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Mehr als jedes andere kompositorische Lebenswerk der Musikgeschichte wurzelt Schostakowitschs Schaffen im politischen Umfeld seiner Epoche. Fast jedes seiner größeren Werke antwortet auf Ereignisse in seinem Land - von der Oktoberrevolution bis zum 2. Weltkrieg. Der programmatische Gehalt der Werke Schostakowitschs war allerdings bislang nicht vollständig erhellt, trotz zahlreicher Kommentare des Komponisten selbst und seiner Freunde. Vieles blieb unklar - auch in seinem Leben und seinem Verhältnis zum sowjetischen Regime, das ihn zweimal heftig angriff und in tiefe Krisen stürzte. Der Autor,…mehr

Produktbeschreibung
Mehr als jedes andere kompositorische Lebenswerk der Musikgeschichte wurzelt Schostakowitschs Schaffen im politischen Umfeld seiner Epoche. Fast jedes seiner größeren Werke antwortet auf Ereignisse in seinem Land - von der Oktoberrevolution bis zum 2. Weltkrieg. Der programmatische Gehalt der Werke Schostakowitschs war allerdings bislang nicht vollständig erhellt, trotz zahlreicher Kommentare des Komponisten selbst und seiner Freunde. Vieles blieb unklar - auch in seinem Leben und seinem Verhältnis zum sowjetischen Regime, das ihn zweimal heftig angriff und in tiefe Krisen stürzte.
Der Autor, ein Freund des Komponisten und intimer Kenner seines Werkes, hat das Verdienst, eine erste und umfassende Synthese der widersprüchlichen Informationen zu geben, die uns überliefert sind. Die andere, entscheidende Leistung dieser Biographie ist, das Leben und Schaffen Schostakowitschs in einen Zusammenhang mit den musikalischen Strömungen seiner Epoche zu stellen.
Autorenporträt
Krzysztof Meyer, geboren in Krakau, studierte Komposition u.a. bei Krzysztof Penderecki und Witold Lutoslawski. 1966 Dozent an der Krakauer Musikhochschule, seit 1987 Professor für Komposition an der Musikhochschule Köln.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.02.1996

Der Volksheld ist ironisch
Eine Biographie und eine Briefausgabe zu Dmitri Schostakowitsch

Dmitri Schostakowitsch war bedenklich und bedrohlich in die Machtmechanismen des Stalinismus verstrickt, in das prekäre "Tauwetter" unter Nikita Chruschtschow und in die partielle Rückkehr in stalinistische Willkür unter Leonid Breschnew. Als sowjetischer Vorzeigekünstler propagandistisch ausgenutzt, andererseits 1936 (in der "Prawda") und 1948 unmittelbar von der Staatsspitze verdammt, lernte Schostakowitsch ein doppelzüngiges Lavieren zwischen Opportunismus und Unabhängigkeit. Die Freiheit der eigenen Tonsprache erkaufte er sich mit Zugeständnissen an den Optimismus des staatstragenden "sozialistischen Realismus" in offiziösen Feierstücken und Reden (auch im Ausland), in manchen Film- und Ballettmusiken.

Nicht selten manövrierte er in einem Werk auf zwei Ebenen - etwa im leer-pompösen Finale der fünften Sinfonie, das vom Regime als Gehorsamsnachweis, von vielen Zuhörern aber als ironisches Aufbegehren wider die Tyrannei verstanden werden konnte. Ähnlich trickreich spendete Schostakowitsch gewissen Staatsfunktionären übertriebenes Lob, das von Freunden wie Isaak Dawydowitsch Glikman als Code für höchstes Mißfallen an staatlicher Willkür und Propaganda entschlüsselt wurde.

Solomon Volkovs Schostakowitsch-"Memoiren" von 1979, im Wortlaut apokryph, im Faktischen weitgehend authentisch, haben zumindest für den Westen zum ersten Mal auf solche Zwiespältigkeiten und Rätsel im Leben und Schaffen des Künstlers aufmerksam gemacht, einschließlich seiner Abhängigkeit vom Sowjetischen Komponistenverband unter Tichon Chrennikow. Aber Volkov hatte die Biographie von den entscheidenden macht- und gesellschaftspolitischen Zusammenhängen getrennt. Auch waren ihm wichtige Dokumente verborgen: Die Sowjetmacht hielt sie unter Verschluß, um sich das Bild vom hochdekorierten "Volkshelden" und kommunistischen "Friedenskämpfer" Dmitri Schostakowitsch nicht entfälschen zu lassen. Außerhalb der Sowjetunion galt der Komponist trotz seiner scheinbar systemkonformen Äußerungen als Opfer eines Gewaltsystems.

Unter dieser eingeschränkten Quellenlage litten auch die ursprünglichen Fassungen der Schostakowitsch-Biographie des polnischen, seit 1987 an der Kölner Musikhochschule lehrenden Komponisten und Musikwissenschaftlers Krzysztof Meyer. 1973 und 1986 in Krakau, 1980 in deutscher Übersetzung im Leipziger Reclam-Verlag erschienen, wurden sie zudem "unbarmherzig von der Zensur beschnitten" - so Meyer im Vorwort seiner monumentalen Schostakowitsch-Biographie von 1995. Einige bisher verschlossene Zeugnisse wurden seit dem Zusammenbruch des Sowjetregimes zugänglich. Außerdem konnte Meyer auf Gespräche mit Freunden und Bekannten des Künstlers, darunter David Oistrach und Mstislaw Rostropowitsch, zurückgreifen, auch auf seine persönliche Vertrautheit mit dem Künstler in dessen letzten Lebensjahren. Der Buchepilog "Persönliche Erinnerungen" bezeugt dies bewegend, auch im Hinblick auf Schostakowitschs widersprüchliche, von Krankheiten und Verfolgungsängsten gequälte Persönlichkeit, die unter dem Druck staatlicher Repressalien offenbar kaum noch rational handelte.

Schostakowitschs Verhalten entzieht sich einer eindeutigen Beurteilung, und auch Meyer hütet sich vor einer Verurteilung sogar der befremdlichen propagandistisch-ideologischen Aussagen oder des Parteieintritts ausgerechnet in einer Periode geringerer offizieller Unterdrückung. Diesen Schritt, den Schostakowitsch sofort zutiefst bereute, der ihn aber weniger angreifbar werden ließ und ihm damit das Überleben in der Diktatur erleichterte, kompensierte der so selbstkritisch-bescheidene wie ehrgeizige Künstler in Hilfeleistungen für gefährdete Regimekritiker.

Es ist nicht auszuschließen, daß gerade die planvolle Unberechenbarkeit, Kennzeichen vieler totalitärer Systeme, jene Angst in Schostakowitsch erzeugte, die ihm aus längst verinnerlichtem Druck heraus auch "unzeitige" Zwangshandlungen wie den Parteieintritt aufnötigte. Nicht zuletzt das pedantische Formelwesen in den Briefen an den Freund Glikman und in den Gesprächen mit Meyer bezeugt solche inneren Zwänge, die auch als Abwehrreaktionen des kontaktscheuen Menschen zu werten sind. Sogar das Komponieren hatte etwas Manisches, wie Schostakowitsch Glikman gegenüber offen zugab: "Das Komponieren von Musik - ein krankhafter Hang - verfolgt mich" (3. Februar 1967). "Dieser Hang (ist) eine Art Krankheit . . ." (1. Februar 1969).

Aber gerade wenn privater oder politischer Druck mit künstlerischer Besessenheit zusammentraf, schuf Schostakowitsch seine persönlichsten, bleibenden Werke: die Opern "Die Nase" und "Lady Macbeth von Mzensk", die Sinfonien Nummer 1, 4, 5, 8 und 13 bis 15, viele seiner 15 Streichquartette, das Klavierquintett, den Liederzyklus "Von jüdischer Volkspoesie", die Michelangelo-Suite, die Zwetajewa-Lieder op. 143. Solche Kompositionen wurden, zumindest von der Intelligenz in Sowjetrußland, als persönliche Bekenntnisse des Widerstands begriffen und gefeiert.

Meyer beschreibt fast das gesamte Schostakowitsch-OEuvre, das in der Werkliste im Anhang seines Buchs immerhin neunzehn eng bedruckte Seiten einnimmt, mit der Einfühlung des Schostakowitsch-Kenners und der Distanz des Wissenschaftlers. Aufschlußreich sind auch seine vorsichtigen Wertungen aus der Sicht der Entstehungszeit wie aus heutigem Blickwinkel. Das Buch erhält so eine eminente künstlerische Perspektivik, zu der Meyer besonders prädestiniert ist: Schostakowitschs nach etwa vierzig Minuten Aufführungsdauer abgebrochene Gogol-Oper "Die Spieler" (1941/ 42) hat er so kongenial auf zweieinviertel Stunden Dauer ergänzt, daß kein Bruch erkennbar wird. Daß das Stück, das in dieser Fassung im Juni 1983 am Wuppertaler Opernhaus uraufgeführt und 1995 auf Schallplatten (Capriccio) veröffentlicht wurde, ein problematisches Bühnenstück ist, liegt am Sujet, nicht an der Musik.

Vor allem bezieht Meyers grundlegende Biographie ihren Beziehungsreichtum jedoch aus der gewissenhaft dokumentierten und farbenreich nacherzählten Zeitgeschichte. Daß dies weit mehr ist als historisches Kolorit, versteht sich bei Schostakowitschs Gratwanderung zwischen Anpassung und verschlüsseltem Widerstand von selbst. Meyer versteht es, auch breite Darstellungen (kultur)politischer Entwicklungen, die zunächst wie Exkurse erscheinen mögen, in das fatale, wechselhafte Abhängigkeitsverhältnis zwischen Schostakowitsch und der Sowjetmacht einzubinden. Immer bleibt er abwägender, nie abwertender Chronist - ohne Ehrgeiz, sämtliche Rätsel in Schostakowitschs Charakter und Persönlichkeit zu lösen.

In dieser behutsamen Distanz unterscheidet er sich von dem Theaterwissenschaftler und -kritiker Isaak Dawydowitsch Glikman, dessen sorgsam kommentierte Ausgabe von Schostakowitschs Briefen an ihn in der russischen Fassung gleichwohl zu Recht eine wichtige Quelle in Meyers Buch ist. Diese Briefe von 1941 bis 1973, ergänzt durch Gesprächsaufzeichnungen aus Schostakowitschs letzten Lebensjahren 1974 und 1975, liegen jetzt in deutscher Übersetzung vor. Anders als Meyer idealisiert Glikman den langjährigen Freund in seinen Kommentaren, die den Umfang der Briefe oft mehrfach übertreffen. Zugleich aber bergen diese Fußnoten eine Fülle von Fakten, die den umsichtigen, gewissenhaften Rechercheur verraten.

Glikmans Absicht ergibt sich aus dem letzten Notat an Schostakowitschs Todestag (9. August 1975): "Sein Andenken ist mir heilig. Jedes Wort, das er, brieflich oder mündlich, von sich gegeben hat, suchte ich wie eine Kostbarkeit zu bewahren." Viel Alltägliches, Überflüssiges (etwa Schostakowitschs knochentrockene Notizen über seine Leidenschaft für den Fußball) hat Glikman so mit überliefert. Über sein Schaffen verrät der Komponist ohnehin fast nur Peripheres. Die lakonischen Zeilen, ohne die Kommentare oft allzu hermetisch, dienen überwiegend der gegenseitigen Verständigung über Daten von Reisen und Konzerten. Dennoch geben die 288 Briefe mit den Erläuterungen ein Spiegelbild des alltäglichen Überlebenskampfes im totalitären Gewaltregime.

Der äußerst verschlossene Künstler, dessen Feder "der Epistelstil irgendwie nicht" lag (8. Dezember 1943) und der in seinen eigenen Werkkommentaren oft bewußt falsche Fährten legte, taugte kaum als Erläuterer seiner selbst. Und in Glikmans Brieferschließungen kommt manchmal der leise Verdacht auf, als habe Schostakowitsch das Lob auf den allmächtigen Staat vielleicht nicht immer so ironisch gemeint, sondern mitunter auch angstvoll verinnerlicht oder fast automatisch repetiert wie die vielen Floskeln in seinen Briefen. Auch das wird nie völlig zu erschließen sein. Jedenfalls verdeutlichen beide Bücher, daß der "Fall Schostakowitsch" für Rußland ein wichtiges Kapitel der politischen Vergangenheitsbewältigung wäre: Der entsetzlich doktrinäre, für Schostakowitsch fast vernichtende "Prawda"-Slogan "Chaos statt Musik" von 1936 lastet - über die gloriose und doch verfälschende Rehabilitierung hinweg - noch immer auf dem Schuldenkonto. ELLEN KOHLHAAS

Krzysztof Meyer: "Schostakowitsch". Sein Leben, sein Werk, seine Zeit. Aus dem Polnischen übersetzt von Nina Kozlowski. Gustav Lübbe-Verlag, Bergisch Gladbach 1995. 624 S., 53 Abb., 39 Notenbeispiele, geb., 62,- DM.

Dmitri Schostakowitsch: "Chaos statt Musik?" Briefe an einen Freund. Herausgegeben und kommentiert von Isaak Dawydowitsch Glikman. Aus dem Russischen übersetzt von Thomas Klein und Reimar Westendorf. Argon Verlag, Berlin 1995. 340 S., geb., 68,- DM.

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