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Nerds – das sind ungepflegte junge Männer in Holzfällerhemd, Hochwasserhose und Hornbrille, die sich für Computer interessieren und bei Frauen nicht sonderlich beliebt sind. Oder? Annekathrin Kohout zeichnet in ihrem Buch eine viel facettenreichere Geschichte nach. Sie führt vom spießigen Streber über den genialen Computerfreak bis hin zum Alten Weißen Mann. Dadurch gelingt ihr ein rasanter Ritt durch die Populärkultur und das Zeitalter der Informationsgesellschaft. Als das Informationszeitalter in den 1980er Jahren in seinen Anfängen steckte, galten Nerds als misanthropische Freaks und…mehr

Produktbeschreibung
Nerds – das sind ungepflegte junge Männer in Holzfällerhemd, Hochwasserhose und Hornbrille, die sich für Computer interessieren und bei Frauen nicht sonderlich beliebt sind. Oder? Annekathrin Kohout zeichnet in ihrem Buch eine viel facettenreichere Geschichte nach. Sie führt vom spießigen Streber über den genialen Computerfreak bis hin zum Alten Weißen Mann. Dadurch gelingt ihr ein rasanter Ritt durch die Populärkultur und das Zeitalter der Informationsgesellschaft. Als das Informationszeitalter in den 1980er Jahren in seinen Anfängen steckte, galten Nerds als misanthropische Freaks und kauzige Streber. Während sie ihre Freizeit im heimischen Keller an komplizierte Geräte vergeudeten und sich von Tiefkühlpizza ernährten, genossen die High-School-Schönlinge ihre gesellschaftlichen Privilegien in vollen Zügen. Doch der Erfolg neuer Informationstechnologien läutete einen ungeahnten Siegeszug der Nerdfigur ein. Nerds, damit verbanden sich nun Namen wie Bill Gates und Steve Jobs. Aus den einstigen Außenseitern wurden charismatische Insider: «Nerdig» wurde das neue «cool». Doch seit den 1990er Jahren wird die männliche, weiße, privilegierte Nerdfigur hinterfragt und politisiert. Gerät der smarte Silicon Valley-Nerd im Licht dieser neuen Diskurse gar zum Alten Weißen Mann? Ist die große Zeit dieser für ein paar Jahrzehnte so wichtigen Sozialfigur schon wieder vorbei? In ihrem Buch zeigt die Kulturwissenschaftlerin und Bloggerin Annekathrin Kohout die wechselvolle Geschichte des Nerds, die zugleich eine Geschichte der Populärkultur und der Informationsgesellschaft ist.
Autorenporträt
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit Gewinn liest Rezensent Oliver Weber Annekathrin Kohouts Popkulturgeschichte des Nerds. Dabei erfährt er zum einen Interessantes über die Genealogie dieses Typus, der nicht immer positiv besetzt war: So durchlief die Figur eine Entwicklung vom "Square" oder "Quadratschädel", dem angepassten Büromenschen der fünfziger bis siebziger Jahre, über den Außenseiter in den Achtzigern bis hin zur Subkulturgruppe mit eigenen Codes, der mit dem Label des Genies und mit "allgemeiner Bejahung" begegnet wird - was erst durch den Faktor des Personal Computers ermöglicht wurde, liest Weber. Neben diesen genealogischen findet er außerdem Kohouts theoretischen Ausführungen interessant, die die "Sozialfigur" Nerd als Ausdruck der Krisensituation des Informationszeitalters deuten. Das Politische des Nerds ergibt sich für Weber so aus einem anderen Verhältnis zur Gesellschaft: nicht ein bloß verneinendes wie bei anderen Subkulturen wie den Beatniks oder den Hippies, sondern eines, das sich kapitalistische Kreisläufe zunutze macht, um die Gesellschaft qua Technik zu ändern und ihren eigenen Vorteil daraus zu ziehen - für den Kritiker eine sehr "ergiebige" Lektüre.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.04.2022

Er sinnt auf Rache
Annekathrin Kohout betrachtet den Nerd

Auf dem Cover des vor vierzehn Jahren erschienenen Buchs "American Nerd" von Benjamin Nugent entdeckt der Leser eine hübsch angeordnete Auswahl von Gegenständen. Neben einem Amateurfunkgerät und einem Taschenrechner finden sich eine Hornbrille und eine Actionfigur, ein Comic und ein Inhalator. Wer diese Devotionalien sein Eigen nennt, so wird man die Gestaltung deuten dürfen, verkörpert einen Typus, dessen Persönlichkeit auf die Präsenz bestimmter Prothesen angewiesen ist.

Überraschen sollte das nicht, denn der Nerd zeichnet sich durch sein defizitäres Wesen aus, seitdem er sich vom Spießer in amerikanischen Filmen der Fünfzigerjahre zum klugen, aber erbarmungslos verspotteten Eigenbrötler entwickelte. Dass er jedoch mehr ist als die Summe seiner Accessoires, zeigt nun die Kulturwissenschaftlerin Annekathrin Kohout in einem Buch, welches die ästhetische Seite der Figur genauso durchleuchtet wie deren soziale Bedeutung.

Die Pointe der Untersuchung, so viel sei gleich verraten, läuft darauf hinaus, dass sich der Nerd kaum noch dingfest machen lässt. Einst sagte man ihm nach, er ernähre sich am liebsten von Pizza; heute gibt es Food-Nerds, die der Haute Cuisine huldigen. Im Kino war er lange Zeit der Gegenentwurf des mit einer stumpfsinnigen Mainstream-Männlichkeit ausgestatteten Athleten; heute nehmen Sport-Nerds körperliche Fitness wesentlich ernster, als es ein Football-Spieler aus der Highschool je könnte. Seine schlecht zusammengestellte funktionale Garderobe verlieh ihm früher im Klassenzimmer den Appeal eines Erwachsenen; heute sind Fashion-Nerds die zuverlässigsten Informanten in Sachen Modetrends.

Wenn nun jeder, der ein Spezialinteresse pflegt, ein Nerd ist, wird das Bedürfnis, sich als solcher zu inszenieren, stetig abnehmen. "Die Figur überrascht kaum noch, erschöpft sich so langsam und wird sich deshalb womöglich in andere Richtungen weiterentwickeln", schreibt Kohout. Anders formuliert: Lässt die Referenzfigur "Nerd" eine unüberschaubare Menge an willkürlichen Repräsentationen zu, löst sie sich auf. Ein anderer Makel, der dem Nerd inzwischen anhaftet, ist seine mangelnde Political Correctness. So ist häufiger zu lesen, der Erfolg der Sitcom "The Big Bang Theory" verdanke sich nicht zuletzt misogynen und rassistischen Witzen. Da geht es von der Annahme, blonde Frauen seien naiv, über das Klischee, indisches Essen verursache Durchfall, bis hin zur Meinung einer Hauptfigur, wer menstruiere, könne keine seriöse Wissenschaft betreiben.

Kohout schließt sich den Vorbehalten gegen den Nerd nicht blind an, sondern betrachtet sie als Symptome eines gesellschaftlichen und politischen Wandels. Daher ist ihr der Reflex fremd, kulturellen Artefakten, die Klischees bedienen und bei manchen den Ruf nach Trigger-Warnungen laut werden lassen, rundheraus ihre Daseinsberechtigung abzusprechen. Stattdessen fragt sie, ob es nicht auch die Rolle einer Sitcom sein könnte, Stereotype humorvoll zu verarbeiten. Am Ende kommt sie zu dem Ergebnis, dass die Figuren aus "The Big Bang Theory" nicht nur zur Popularisierung des Nerds beigetragen haben, sondern auch zu einer geschärften Kritik an seinem Anspruchsdenken und seiner offensichtlichen Arroganz.

Der 1984 erschienene Film "Revenge of the Nerds" von Jeff Kanew popularisierte ein Motiv, das Kohout zufolge auch in den Biographien von Bill Gates oder Steve Jobs auftaucht - die Rache. Wer als Außenseiter jahrelang Häme auf sich gezogen hat, wird jubeln, wenn er zum IT-Überflieger oder Computermogul aufsteigt. Sein Erfolg, sein Geld, sein Einfluss und seine Macht, all das bezeugt letztlich die Dummheit derer, die nicht an ihn glaubten.

Die Botschaft dahinter ist eine Variante des amerikanischen Traums: Wie schlecht auch immer dein Hemd sitzt, wie tölpelhaft auch immer du durch den Alltag stolperst, eines Tages wirst du es allen zeigen. Und damit kann aus der Warnung vor einem schwierigen Außenseiter plötzlich ein Kompliment werden: Nerd Alert! KAI SPANKE

Annekathrin Kohout: "Nerds". Eine Popkulturgeschichte.

C. H. Beck Verlag, München 2022. 272 S., Abb., br., 16,95 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Wie schlecht auch immer dein Hemd sitzt, wie tölpelhaft auch immer du durch den Alltag stolperst, eines Tages wirst du es allen zeigen. Und damit kann aus der Warnung vor einem schwierigen Außenseiter plötzlich ein Kompliment werden: Nerd Alert!"
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Kai Spanke

"Männlich, weiß und heterosexuell: Annekathrin Kohout entwickelt eine facettenreiche Genealogie des Nerds ... Wie eine Pop-Archäologin legt sie die Mediengeschichte der Nerd-Figur als Identitäts-Schablone Schicht um Schicht frei."
Frankfurter Rundschau, Jens Buchholz

"Aus Witzfiguren wird eine Tech-Elite ... Annekathrin Kohout spiegelt den Nerd ausgiebig im Schein der Debatten um Political Correctness und Identitätspolitik."
Die Zeit, Eva Behrendt

"Opulenter Streifzug durch Film- und Fernsehgeschichte ... Spannend!"
Deutschlandfunk, Vera Linß

"Nerds gelten als schräg, etwas weltfremd und sind in TV-Serien meistens die Computer-Kumpels im karierten Hemd. Die Kulturhistorikerin Annekathrin Kohout hat ein Buch über Nerds verfasst und beschreibt, wie sehr sich das Bild dieser Figur verändert."
Deutschlandfunk Kultur Lesart, Andrea Gerk

"Denkt man an Nerds, sieht man vielleicht ungepflegte junge Männer ..., die sich für Computer interessieren und bei Frauen nicht sonderlich beliebt sind. ... In ihrem Buch zeichnet Annekathrin Kohout eine viel facettenreichere Geschichte nach, die vom spießigen Streber über den genialen Computerfreak bis hin zum Alten Weißen Mann führt."
RBB, Radio Eins, Meili Scheidemann und Max Ulrich

"Ein heiß ersehntes Buch. ... Das ist das Buch, mit dem man hinterher garantiert nicht dümmer geworden ist."
taz, Jan Feddersen

"Sesenswerte Popkulturgeschichte ... einleuchtend schlüssig argumentiert"
NDR Kultur, Danny Marques Marcalo

"Annekathrin Kohout zeichnet die Entwicklung des Nerds vom Spießer und Computerfreak bis hin zur Sozialfigur nach."
taz, Julia Hubernagel

"Starkes Buch"
rbb, radioeins, Katja Weber

"Irre anschaulich: vor allem durch ihre plastischen Analysen konkreter Nerdfiguren. Manchmal reale Personen, häufiger Charaktere aus Filmen und Serien. Der 'rasante Ritt durch die Populärkultur', den der Buchrücken fröhlich floskelnd verspricht, löst sich auf jeden Fall ein ... unterhaltsam ... Aber nie oberflächlich oder pointenfixiert."
Bayern2, Tobias Stosiek

"Die deutsche Kulturhistorikerin und Medienwissenschaftlerin zeigt in ihrem eben erschienenen Sachbuch 'Nerds. Eine Popkulturgeschichte' auf, wie sich das Schimpfwort Nerd beinahe schon zu einem Kompliment entwickelt hat."
SonntagsBlick, Jonas Dreyfus

"Sehr klug und gut lesbar"
Nürnberger Nachrichten, Wolf Ebersberger

"Nicht nur für Nerd-Nerds, sondern für alle popkulturell Interessierten."
Augsburger Allgemeine, Wolfgang Schütz
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.06.2022

Dienstbare
Genies
Die Kulturwissenschaftlerin
Annekathrin Kohout hat eine Geschichte des Nerds
geschrieben. Wie konnte er von einer
bemitleideten Randfigur zum Ideal werden?
VON OLIVER WEBER
Vorurteile und Klischees sollte man hegen und pflegen – zumindest dann, wenn sie den Blick schärfen. Annekathrin Kohouts „Popkulturgeschichte des Nerds“ ist ein Buch nach dieser Methode. Die Kulturwissenschaftlerin hat nicht nur unzählige Essays, Rezensionen, Filme und Serien ausgewertet, um die Verwandtschaftsgrade und Ahnenreihen der Figur des intelligenten, aber sozial isolierten Computerfreaks zu erforschen, sie erhascht auf ihrem Weg zugleich einen kurzen Blick auf eine Übergangskrise westlicher Gesellschaften, in der Subkulturen erfunden werden, die sich nicht mehr als Gegenbewegung zum verhassten Mainstream verstehen, sondern als dessen Steigerung.
Aber von vorne: Der Nerd, diese im Keller hausende, meist als schlecht gekleidet, allergiegeplagt, computerversessen, „unsozial und misanthropisch“ vorgestellte Figur, ist, so zeigt Kohout, eigentlich eine recht späte Erscheinung, in deren Charakter erst einige andere Figuren einfließen mussten. Zunächst wäre da der „Square“, der „Quadratschädel“, das heißt der „Durschnitts- oder Büromensch“, von dem sich die Beat-Generation abzugrenzen versuchte, indem sie das ungebundene, wilde und authentische Leben feierte. Der deutsche „Spießer“ und „Philister“ ist mit ihm verwandt. In Jugendfilmen der Fünfziger bis Siebziger muss er als „Negativfolie“ herhalten, „vor der die populären Figuren erst besonders gut zur Geltung kommen“: Seien es die Lederjacken tragenden Rebellen, die ihre Jugend als politisch-kulturellen Widerstand zum Leben ihrer Elterngeneration verstehen, oder seien es die Rowdys, die sich gewaltsam den Schul- und Staatsautoritäten widersetzen.
Aber der Schritt vom „Square“ zum „Nerd“ ist größer, als es zunächst erscheint. Er setzt, so Kohout, eine Entwicklung voraus, die weniger mit der Figur selbst als mit ihrem Umfeld zu tun hat: In dem Maße, in dem das Rebellische selbst zur sozialen Norm für jugendliche Männlichkeit wird – die coolen Jungs sind in Highschool-Filmen von nun an die selbstbewussten Sportler –, findet sich der Nerd selbst als gesellschaftliche Randfigur wieder – „vom angepassten, uncoolen Spießer zum unangepassten, unbeliebten, sozial inkompetenten Außenseiter“. Statt Frauen nachzujagen oder von ihnen wegen seines Aussehens und seiner Unabhängigkeit begehrt zu werden, sitzt er lieber im Chemielabor, am Schreibtisch oder im Bastelkeller. Wie Thales, der beim Beobachten der Sterne in den Brunnen fällt und dafür von einer thrakischen Magd Spott erntet, durchkreuzt auch der Nerd immer mehr die soziale Erwartung: Er betreibt blutleere Theorie, wo alle anderen seines Alters ihre Jugend genießen.
Für Kohout bildet der Nerd bis in die Achtziger „weder eine Subkultur aus, die mit eigenen Codes versehen ist oder sich durch entsprechende Stilverbünde auszeichnet, noch ein Selbstverständnis“. Der Nerd „wird in der Popkultur dieser Zeit als Figur gezeigt, die dazugehören will und sich deshalb nie selbst als Nerd bezeichnen würde“. Etwas anderes, etwas Neues musste hinzukommen, um aus dem Nerd eine Sozialfigur zu machen, die der allgemeinen Bejahung fähig ist: der Personal Computer.
Schritt für Schritt zeichnet Kohout nach, auf welche Weise Bill Gates, Steve Jobs oder Steve Wozniak dem Nerd ein neues Gesicht gaben. In ihnen verbindet sich das Freakhafte und das Außenseitertum mit der alten, ästhetischen Figur des Genies. Die Garage wird zur Keimzelle künftiger Revolutionen, weil der Nerd sich hier nicht nur zurückzieht, um soziale Kontakte zu meiden, sondern dort an einer Technologie arbeitet, deren Bedeutsamkeit dereinst die Erfolge aller seiner Mitschüler übertrumpfen wird.
Als paradigmatisch hierfür erweist sich ein zehnseitiger Artikel des Journalisten Paul Ciotti aus dem Jahr 1982. Er wird mit einer Gegenüberstellung zweier Bilder illustriert. Auf dem linken „basteln Jobs und Wozniak im Schlafzimmer am Apple I herum, auf dem rechten Bild sieht man die Rückseite eines Porsches“ – darunter steht: „Erinnerst du dich an mich? Ich bin einer dieser Typen, über die du in der Schule gelacht hast. Tja, heute designe ich Computer und verdiene Millionen. Also: Wer lacht zuletzt?“ Der Titel des Artikels, „Rache der Nerds“, ein Motiv, das in der Popkultur seitdem immer wieder aufgegriffen wird, verdeutlicht, was sich seit den Achtzigern verschoben hat: Das Isolierte des Nerds, das anfangs Spott rechtfertigte, ist plötzlich vielmehr die Bedingung der Möglichkeit, die Gesellschaft der Zukunft zu bestimmen – und so Reichtümer anzuhäufen. Damit wird der Nerd erstmals zu einer positiven Selbstbezeichnung – und zur Kultfigur.
Aber Annekathrin Kohout interessiert sich nicht nur für die Genealogie des Nerds selbst. Unter Rückgriff auf theoretische Überlegungen zur Sozialfigur der Soziologen Sebastian Moser und Tobias Schlechtriemen ist der Nerd für die Autorin vor allem als Ausdruck einer spezifischen, krisenhaften Situation interessant: des ruckeligen Übergangs ins „Informationszeitalter“, das sich durch einen ganz selbstverständlich „positiven Umgang mit Populärkultur“ einerseits und „neuen Technikoptimismus“ andererseits auszeichnet. Das Silicon Valley deutete die Nerds zu Personen um, die den dort gestrandeten Hippies zeigen, wie eine nicht bloß erträumte Kulturrevolution aussieht; dem Genie, die alte „Gegenfigur zum Rationalismus“ der bürgerlichen Gesellschaft, wurde das Hyperrationalistische des Computercodes angedichtet; und speziell in Deutschland baute man den Computerfreak zum „Gegenbild“ des „ermüdeten Kulturpessimismus der linksalternativen Szene“ auf, der die Technik wieder „als Chance und Verheißung begreift“, statt sich in endlosen hoffnungslosen Widerstandgesten zu erschöpfen.
Der veränderte Charakter des Nerds verweist somit auch auf ein neues Selbstverständnis der Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die sich auf dem Weg ins neue Jahrtausend immer positiver auf einen Subkulturtypus bezog, der, anders als der „Square“, nicht einfach Ausdruck ihrer selbst, noch, wie das Genie, der Beatnik, der Rebell oder der Hippie, sich in Opposition zu ihr befindet. Der Nerd war, diesen Schluss lässt Kohouts Buch zu, ohne ihn selbst zu ziehen, eine Sozialfigur, die ihre verbindende Kraft gerade aus dem Versprechen zog, die technische Infrastruktur der Gesellschaft in immer neue Höhen zu steigern, gerade indem sie sich ihres herkömmlichen kapitalistischen Investitionskreislaufs bedient – und sich am Ende auch nicht dafür schämt, dabei populär und reich geworden zu sein. Zwei Etiketten, die ältere Formen der Subkultur von sich zu weisen versuchten.
Schon für diesen kurzen Blick auf die kulturelle Vorgeschichte der Gegenwart lohnt es sich, „Nerds“ genau zu lesen. Das Urteil gilt trotz des Umstands, dass der zweite, längere Teil des Buches das Politische seines Untersuchungsgegenstandes eher woanders zu finden meint – in hinter der Nerdfigur versteckten Männlichkeitsidealen und mit Humor kaschierten Rassismen. Und es gilt auch dann, wenn man der Diagnose der Autorin zustimmt, dass sich seit einigen Jahren eine abermalige Verschiebung andeutet, die „Nerd“ zum allgemeinen Ausdruck vertieften Interesses werden lässt, sodass es heutzutage selbst problemlos erscheint, sich als „Sport-Nerd“ zu bezeichnen. Aber die Analyse dieser Entwicklung wird künftigen Untersuchungen überlassen bleiben – die hoffentlich dann so ergiebig sind wie dieses Buch.
Die Begriffsgeschichte geht
weiter, es ergibt jetzt Sinn, sich
„Sport-Nerd“ zu nennen
Annekathrin Kohout:
Nerds – Eine
Popkulturgeschichte.
C. H. Beck, München 2022. 272 Seiten, 17 Euro
„Erinnerst du dich an mich? Ich bin einer dieser Typen, über die du in der Schule gelacht hast.“ Microsoft-Gründer Bill Gates (rechts) und Paul Allen 1981.
Foto: dpa
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