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Zwei Tage im Leben eines Bundespräsidenten. Während er den Besuch des spanischen Königspaares erwartet, wird hinter seinem Rücken bereits eine Intrige vorbereitet, die ihn zu Fall bringen soll. Private Interessen und das Ringen um politische Macht vermischen sich zu einem gefährlichen Sprengsatz. »Ein verblüffend verwegenes, ja doch gar: ein verrücktes Buch.« Tagesspiegel

Produktbeschreibung
Zwei Tage im Leben eines Bundespräsidenten. Während er den Besuch des spanischen Königspaares erwartet, wird hinter seinem Rücken bereits eine Intrige vorbereitet, die ihn zu Fall bringen soll. Private Interessen und das Ringen um politische Macht vermischen sich zu einem gefährlichen Sprengsatz. »Ein verblüffend verwegenes, ja doch gar: ein verrücktes Buch.« Tagesspiegel
Autorenporträt
Thomas Hürlimann wurde 1950 in Zug, Schweiz, geboren. Er besuchte das Gymnasium an der Stiftsschule Einsiedeln, studierte Philosophie in Zürich und an der FU Berlin und lebt heute wieder in seiner Heimat. Neben zahlreichen Theaterstücken schrieb Hürlimann die Romane »Heimkehr«, »Vierzig Rosen« und »Der große Kater« (verfilmt mit Bruno Ganz), die Novellen »Fräulein Stark« und »Das Gartenhaus« sowie den Erzählungsband »Die Tessinerin«. Für sein dramatisches, erzählerisches und essayistisches Werk erhielt er unter anderem den Joseph-Breitbach-, den Thomas-Mann- sowie den Hugo-Ball-Preis. 2019 wurde er mit dem Gottfried-Keller-Preis ausgezeichnet. Hürlimann ist korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Akademie der Künste, Berlin. Seine Werke wurden in 21 Sprachen übersetzt. Im Sommer 2022 erschien bei S. FISCHER sein Roman »Der Rote Diamant«, der für den Schweizer Buchpreis 2022 nominiert ist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998

Schuld und Söhne
Das Drama eines geschichtslosen Landes: Thomas Hürlimanns Roman "Der große Kater" / Von Florian Illies

Wie entsteht ein Verhängnis, fragte Thomas Hürlimann 1981 in seiner Novelle "Das Gartenhaus". Die Antwort: "Indem es seine Entstehung verbirgt. Es schleicht sich heran, es gewöhnt sich an uns, und im Augenblick, da wir seine Fratze erkennen, lacht sie uns aus." Präziser hat niemand das Wesen des Verhängnisses prophezeit, das sich fünfzig Jahre lang an die Schweiz heranschlich, um dann urplötzlich seine Fratze zu zeigen, schillernd, nazigoldrot. Das Verhängnis, das über die Schweiz hereingebrochen ist, heißt: Geschichte.

Da die Schweiz kein schlechtes Gewissen hatte, verdrängte sie nicht, sondern vergaß. "Wir haben in einer Legende Platz genommen", schreibt Hürlimann, "und lange Zeit saßen wir bequem." Die Literatur der Schweiz hat auf den Zustand einer nationalen Schuldlosigkeit jahrzehntelang mit fiktiven Schuldzuweisungen reagiert. In die Niederungen der Historie wagte sie sich nicht vor: Die Literatur begann, wo die wahre Geschichte endete, im Mai 1945. "Als der Krieg zu Ende war" hieß das erste Schauspiel von Max Frisch. Als Frisch es 1962 in seine "Stücke" aufnahm, strich er jene Teile, in denen es zur Katastrophe kommt, weil der Soldat nicht fähig ist, Konsequenzen aus seinen Kriegsverbrechen zu ziehen. Mit Homo faber fragte dann ein ganzes Volk: "Was ist denn meine Schuld?"

In der Schweizer Literatur geschieht im Grunde nichts zwischen hohem Himmel und engem Tal, aber permanent verlieren sich Menschen in der Geschichte ihres Ichs, oder es werden Unschuldige verurteilt. Wer nicht Schuld empfunden hat, nicht Reue, nicht Sühne, für den wird die Gerechtigkeit wie in den Geschichten Dürrenmatts zum Zufall. In den deutschen Schulbüchern, in die diese Geschichten sofort Eingang fanden, wurde der Zufall dann als Gerechtigkeit interpretiert, und der Phantomschuld malte man ein Phantombild, das einen schwarzen Schnäuzer trug zum streng gescheitelten Haar. Nur für die Schulbücher der Schweiz war Friedrich Dürrenmatts kleine Erzählung "Die Panne" aus dem Jahre 1956 geeignet. Denn darin kommt, in letzter Konsequenz, der Schuldspruch vor der Schuld. "Eine Schuld", so heißt es in dem fiktiven Gerichtsverfahren, das dort eine aufgeräumte Altherrenrunde angezettelt hat, "eine Schuld wird sich schon noch finden lassen."

Nun ist die Schuld da. In Thomas Hürlimann hat sie ihren Ankläger gefunden, auch wenn er noch, zumindest am Anfang seines Schaffens, nicht wagte, hinter die Frischsche Demarkationslinie vorzudringen: den Mai 1945. Sein Theaterstück "Der Gesandte", der um den Schweizer Botschafter in Berlin kreiste, spielt am 8. Mai 1945 und mit der großen Leerstelle der Zeit davor. Ebenso vom Kriegsende her, diesmal aus der Enkelperspektive erzählt, beleuchtete Hürlimann in seinem Stück "Großvater und Halbbruder" die Schweizer Asylpolitik während des Kriegs. "Großvater und Halbbruder" war vor allem eine Abrechnung mit dem Verhalten der eigenen Familie während der Hitlerzeit. Auf der Personenliste tauchen auf: "Mein Großvater Ott, Meine Mutter Theres Ott, Mein Vater Hans Hürlimann." "Ausgedachte Erinnerung", nannte Hürlimann das. Die Konzentration auf den Familienkreis, der Verzicht auf die Abstraktion, ließ die Schuld am Ende in der biographischen Spurensicherung und Abgrenzung aufgehen - und wie eine Welle verebben. Ein Verebben der Geschichte im Kreise der Lieben, das bis heute, bis zu seinem Roman "Der große Kater" das große Dilemma des Hürlimannschen Erzählens ist.

Das einschneidende Ereignis im Leben des heute achtundvierzigjährigen Schriftstellers war der Tod seines jüngeren Bruders Matthias, der 1980 mit zwanzig Jahren an Rückenmarkkrebs starb. Dieser Tod habe ihn dazu verpflichtet, "die Wahrheit zu erkennen und die Täuschung zu entlarven". In seinem Debüt "Die Tessinerin", das für das langsame Sterben eine verstörende Sprache fand, gelang es Hürlimann, dem Tod des Bruders durch die Übertragung auf eine andere Person das Lähmende zu nehmen. Zugleich war die Kraft dieser literarischen Fiktion aber dem eigenen Erleben geschuldet. Es sei, so schrieb Hürlimann, im Grunde egal, ob einer am Bett seiner sterbenden Frau sitze "oder ich am Bett meines Bruders (worüber ich schreiben wollte und nicht schreiben kann)".

Acht Jahre später erscheint das Sterben wieder als Motiv in Hürlimanns Werk, doch diesmal indirekter: als Trauer. Der junge Mann ist bereits tot, als der Erzähler anhebt. "Das Gartenhaus", 1989 erschienen, ist bislang Hürlimanns souveränste Form des Umgangs mit dem Tod des Bruders, um dieses hier vielleicht auch zynische Wort zu nutzen. Ihm gelang dies wiederum durch das Vertauschen der Perspektive, also der Schilderung des elterlichen Umgangs mit dem Tod des einzigen Sohnes. Und andererseits durch das Entheben des Geschehens aus Raum und Zeit. Es gibt kein besseres Porträt der Schweiz als einer aus der Zeit gefallenen Nation als diese Erzählung, die in den zwanziger Jahren ebenso spielen könnte wie in den Fünfzigern, im neunzehnten Jahrhundert wie im zwanzigsten. Die Eltern besuchen das Grab, irgendwann wird der Vater, der Oberst, "eifersüchtig", wie es heißt, auf die Trauer seiner Frau, er kümmert sich vor allem um Nachschub für die streunende Friedhofskatze. Diese Geschichte, so sagte Hürlimann später, könne man nicht zornig erzählen. "Das müßte etwas anderes sein."

Nun ist das andere da. Und auch der Zorn. "Der große Kater" ist Thomas Hürlimanns radikalstes Werk. Was "Roman" heißt, ist in Wahrheit eine Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte, die eine Tragödie ist. An zwei Stellen blitzt das Hürlimannsche Ich auf, um zu zeigen, daß es die eigenen Eltern sind, die sich bekriegen, und der eigene Bruder, der zwischen ihnen zerrieben wird und für dessen Sterben der Vater keine Worte findet. Heimito von Doderers Satz, wonach einem die Kindheit über den Kopf gestülpt wird wie ein Kübel, hat Hürlimann immer gerne zitiert. Doch es gelang ihm im "Gartenhaus", sich aus dem Kübel herauszuwinden und dann, von außen, den Kübel zu beschreiben, als wäre er irgendeiner und stünde irgendwo; doch konnte er nur so gut berichten, wie er von außen aussah, weil er wußte, wie es innen aussah, im Dunkeln. Nun hat er versucht, eine Geschichte aus dem Kübel heraus zu erzählen. So ist sie leider auch geworden: eine Kopfgeburt, blechern und verdunkelt.

Der Antriebsgrund für diesen Roman scheint klar: Die Schweiz als geschichtslose Nation irrt durch Raum und Zeit, und so versucht Hürlimann, sie zu bannen - indem er das erzählt, was er am besten kennt, nämlich die Familie Hürlimann. "Wir brauchen", so hat Hürlimann gefleht, als die Schweizer den Beitritt zur Europäischen Union ablehnten, "eine Vergangenheit, an die wir glauben können." Er nennt Martin Walsers "Die Verteidigung der Kindheit" einen der großen Romane unseres Jahrhunderts. Seltsam nur, daß Walsers relativ fiktiver Jedermann viel konkreter die deutsche Geschichte einfängt als Thomas Hürlimanns "Der große Kater", obwohl sein Vater Hans Hürlimann, als langjähriger Bundesrat und Schweizer Bundespräsident des Jahres 1979 eine wichtige Figur der nationalen Geschichte war. In jenem Jahr 1979 kam das spanische Königspaar zu einem zweitägigen Staatsbesuch in die Schweiz. Dieser Staatsbesuch ist der konkrete Rahmen des Romans. Mit Rückblenden wird die Lebensgeschichte des Vaters erzählt und das Vertröpfeln der elterlichen Ehe nach dem Ende der Amtszeit.

Hürlimann verknüpft den Staatsbesuch mit dem Tod des Bruders durch einen Besuch der Königin und der Gattin des Präsidenten am Sterbebett des Sohnes. Man möchte nicht wissen, wie nah dies an die Wirklichkeit herankommt, doch daß Schweizer Zeitungen im Juni 1979 mit Bildern davon berichten, wie Königin Sofia und Frau Theres Hürlimann das Inselspital in Bern besuchen, als auch die Tatsache, daß der Tod des Bruders wenige Monate später mit dem wirklichen Sterbedatum des Bruders Matthias übereinstimmt, und der Leitende Arzt, der in den Zeitungen aus jener Zeit als Ettore Rossi die Gattinnen begrüßte, im Buch als Oberarzt Bossi auftritt, läßt die Nähe gespenstisch werden. Doch wer den notwendigen Sicherheitsabstand zur Wirklichkeit nicht einhält, fährt ihr hinten drauf.

Zwanzig Jahre nachdem durch die deutsche Literatur eine Welle der Väterliteratur rollte, in der Brigitte Schwaiger, Sigfrid Gauch und, vor allem, Christoph Meckel in seinem "Suchbild" die Väter anklagten für ihr Schweigen im Dritten Reich und für ihr Schweigen danach, hat auch Hürlimanns zwanzigjähriges Suchspiel seinen Höhepunkt erreicht. Er sagte einmal, daß bei ihm und seinen Landsleuten dort, wo für seine deutschen Bekannten die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und den eigenen Vätern stünde, er nur eine leere Stelle finden könne. Das Spiel, das Hürlimann deshalb spielen mußte, heißt "Verstecken". Lange genug hatte er am Baum gestanden und nur gezählt. Nun macht er sich auf und sucht hinter jedem Busch. Doch in der Vergangenheit des Vaters findet er statt Schuldbewußtsein nur ein großes Loch.

Literarisch wird das in seinem Fall durch einen Absatz markiert. "An der Seite der deutschen Soldaten marschieren wir durch die Nacht zum Licht", so läßt er seinen Vater anno 1939 dem Studienfreund zurufen. Dann Absatz. Und weiter: "Im Frühjahr 1945 schlossen beide ihr Studium ab". In diesem Absatz hat sich die ganze Schweizer Geschichte verkrochen. In diesem Absatz zeigt sich aber auch Hürlimanns Kunst der mimetischen Mentalitätsgeschichtsschreibung. Wenig später, in einer weiteren Rückblende, läßt er seinen Vater über den Freund, dem er die Frau ausgespannt hat (Hürlimanns Mutter), in einer Parteirede triumphieren, weil er sagt: "Ich meine, werte Parteifreunde, daß die Vergangenheit vergangen ist". Jubel. Hürlimann senior kommt in den Kantonsrat. Und später ins Bundespräsidialamt.

Es ist auffällig, daß Hürlimann gerade diese schwierigen Klippen stilsicher und kunstvoll umschifft: Doch in der Vergangenheit hilft ihm nicht die Erinnerung, sondern die Imagination, die schon "Das Gartenhaus" zu einem der schönsten Bauwerke der Schweizer Nachkriegsprosa machte. Sein Lakonismus, seine Souveränität kommen ihm erst abhanden, wenn er dahin gelangt, "worüber ich schreiben wollte und nicht schreiben kann". Wenn er die Zeit des Staatsbesuchs nacherzählt, während der er ununterbrochen am Krankenbett des Bruders wachte, verlassen ihn viele seiner literarischen Instinkte. "Die schlimmsten Gewitter schieben Stille vor sich her" - so schreibt Hürlimann, und man hofft sehnlichst, daß jetzt ein Punkt kommt, aber nein, das Gesagte muß noch unterstrichen werden, und zwar mit dem Abgedroschensten, was sich im Metaphernhaushalt finden läßt - "die Ruhe", so fährt Hürlimann tatsächlich fort, "vor dem Sturm".

Vor dem Sturm ist nach dem Sturm. Als sei das Sterben des liebsten Menschen nicht unerhört genug, muß Hürlimann es permanent erdrücken unter dem Berg der Metaphorik und Mythologie. Der Text ächzt unter Vergleichen mit Abraham, der seinen Sohn opfert, mit Dornröschen, dem Schachspiel, mit Katzen. Zu sehr leidet Hürlimann offenbar an der väterlichen Unfähigkeit zur Schuld und der eigenen Schuld, den jüngeren Bruder überlebt zu haben, als daß er seinem eigenen Stil vertrauen könnte. Statt dessen greift er zu eingehenden Erörterungen der Theodizee und einer Kritik der Medienwirklichkeit mit den alten Neil Postmannschen Gassenhauern von der "zweiten Realität, die das Volk für die erste nahm". Die, so möchte man die alte Hosenverkäuferweisheit ergänzen, wird gern genommen.

Hürlimann als Zeitgenosse also ist sehr angestrengt und papieren. Hürlimann als Erinnerer jedoch ist, auch in diesem seltsamen Roman, zutiefst suggestiv und lebendig. Das Schweizer Verhängnis, das Geschichte heißt, ist das Glück des Erzählers Hürlimann. Erst wenn er von der Vergangenheit berichtet, vom Vater, der zwei Tage eine fast zu Tode geprügelte Katze auf seinem Bauch bettet, bis sie wieder zu leben beginnt (und ihn zum "großen Kater" machte), wenn er schildert, wie der Vater in der Klosterschule Einsiedeln beobachtet, wie die Kaiserin Zita mit jährlich reduziertem Gefolge zur Beichte einfährt, gewinnt er seine poetische Kraft zurück. Auch Hürlimann kann eben, als echter Schweizer, nur über sein Land schreiben, wenn es aus der Zeit gefallen scheint. Das ist es diesmal leider nur auf vierzehn von zweihundertvierzig Seiten.

Thomas Hürlimann: "Der große Kater". Roman. Ammann Verlag, Zürich 1998. 240 Seiten, 38,- DM.

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