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Autorenporträt
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Stephan Speicher entdeckt in Ulrich Herberts Aufsatzsammlung nicht unbedingt neue Gedanken zur Titelfrage, Herberts empirischer Ansatz bei der Suche nach den Ursachen des Judenhasses aber scheint ihm durchaus vielversprechend. So stößt ihn der Autor auf die Gewalterfahrung einer Generation durch den Ersten Weltkrieg. Wie der Autor die Integration der NS-Größen in der frühen Bundesrepublik beschreibt, als soziale Technik, scheint Speicher treffend.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.02.2021

Braunhemd
und Nadelstreifen
Ulrich Herberts lohnende Aufsätze zur NS-Zeit
Wer diese Nationalsozialisten waren? An einer gehissten Hakenkreuzfahne könne man sie jedenfalls nicht unbedingt erkennen, meinte der Publizist Sebastian Haffner im englischen Exil. So etwas tue doch derzeit „jeder in Deutschland“. Auch die Mitgliedschaft in der Partei oder einer NS-Gliederung besage noch nicht allzu viel. Die „wirklichen Nazis“ waren aus Haffners Sicht eine eigene „psychologische Spezies“, jene, die „dieser allgemeinen und permanenten sadistischen Orgie vorbehaltlos“ zustimmten und dabei mitmachten.
Schon zeitgenössisch trieb das viele Beobachter des Dritten Reiches an: War Nationalsozialist, wer eine braune Uniform trug? Als sich die Alliierten in den Trümmern der Diktatur auf die Suche nach den Einstellungen und Empfindungen der Deutschen machten, fanden sie vieles, nur niemanden, der sich für das Regime begeistert hatte. Ulrich Herbert, einen der profiliertesten Historiker des Nationalsozialismus überhaupt, beschäftigt diese Frage seit vielen Jahrzehnten. Seine Arbeiten haben den Impuls für viele Jüngere gegeben, sich intensiv und kritisch mit der Erforschung des Nationalsozialismus zu beschäftigen. Er selbst hat als junger Doktorand in einer bahnbrechenden Studie das Leben und den rassistischen Arbeitseinsatz von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern untersucht – und das zu einer Zeit, als sich kaum jemand dafür interessierte und die Unternehmen ihre Archive noch vielfach verriegelt hatten. Sein Interesse gilt der Geschichte der völkischen Bewegungen, der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik und deren Wirkungen bis in die Nachkriegszeit. Sein neues Buch ist keine Gesamtdarstellung, sondern enthält einige seiner – an unterschiedlichen Orten zumeist schon erschienenen – Aufsätze zu zentralen Aspekten des Dritten Reiches. Es sind lohnende, bisweilen funkelnde Stücke, die sich hier noch einmal finden und auch Einblick in ein Forscherleben geben.
Wer waren also die Nationalsozialisten? Herbert gehört zu denjenigen, die schon früh davor gewarnt haben, es sich in diesem Punkt zu leicht zu machen. Lange dominierte nach Kriegsende das Bild der „Nazis“ als Bande raubeiniger SA-Schläger, die sich blind ihrem „Führer“ und seiner Clique um Goebbels, Himmler und Göring unterworfen hatten. Manch einer versuchte, sich wie Albert Speer, der teutonische Großarchitekt und Rüstungsminister, als „guter Nazi“ zu inszenieren; als einer, der aus gutem Hause stammend, trotz all der Rohheiten des Krieges „anständig“ geblieben sei. „Anständig geblieben“: Das war gleichsam das bürgerliche Distinktionsmerkmal, mit der die akademischen Eliten, die Professoren, Beamten und Industriellen sich selbst gerne beschrieben, um Distanz zu den brutalen Schlächtern von der Gestapo zu markieren. Eigentlich hätten sie nur Schlimmeres verhindern wollen. Eindringlich beschreibt Herbert in vielen seiner Beiträge, wie sehr dieses Stereotyp von den Nationalsozialisten als das vermeintlich „Andere“ das Selbstbild vieler Deutscher in der jungen Bundesrepublik prägte.
Der Freiburger Historiker hat mit seinen Forschungen viel dazu beigetragen, dass sich diese Wahrnehmung inzwischen geändert hat und auch jene in den Blick geraten sind, die das Räderwerk der Vernichtung durch ihre bürokratischen Kenntnisse, ihre wissenschaftliche Expertise, durch die Teilidentität der Ziele unterstützten. Klar jedenfalls ist: Die scharfe Grenzziehung zwischen „den Nationalsozialisten“ und „den Deutschen“ ist nicht nur falsch, sondern vielfach ein Versuch der apologetischer Selbstentlastung gewesen.
Die Aufsätze kreisen immer wieder um die Funktionsträger des Massenmordes, die vielfach gut ausbildet waren und oftmals als völkische Akademiker bereits in den Krisenjahren der Weimarer Republik zur NS-Bewegung dazugestoßen waren. Antisemitismus und Antiparlamentarismus gingen Hand in Hand. Es machte gerade das Wesen des Nationalsozialismus aus, dass Begriffe wie „Rasse“, „Führer“ und „Gemeinschaft“ offen für unterschiedlich radikale Deutungen waren. Und es war gerade diese Offenheit, aus der der Nationalsozialismus einen Teil seiner gewalttätigen Dynamik und seiner Attraktivität schöpfte. Dieses Ideenamalgam war explosiv, versprach es doch vielen vieles zugleich – und machte es möglich, Gewalt, Expansion und die „Reinigung des Volkskörpers“ zusammenzudenken.
Herberts Beiträge reichen von der Analyse der akademischen Eliten, der vergleichenden Geschichte der Lager und der Besatzungspolitik bis hin zum Entscheidungsprozess für den Massenmord an den Juden und bis zur Spurensuche, wie aus diesem gewalttätigen Erbe und den personellen Kontinuitäten überhaupt eine funktionsfähige Demokratie werden konnte. Seine Antwort: Einerseits ermöglichte „die Reduktion der Verantwortung für Massenmord und Genozid auf ein paar, in der Regel bereits gestorbene Galionsfiguren“ eine „putative Pauschalentlastung nahezu aller überlebenden Ex-Nationalsozialisten selbst in führenden Stellungen“. Andererseits aber sei vor allem der „geduckte Opportunismus (…) als Ausdruck und Voraussetzung für die politische Neutralisierung dieser Gruppe“ erkennbar. „Nicht wenige von denen, die (…) ihren Opportunismus belohnt sahen, wandelten sich aber auch tatsächlich zu überzeugten Demokraten.“
Man wird darüber streiten können, wie weit dieser Gesinnungswandel tatsächlich reichte. Und auch die Diskussion über die Prägekraft der „Volksgemeinschaft“, die, wie Herbert meint, „offenbar sehr begrenzt“ gewesen sei, ist noch lange nicht abgeschlossen. Dass jedenfalls die völkischen Herren, die sich dem Kampf gegen die Demokratie verschrieben haben, nicht selten akademisch gebildet waren und gerne auch Nadelstreifen und Krawatte trugen – auch daran erinnert dieses Buch. Geschichte ist dann schnell auch Gegenwart.
DIETMAR SÜSS
Dietmar Süß lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Uni Augsburg.
„Rasse“, „Führer“, „Gemeinschaft“
waren offen für unterschiedlich
radikale Deutungen
Ulrich Herbert:
Wer waren
die Nationalsozialisten? Verlag C. H. Beck,
München 2021.
309 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.04.2021

Unheimliche Gestalten
Mit Interesse am Detail: Ulrich Herbert geht dem Wesen der Nationalsozialisten auf den Grund

1952 sprach Konrad Adenauer im Bundestag über ein Thema, das viele Deutsche bewegte: die Behandlung der NS- und Kriegsverbrecher durch die Alliierten. Die meisten der in den Nürnberger Prozessen Verurteilten, so Adenauer, seien unschuldig, allerdings müsse man zugeben, dass ein "kleiner Prozentsatz von absolut asozialen Elementen" existiere. Damit war umrissen, wie es mit der deutschen Schuld stand: da waren Hitler und seine engste Umgebung als die Schuldigen, dazu die "Asozialen", die anderen Deutschen aber waren "anständig" geblieben, weitestgehend.

Adenauer, dessen Abscheu vor dem NS-Regime außer Frage stand, machte der öffentlichen Meinung hier sicher ein Zugeständnis. Aber es war doch mehr als eine bloß taktische Äußerung. Wenn das Wort vom "Zivilisationsbruch", den der Nationalsozialismus darstellt, sein Recht hat, ist es schwer zu verstehen, dass Menschen, die einen unauffälligen, zivilisierten Eindruck machten, für Verbrechen verantwortlich waren, die mit allen Standards der Zivilisation brachen. Der KZ-Arzt, der nach Kriegsende unter neuem Namen eine Praxis eröffnete, um als hingebungsvoller Kassenarzt die Dankbarkeit seiner Patienten zu erwerben, er ist bis heute eine unheimliche Gestalt.

Der Titel "Wer waren die Nationalsozialisten?", den Ulrich Herbert, emeritierter Professor für Neuere Geschichte in Freiburg, seinem neuen Buch gegeben hat, ist deshalb so einfach wie berechtigt. Und eine erste Antwort, die er auf diese Frage gibt: Es waren sehr unterschiedliche Leute, darunter viele aus gutsituierten Familien, die mit solider Ausbildung unter anderen Umständen eine erfolgreiche bürgerliche Karriere gemacht hätten.

Die Einsicht, dass das Führungspersonal des Nationalsozialismus sich nicht bloß aus gescheiterten Existenzen rekrutierte, ist nicht mehr neu, aber das behauptet das Buch auch nicht. Es ist eine Zusammenstellung von elf Aufsätzen und Reden aus den vergangenen fünfundzwanzig Jahren; und wenn der Autor sagt, er werde "keineswegs originell vorgehen", sondern zusammentragen, was "in den letzten Jahrzehnten herausgefunden" worden sei, so gilt das für die meisten Stücke. Aber das ist kein Fehler. Es geht um die Entstehung des Judenhasses und den Weg zur "Endlösung", die "Volksgemeinschaft", die Planungen für den "Fall Barbarossa" oder den Vergleich nationalsozialistischer und stalinistischer Herrschaft - da ist es willkommen, wenn ein Historiker vom Rang Herberts die Forschungslage zusammenfasst.

Als 2014 seine große "Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert" erschien, wurde der Autor in dieser Zeitung als "Erzempiriker" bezeichnet. Diesen Charakter zeigt auch das neue Buch, schon im Interesse am sprechenden Detail. Schwer wird man die Figur Ludwig Losackers vergessen, eines Juristen, der mit Kriegsbeginn nach Polen geschickt wurde, immer wieder gegen die Behandlung der dortigen Bevölkerung protestierte, nach Berlin reiste, um Hitler von den Übeln dieser Politik zu überzeugen, und 1943 seiner Verwaltungsaufgaben enthoben wurde. Bald darauf tat er sich bei der Ermordung der Lemberger Juden hervor, ein Täter, der bewiesen hatte, dass er Zivilcourage besaß.

In der Studie über nationalsozialistische und stalinistische Herrschaft geht Herbert nur kurz auf die Totalitarismus-Theorie ein, Systemtheoretiker und "Geschichtsdenker" (Anführungszeichen bei U.H.!) seien "nicht selten grundsätzlich und schon aus Selbsterhaltungstrieb empiriefern". Und darauf zeigt er, was Empirienähe abwirft, wenn er die für beide Seiten typische generationelle Homogenität in den Blick nimmt, die Gewalterfahrungen 1914/18 und später, die Kriegsniederlage, den selbst auferlegten Schnelligkeitszwang, Momente, die geeignet waren, alle traditionellen Hemmungen zu überfahren. Die Polykratie wiederum, die man so gern für ein Spezifikum des Dritten Reiches hält, sieht Herbert in der Sowjetunion weit stärker ausgeprägt und knüpft daran einen Vergleich der Rollen Hitlers und Stalins in ihren Staaten.

Und da ist ein dritter Punkt, an dem sich Herberts Neigung zur Empirie zeigt, das ist die übernationale Sicht. Immer wieder betont er die Rolle von Erstem Weltkrieg und Versailles, die die Modernisierungskrisen, die andere Länder bis 1914 ähnlich erlebt hatten, in Deutschland dramatisch verschärften. Oder die "Volksgemeinschaft": Nichts eigentümlich Deutsches, vielmehr international eine "Leitvokabel" der Moderne, vor 1933 und nach 1945.

Und zuletzt wäre die Sicht auf das Fortleben der NS-Eliten in der Bundesrepublik zu erwähnen. Die Bereitschaft, die alten Nazis wirtschaftlich wie gesellschaftlich wieder mitspielen zu lassen unter der Bedingung, sich politisch zurückzuhalten, beschreibt Herbert als wirksame soziale Technik. Die Drohung der strafrechtlichen Verfolgung, auch wenn sie zu selten Realität wurde, übte einen Anpassungsdruck aus, der umso erfolgreicher war, als auch der neue Staat Erfolg hatte. Nicht wenige, die ihre Chance nutzten, wandelten sich zu echten Demokraten. Das moralische Übel ausgebliebener Gerechtigkeit bleibt. Aber Herbert stellt ihm einige bemerkenswerte Überlegungen zur Seite.

STEPHAN SPEICHER

Ulrich Herbert:

"Wer waren die

Nationalsozialisten?"

C. H. Beck Verlag,

München 2021.

303 S., geb., 24,- [Euro].

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