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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Wie ein junger, frustrierter Berliner sein Heil im mörderischen Islamismus sucht und zum Selbstmordattentäter wird
Es ist immer heikel, wenn Erwachsene versuchen, den Jugendjargon zu imitieren, ob im Gespräch oder in literarischer Form. So etwas wirkt meist sehr gekünstelt und anbiedernd und trifft nur selten den authentischen Ton, zumal der ja auch im ständigen Wandel ist.
Anna Kuschnarowa, eine 38-jährige Autorin und Fotografin, ist das Wagnis dennoch eingegangen, und in diesem Fall ist es sogar vertretbar. Denn sie benutzt diese aggressive und betont coole Sprache („echt, eine fiese Bitch“), um die jähe Wandlung ihres „Helden“ Julian Engelmann, der mit Drogen handelt und in Wohnungen einbricht, um seine Schulden zu bezahlen, auch auf diese Weise deutlich zu machen. Denn aus dem kaputten Typen, der nichts auf die Reihe bekommt, wird plötzlich ein gläubíger, fundamentalistischer Muslim, der von seinem bisherigen „sündigen“ Leben (samt der dazu passenden Sprache) nichts mehr wissen will und eines Tages sogar als Abdel Jabbar Shahid an der pakistanisch-afghanischen Grenze zum Dschihadkämpfer ausgebildet wird.
Hier entdeckt der Loser, indoktriniert von seinen Mitkämpfern, einen vermeintlichen Sinn in seinem verpfuschten Leben: sich selbst in einem Berliner Einkaufszentrum am Alexanderplatz mit einem Sprenggürtel in die Luft zu jagen und dabei möglichst viele „Ungläubige“ mit in den Tod zu reißen.
Eine äußerst brutale Geschichte, die für viele Jugendliche (das Buch wird sogar schon 14-Jährigen empfohlen) sicherlich zu blutig, kalt und grausam ist – wenn auch sicherlich ziemlich realitätsnah. Etwa wenn in Djihad Paradise amerikanische Drohnenangriffe plastisch geschildert werden, mit denen ein ganzes Ausbildungslager dem Erdboden gleichgemacht wird. Dabei wird auch der einzige Freund Abdels, der (heimlich) Homosexuelle Murat, zerfetzt.
Zwei Handlungsstränge durchziehen den Roman: die rasend schnelle Verwandlung des von Schule, Konsumgesellschaft und der zerbrochenen Ehe seiner Eltern zermürbten Julian – der zu Abdel wird – und die stürmische Liebesgeschichte mit seiner angebeteten Romea, dem Mädchen mit schlingpflanzengrünen Augen. Auch Romea fühlt sich, reichlich unvermittelt, von den ultrakonservativen Salafisten angezogen. Überzeugt von ihrer Lehre zieht sie ein Kopftuch über und nennt sich fortan Shania.
Anna Kuschnarowa, die 2013 den Gustav-Heinemann-Friedenspreis für ihr Buch Kinshasa Dreams erhalten hat, geht es darum, das Verführerische einer autoritären religiösen Gemeinschaft, die als Ersatzfamilie begriffen wird, und die Attraktion eines simplen Schwarz-Weiß-Weltbildes für verunsicherte Teenager aufzuzeigen. Eine Zeit lang könnte dabei der irritierte Leser meinen, die Autorin sei selbst ganz angetan von den rigiden Praktiken und Überzeugungen der Islamisten – so einfühlsam und anschaulich schildert sie die wie ein Wunder anmutenden Wandlungen von Julian und Romea. Ihr – und damit auch dem Leser – dämmert allerdings irgendwann, dass die Rolle der Frau in diesem System reichlich rückwärts gewandt ist, und Romea entsetzt sich schließlich darüber, wie lässig Ungläubige und vor allem „vom Glauben Abgefallene“ zum Freiwild erklärt werden, die nichts als den Tod verdient hätten.
Es gibt in diesem heftigen Buch kein Happy End. Julians Wahn mündet in einer fürchterlichen Katastrophe auch für Romea. Gerade in dem Moment, in dem er endlich begreift, dass das vermeintliche Paradies, das den Gotteskriegern winkt, eine Schimäre ist, und er eigentlich wieder – und endlich richtig – leben möchte. (ab 14 Jahre)
RALF HUSEMANN
Anna Kuschnarowa: Djihad Paradise. Beltz & Gelberg 2013. 416 Seiten, 14,95 Euro.
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