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„Unter jeder Lampe gab es Tanz“ – Die ungewöhnlichen Preisreden der Reporterin Marie-Luise Scherer
Marie-Luise Scherer ist eine sehr langsame Schreiberin. Über die Frage, ob sie eine Strickjacke besser als blau oder als bläulich bezeichnen sollte, kann sie eine ganze Nacht zubringen. Und es ist möglich, dass eine eigentlich nur zur Lockerung hingeschriebene, haikuhafte Sentenz – „Frühsommerlicher Morgen, das Zwitschern der Vögel, ihr Frohsinn beschämt mich“ – auch schon der ganze Ertrag eines Arbeitstages gewesen ist. Da ist es nicht weiter erstaunlich, dass sie sich auch beim Verfassen von Dankesreden schwer tut.
Aber sie kommt nicht darum herum, denn Literaturpreise hat Marie-Luise Scherer für ihre zumeist im Spiegel erschienenen kunstvollen Reportagen immer wieder erhalten. Vier dieser Danksagungen liegen nun in einem angemessen schmalen Bändchen mit dem seltsamen Titel „Unter jeder Lampe gab es Tanz“ vor. Das sind Marginalien, nicht mehr, und doch geben sie Auskunft über die Ästhetik dieser bedächtigen Autorin, die sich selbst einmal als „Silbenarbeiterin“ bezeichnet hat.
Glücklicherweise geht es nicht um die Namensgeber der jeweiligen Preise, nicht um Italo Svevo, Heinrich Mann oder Ludwig Börne oder um das Verhältnis der Preisträgerin zu ihnen, wie das verbreitet üblich und meistens auch ziemlich langweilig ist. Scherer verweigert die klassische Preisrede, um sie auf ihre umwegige Art schließlich doch zu liefern. Sie erzählt von Affen im Zoo von Havanna, die wie Bettler agieren, von einem Handwerker, der ihr Bücherregal bestaunt und fragt, ob sie das alles gelesen habe, und immer wieder von Vater, Mutter und Großeltern. Das Nebensächliche in den Mittelpunkt zu rücken, hat bei ihr Methode. Das Unzusammenhängende fügt sie so ineinander, dass die Bruchstücke sich gegenseitig kommentieren. Sie führt nichts Fertiges vor, sondern Denken, Sehen und Erinnern als offene Bewegung.
Und immer wieder geht es auch um das mühsame Schreiben, das zu ihrem Bedauern nicht so funktioniert wie das Malen. Sie vermisst die lässige Schraffur, das verwischte Aquarell, den verwässerten Pinselstrich, wenn sie sich in die strenge Linearität der Schrift gezwungen fühlt, wo unausweichlich Wort auf Wort folgt. Und doch beherrscht Marie-Luise Scherer sehr wohl die Kunst, im Schreiben Bilder entstehen zu lassen und Szenerien mit wenigen Strichen zu skizzieren. Das beweist sie auch in ihren Preisreden. Sie kann gar nicht anders.
JÖRG MAGENAU
Marie-Luise Scherer: Unter jeder Lampe gab es Tanz. Wallstein Verlag, Göttingen 2014. 80 Seiten, 14,90 Euro. E-Book 11,99 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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