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In diesem gut lesbaren und verständlichen Buch bewerten die Autoren die Anwendung der Rational-Choice-Theorie. In ihrer herben Kritik zeigen Green und Shapiro auf, dass die hoch gelobten Ergebnisse der Rational-Choice-Theorie tatsächlich äußerst suspekt sind und dass ein grundsätzliches Umdenken erforderlich ist, um diesen analytischen Ansatz in der Politikwissenschaft wirklich nutzen zu können. Diesen Prozess des Umdenkens wollen die Autoren mit ihrem Buch anstoßen.

Produktbeschreibung
In diesem gut lesbaren und verständlichen Buch bewerten die Autoren die Anwendung der Rational-Choice-Theorie. In ihrer herben Kritik zeigen Green und Shapiro auf, dass die hoch gelobten Ergebnisse der Rational-Choice-Theorie tatsächlich äußerst suspekt sind und dass ein grundsätzliches Umdenken erforderlich ist, um diesen analytischen Ansatz in der Politikwissenschaft wirklich nutzen zu können. Diesen Prozess des Umdenkens wollen die Autoren mit ihrem Buch anstoßen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.07.2000

Du hast keine Wahl, aber triff sie
Wie Amerika die Paradoxien des Egoismus durchrechnet

Manche sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzungen in den Vereinigten Staaten erinnern an Edel-Western: offen, fair, pragmatisch, geradlinig und bei aller Unnachsichtigkeit großzügig. "Rational Choice" ist so ein Fall. Der Verlag hat den Titel mit Recht nicht ins Deutsche übersetzt. "Vernünftige Auswahl" wäre falsch, und "Rationalwahl", wie das Buch sagt, ist albern. Vor allem, das Konzept gehört zu Amerika wie Hillbillymusic. Als Neue Politische Ökonomie hat es zwar auch in Deutschland Anhänger, aber bei weitem nicht den Einfluss wie in den Staaten. In der angesehenen Fachzeitschrift "American Political Science Review" sollen 1992 mehr als vierzig Prozent aller Aufsätze Rational Choice betroffen haben.

Green und Shapiro legen eine immanente Kritik vor, also eine Kritik an Rational Choice nach den Maßstäben von Rational Choice. Ihr Buch ist insofern eine Art "High Noon", als sie alle Versuche von vornherein zurückweisen, die Ungenauigkeiten und Widersprüche der Rational-Choice-Theorie "wissenschaftssoziologisch" zu rechtfertigen. Sich im System auf Voraussetzungen des Systems zu berufen, ist ungefähr so, wie wenn ein Professor seine Vergesslichkeit damit erklärt, dass er Professor ist. So etwas gibt es auch in Deutschland, wird hier aber nicht als wissenschaftliche Methode akzeptiert und zeigt nur, wie aus Sein ein Sollen und aus Beobachtung eine Verhaltensanweisung werden kann.

In der Sache antwortet Rational Choice letztlich auf die philosophische Grundfrage: Was können wir verlässlich wissen? Seit dem achtzehnten Jahrhundert sagen die westlichen Philosophen: Nichts. Aber wir können uns orientieren, in der kontinentalen Tradition an der eigenen Identität - ich denke, also bin ich -, in der englischsprachigen Tradition an der Statistik. Seit Adam Smith wissen wir zum Beispiel, dass Angebot und Nachfrage die Preise bestimmen, und zugleich, dass wir als Individuen das höchstens beim Christbaumkauf am Heiligen Abend merken; dann sind Christbäume entweder sehr billig oder sehr teuer. Allerdings haben wir gelernt, dass sich das Prinzip auch dann auswirkt, wenn Kartellabsprachen oder Preisfestsetzungen es konterkarieren. Die Auswirkung erscheint als grassierende Arbeitslosigkeit oder sinkende Produktivität. Smith hat sein Konzept mit dem berühmten Satz eingeleitet: "Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers oder Bäckers erwarten wir das, was wir zum Leben brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe." Die sei zuverlässiger. Die Übertragung dieser Einstellung des Metzgers, Brauers oder Bäckers in die Politik nennen die Amerikaner Rational Choice: Nutzenmaximierung. Was habe ich davon, in einem Staat zu leben, zur Wahl zu gehen oder in eine Partei einzutreten? Das ist die Frage.

Green und Shapiro legen dar, welche Voraussetzungen in diese Frage eingehen müssen, damit sie eine sinnvolle Antwort erlaubt, insbesondere, wie "kollektive Ergebnisse anhand des Maximierungshandelns von Individuen zu erklären" sind. Gemeinschaftsgüter wie Gemeindeland, das alle nutzen dürfen (Allmende), oder Figuren, die ihren Nutzen maximieren, indem sie die Nutzenmaximierung der normalen Egoisten ausnutzen, wie Drückeberger und Trittbrettfahrer, werden zu Grundproblemen. Angesichts der unausräumbaren Unsicherheiten schafft die Theorie der Spiele wenigstens Sicherheit in den Wahrscheinlichkeiten. Dann zeigen die Verfasser, wie Rational Choice in wichtigen Fällen versagt: bei der Wahlbeteiligung, bei Abstimmungen in Gremien und beim Wahlkampf. Wegen der andersartigen Parteienstruktur in den Vereinigten Staaten werden die politischen Parteien nur am Rande erörtert. Aber deutsche Vertreter von Rational Choice haben diese Lücke längst geschlossen.

Am schlagendsten wirkt das Paradox der Wahlbeteiligung. Unter dem Aspekt der Maximierung seines Nutzens lohnt sich die Wahl für keinen Bürger. Der individuelle Vorteil, den er sich davon versprechen kann, ist so gering, dass er nicht einmal die Mühe des ersten Schrittes auf dem Gang zum Wahllokal aufwiegt. Rational Choice kann deshalb nicht erklären, warum überhaupt jemand zur Wahl geht, geschweige denn hohe Wahlbeteiligungen. Das ist natürlich auch den Vertretern der Theorie aufgefallen. Und man darf schmunzeln, wenn man liest, wie sie sich herauszureden versuchen.

Trotzdem überzeugt die Kritik nicht völlig. Nutzenmaximierung verstehen die Verfasser mit den Rational-Choice-Theoretikern als Verhältnis zwischen einem handelnden Individuum und seinen Zielen. Bei Adam Smith kann man jedoch sehen, das Nutzenmaximierung die Beweggründe eines Individuums auf "Leistung gegen Leistung" reduzieren und die unsaubere Realität ausklammern soll. Klammert Rational Choice aber die Realität aus, so kann die Theorie nichts produzieren als Modelle, und Modelle kann man nicht ohne weiteres mit entgegenstehender Empirie kritisieren. Ihr Witz besteht gerade darin, dass sie auch dann noch orientieren, wenn sie auf andersartige Erfahrungen treffen.

Wer in alteuropäischen Bahnen denkt, den wird auch die Geschichtslosigkeit der Argumentation enttäuschen. "Nutzenmaximierung" ist nicht vom Himmel gefallen. Im sechzehnten Jahrhundert hätte man sie für gottlos und unmoralisch gehalten. Im siebzehnten Jahrhundert begann man, genauer zwischen gesamtgesellschaftlicher Ordnung und zwischenmenschlichen Beziehungen zu unterscheiden. Moral wurde auf Beziehungen zwischen natürlichen Personen beschränkt. So konnte aus Lastern der Einzelnen Gewinn für alle entstehen, wie Mandeville meinte und Smith wohl noch glaubte. Aber das gehörte zu den Bemühungen, die moralische Vernetzung der ständischen Ordnung aufzulösen. Die ständische Ordnung gibt es nicht mehr. Geblieben ist die Unterscheidung zwischen Ordnungen der Gesellschaft und zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie bedeutet, dass man die Ordnungen nicht mehr mit den guten oder schlechten Absichten der Einzelnen erklären kann. Für die Gesellschaftstheorie ist das Individuum zu einem schwarzen Kasten geworden, aus dem sie Beliebiges zaubern kann.

GERD ROELLECKE

Donald P. Green, Ian Shapiro: "Rational Choice". Eine Kritik am Beispiel von Anwendungen in der Politischen Wissenschaft. Aus dem Amerikanischen von Annette Schmitt. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 1999. 271 S., geb., 98,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das Hauptproblem dieses Buches sieht Gerd Roellecke darin, dass die Autoren versuchten, eine Theorie zu kritisieren - nämlich egoistische Nutzenmaximierung als Erklärungsmodell politischer Handlungen von Individuen - und gleichzeitig diese Theorie zur Grundlage ihrer Überlegungen machten. Dies sei eine wissenschaftlich fragwürdige Vorgehensweise, deren Ergebnisse aus "Sein Sollen und aus Beobachtung eine Verhaltensanweisung" mache, kritisiert der Rezensent. Zudem vermisst er eine historische Betrachtung der Nutzenmaximierung, sie sei "nicht vom Himmel gefallen" sondern habe eine lange Geschichte, die die Autoren unberücksichtigt ließen. Und so ist das Buch für den Rezensenten nur ein Indiz dafür, dass für die "Gesellschaftstheorie das Individuum zu einem schwarzen Kasten geworden ist, aus dem sie Beliebiges zaubern kann".

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