graz 2015. 232 Seiten, 19 Euro.
E-Book 14,99 Euro.
Ihre ehemaligen Liebhaber lässt die Erzählerin im Roman von Monique Schwitter unter den Namen der Jünger Jesu Revue passieren. Aber die Namensschilder haften nur lose an den Figuren.
Foto: PHALANX
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Auch Männern und Liebesromanverächtern kann Rezensentin Judith von Sternburg Monique Schwitters Buch "Eins im andern" ans Herz legen. Denn diesem Roman über die Liebe steckt der Tod ebenso inne wie der tiefe Fall, verrät die Kritikerin, die hier glücklicherweise weder Romantik noch Drama entdeckt. Vielmehr liest Sternburg eine in "kühl glühender Virtuosität" erzählte Geschichte, die in zwölf kunstvoll verknüpften Episoden von den Männern der Ich-Erzählerin berichtet, Liebe, Lust, Traurigkeit und Tod in assoziationsreichen Sprüngen verbindet und zugleich mit autobiografischen Daten der Autorin spielt. Ein großartiger Roman, der auf jeder Seite überrascht, schließt die Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.09.2015

Mit roten Siebenmeilenstiefeln

Wenn das Leben dem Schreiben folgt anstatt umgekehrt: Monique Schwitter hat mit "Eins im Andern" einen ebenso klugen wie berührenden Roman darüber geschrieben, wie man die Liebe hält - indem man einen Roman über sie verfasst.

Noch nicht einmal 130 Wörter umfasst Samuel Becketts Kurzdrama "Kommen und Gehen", das sich mühelos in drei Minuten spielen lassen würde und an dem man doch ein Grundmuster unseres Daseins ablesen kann: Von den drei Figuren des Stückes sitzen jeweils zwei gemeinsam auf einer Bank und tauschen ein Geheimnis über die Abwesende aus (das der Zuschauer nicht hören kann). Die Dritte kehrt zurück, wechselt den Platz mit einer der beiden anderen, eine neue Zweierkombination entsteht, ein neues Geheimnis wird ausgetauscht. Die Abwesende kehrt zurück, tauscht ihren Platz - und so fort. Beckett gibt drei Frauen als Dramatis personae an, allerdings lässt sich dieses Schicksalskarussell zweifelsohne auch anders besetzen.

Die Ich-Erzählerin aus Monique Schwitters Roman "Eins im Andern" hat "Kommen und Gehen" vor Jahren am Salzburger Mozarteum aufführen lassen: In einer Dauerschleife wiederholt sich die Dreierchoreographie, bis auch das letzte Publikum den Saal verlassen hat und die Darstellerinnen vor Erschöpfung weinen. Allein im Zuschauerraum zurückgeblieben sind die Regisseurin, die Erzählerin also, und neben ihr ihr aktueller Freund Petrus. An ihrer anderen Seite sitzt der attraktive Schauspielschüler Jakob, ihr künftiger Freund - das ist zwar noch nicht ausgesprochen, durch den heimlichen Austausch intensiven Fußkontaktes indes abgemachte Sache.

Nicht nur das Geschehen im Zuschauerraum spiegelt sich in der Beckettschen Choreographie. Kommen und Gehen ist das Grundprinzip, das Schwitters Roman als Ganzem zugrunde liegt, allerdings mit durchaus subtilen Verschiebungen und Variationen. Schaut man in das Inhaltsverzeichnis von "Eins im Andern", findet man dort eine Liste von Männernamen, dazu Zeit- und Ortsangaben. Offenbar, so könnte man annehmen, zieht hier eine Frau Anfang vierzig Bilanz, legt Zeugnis ab über die Männer, die es bisher in ihrem Leben gegeben hat, die gekommen und gegangen sind oder zu denen sie gekommen und wieder gegangen ist. Auf diese Weise, so scheint es, versucht sie, einen geschlossenen Kreis - die Namen entsprechen jenen der zwölf Apostel - und somit stimmiges Bild entstehen zu lassen. Eine Reduktion auf dieses spielerische Moment allerdings liefe am Schwitterschen Impetus vorbei. Ihr Roman liest sich vor allem als eine Beschwörung der Kraft, um den Schmerz über Vergangenes zu bewältigen, damit eine gegenwärtige Liebe bewahrt werden kann.

Das mag pathetisch klingen, ist es bei Monique Schwitter aber auf nachgerade wundersame Weise nicht. Wie die 1972 in Zürich geborene Schriftstellerin, die bis vor ein paar Jahren als Schauspielerin und Regisseurin gearbeitet hat, schon bei ihrem Auftritt bei den Klagenfurter Tagen der deutschsprachigen Literatur unter Beweis gestellt hat, ist sie eine Erzählerin, die sich auf die fein- genauso wie die tiefsinnige Inszenierung eines Textes versteht - im besten Sinne. Zudem hat sie ein Gehör für Töne, für Klang also, genauso wie für Zwischentöne, gerade für die eigenen und die aus Versehen verrutschten, weshalb "Eins im Andern" bei aller Ernsthaftigkeit von feiner Ironie und Komik durchzogen ist.

Den Auftakt des Romans bildet eine beinahe schon banale Szene. Die beiden Kinder und der Hund schlafen, der Ehemann sitzt im Nebenraum am eigenen Computer, und die Erzählerin googelt ihre erste große Liebe, Petrus. Sie muss feststellen, dass dieser sich bereits vier Jahre zuvor das Leben genommen hat. Ein Mensch, der sie seit Jahren nicht beschäftigt hat, wird plötzlich zum Erzählanlass. Flugs befinden wir uns in der frühen Studentenzeit der Erzählerin, in der sie halb aus Geldmangel, halb aus der selbstauferlegten Extravaganz, die man sich in einem solchen Alter zu geben pflegt, sommers wie winters auf roten Pumps durchs Leben spazierte. Von den Seehundstiefeln, die ihr bei einer Silvesterwanderung geliehen werden, verliert sie prompt einen, weil sie die zwar warmen, aber etwas zu kleinen Stiefel irgendwann einfach auszieht und auf Strümpfen weiter durch den Schnee läuft, bis ihre Füße kalt wie Eisklumpen sind.

Nach Petrus kam bekanntlich Jakob, ein kurzes Intermezzo gab noch Andreas, der Bruder von Petrus. So weit, so gut die Liebhaber-Rekapitulation von Schwitter, deren Niederschreibeprozess immerzu miterzählt wird. Eine erste Irritation streut Schwitter nach knapp fünfzig Seiten ein: "Wie auch immer ich erzähle, was auch immer ich erzähle. Mein Mann sollte Letzter sein." Kurz darauf heißt es: "Zwölf . . . Ich denke nach und überschlage kurz. Wenn ich Kurs halte und chronologisch fortfahre, ist mein Mann voraussichtlich gerade einmal Nummer fünf. Aber kann es denn nicht sein, dass sich unterwegs, beim Schreiben, eine Lösung findet?"

Die Erzählerin muss improvisieren, noch ein paar Männer hinzuerfinden oder kurze Affären zu Liebhabern deklarieren, wenn sie ihren Ehemann zu jenem schicksalsträchtigen Zwölften werden lassen möchte, der das Bild der Apostel komplettiert.

Beschwörungen erfolgen naturgemäß in jenen Momenten, in denen der Bruch beinahe schon unvermeidbar scheint. Bei Monique Schwitter wird dieser Riss in dem Augenblick offenbar, als sie die Erzählerin das erste Kapitel des Romans, jenes über Petrus und den Verlust der Seehundstiefel, als Schriftstellerin auf einer öffentlichen Lesung vortragen lässt. Dabei nimmt diese kaum wahr, was sie da liest, sondern hat immer nur die Katastrophe vor Augen, die ihrem Leben von einer Minute auf die andere den Boden zu entreißen droht: Gerade hat sie erfahren, dass ihr Mann, jener Mann, der so unbedingt der Letzte sein soll in der Reihe der Männer, die Familie an den Rand des Ruins oder schon darüber hinaus getrieben hat, weil er durch seine heimliche Spielsucht Schulden in Höhe eines mittleren Jahreseinkommens gemacht hat.

Eins im Andern, das meint natürlich auch: Mise en abyme. In das Schreiben über ihr Liebesleben bricht nicht nur das reale Leben der Erzählerin ein. Bereits ein kurzer Blick auf die Lebensstationen von Monique Schwitter lässt erahnen, dass auch sehr viel Autorin in der Figur der Erzählerin steckt. Wie viel, ist jedoch unbedeutend.

Überhaupt bleibt der Reiz des voyeuristischen Blickes vollends nebensächlich bei diesem Roman. Wesentlich ist, wie die Erzählerin und mit ihr Schwitter das Verhältnis von Leben und Schreiben umdreht. Nicht mehr das Leben geht dem Schreiben voraus, sondern umgekehrt. Die erzählerische Imagination wird zum Versuch, das ruinierte Dasein zu retten. Und vielleicht wird das Vermögen zu schreiben in jenen Monaten, in denen die Erzählerin sich mit wütenden Schuldnern konfrontiert und die Sparbücher der beiden noch nicht einmal schulpflichtigen Söhne geräubert sieht, zum einzig verbleibenden Motor, diese Existenz zumindest notdürftig am Laufen zu halten.

Dafür sucht die Erzählerin für einige Zeit die räumliche Distanz zu ihrer Familie, nicht nur zu ihrem Mann, auch zu den Kindern. Einem spontanen Impuls folgend, fährt sie von Hamburg aus ins heimatliche Zürich. Und hier - während der kleine Sohn immerzu "Kommst du?" ins Telefon ruft, ungeduldig vom Größeren verbessert: "Wann, wann kommst du, heißt das" - entblättert Schwitter noch den letzten, vielleicht entscheidenden Verlust im Leben ihrer Erzählerin: Ihr zwei Jahre jüngerer Bruder ist gestorben, als sie gerade mit Petrus liiert gewesen ist, vor mehr also zwanzig Jahren also. Nicht friedlich eingeschlafen, sondern qualvoll und voll wütender Verzweiflung. Ihr jüngster Sohn nun, von dem die Ärzte nach verschiedenen Komplikationen sagten, dass dieses Kind unbedingt zu Welt habe kommen wollen, hat die Augen dieses Bruders. Auch da steckt der eine im anderen.

Und so bekommt Schwitters Roman etwas Tröstendes gerade dort, wo die Erzählerin ihre tiefste Wunde offenbart. Auf das Gehen folgt das Kommen. Aber dieser Roman, der so manchen lustvollen Haken schlägt, endet nicht, ohne dass das sichergeglaubte Prinzip des Gehens in sein Gegenteil verkehrt wird. Die Erzählerin, nun in robusten Stiefeln anstelle von roten Riemenpumps, bekundet, sie habe Gehen gelernt. Aber ihr Gehen ist kein Fortgehen, sondern ein Bleiben bei jenem Mann, der so unbedingt der letzte hat sein sollen. Auch wenn sie dafür einiges hat erfinden müssen.

WIEBKE POROMBKA

Monique Schwitter:

"Eins im Andern".

Roman.

Droschl Verlag, Graz/Wien 2015. 232 S., geb., 19,- [Euro].

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