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Anatol - eine Figur, wie sie nur im Wien der Jahrhundertwende Gestalt annehmen konnte: der leichtsinnige Melancholiker, der verführte Verführer, der Komödie spielende Liebhaber, von Stimmungen gelenkt, im Augenblick lebend, ein in Szenen des Lebens fragmentiertes Subjekt, episodisch wie der Zyklus kleiner Einakter, in denen der 26-jährige Arthur Schnitzler ihn erschuf. Michael Scheffel hat dieses atmosphärische Jugendwerk, zu dem der 16-jährige Hugo von Hofmannsthal den lyrischen Prolog verfasste, neu herausgegeben und Anmerkungen und ein Nachwort zu seinem besseren Verständnis beigefügt.

Produktbeschreibung
Anatol - eine Figur, wie sie nur im Wien der Jahrhundertwende Gestalt annehmen konnte: der leichtsinnige Melancholiker, der verführte Verführer, der Komödie spielende Liebhaber, von Stimmungen gelenkt, im Augenblick lebend, ein in Szenen des Lebens fragmentiertes Subjekt, episodisch wie der Zyklus kleiner Einakter, in denen der 26-jährige Arthur Schnitzler ihn erschuf. Michael Scheffel hat dieses atmosphärische Jugendwerk, zu dem der 16-jährige Hugo von Hofmannsthal den lyrischen Prolog verfasste, neu herausgegeben und Anmerkungen und ein Nachwort zu seinem besseren Verständnis beigefügt.
Autorenporträt
Arthur Schnitzler (15. 5. 1862 Wien ¿ 21. 10. 1931 ebd.) studierte ab 1879 Medizin in Wien mit anschließender Promotion und arbeitete als Arzt und Assistent seines Vaters; nach dem Tod des Vaters hatte er eine eigene Praxis. Daneben betrieb er mehr und mehr seine schriftstellerische Tätigkeit. Schnitzler ist einer der bedeutendsten Vertreter der Wiener Moderne um 1900. Das Unbewusste und Motive des Fin-de-Siècle-Lebensgefühls bestimmen seine psychologische Darstellungskunst.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2022

Zwei Stunden vor Christbaum

Esprit und Elegie: Mit seinem Stücke-Zyklus "Anatol" schickte Arthur Schnitzler den leichtsinnigen Melancholiker auf die Bühne.

Alle Jahre wieder die gleichen Sorgen, alle Jahre wieder alles auf den letzten Drücker, "zwei Stunden vor Christbaum" und noch keine Ahnung, was nun schenken. Diese Pein kennt auch Anatol, der Protagonist aus dem gleichnamigen Werk Arthur Schnitzlers. Er immerhin hat das Glück, Gabriele über den Weg zu laufen, die ihn ihre Pakete tragen lässt. Das versüßt ihm bereits den leidigen Geschenkeerwerb, denn wenn er nur einmal liebenswürdig sein darf, "das tut ja so wohl".

Diese zweite Szene, die "Weihnachtseinkäufe", ist vielleicht die beste der sieben, die Schnitzler (1862 bis 1931) in seinem Erstling 1893 auf einen Streich zum Zyklus zusammengefügt hat. "Anatol" enthält im Kern alles, was Schnitzlers dramatisches Hauptwerk "Reigen" ausmacht, ist aber keineswegs als Vorstudie abzutun. O nein, das Stück hat seinen eigenen Charme und Witz, seine eigene Tiefe. Trefflich nimmt Schnitzler die Unverbindlichkeit der "ewigen Liebe" aufs Korn, nutzt die geistreichen Wortwechsel aber, um sehr fein - und auch sehr wehmütig - die immer schnellere Jagd nach neuen Reizen einzufangen. Hugo von Hofmannsthal hat das Konzept in dem vorangestellten, noch mit Loris gezeichneten Gedicht gleichsam als Motto formuliert: "Also spielen wir Theater, / Spielen unsre eignen Stücke, / Frühgereift und zart und traurig, / Die Komödie unsrer Seele."

Formal leistet Schnitzler der Reizsucht durch die Szenenfolge, den Reigen, Tribut und legt geschliffene Dialoge vor. Der Germanist Richard Alewyn hat Schnitzler einmal als "Meister des Gesprächs" bezeichnet. Ebendeshalb kann "Anatol" auch goutieren, wer Theaterstücke sonst nicht gern liest. Der Akzent liegt ganz auf den amüsanten verbalen Auseinandersetzungen, eine Handlung ist im Grunde nicht gegeben, womit der Übergang zu Romanen mit hohem Gesprächsanteil fließend ist.

In allen Szenen tritt Anatol auf, in fünfen sein Freund Max und wiederum in allen eine Frau, die stets wechselt. Themen sind die beiden Erzfeinde des Reizes: Treue und Gesundheit. Wenn Anatol in "Agonie" darüber klagt, "ermattet von der Angst des Sterbens" zu sein und Max ihm rät, sich stark und gesund zu zeigen, lehnt Anatol das selbstverständlich ab. Viel zu langweilig wäre ihm ein solches Leben: "Es gibt so viele Krankheiten und nur eine Gesundheit -! . . . Man muß immer genau so gesund wie die andern - man kann aber ganz anders krank sein wie jeder andere!"

Nicht viel anders verhält es sich mit der Treue, mit der es bei Schnitzler keines der beiden Geschlechter hält. Geheiratet wird höchstens und "begreiflicherweise - aus Opposition". Die "verlassene Unschuld" ist längst Schnee von gestern, der gehörnte Mann aber immer noch in seiner Eitelkeit verletzt. Schnitzlers Zeilen lassen oft genug an heutige Diskussionen und Befindlichkeiten denken. Das geht auch deshalb so wunderbar, weil er durch seine Ironie den Raum dafür öffnet.

Die dem Text beigegebenen Bilder sind gleichfalls "Zwitterwesen", ein wenig abstrakt, ein wenig gegenständlich angehaucht. Den Figuren fehlen die Gesichter, womit sie nicht als Individuen, sondern als Typen interpretiert werden können. Die farbigen Illustrationen überzeugen um ein Geringes stärker als die in flächigem Schwarz ausgeführten Zeichnungen. Samuel Fischer, im Grunde der erste Verleger Schnitzlers, hat frühe "Anatol"-Ausgaben mit einer rokokogeprägten Covergestaltung herausgebracht. Im Unterschied dazu zeigen die Bildbeigaben, die das "Graphische Buch" von Faber & Faber schmücken, wie hervorragend sich der alte Text mit modernem Blick deuten lässt, ohne dass er übermalt werden müsste.

Zu guter Letzt: "Anatol" enthält den besten Vorsatz fürs neue Jahr. Statt ein Streitgespräch mit beleidigtem Schweigen zu beenden, statt zu canceln oder zu ghosten, einmal mit elegantem Spott antworten: "Sie haben eine so summarische Verachtung für alles, was nicht Ihr Kreis ist!" CHRISTIANE PÖHLMANN

Arthur Schnitzler: "Anatol". Einakter-Zyklus.

Mit farbigen Zeichnungen und zwei Original-Siebdrucken

von Thomas M. Müller. Faber & Faber, Leipzig 2022. 120 S., geb., 80,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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