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Martin Gecks großes Werk über Beethoven - den bis heute meistgespielten Komponisten unserer Zeit
Um 1800 ereignet sich nicht weniger als eine musikalische Revolution: Ludwig van Beethoven erschafft mit der Eroica, dem Fidelio oder der 9. Sinfonie die Welt ein zweites Mal. Martin Geck, "Doyen der Musikwissenschaft" (Frankfurter Allgemeine Zeitung) und einer der besten Kenner des Komponisten, vermisst in seinem Werk das Universum dieses Jahrhundertgenies auf unkonventionelle Weise.
In charmanten wie kenntnisreichen Porträts erschließt Gecks ungewöhnliche Biographie die Vorbilder
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Produktbeschreibung
Martin Gecks großes Werk über Beethoven - den bis heute meistgespielten Komponisten unserer Zeit

Um 1800 ereignet sich nicht weniger als eine musikalische Revolution: Ludwig van Beethoven erschafft mit der Eroica, dem Fidelio oder der 9. Sinfonie die Welt ein zweites Mal. Martin Geck, "Doyen der Musikwissenschaft" (Frankfurter Allgemeine Zeitung) und einer der besten Kenner des Komponisten, vermisst in seinem Werk das Universum dieses Jahrhundertgenies auf unkonventionelle Weise.

In charmanten wie kenntnisreichen Porträts erschließt Gecks ungewöhnliche Biographie die Vorbilder Beethovens, seine Zeitgenossen und Nachfahren: Welchen Einfluss hatten Shakespeare und Rousseau auf Ludwig van Beethoven, der keineswegs ein Wunderkind war? Welches Verhältnis pflegte er zu seinen Zeitgenossen wie Goethe, Napoleon und Schubert? Und wie wichtig war Beethoven seinerseits für Richard Wagner, Glenn Gould oder Aldous Huxley? Martin Geck spürt dem geheimnisvollen Geflecht der Beziehungen, Ideen und Motive nach, die in dem einzigartigen Werk kulminieren. Mit erzählerischer Leichtigkeit erschließt er so die universelle Bedeutung Beethovens und zeigt, wie zeitlos aktuell der Titan der Musik ist.

Autorenporträt
Geck, Martin
Martin Geck war Professor für Musikwissenschaft an der Universität Dortmund. Seine Bücher zur Musikgeschichte und seine Biographien großer Komponisten (u.a. über Mozart, Bach und Wagner) wurden von der Kritik hoch gelobt und in ein Dutzend Sprachen übersetzt. Für sein Buch über Johann Sebastian Bach wurde er mit dem Gleim-Literaturpreis ausgezeichnet. Er starb 2019.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.10.2017

Einsam für alle
Bei Beethoven geht es erst um die Menschheit, dann um den Menschen. Martin Gecks
kluge neue Biografie nähert sich dem Komponisten abseits von Kult und Klischee
VON JOHAN SCHLOEMANN
Unsere Rhythmustherapie ist gerade zu Ende. Nicht etwa die 40-Minuten-Behandlung, also die Siebte, sondern das etwas schlankere 25-Minuten-Paket, die Achte Sinfonie von Ludwig van Beethoven. Fröhliche Stromstöße haben uns erfrischt und aufgewühlt, alles war herrlich „optimistisch und spielerisch“ – so eine typische Konzertankündigung im Radio. Wie versprochen gab es eine ordentliche Packung Virtuosität und Titanentum, dazu noch eine Dosis wienerische Eleganz und Witz. Eine Wucht!
Und jetzt lesen wir nach in der neuen Beethoven-Biografie von Martin Geck, was wir da eigentlich erlebt haben. Das war überhaupt nicht heiter, erfahren wir, sondern voller Sarkasmus, „eine Abrechnung mit sich selbst, ein Protest gegen das eigene sinfonische Ideal“. Diese scheinbar muntere, ja überdrehte Achte in F-Dur sei in Wahrheit „selbstzerstörerisch nicht, was die Integrität der eigenen Persönlichkeit betrifft, jedoch im Umgang mit dem enthusiastischen Überbau des eigenen Schaffens: Nachdem dieser im Finale der Siebten bereits vom Ethischen ins Orgiastische verschoben worden ist, wird er nunmehr geradezu demoliert.“
Dann hört man das noch mal ganz anders: „Hier spricht ein desillusionierter Idealist“, schreibt Martin Geck in seiner Deutung, die ein früheres Buch von ihm, das nur den Sinfonien Beethovens gewidmet war, aufgreift. Aber natürlich, wie konnte der gewöhnliche Liebhaberhörer denn nur vergessen, auch die 8. Sinfonie in den Übergang zum Spätwerk einzubeziehen? Es ist 1812, als er sie fertig schreibt, Beethovens sogenannte „heroische“ Epoche ist vorbei – trotz der Begeisterung der Wiener für sein krachendes Gelegenheitswerk „Wellingtons Sieg“ im darauffolgenden Jahr, und trotz der gigantischen Aufbäumung, die mit dem Freuden-Schlusschor der Neunten noch einmal folgen wird.
Der Komponist verabschiedet in dieser Zeit endgültig sein Gehör, seine öffentlichen Auftritte als berühmter Pianist sowie die ominöse „unsterbliche Geliebte“. Er ist ein Held der Musik in Wien und Europa, er kann hohe Honorare bei Verlegern und Auftraggebern verlangen, zugleich wird er immer wieder – der angebliche Schutzpatron aller bürgerlichen, freischaffenden modernen Künstler – von adligen Gönnern durchgefüttert. Aber ihn plagt ein kranker Körper, und dass er bei den Frauen kein Glück hatte. 42 Jahre alt ist er, 56 wird er noch werden. Schon zehn Jahre zuvor, im Krisenbekenntnis des „Heiligenstädter Testaments“, hatte er notiert: „Mit einem feuerigen Lebhaften Temperamente gebohren selbst empfänglich für die Zerstreuungen der Gesellschaft, muste ich früh mich absondern, einsam mein Leben zubringen.“ Was allerdings nicht bedeutet, dass das romantisch-tragische Klischee vom ständig mürrischen, abweisenden Genie immer zuträfe – 1816 notiert eine Gastgeberin im Tagebuch: „Sein neckisches Wesen, die kleinen witzigen Ausfälle, sind so originell als Mensch wie als Musikdichter.“
Beethoven schreibt im selben Jahr der Achten Sinfonie, 1812, die zarte, abgeklärte letzte Violinsonate, und er macht sich bald auf zu den späten Klaviersonaten, deren Botschaft lautet, so Geck, „nicht Sieg, sondern Ergebung, und der Weg dorthin wird weniger erstritten denn erlitten“. Es gehe am Ende nicht mehr um die Menschheit, sondern um den Menschen. Weiß man das, wird nun die vermeintlich harmlose, zackige, „klassische“ Achte zu einem Abschied vom Schwung der Revolutionszeit, von der „Eroica“, von der Orchester-Emphase – und zwar durch Übersteigerung; und im selben Moment wird sie auch schon zu einer Vorahnung der Unerbittlichkeit, mit der im Spätwerk Motiv-Fetzen wiederholt, versetzt und gegeneinander gewirbelt werden, jedenfalls in den wilderen Sätzen, inmitten einer erschütternden Gelassenheit. Dann denkt man – das ist jetzt allerdings schon übersteigerter Martin Geck – vielleicht sogar weit voraus an den zweiten Satz des allerletzten Streichquartetts (ebenfalls F-Dur, op. 135), wo sich alles Melodische in Sinn-Fragmente und rhythmische Gesten auflösen wird. Oder zurück ans stürmischere, schroffe „Quartetto serioso“ (op. 95) von 1810, das Beethoven offenbar als Privat-Studie für sich selber schuf.
Dies war jetzt nur ein einziges Beispiel, an dem Geck, bedeutender Musikforscher und erfahrener Komponistenbiograf, zeigen kann: Man muss Musik erleben, praktizieren, erfühlen – aber es ist doch ein Riesengewinn, sie auch im Gesamtwerk und in ihrer Zeit zu verstehen. Und dazu braucht es nicht unbedingt minutiöse formale Analysen, obwohl Notenlesen natürlich immer schlauer macht; sondern in einem allgemeinverständlichen Buch wie diesem geht es auch oft übers Hinhören und über die geistige Annäherung.
Zentrales Anliegen dieser Biografie – und länger schon seines Autors – ist es, gegen zwei puristische Ängste zu argumentieren. Die erste scheut den „Biografismus“, also die plumpe Begründung von Werken mit Ereignissen und Gefühlen im Leben des Künstlers. Die zweite Angst gilt der ebenso plumpen Suche nach weiteren „Inhalten“ in der Musik, politischen, poetischen und sonstigen. Dagegen steht das seinerseits sehr voraussetzungsreiche Ideal der „absoluten Musik“. Es geht damit auch um den Einfluss des musikwissenschaftlichen Übervaters Carl Dahlhaus (1928–1989). Dieser schrieb etwa in seinem Beethovenbuch von 1987: „Der Triumph der Analyse besteht in dem Nachweis, dass ein Werk, zumindest ein geglücktes, nicht anders sein kann als es ist.“
Das aber ist, folgt man Martin Gecks Ansatz, offenkundiger Unsinn, weil es in hermeneutische Zirkel führt: Die formale Interpretation einer Komposition droht zu bestätigen, was sie von vornherein bestätigt haben wollte. Geck hingegen verteidigt überzeugend die inhaltliche Interpretation, sofern sie denn die Plumpheit weglässt, die Tonsetzerkunst im Einzelnen nicht geringschätzt, reflektiert vorgeht und den Missbrauch durch die Rezeptionsgeschichte kennt – den Beethoven-Kult.
Das heißt für Martin Geck: Oft lässt sich weder die „kritische Einheit von Leben und Kunst“ trennen, noch kann man bei einem Komponisten, der die Konvention nutzt und zugleich von innen sprengt, das Gedankliche, Gestische, Dichterische übersehen, auch wenn, wie in den meisten Fällen, klare „außermusikalische“ Hinweise fehlen. Das jeden Hörer fesselnde Eigenleben von Beethovens Werken verliert dadurch ohnehin nicht seine Autonomie, aber „eine strikte Scheidung von Form und Gehalt führt (...) nicht weiter, denn eins teilt sich in dem anderen mit.“
Sollte das zu abstrakt klingen, so ist es Gecks „Beethoven“ gerade nicht. Er spielt es an einer Reihe von Stücken durch, von der „Pastorale“ bis zur „übercodierten“ Missa solemnis. Überall findet man Schönheit, aber keine interesselose. Und das Buch ist nach „themenzentrierten Expeditionen“ anhand von anderen Geistesgrößen, Dichtern, Musikern und Kritikern angelegt. (Wer eine konventionellere, chronologische Biografie lesen will, greift zu der von Jan Caeyers von 2012 oder zu Martin Gecks eigener rororo-Monografie.) Zum Beispiel wird die „Sturm“-Klaviersonate in Beziehung gesetzt zu Shakespeare selbst, zu Rousseau, Hölderlin, Friedrich Schlegel und Claude Lévi-Strauss.
Der Autor hat viel gelesen, macht aber auch etwas sehr Lesbares daraus. Wir treffen Beethoven in einzelnen Lebensszenen, vor allem aber im Gespräch mit verehrten Vorgängern wie Bach und mit unter Einflussangst stehenden Nachfolgern wie Robert Schumann. Wir versuchen die Musik zu durchdringen mit den großen Interpreten und mit Philosophen bis zu Gilles Deleuze. Und, klar, Theodor W. Adorno darf Thomas Mann in Kalifornien auch noch mal die späten Sonaten vorspielen. Ob alle Bezüge hinhauen, ist nicht der Punkt, entscheidend ist das intellektuelle Verfahren. Martin Geck hat hier selbst ein nachdenkliches, waches Spätwerk geschaffen. Liest man es, ist man mit Beethoven nicht fertig, sondern fängt (wieder) mit ihm an.
Eine strikte Scheidung
von Form und Gehalt
führt nicht weit
Martin Geck: Beethoven.
Der Schöpfer und sein
Universum. Siedler Verlag, München 2017. 509 Seiten, 26 Euro, E-Book 20,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2017

Im Alter hat er wieder beten gelernt

Komponieren mit Herrschaftsgesten: Martin Geck fragt, was aus Beethoven wurde, als er nicht mehr an den musikalischen Endsieg glaubte.

Von Jan Brachmann

Die musikalische Treffsicherheit von Ludwig van Beethoven kann man sportlich beschreiben, wie es der Musikwissenschaftler Elmar Budde einmal in der Berliner Philharmonie getan hat: "In fast jedem Finalsatz gibt es einen Punkt, da setzt er an zum Schuss, und der geht dann rein wie ein Elfmeter." Beethoven ist - als Komponist - zielstrebig und auf den Endsieg fixiert gewesen, philosophisch gesprochen: der Finalist und Teleologe schlechthin.

"Stimmt alles und ist doch nur die halbe Wahrheit", will uns nun Martin Geck in seinem neuen Beethoven-Buch klarmachen. Geck unternimmt dabei den recht anspruchsvollen Versuch, Beethovens Musik weiterhin als einen Gegenstand von Größe zu verteidigen, jedoch in Abwehr eines doppelten Finalismus, der das Nachdenken über Beethoven lange dominiert hat. Zum einen - so formuliert es Geck mit Sympathie für Claude Debussy und Igor Strawinsky - die "hypertrophe Vorstellung, Beethoven weise einen Königsweg der Musikgeschichte, dem jeder zu folgen habe". Zum andern der Glaube an die alternativlose Schlüssigkeit des Einzelwerks, der Ehrgeiz einer analytischen Musikwissenschaft im Gefolge von Carl Dahlhaus, den Nachweis zu erbringen, dass "ein Werk, zumindest ein geglücktes, nicht anders sein kann, als es ist".

Beides will Geck nicht mehr - und dennoch Beethovens Musik nicht kleinreden. Vielmehr geht es ihm - mit einem Wort von Michel Foucault - darum, "Sagbarkeitsräume" zu eröffnen, in denen Beobachtungen zu Beethovens Musik, auch Hörerfahrungen, Erlebnisse der Verzauberung, der Überforderung, des Schocks, der Einsicht, zur Sprache kommen können. Und er beneidet musikalische Literaten des neunzehnten Jahrhunderts wie E. T. A. Hoffmann, Robert Schumann oder Wolfgang Robert Griepenkerl, deren Korridore eines angemessenen Redens über Musik so viel breiter waren als jene der (west-)deutschen Musikwissenschaft, an deren - zumeist verstorbenen - Autoritäten sich Geck hier neuerlich abarbeitet.

Denn Harry Goldschmidt, der Schweizer Beethoven-Forscher, der bis zu seinem Tod 1986 in der DDR lebte, dachte und schrieb ganz anders über Beethoven als Dahlhaus. Er bemühte sich durchaus, die biographischen Verwerfungen, Beethovens gescheiterte Versuche, eine eigene Familie zu gründen, seine stets neuen Positionierungen der eigenen Religiosität in ihren analytisch fassbaren Auswirkungen auf das Komponieren zu betrachten. Geck folgt Goldschmidt vielfach und zitiert ihn, was sein Buch sympathisch macht.

In dreizehn Kapiteln, die man in beliebiger Reihenfolge lesen kann, weil sie keiner finalen Konsequenzlogik mehr gehorchen, fliegt Geck gewissermaßen durch das im Titel evozierte Universum rund um Beethoven, hin zu anderen Fixsternen wie Napoleon, Rousseau und Thomas Mann, also lauter alten Bekannten des Beethoven-Diskurses; aber er gönnt uns auch die eine oder andere neue Bekanntschaft mit Exkursen zur amerikanischen Kulturkritikerin Lydia Goehr, zum Schweizer Schriftsteller Paul Nizon oder zum französischen Poststrukturalisten Gilles Deleuze.

Am packendsten ist Gecks Buch immer dann, wenn es ganz konkret wird, entweder hinsichtlich der Erfahrungen oder der Quellen. So beschreibt er recht überzeugend am Beispiel der fünften Symphonie, dass Beethoven feldherrnhafte Gesten - Gesten der Macht, des Herrschens - zur Verfügung gestanden haben, die frühere Komponisten in dieser Form noch nicht kannten. Sie sorgen für Überraschungen: Geck beruft sich auf Kategorien, die Karl Heinz Bohrer ins Zentrum seines ästhetischen Denkens gerückt habe, "des Jetzt, des Plötzlichen, der Epiphanie, des Schreckens". Genau diese Gestalten des Jähen und Explosiven verbinden - so Geck - Beethovens musikalische Setzungen mit Napoleons Technik der Kriegführung. In ihr fänden weitsichtige Strategie und das Zulassen von Kontingenz zusammen.

Äußerst umfangreich und im Detail überraschend wird Beethovens Nähe zu Jean-Jacques Rousseau belegt, die sich nicht nur in der Liebe zur Natur als heilende Kraft gegen die Verderbnis der Zivilisation zeigt, sondern auch in den Ansichten über Sittlichkeit und Keuschheit in der Ehe, die Beethoven ab 1817 mit seiner ehemaligen Verlobten Therese von Brunswick erörtert hat. Eine Fundgrube ist auch das Kapitel über den katholischen Theologen Johann Michael Sailer, den späteren Bischof von Regensburg, an dessen Schriften sich Beethoven in den letzten Lebensjahren offenbar so emphatisch orientierte, dass man geradezu von Erwachsenenkatechese reden könnte.

Allerdings zieht Geck hier methodologisch einen Kurzschluss, wenn er Beethovens "Missa solemnis" op. 123 nun "im Zeichen romantischer Kunstreligion" zu verstehen sucht. Einen klaren Begriff von Kunstreligion hat er nicht. Deren Kennzeichen nämlich ist, dass sie die höhere oder bessere Welt, in die sie entrückt, selbst erschafft. Sie ist Mittel und Ziel der Erhebung zugleich, mithin - das haben die Romantiker schmerzlich reflektiert - selbstbezüglich. Genau das ist Beethovens "Missa" nicht, Geck weist es selbst nach: Hier wird Musik wieder adressiertes Gebet, das sich - wie angestrengt kunstvoll und hochindividuell auch immer - an einen Gott außerhalb der Kunst richtet. Nur weil Religiosität sich jenseits tradierter Dogmen äußert, ist sie noch lange keine Kunstreligion.

Befremdlich ist auch Gecks Behauptung, dass Beethovens Klaviersonaten "weitaus erkennbarer als die seiner Vorgänger und Zeitgenossen narrative Züge tragen". Daraus spricht die traditionelle Fixierung auf Beethoven und das Ausblenden ebenjener Zeitgenossen, die hochgradig narrative, geradezu dramatische Klaviersonaten geschrieben haben: Johann Ladislaus Dussek und Muzio Clementi.

Doch ganz wunderbar - übrigens im deutlichen Echo auf Harry Goldschmidt - gelingt Geck die Engführung von Lebenserfahrung und kompositorischer Arbeit Beethovens in dessen später Beschäftigung mit der Fuge, welche die Dominanz der Sonatenform ablöst. Am Ende gibt Beethoven seine Fixierung auf ein Endziel und den Endsieg preis und ist bereit, das Unverfügbare hinzunehmen. Die "Wundmale des Unbewältigten" tragend, beschwöre Beethovens Kunst - so Geck in seinem schönen Fazit - "die Endlichkeit und Unfertigkeit des Menschen, ohne der Sehnsucht nach dem Fertigen, Unendlichen abzuschwören".

Martin Geck: "Beethoven". Der Schöpfer und sein Universum.

Siedler Verlag, München 2017.

512 S., geb., 26,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Für den Rezensenten Michael Stallknecht erweist sich Martin Geck gerade in seinem fragmentarischen Ansatz - keine durcherzählte Biografie, sondern 36 Blicke auf Beethoven aus unterschiedlichen Perspektiven, die man nicht unbedingt chronologisch lesen muss - als einer der letzten Universalgelehrten der deutschen Geisteswissenschaften. Mit großer Sympathie liest der Rezensent, wie sich Geck von einem bloß strukturell-analytischen Ansatz zur Verständnis der Beethovenschen Musik absetzt - nein, Beethoven hat nicht nur "tönend bewegte Formen" abgeliefert, wie der große Eduard Hanslick und mit ihm später Carl Dahlhaus es sahen. Viel Außermusikalisches habe Beethoven in seiner Musik verarbeitet. Geck knüpfe in seiner eklektischen Betrachtungsweise an Autoren wie Robert Schumann an, der auch Bezüge zu Jean Paul oder Shakespeare hergestellt habe - aber ohne dem romantischen Überschwang beim Blick auf Beethoven anheimzufallen. Stallknecht rechnet fürs Beethoven-Jahr 2020 mit weiteren neuen Ansätzen der Beethoven-Forschung.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Martin Gecks kluge neue Biografie nähert sich dem Komponisten abseits von Kult und Klischee." Süddeutsche Zeitung, Beilage zur Frankfurter Buchmesse