Marktplatzangebote
12 Angebote ab € 1,20 €
  • Gebundenes Buch

Der Zufall will es, dass Philip, als er nach einer erfolgreichen Geschäftsreise gut gelaunt durch die Stadt schlendert, seiner ehemaligen Freundin Jodie begegnet. Ihre Blicke treffen sich nur kurz, aber plötzlich ist wieder alles da, als wäre es erst gestern gewesen: die Sommerliebe zwischen ihm und Jodie vor zehn Jahren. Die sich leise anbahnende Beziehung zwischen seinem Vater und Jodies Mutter. Ein »gemischtes Doppel«, wie es heißt. Und dann das verhängnisvolle Los, das dem Glück so plötzlich ein Ende setzt. Philip beginnt die längst nicht verarbeitete Vergangenheit Stück für Stück zurückzuholen.…mehr

Produktbeschreibung
Der Zufall will es, dass Philip, als er nach einer erfolgreichen Geschäftsreise gut gelaunt durch die Stadt schlendert, seiner ehemaligen Freundin Jodie begegnet. Ihre Blicke treffen sich nur kurz, aber plötzlich ist wieder alles da, als wäre es erst gestern gewesen: die Sommerliebe zwischen ihm und Jodie vor zehn Jahren. Die sich leise anbahnende Beziehung zwischen seinem Vater und Jodies Mutter. Ein »gemischtes Doppel«, wie es heißt. Und dann das verhängnisvolle Los, das dem Glück so plötzlich ein Ende setzt. Philip beginnt die längst nicht verarbeitete Vergangenheit Stück für Stück zurückzuholen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.2001

Wer schmiedet die Ereigniskette?
Stifters Stiefsohn: Silvio Blatter gewinnt eine Reise nach Italien

Wer unter den Requisiten des heutigen Alltagslebens ein sinnfälliges Symbol für das Schicksal sucht, dem fällt über kurz oder lang die Rolltreppe ein: Da kommen die Menschen angefahren, sie können nicht anders, es rollt mit ihnen unausweichlich dahin. Am Anfang der Novelle "Die Glückszahl", mit der sich der Schweizer Autor Silvio Blatter nach längerem Schweigen zurückgemeldet hat, steht eine Rolltreppenbegegnung im Kaufhaus: Da kommt sie angefahren, die zehn Jahre nicht mehr gesehene Jugendgeliebte, ein fremder Mann hat den Arm um ihre immer noch schlanke Taille gelegt, ein zungezeigendes Töchterlein vervollständigt die rollende Familiengruppe.

Die verstörende Wiederbegegnung setzt die Rolltreppe der Erinnerung in Gang. Der Erzähler, ein Restaurator Anfang Dreißig, zieht sich in sein Atelier zurück, um schreibend zu restaurieren, was damals geschehen ist. Rumpelnde Vorausdeutungen begleiten die Geschichte der einstigen Liebe zu Jodie: "Der Zufall führte uns zusammen, das Schicksal zwang uns auseinander." Fortwährend wird in dieser Art über den Zusammenhang von Zufall und Schicksal reflektiert, was zum einen an den Schweizer Existentialismus eines Max Frisch und seines "Homo Faber" erinnert, mehr aber noch an einen Autor des neunzehnten Jahrhunderts, in dessen Werk die Bewältigung des "Fatums" im Zentrum steht: Adalbert Stifter. Ihm hat Blatter vor Jahren bereits im Titel eines Romans ("Das sanfte Gesetz") zitierend seine Reverenz erwiesen; durchaus bemerkenswert für einen Autor, der im Zeichen der Politisierung von 1968 zu schreiben begann.

Wie Stifters "Nachsommer", allerdings ohne forcierte Triebvermeidungspädagogik, schildert Blatters Novelle die Liebesverhältnisse zweier Generationen, ein "gemischtes Doppel", in der Sprache des Tennis. Sie paßt hier gut, nicht nur, weil die Liebesgeschichte mit Jodie auf dem Tennisplatz beginnt, sondern auch weil im Motiv des Tennisspiels die vielfältigen Symmetrien des Textes aufgehoben sind. Sowohl der junge Restaurator mit dem Talent für Vergoldungen wie auch die Studentin sind als Scheidungskinder aufgewachsen. Kaum sind sie selber zusammengekommen, verfallen sie auf die Idee, auch ihre alleinerziehenden Elternteile zu verkuppeln.

Während die Paarbildung bei den Jüngeren sehr hauruckartig inszeniert wird, schleppt sie sich bei den älteren Herrschaften, die doch eigentlich von den freien Ideen der Sechziger geprägt wurden, erstaunlich lange hin. Hier entwickelt sich die Novelle zwischenzeitlich beinahe zur Komödie, nicht zu ihrem Schaden. Mißtrauisch nach einer Reihe schlechter Erfahrungen, weichen sich der Vater und die Mutter zunächst wie schüchterne Pubertierende aus, um sich endlich doch in die Arme zu fallen.

Die Schilderung der Vater-Sohn-Beziehung ist die gelungenste Partie des Buches. Die Frauenlosigkeit ist dem Vater, der von der Mutter einst zugunsten eines anderen Mannes verlassen wurde, vor dem Sohn peinlich, ebenso aber auch die gelegentliche Affärenwirtschaft, denn sie offenbart seine Bedürftigkeit. Rivalität spielt hinein: Als der Sohn Jodie mit nach Hause bringt, entwickelt der Vater trotz Hüftspeck und Zahnfleischschwund einen Charme, der die junge Frau nicht unbeeindruckt läßt. Eher lächerlich kommen dem Sohn die väterlichen Anfälle von Jugendlichkeit beim Werben um Jodies Mutter vor: Da kauft er sich ein Motorrad, um knatternd und ganz in schwarzes Leder gehüllt vor dem "Rosenhaus" vorzufahren, wie das kleine Anwesen von Jodies Mutter genannt wird. Auch dies ist ein Stifter-Zitat aus dem "Nachsommer", womit wir wieder beim Schicksal wären, das der doppelten Sommeridylle nun den "Drive zum Abgrund" verleiht.

Zu den vielen merkwürdigen Zufällen, die sich in der Novelle aneinanderreihen, gehört der Gewinn einer Mailand-Reise per Rubbellos - daher der Titel "Die Glücks-zahl". Das junge Paar fliegt dorthin; gleichzeitig sind auch Mutter und Vater auf dem Motorrad in Italien unterwegs. Zufällig trifft man sich in der großen Stadt. Das Schicksal nimmt jetzt die Form eines Gesäßfurunkels an, das dem Vater das Sitzen im Sattel zur Qual macht. Kurzerhand schlägt der Sohn einen Tausch vor: Flugtickets gegen Motorrad. Das Flugzeug stürzt ab; durch den Tod der Eltern zerbricht auch die unbeschwerte Liebe mit Jodie.

Man kann einem Buch, das wie "Homo Faber" bewußt mit Unwahrscheinlichkeiten operiert, schlecht die Konstruiertheit der Handlung vorwerfen. Aber man kann feststellen, daß die suggestive Kraft fehlt, die bei Frisch das Unwahrscheinliche plausibel macht. Hier wird es meist nur so dahinbehauptet; allzu sehr verläßt sich Blatter, der in seinem Hauptwerk, der Trilogie "Zunehmendes Heimweh", mit künstlerischem Blick für Details überzeugen konnte, auf eine prätentiöse Nachdenklichkeit: "Wir Menschen sind stets mehr unsere Zufälle als unsere Wahl."

Silvio Blatter ist, wie nicht wenige seiner Generation, an der Schwelle zur Metaphysik angelangt. Führt das "zunehmende Heimweh", das sich politisch nicht beschwichtigen ließ, am Ende zur Religion? Wo so viel vom Schicksal die Rede ist, stellt sich irgendwann auch die Frage nach dem Füger der Fügungen: "Schmiedet ein Wille die Ereigniskette, steckt eine Idee dahinter? Gewissermaßen ein Konzept, eine höhere Macht?" Wer weiß. Was dieses Buch betrifft, so ist sicher, daß eine Idee dahintersteckt; auch am Konzept mangelt es nicht, eher im Gegenteil. Von der höheren Macht des Erzählens jedoch ist zu wenig zu spüren.

WOLFGANG SCHNEIDER

Silvio Blatter: "Die Glückszahl". Novelle. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2001. 187 S., geb., 34,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Was so glücklich beginnt, endet tragisch in Silvio Blatters Buch, doch der tiefere Sinn von "Glückszahl" ist Rüdiger Wartusch nicht ganz klar geworden. Aus den Resten zweier Scheidungsfamilien werden zwei glückliche neue Paare, ein Lottogewinn bewegt alle vier in Richtung Italien, wo das Glück durch einen Unfall abrupt endet. Wartusch vermisst dabei "den Sinn, die Logik und die Ordnung in dieser Geschichte". Seine Frage nach dem Plan der Geschichte bleibt unbeantwortet. Ist es letztendlich eine Art göttliche Fügung, die die vier ereilt?, fragt er sich. An einem Rubbellos metaphysische Fragen wie die Freiheit des Menschen aufzuhängen, findet der Rezensent zumindest ungewöhnlich , wenn nicht gewagt, und kommt zu dem Schluss: "Silvio Blatter lüftet das Rätsel der menschlichen Existenz erwartungsgemäß nicht."

© Perlentaucher Medien GmbH