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Produktdetails
  • Carnets de l'Herne
  • Verlag: Ed. Flammarion Siren
  • Seitenzahl: 91
  • Erscheinungstermin: 1. Quartal 2017
  • Französisch
  • Abmessung: 165mm x 111mm x 12mm
  • Gewicht: 101g
  • ISBN-13: 9782851978325
  • ISBN-10: 2851978322
  • Artikelnr.: 47570810
Autorenporträt
Michel Houellebecq, geb. 1958 in La Réunion, lebt in Irland. Er ist Preisträger des angesehenen Grand Prix des Lettres, des Prix Novembre, des Impac-Preises und des Prix de Flore.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.02.2017

Kultfigur und Klassikerweihen
Schopenhauer ist bei ihm überall: Neue französische Bücher von und über Michel Houellebecq

Er freute sich auf seinen Besuch der Frankfurter Buchmesse 2014. Das Hotel, schrieb Michel Houellebecq an seine Verlegerin Teresa Cremisi, "scheint wunderbar zu sein; Deutschland bleibt eines der erträglichsten Länder für Raucher." Er bat sie, einen Besuch im Schopenhauer-Archiv der Goethe-Universität zu organisieren. Für den 7. Oktober war ein Abendessen mit seinen fremdsprachigen Verlegern angesagt. Sie hatten eine Geheimhaltungsklausel unterschreiben müssen, die tatsächlich eingehalten wurde: Von Houellebecqs "Unterwerfung" erfuhr die Öffentlichkeit erst kurz vor Weihnachten. Am 7. Januar, dem Tag des Attentats auf "Charlie Hebdo", kam der Roman in die Buchhandlungen.

Michel Houellebecq ist Kult: Jede Notiz, jede Bewegung wird festgehalten. Seine E-Mail-Korrespondenz mit Teresa Cremisi kann in den jetzt erschienenen "Cahiers de l'Herne" nachgelesen werden. Um acht Uhr hatte Houellebecq im Rundfunk "Unterwerfung" vorgestellt, dann musste er untertauchen. Von Cremisi erfährt man, dass er bei der Beerdigung seines am 7. Januar erschossenen Freundes Bernard Maris dabei war.

Houellebecqs erster öffentlicher Auftritt nach dem Attentat war in Köln. Die Rezeption in Deutschland dokumentieren "Les Cahiers de l'Herne" mit dem Nachdruck eines "Spiegel"-Interviews sowie zweier Beiträge aus dieser Zeitung (von Julia Encke und Oliver Jungen). Beschrieben werden auch die kaum bekannten Anfänge von Houellebeqs Laufbahn. Julian Barnes, Frédéríc Beigbeder, Maurice G. Dantec und Yasmina Reza äußern sich zu seiner Literatur. Bernard-Henri Lévy berichtet, wie er seinen "zukünftigen Freund" im "Ritz" vom Suizid abgehalten habe: Er versprach ihm, zusammen ein Buch zu schreiben. Für Michel Onfray ist Houellebecq der "wahrscheinlich größte Zeitgenosse der Gegenwart".

Houellebecq könne "a priori weder der extremen Linken noch der extremen Rechten" zugeordnet werden, befindet der Kritiker Bruno Viard und erkennt in einer brillanten historischen und politischen Standortanalyse Parallelen zu dem Liberalen Tocqueville. Viard untersucht Houellebecqs Kapitalismuskritik und Affinität zum nicht totalitären Sozialismus. Zwischen "sozialistisch und reaktionär" gebe es bei Houellebecq "weniger Widersprüche, als man meinen könnte".

Die "Ursache aller Übel" aber gehe in seinem Werk auf die "Befreiung der Frau" zurück. Viard nennt die zentralen Themen dieser Literatur: "die Abstammung, die Familie, Mutterschaft und Vaterschaft". In allen diesen Bereichen erweise Houellebecq sich als "Reaktionär". Das gesellschaftspolitische Programm des muslimischen Präsidenten Ben Abbes im Roman "Unterwerfung" entspreche den Vorstellungen des Schriftstellers: "Ihr gemeinsamer Feind ist der Mai '68."

Das Heft von "L'Herne" erscheint gleichzeitig mit dem zweiten Band der Gesamtausgabe: "Houellebecq 2001- 2010". Sie enthält neben den Romanen, Aufsätzen und Interviews dieser Jahre ein von der "L'Herne"-Herausgeberin Agathe Novak-Lechevalier verfasstes Lexikon: "Who's Who Houellebecquien". Es umfasst siebzig Druckseiten und beginnt mit Roman Abramovich, der in "Karte und Gebiet" als einer von drei Kunstsammlern erwähnt wird. Über Brahms, Plato und Ferdinand Piëch führt dieses nützliche Register bis zu Zola und dem polnischen Physiker Zurek. Auch Teresa Cremisi kommt vor: In "Karte und Gebiet" nimmt sie an der Beerdigung eines ermordeten Schriftstellerteil.

Einer der längsten Einträge befasst sich mit dem Einfluss von Schopenhauer, dem Houellebecq ein frühes Gedicht gewidmet hat. Seit Jahren arbeitete er an einem Essay, der jetzt veröffentlicht wurde: "En présence de Schopenhauer". In diesem herrlichen Brevier erinnert sich der Schriftsteller an seine Entdeckung des Philosophen im Alter von 25 Jahren. "Liebte Houellebecq damals schon", spekuliert Novak-Lechevalier im Vorwort, "die Hunde mehr als die menschliche Gattung, oder muss man hier wie anderswo den Einfluss Arthurs ausmachen?" Dessen Einfluss auf Houellebecq lokalisiert sie schlicht "überall".

Als Houellebecq auf Schopenhauer stieß, war die französische Übersetzung von "Die Welt als Wille und Vorstellung" nur antiquarisch zu bekommen. Bei "Dutzenden von Menschen" habe er sich über diesen Skandal beklagt: "das wichtigste Buch der Welt" - vergriffen! Er hatte zu diesem Zeitpunkt schon viel gelesen: Baudelaire, die Bibel, Dostojewski, Pascal, den "Zauberberg". "In der Philosophie war ich bei Nietzsche steckengeblieben, also beim Befund eines Scheiterns. Ich empfand seine Philosophie als unmoralisch und abstoßend, aber seine intellektuelle Potenz war beeindruckend." Houellebecq hätte Nietzsche gerne zertrümmert: "Aber ich war besiegt. Mit der Lektüre Schopenhauers hat sich das geändert. Ich bin Nietzsche gar nicht mehr böse. Er hatte das Unglück, nach Schopenhauer zu kommen. Und auf Wagner zu treffen."

Houellebecqs Kommentar zu Schopenhauer ist mit langen Zitaten aus dessen Philosophie durchzogen, die der Schriftsteller in einer Eigenübersetzung präsentiert. Er liest den Philosophen vor dem Hintergrund seiner Kritik am zeitgenössischen Kulturbetrieb und dessen Karrieristen. Mit Kunst und Kreativität habe ihr Erfolg nichts zu tun. Houellebecq definiert das Genie des schöpferischen Geists als "angeborene - und deshalb nicht lehrbare - Anlage zur passiven und fast schon stumpfsinnigen Beobachtung der Welt". In sie muss der Künstler eintauchen, in ihr muss der Schriftsteller untergehen, eine "unbestimmte Träumerei" kommt vielleicht noch hinzu: "Der Künstler ist immer einer, der genauso gut nichts tun könnte." Die ehrgeizigen, aktiven Kulturschaffenden, die den Erfolg gezielt anstreben, seien in aller Regel zum Scheitern verurteilt: "Die Krone geht an die antriebslosen, unförmigen Nieten, die im Voraus als ,Looser' erschienen."

JÜRG ALTWEGG

Michel Houellebecq: "En présence de Schopenhauer".

L'Herne, Paris 2017. 98 S., br., 9,- [Euro].

Michel Houellebecq: "Houellebecq 2001-2010".

Editions Flammarion, Paris 2017. 1570 S., geb., 35,- [Euro]

"Cahiers de l'Herne: Houellebecq".

L'Herne, Paris 2017.

384 S., br., 33,- [Euro].

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